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OGH vom 23.04.2007, 15Os6/07g

OGH vom 23.04.2007, 15Os6/07g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. T. Solé und Mag. Lendl als weitere Richter, in Anwesenheit der Richteramtsanwärterin Dr. Kurz als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Amadu B***** und andere Angeklagte wegen der Vergehen nach § 27 Abs 1 sechster Fall, Abs 2 Z 2 erster Fall SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Virgolino M***** gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom , GZ 141 Hv 144/06i-142, nach öffentlicher Verhandlung in Gegenwart der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Mag. Wachberger, des Angeklagten Virgolino M***** und seiner Verteidigerin Dr. Wolf zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Unterstellung der zu III./ genannten Tat auch unter § 147 Abs 1 Z 1 StGB sowie im den Angeklagten Virgolino M***** betreffenden Ausspruch über die Strafe, nicht aber im Einziehungs- und Abschöpfungserkenntnis, aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Virgolino M***** hat durch die zu III./ festgestellten Tatsachen das Vergehen des Betruges nach § 146 StGB und überdies das Vergehen des Gebrauchs fremder Ausweise nach § 231 StGB begangen und wird hiefür sowie für die unberührt gebliebenen, teilweise in der Entwicklungsstufe des Versuchs (§ 15 StGB) verbliebenen Vergehen nach § 27 Abs 1 sechster Fall, Abs 2 Z 2 erster Fall SMG, die ferner von der Aufhebung nicht tangierten Vergehen nach § 27 Abs 1 SMG und das ebenfalls aufrecht gebliebene Vergehen des Gebrauchs fremder Ausweise nach § 231 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 27 Abs 2 SMG zu 15 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch rechtskräftige Freisprüche dieses Angeklagten sowie Schuld- und Freisprüche anderer Angeklagter enthaltenden Urteil wurde Virgolino M***** (richtig:) teilweise in der Entwicklungsstufe des Versuchs (§ 15 StGB) verbliebener Vergehen nach § 27 Abs 1 sechster Fall, Abs 2 Z 2 erster Fall SMG (I./A./2./a./ und b./), der Vergehen nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG (I./B./), „des" Vergehens des Gebrauchs fremder Ausweise nach § 231 Abs 1 StGB (II./) sowie des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 dritter Fall StGB (III./) schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien

I./ den bestehenden Vorschriften zuwider

A./ Suchtgift gewerbsmäßig anderen überlassen bzw zu überlassen

versucht, und zwar

2./ indem er am

a./ dem abgesondert verfolgten Serkan C***** zwei Kugeln mit insgesamt 11,1 Gramm Heroin brutto um 180 Euro verkaufte;

b./ eine weitere Kugel mit 0,9 Gramm Kokain brutto im Mund zum sofortigen Weiterverkauf bereit mit sich führte;

B./ von Anfang August 2006 bis Cannabiskraut, Heroin und Kokain in nicht mehr feststellbarer Menge zum Zweck des Eigenkonsums erworben und besessen;

II./ „am amtliche Ausweise, die für einen anderen ausgestellt waren, und zwar eine Asylkarte und in Verbindung damit eine Sozialversicherungskarte (E-Card), lautend auf Alpha Umaro B*****, im Rechtsverkehr vorsätzlich gebraucht, als wären sie für ihn ausgestellt, indem er sich bei seiner Festnahme gegenüber der Polizei damit auszuweisen versuchte";

III./ im August 2006 „mit dem Vorsatz, durch das Verhalten des Getäuschten sich unrechtmäßig zu bereichern, Verfügungsberechtigte der zuständigen gesetzlichen Krankenversicherung durch Täuschung über Tatsachen unter Benützung und Eingabe falscher Daten zu einer Handlung verleitet, die diese am Vermögen schädigte, indem er sich unter Vorweisung der zu Faktum II./ des Urteilssatzes genannten fremden Ausweise, insbesondere der fremden Sozialversicherungskarte (E-Card) des Alpha Umaro B***** in zahnärztliche Behandlung begab und veranlasste, dass im Wege des Internet als Krankenversicherter Alpha Umaro B***** an die zuständige gesetzliche Krankenversicherung eingegeben wurde, nämlich als der, der die zahnärztliche Behandlung in Anspruch genommen hatte und dadurch veranlasste, dass auf Grund dieser falschen Daten der zuständige Krankenversicherer an den behandelnden Arzt Geld für eine zahnärztliche Behandlung überwies, die tatsächlich nicht Alpha Umaro B*****, sondern Virgolino M***** erfahren hatte".

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte Virgolino M***** mit einer auf die Z 5 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der Berechtigung nicht zukommt.

