VfGH vom 26.06.2020, E2851/2018
Leitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht durch Abweisung eines Antrags auf Verfahrenshilfe in einem Verfahren nach der BAO mangels Berücksichtigung der individuellen Fähigkeiten des Antragstellers als besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art
Spruch
I.Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Beschluss im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs 1 B-VG) verletzt worden.
Der Beschluss wird aufgehoben.
II.Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die vom Beschwerdeführer gegen den von der zuständigen Abgabenbehörde erlassenen Einkommensteuerbescheid 2012 erhobene Beschwerde (vormals: Berufung) wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet abgewiesen. Die dagegen eingebrachte Beschwerde wurde von der Abgabenbehörde als Vorlageantrag gewertet und an das Bundesfinanzgericht weitergeleitet.
2. Mit Ladung vom wurde der Beschwerdeführer zu der mit anberaumten mündlichen Verhandlung vor das Bundesfinanzgericht vorgeladen. Mit Eingabe vom brachte der zu diesem Zeitpunkt steuerlich nicht mehr vertretene Beschwerdeführer beim Bundesfinanzgericht im Hinblick auf diese Verhandlung einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ein, da er bloß € 1.106,31 im Monat verdiene und ihm nach Abzug der Lebenshaltungskosten nur ein Betrag von € 400,– verbliebe. Er sei Geschäftsführer einer GmbH gewesen und habe im Sommer 2013 für seine Firma Konkurs anmelden müssen. Danach sei er sehr krank gewesen, könne sich nach einem Schlaganfall nicht mehr an die Sache erinnern, sei zu 60 % behindert und auch nicht geistig fit, um sich zu dieser Sache zu äußern, aber sein ehemaliger steuerlicher Vertreter wisse darüber Bescheid.
3. Mit Beschluss vom wies das Bundesfinanzgericht den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ab und begründete dies damit, dass die zu entscheidende Rechtsfrage keine besonderen Schwierigkeiten rechtlicher Art aufweise und deshalb die Voraussetzungen zur Gewährung von Verfahrenshilfe gemäß § 292 Abs 1 BAO nicht vorliegen. Die im zugrunde liegenden Abgabenverfahren zu entscheidende Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen unter Beachtung der dazu ergangenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ein Wechsel der Gewinnermittlung nach § 4 Abs 3 EStG 1988 mit Basispauschalierung zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs 1 EStG 1988 zulässig sei, sei keine ungeklärte, besonders komplexe Rechtsfrage, sondern es handle sich um eine "vorerst rein auf Sachverhaltsebene zu lösende Beweiswürdigung"; auch seien vom Antragsteller keine besonderen Schwierigkeiten rechtlicher Art aufgezeigt worden.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums sowie in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Bestimmung (§292 Abs 1 BAO) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Mit der Feststellung, dass im vorliegenden Fall keine besonderen Schwierigkeiten rechtlicher Art vorliegen, schließe das Bundesfinanzgericht die Prüfung des Falles mit einem für den Beschwerdeführer negativen Ergebnis ab. Der Beschluss sei im Wesentlichen begründungslos ergangen. Das Bundesfinanzgericht wende die Vorschrift des § 292 Abs 1 BAO in denkunmöglicher und somit gleichheitswidriger Weise an. Das Bundesfinanzgericht bürde mit seiner Entscheidung dem Beschwerdeführer im Endergebnis die Verpflichtung auf, selbst die Kosten seiner Rechtsvertretung zu tragen. Dieser finanzielle Aufwand würde die Existenz des Beschwerdeführers massiv gefährden. Die Würdigung des Bundesfinanzgerichtes und das darauf basierende Erkenntnis verstoße überdies gegen Art 47 Abs 3 GRC.
5. Das Bundesfinanzgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der es den Beschwerdebehauptungen Folgendes entgegenhält:
Im vorliegenden Fall sei hinsichtlich der Frage der Zulässigkeit des Wechsels der Gewinnermittlung von der Gewinnermittlung nach § 4 Abs 3 EStG 1988 mit Basispauschalierung zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs 1 EStG 1988 zu würdigen, ob der Beschwerdeführer bereits mit eine ordnungsgemäße Buchführung eingerichtet gehabt habe. Dabei handle es sich um eine reine, einfach zu lösende Sachverhaltsfrage und keine schwierige, noch nicht geklärte Rechtsfrage.
