OGH vom 29.01.2020, 13Os99/19m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Schriftführerin Dr. Ondreasova in der Strafsache gegen Christoph H***** wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB, AZ 18 Hv 37/19b des Landesgerichts Klagenfurt, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , AZ 10 Bs 221/19d, ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, der Verteidigerin Mag. Sternad und des Privatbeteiligtenvertreters Mag. Höllwerth zu Recht erkannt:
Spruch
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , AZ 10 Bs 221/19d, verletzt § 465 Abs 3 iVm § 489 Abs 1 StPO.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Einzelrichter vom (ON 20) wurde Christoph H***** des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe sowie dazu verurteilt, dem Privatbeteiligten Fabian P***** 500 Euro Schmerzengeld zu zahlen. Mit seinen darüber hinausgehenden Ansprüchen wurde der Privatbeteiligte auf den Zivilrechtsweg verwiesen.
Die gegen diesen Ausspruch gerichtete Berufung des Privatbeteiligten (ON 23) wies das Oberlandesgericht Graz mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss im Wesentlichen mit der Begründung zurück, auch im Verfahren vor dem Landesgericht als Einzelrichter stehe dem Privatbeteiligten die Berufung nur bei vollständiger Verweisung mit seinen Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg (trotz Verurteilung) offen, während die Höhe des Zuspruchs nicht bekämpfbar sei (vgl zum kollegialgerichtlichen Verfahren § 283 Abs 4 iVm § 366 Abs 3 StPO).
Dieser Beschluss steht – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt – mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Rechtliche Beurteilung
Nach § 464 Z 3 StPO kann gegen Urteile des Bezirksgerichts Berufung wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche ergriffen werden. § 465 Abs 3 StPO räumt dieses Berufungsrecht auch dem Privatbeteiligten zum Nachteil des Angeklagten ein. Eine – auf bestimmte Arten des erstgerichtlichen Ausspruchs (etwa teilweise oder vollständige Verweisung auf den Zivilrechtsweg) bezogene – Einschränkung dieses Berufungsrechts ist dem Gesetz, das in § 464 Z 3 StPO (im auffallenden Gegensatz zu Z 2) keinen Verweis auf § 283 StPO enthält (vgl auch § 489 Abs 1 StPO), nicht zu entnehmen (Ratz, WKStPO § 464 Rz 7; Spenling, WKStPO § 366 Rz 22; Fabrizy, StPO13§ 465 Rz 2; Nimmervoll, Das Strafverfahren2 Kap VI Rz 275; vgl [zur früheren Rechtslage] RISJustiz RS0101318, [zum schöffengerichtlichen Verfahren] RS0109956). Diese Regelung findet zufolge § 489 Abs 1 StPO auch im Verfahren vor dem Landesgericht als Einzelrichter Anwendung.
Ein anderes Verständnis legt – entgegen der vom Berufungsgericht mit Verweis auf eine Literaturstelle (Hinterhofer/Oshidari, System des österreichischen Strafverfahrens Rz 10.89) vertretenen Ansicht – auch die historische Interpretation nicht nahe:
Die im Verfahren vor dem Bezirksgericht schon in der Stammfassung der StPO vorgesehene Rechtsmittellegitimation des Privatbeteiligten (zum Nachteil des Angeklagten) wurde von der Rechtsprechung und überwiegend im Schrifttum zur früheren Rechtslage (mit Blick auf § 366 Abs 2 letzter Satz StPO idF vor BGBl 1978/169) dahin ausgelegt, dass dieser Berufung (nur) dann habe ergreifen können, wenn das Erstgericht eine Entschädigung (zumindest teilweise) zugesprochen hatte, nicht jedoch bei vollständiger Verweisung auf den Zivilrechtsweg. Dies wurde unter anderem damit begründet, dass § 464 Z 3 StPO idF vor BGBl 1978/169 die Berufung wegen der „Entscheidung“ über die privatrechtlichen Ansprüche zuließ, wobei die gänzliche Verweisung auf den Zivilrechtsweg gerade nicht als Entscheidung über derartige Ansprüche, sondern als Ablehnung einer solchen begriffen wurde (SSt 19/46, KH 2972; S. Mayer, Commentar § 366 Rz 34 f und § 464 Rz 5; Mitterbacher, Die Strafproceßordnung § 366 Rz 4 und § 464 Rz 6; Lohsing/Serini, Österreichisches Strafprozessrecht4, 583; Roeder, System des österreichischen Strafverfahrensrechtes, 108 und 358; Foregger/Serini, StPO2§ 465 Erl II). Im kollegialgerichtlichen Verfahren stand dem Privatbeteiligten überhaupt kein Berufungsrecht zu (vgl § 283 Abs 6 und § 366 Abs 2 dritter Satz StPO idF vor BGBl 1978/169).