Die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) behauptet - entsprechend der Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung - zum Schuldspruchpunkt I./A./2./b./, Virgolino M***** habe die sichergestellte Kokainkugel nur zum Eigenkonsum erworben und besessen. Da die betreffende Verantwortung - wie der Beschwerdeführer vermeint - unwiderlegt geblieben sei, wäre auch insoweit nur Eigenkonsum anzunehmen gewesen und der Besitz des Suchtgiftes daher als durch den zu B./ erfolgten Schuldspruch umfasst anzusehen. Damit bekämpft die Rüge jedoch in einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Weise bloß die mit den Gesetzen folgerichtigen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen im Einklang stehende Beweiswürdigung der Tatrichter, die der Verantwortung des Angeklagten unter Hinweis darauf nicht folgten, dass dieser das Suchtgift im Mund hatte, als er gerade an diesem Tag wieder Suchtgift verkaufte (I./A./2./a./), und daraus erschlossen, er habe die Kokainkugel bei seiner Festnahme gerade deshalb geschluckt, weil auch sie zum sofortigen Weiterverkauf bestimmt war (US 6, 17, 23). Dem Einwand fehlender Feststellungen (der Sache nach Z 9 lit a) zu II./ zuwider haben die Tatrichter ausdrücklich als erwiesen angenommen, dass sich Virgolino M***** anlässlich seiner Festnahme am der Polizei mit einer fremden Asylkarte und einer ebensolchen Sozialversicherungskarte ausgewiesen hat (US 20). Weshalb die sofortige Richtigstellung des (bei den einschreitenden Beamten verursachten) Irrtums angesichts fehlender gesetzlicher Grundlage für die Übung tätiger Reue im Falle des § 231 Abs 1 StGB (vgl dessen Abs 3) die Straflosigkeit des Angeklagten zu II./ bewirken sollte, legt die Beschwerde nicht dar.

Seine Verantwortung in der Hauptverhandlung, „es nur der Polizei dann gleich gesagt" zu haben (S 59/IV), enthält aber auch keinen erörterungsbedürftigen Hinweis (Z 5 zweiter Fall) auf die unmittelbare Aufklärung eines in Verbindung mit den fremden Ausweisdokumenten stehenden bloßen - und auch nicht tätergewollten - Missverständnisses auf Seiten der Polizeibeamten über die Identität des Angeklagten.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Aus ihrem Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass durch die rechtliche Unterstellung der zu III./ genannten Tat auch unter § 147 Abs 1 Z 1 dritter Fall StGB das Strafgesetz zum Nachteil dieses Angeklagten unrichtig angewendet worden ist (§ 290 Abs 1 StPO).

§ 147 Abs 1 Z 1 dritter Fall StGB knüpft an die zur Täuschung erfolgte Benützung falscher oder verfälschter Daten an. Parallel zu den Begriffen der falschen oder verfälschten Urkunden sind falsche (= „unechte") Daten im Sinn der genannten Bestimmung solche, die nicht von der Person stammen, die als Hersteller bzw Aussteller angegeben ist; verfälschte Daten hingegen sind ursprünglich echte, die nachträglich durch Austausch der Angabe des Herstellers oder Ausstellers oder durch einen anderen gedanklichen Inhalt geändert wurden (Kirchbacher/Presslauer WK² [2006] § 147 Rz 28c). Bei der sogenannten E-Card handelt es sich um eine gemäß § 31a ASVG für das elektronische Verwaltungssystem (ELSY) im gesamten Vollzugsbereich der Sozialversicherung zu verwendende Chipkarte, die als Schlüsselkarte gestaltet ist, eine Authentifizierung des Karteninhabers (der Karteninhaberin) im elektronischen Verkehr zulässt und dem (der) berechtigten Verwender(in) nach Zustimmung des Betroffenen den Zugriff auf persönliche Daten, die bei anderen Stellen gespeichert sind, möglich macht. Auf dieser Chipkarte dürfen nach § 31a Abs 3 ASVG (nur) folgende Daten gespeichert werden:

Angaben zur Person, für die die Chipkarte ausgestellt ist, wie Name, Geburtsdatum, Geschlecht und Versicherungsnummer (Z 1), die Bezeichnung des Chipkartenausstellers, das Datum der Ausstellung und die Chipkartennummer samt Gültigkeitskennzeichnung (Z 2) sowie sonstige Daten, deren Speicherung bundesgesetzlich vorgesehen ist (Z 3).