II. Rechtslage
Die maßgebliche Bestimmung des § 292 Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl 194/1961, in der Fassung BGBl I 117/2016 lautet wie folgt:
"27. Verfahrenshilfe
§292. (1) Auf Antrag einer Partei (§78) ist, wenn zu entscheidende Rechtsfragen besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art aufweisen, ihr für das Beschwerdeverfahren Verfahrenshilfe vom Verwaltungsgericht insoweit zu bewilligen,
1. als die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten und
2. als die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.
(2) Als notwendiger Unterhalt ist derjenige Unterhalt anzusehen, den die Partei für sich und ihre Familie, für deren Unterhalt sie zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung benötigt.
(3) Einer juristischen Person oder einer Personenvereinigung (Personengemeinschaft) ohne eigene Rechtspersönlichkeit ist die Verfahrenshilfe insoweit zu bewilligen,
1. als die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von ihr noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und
2. als die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.
(4) Ein wirtschaftlich Beteiligter (Abs3 Z 1) ist eine Person, auf deren Vermögenssphäre sich der Ausgang des Beschwerdeverfahrens nicht ganz unerheblich auswirkt und bei der es – auch aus diesem Grund – als zumutbar angesehen werden kann, von dieser Person eine Finanzierung der Verfahrenskosten zu verlangen.
(5) Offenbar aussichtslos ist eine Beschwerde insbesondere bei Unschlüssigkeit des Begehrens oder bei unbehebbarem Beweisnotstand. Bei einer nicht ganz entfernten Möglichkeit des Erfolges liegt keine Aussichtslosigkeit vor. Mutwillig ist eine Beschwerde dann, wenn sich die Partei der Unrichtigkeit ihres Standpunktes bewusst ist oder bewusst sein muss.
(6) Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist bis zur Vorlage der Bescheidbeschwerde bei der Abgabenbehörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht einzubringen. Wird der Antrag vor Ablauf der Frist zur Einbringung einer Bescheidbeschwerde beim Verwaltungsgericht eingebracht, so gilt dies als rechtzeitige Einbringung. Für Verfahren über Maßnahmenbeschwerden (§283) und über Säumnisbeschwerden (§284) ist der Antrag beim Verwaltungsgericht einzubringen. Wird der Antrag vor Ablauf der Frist zur Einbringung einer Maßnahmenbeschwerde bei der Abgabenbehörde eingebracht, so gilt dies als rechtzeitige Einbringung.
(7) Der Antrag kann gestellt werden
1. ab Erlassung des Bescheides, der mit Beschwerde angefochten werden soll bzw
2. ab dem Zeitpunkt, in dem der Betroffene Kenntnis von der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erlangt hat bzw
3. nach Ablauf der für Säumnisbeschwerden nach § 284 Abs 1 maßgebenden Frist.
(8) Der Antrag hat zu enthalten
1. die Bezeichnung des Bescheides (Abs7 Z 1) bzw der Amtshandlung (Abs7 Z 2) bzw der unterlassenen Amtshandlung (Abs7 Z 3),
2. die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt,
3. die Entscheidung der Partei, ob der Kammer der Wirtschaftstreuhänder oder der Rechtsanwaltskammer die Bestellung des Verfahrenshelfers obliegt,
4. eine Darstellung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Antragstellers und der wirtschaftlich Beteiligten.
(9) Ein bei der Abgabenbehörde vor Vorlage der Bescheidbeschwerde eingebrachter Antrag ist unter Anschluss der Verwaltungsakten unverzüglich dem Verwaltungsgericht vorzulegen.
(10) Das Verwaltungsgericht hat über den Antrag mit Beschluss zu entscheiden. Hat das Gericht die Bewilligung der Verfahrenshilfe beschlossen, so hat es die Kammer der Wirtschaftstreuhänder bzw die Rechtsanwaltskammer hievon zu benachrichtigen.