Das – als Defizit empfundene (IA 35/A 14. GP 9 f, AB 812 BlgNR 14. GP 3 f) – (generelle) Fehlen einer Berufungsmöglichkeit des Privatbeteiligten im Fall der (vollständigen) Verweisung auf den Zivilrechtsweg trotz ausreichender Ergebnisse des Strafverfahrens (vgl § 366 Abs 2 zweiter Satz StPO) wurde mit der StPO-Novelle 1978 BGBl 1978/169 für alle Verfahrensarten beseitigt. In § 464 Z 3 StPO wurde der Begriff der „Entscheidung“ durch jenen des „Ausspruches“ ersetzt, womit der früheren (einschränkenden) Auslegung die Grundlage entzogen wurde.
Ebenso wenig kann den Materialien zum StPRefG BGBl I 2014/19 eine Intention des Gesetzgebers, die Rechtsmittellegitimation des Privatbeteiligten einzuschränken, entnommen werden (vgl vielmehr EBRV 25 BlgNR 22. GP 95 f [wo von einer „Effektuierung des Ziels einer Stärkung der Rolle Geschädigter“ und einer Ausstattung Privatbeteiligter „mit weitgehenden konkreten Verfahrensrechten“ die Rede ist]). Das Zitat des § 366 StPO (ohne Einschränkung auf Abs 3 wie übrigens in § 283 Abs 4 StPO) in § 67 Abs 6 Z 5 StPO kann daher – anders als das Berufungsgericht vermeint – zwanglos als Verweis auf den (im Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche gelegenen) Bezugspunkt der Berufung des Privatbeteiligten statt als deren Beschränkung gelesen werden.
Welche teleologischen Erwägungen eine einschränkende Auslegung der § 464 Z 3 und 465 Abs 3 StPO nahelegen würden, wird im angefochtenen Beschluss nicht ausgeführt. Ebenso wenig wird erklärt, weshalb die Berufungsmöglichkeit des Privatbeteiligten in (auch ansonsten) unterschiedlich geregelten (Rechtsmittel)Verfahrensarten (vgl § 447 und § 463 ff sowie § 488 Abs 1 StPO; RISJustiz RS0054093; 13 Os 19/12m; Ratz, WKStPO Vor § 280–296a Rz 13 [zum eigenständigen Ausspruch des Berufungsgerichts bei der Entscheidung über die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld, die Strafe oder die privatrechtlichen Ansprüche ohne Bindung an das Neuerungsverbot]) gleich ausgestaltet sein und deshalb mit Blick auf den Gleichheitsgrundsatz (Art 7 BVG, Art 2 StGG) „bei verfassungskonformer Interpretation“ das vom Berufungsgericht vertretene Ergebnis erzielt werden müsse.
Da diese Gesetzesverletzung nicht zum Nachteil des Verurteilten wirkt, hat es mit ihrer Feststellung sein Bewenden (§ 292 vorletzter Satz StPO).
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0130OS00099.19M.0129.000 |
Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.