Damit kommt ihr jedoch nicht nur Urkundencharakter (RIS-Justiz RS0121508), sondern angesichts ihrer Ausstellung im Rahmen der den Sozialversicherungsträgern zukommenden Verwaltungsaufgaben (vgl Bertel in WK² § 302 Rz 5, die nach § 31 Abs 5 Z 16 ASVG bestehende Richtlinienkompetenz des Hauptverbandes [Korinek-Leitl in Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechts, 508 f], die Möglichkeit der Befreiung vom Service-Entgelt nach § 31c Abs 2 und 5 ASVG sowie daraus allenfalls resultierende Verwaltungsverfahren) und der aus ihr ersichtlichen Daten wie Name, Versicherungsnummer und Sozialversicherungsträger - ungeachtet des Fehlens eines Lichtbildes (Kienapfel/Schroll in WK² [2006] § 231 Rz 4) - darüber hinaus Ausweisfunktion iSd § 231 StGB zu.

Im Zuge der Verwendung einer für eine andere Person ausgestellten E-Card bei einem Arztbesuch und der Behauptung, berechtigter Inhaber dieser Karte zu sein, findet aber kein Eingriff in die auf dieser Karte oder bei anderen Stellen gespeicherten Daten statt. Bezogen auf die Ausstelleridentität werden dadurch nämlich weder falsche Daten hergestellt noch ursprünglich echte Daten nachträglich verfälscht. Zu einer Änderung des gedanklichen Inhalts der gespeicherten inhaber- und ausstellerbezogenen Daten kommt es dadurch ebenfalls nicht. Bei dem durch die Verwendung einer fremden E-Card ausgelösten Verrechnungsvorgang zwischen Arzt und Sozialversicherungsträger werden auch keine inhaltlich unrichtigen Daten mit eigenem Beweiswert hergestellt (vgl 15 Os 75/99). Aber selbst bei gegenteiliger Ansicht scheitert die Verwirklichung des Qualifikationstatbestandes des § 147 Abs 1 Z 1 vierter Fall StGB fallbezogen schon daran, dass sich die Täuschungshandlung in der Irreführung des Arztes über die Identität und den - tatsächlich nicht bestehenden - Versicherungsschutz erschöpfte, zum Zeitpunkt der Herstellung allfälliger inhaltlich unrichtiger Daten somit bereits abgeschlossen war und daher ohne deren Benützung erfolgte.

Da es sich bei der E-Card mangels bargeldähnlicher Einsetzbarkeit nicht um ein unbares Zahlungsmittel iSd § 74 Abs 1 Z 10 StGB handelt (12 Os 42/06b), scheidet auch die Anwendung des zweiten Falles des § 147 Abs 1 Z 1 StGB aus.

Trotz des Urkundencharakters der E-Card liegt auch die Qualifikation nach dem ersten Fall des § 147 Abs 1 Z 1 StGB nicht vor. Bei der von Virgolino M***** verwendeten E-Card des Alpha Umaro B***** handelt es sich nämlich (bloß) um eine fremde, nicht jedoch falsche oder verfälschte Urkunde.

Mangels unrichtigen Inhalts ist die vorliegende E-Card auch keine „Lugurkunde" und damit auch kein falsches oder verfälschtes Beweismittel.

Die bezeichnete Qualifikation war daher auszuschalten. Durch den festgestellten (weiteren; vgl Punkt II./ des Schuldspruches) Gebrauch der fremden Sozialversicherungskarte (E-Card) des Alpha Umaro B***** anlässlich der Betrugstat zwecks Täuschung über seine Identität (US 7 f, 20 f) hat der Angeklagte jedoch das (weniger schwerwiegende) Vergehen der Verwendung fremder Ausweise nach § 231 Abs 1 StGB begangen. Da das Ersturteil die erforderlichen Feststellungen enthält, war ein entsprechender Schuldspruch zu fällen. Bei der damit notwendigen Strafneubemessung waren das Zusammentreffen mehrerer Vergehen, die drei einschlägigen, die Voraussetzungen des § 39 StGB begründenden Vorstrafen, der rasche Rückfall nach der letzten Haftentlassung als erschwerend, die Begehung der Taten nach Vollendung des achtzehnten, jedoch vor Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres, die teils geständige Verantwortung und der Umstand, dass es in einem Fall beim Versuch geblieben ist, als mildernd zu werten.

Im Hinblick auf Tatgewicht und Täterschuld erachtete der Oberste Gerichtshof eine Freiheitsstrafe von 15 Monaten für angemessen. Insbesondere aus generalpräventiven Gründen verbietet sich jedoch deren auch nur teilweise bedingte Nachsicht.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO, erstreckt sich aber nur auf die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde, nicht jedoch auf die zugleich getroffene amtswegige Maßnahme (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12).