(11) Die Kammer der Wirtschaftstreuhänder bzw die Rechtsanwaltskammer hat mit Beschluss den Wirtschaftstreuhänder bzw Rechtsanwalt zu bestellen, dessen Kosten die Partei nicht zu tragen hat. Wünschen der Partei über die Auswahl der Person des Wirtschaftstreuhänders oder Rechtsanwaltes ist im Einvernehmen mit dem namhaft gemachten Wirtschaftstreuhänder bzw Rechtsanwalt nach Möglichkeit zu entsprechen. Von der Bestellung sind die Abgabenbehörde und das Verwaltungsgericht zu verständigen.
(12) Wird der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb einer für die Einbringung der Beschwerde (§243, § 283), des Vorlageantrages (§264) oder einer im Beschwerdeverfahren gegenüber dem Verwaltungsgericht einzuhaltenden Frist gestellt, so beginnt diese Frist mit dem Zeitpunkt, in dem
1. der Beschluss über die Bestellung des Wirtschaftstreuhänders bzw Rechtsanwaltes zum Vertreter und der anzufechtende Bescheid dem Wirtschaftstreuhänder bzw Rechtsanwalt bzw
2. der den Antrag nicht stattgebende Beschluss der Partei
zugestellt wurde, von neuem zu laufen.
(13) Die Bewilligung der Verfahrenshilfe ist vom Verwaltungsgericht zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für die Bewilligung nicht mehr gegeben sind oder wenn das Vorhandensein der Voraussetzungen auf Grund unrichtiger oder irreführender Angaben der Partei zu Unrecht angenommen worden ist.
(14) Der Bund hat der Kammer der Wirtschaftstreuhänder und dem Österreichischen Rechtsanwaltskammertag jährlich spätestens zum 30. September für die im abgelaufenen Kalenderjahr erbrachten Leistungen der nach Abs 11 bestellten Wirtschaftstreuhänder und Rechtsanwälte eine angemessene Pauschalvergütung zu zahlen, deren Höhe durch Verordnung des Bundesministers für Finanzen festzusetzen ist. Die Festsetzung hat anhand der Anzahl der jährlichen Bestellungen und des Umfanges der erbrachten Leistungen zu erfolgen."
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002; zur Geltung der Staatsbürgerrechte auch für Unionsbürger siehe VfSlg 19.077/2010) nur vorliegen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn das Verwaltungsgericht der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 10.065/1984, 14.776/1997, 16.273/2001).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesfinanzgericht unterlaufen:
3.1. Mit § 292 BAO hat der Gesetzgeber einen Anspruch auf Verfahrenshilfe vorgesehen, der in verfassungskonformer Auslegung inhaltlich den Vorgaben des Art 47 Abs 3 GRC entspricht ().
Damit schließt § 292 Abs 1 BAO die Gewährung von Verfahrenshilfe im Einzelfall nicht schon deshalb aus, weil objektiv keine komplexe, besonders schwierige Frage rechtlicher Art vorliegt. In verfassungskonformer Auslegung können zum einen auch besondere Schwierigkeiten bei der Ermittlung des rechtserheblichen Sachverhaltes, also Fragen tatsächlicher Natur, einen Anspruch auf Verfahrenshilfe begründen, zumal Tatsachenfragen regelmäßig in Rechtsfragen münden; und zum anderen sind stets auch die Fähigkeiten des betroffenen Antragstellers zu berücksichtigen, sein Anliegen wirksam zu vertreten ().
4. Indem das Bundesfinanzgericht einen Anspruch auf Verfahrenshilfe allein mit dem Hinweis auf die Einfachheit der Rechtsfrage versagt hat, ohne auf die subjektiven Fähigkeiten der Person des Antragstellers einzugehen, hat es der Vorschrift des § 292 BAO einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt.
Dabei ist unerheblich, ob der Sachverhalt im Beschwerdeverfahren in den Anwendungsbereich des Unionsrecht fällt, da der Gesetzgeber die Vorschrift des § 292 BAO im Hinblick auf das Konzept des Art 47 Abs 3 GRC verfassungskonform ausgestaltet hat, nicht aber deren Anwendung auf Fälle eingeschränkt hat, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechtes fallen.
IV. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
2. Der Beschluss ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 iVm § 88a VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI: | ECLI:AT:VFGH:2020:E2851.2018 |
Schlagworte: | Finanzverfahren, Verfahrenshilfe, VfGH / Anlassfall |
Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.