OGH vom 22.02.2016, 10ObS99/15d
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Ing. Thomas Bauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei K*****, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Graz, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau, Linke Wienzeile 48 52, 1060 Wien, vertreten durch Dr. Marie Luise Safranek, Rechtsanwältin in Graz, wegen Wochengeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 28/15i 9, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 36 Cgs 216/14d 6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie unter Einbeziehung des in Rechtskraft erwachsenen Teils insgesamt zu lauten haben:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei für den Zeitraum von bis Wochengeld in Höhe von 78,61 EUR täglich binnen 14 Tagen zu zahlen.“
Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit 371,52 EUR (darin 61,92 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin bezog nach der Geburt ihres Sohnes L***** am im Zeitraum von bis ein einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 60,13 EUR täglich. Danach erzielte sie von bis ein Erwerbseinkommen von 3.033,81 EUR netto. Für den für die Berechnung maßgebenden Zeitraum von bis ergibt sich unter Berücksichtigung der Erhöhung um 17 % für Sonderzahlungen ein Nettobetrag von 3.549,56 EUR. Von bis bezog der Vater von L***** einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld. Die Klägerin wurde im November 2013 erneut schwanger; der voraussichtliche Geburtstermin wurde mit errechnet.
Im Verfahren ist allein die Rechtsfrage zu lösen, ob die Klägerin nach der Geburt eines weiteren Kindes im Zeitraum von bis gegenüber der beklagten Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau Anspruch auf Wochengeld in einer täglichen Höhe von 52,51 EUR (Standpunkt der beklagten Partei) oder in einer täglichen Höhe von 78,61 EUR (Standpunkt der Klägerin) hat. Strittig ist insoweit, ob § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG für den Fall, dass die Mutter zuvor einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld bezogen hatte, eine planwidrige Lücke aufweist (Standpunkt der Klägerin) oder nicht (Standpunkt der beklagten Partei).
Mit Bescheid vom wurde der Klägerin für den Zeitraum ab Wochengeld in täglicher Höhe von 26,15 EUR zuerkannt. Im erstinstanzlichen Verfahren anerkannte die beklagte Partei einen Wochengeldanspruch der Klägerin in einer täglichen Höhe von 52,51 EUR.
Das Erstgericht sprach der Klägerin Wochengeld in Höhe von täglich 52,51 EUR von bis zu und wies das auf Zahlung eines täglichen Wochengeldes von weiteren 26,10 EUR im genannten Zeitraum gerichtete Mehrbegehren ab.
Da die Klägerin in den letzten drei Monaten vor Eintritt des Versicherungsfalls am kein Einkommen erzielt habe, seien im Rahmen des Günstigkeitsvergleichs (§ 162 Abs 3 ASVG) die letzten drei Monate vor dem Ende der Pflichtversicherung für die Berechnung heranzuziehen. In diesem Zeitraum habe die Klägerin von bis einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld sowie von bis ein Gehalt bezogen. Für die Zeit des Kinderbetreuungsgeldbezuges komme § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG zur Anwendung. Diese Bestimmung verweise für die Berechnung des Wochengeldes in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise auf § 162 Abs 3a Z 2 ASVG, weshalb in der Folge der in § 3 Abs 1 KBGG genannte Wert maßgeblich sei. Demnach sei der Berechnung des Wochengeldes für den Zeitraum von bis das um 80 % erhöhte pauschale Kinderbetreuungsgeld, welches 14,53 EUR täglich betrage, zugrunde zu legen.
Der Ansicht der Klägerin, wonach bei Bezug von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld eine andere Berechnungsmethode heranzuziehen sei, sei nicht zu folgen. Insbesondere bestehe keine Gesetzeslücke, die mittels Analogie zu schließen sei. Der Gesetzgeber habe aufgrund des von ihm gewählten Durchschnittsprinzips in Kauf genommen, dass eine Versicherte in der Zeit des Bezugs des Wochengeldes einen Verdienstausfall erleiden könne.
Der Anspruch der Klägerin sei daher gemäß § 162 Abs 3 iVm Abs 3a Z 2 ASVG wie folgt zu berechnen:
a) um 80 % erhöhtes pauschales Kinderbetreuungsgeld im Zeitraum von bis (49 Tage x 26,15 EUR) 1.281,35 EUR
b) zuzüglich Erwerbseinkommen der Klägerin von bis (3.033,81 EUR netto monatlich + 17 % Erhöhung für Sonderzahlungen) 3.549,56 EUR
ergebe gesamt 4.830,91 EUR.
Geteilt durch 92 Tage ergebe sich ein Wochengeld in Höhe von täglich 52,51 EUR.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge.
Strittig sei allein, wie sich der Bezug des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes auf die Berechnung der Höhe des Wochengeldes auswirke. Bei der Berechnung des Wochengeldes sei jeder Geld und Sachbezug heranzuziehen, der der Dienstnehmerin als Arbeitsverdienst im Beobachtungszeitraum zufließe bzw zugestanden sei. Unter Arbeitsverdienst seien aber keine Geldleistungen nach dem KBGG zu verstehen. § 162 Abs 3 Satz 4 iVm Abs 3a Z 2 ASVG sehe für diese Zeiten als Sonderregelung vor, dass als Berechnungsgrundlage das um 80 % erhöhte pauschale Kinderbetreuungsgeld bei der längsten Bezugs-variante dasjenige in der betraglich geringsten Höhe heranzuziehen sei. § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG sei auch im Zusammenhang mit der Einführung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes nicht verändert worden, weshalb auch bei Bezieherinnen eines einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes als Berechnungsgrundlage das um 80 % erhöhte pauschale Kinderbetreuungsgeld heranzuziehen sei; Berechnungs-grundlage sei der in § 3 Abs 1 KBGG genannte Betrag von 14,53 EUR täglich. Eine analoge Anwendung des mit in Kraft getretenen § 162 Abs 3a Z 3 ASVG, der die Berücksichtigung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes dann vorsehe, wenn der Versicherungsfall der Mutterschaft während des Kinderbetreuungsgeldbezugs eintrete, scheitere am Fehlen einer planwidrigen Gesetzeslücke. Aus den Gesetzesmaterialien sei zu erschließen, dass der Gesetzgeber den Bezug von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld bei Berechnung der Höhe des Wochengeldes nur in jenen Fällen berücksichtigen habe wollen, in denen der Versicherungsfall der Mutterschaft während des Bezugs des Kinderbetreuungsgeldes eintrete.
Die Revision sei zulässig, weil der Auslegung des § 162 Abs 3 Satz 4 iVm Abs 3a ASVG eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.
Rechtliche Beurteilung
Die von der beklagten Partei beantwortete Revision der Klägerin ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist auch berechtigt.
In ihrer Revision stellt die Klägerin in den Vordergrund, dass für den Teil der Berechnungsgrundlage, der sich aus dem einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld ergebe, nicht die um 80 % erhöhte Pauschalvariante (somit 26,15 EUR täglich), sondern das um 25 % erhöhte einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld (somit 75,16 EUR täglich) gemäß § 162 Abs 3a Z 3 ASVG heranzuziehen sei. Diese Berechnungsart sei im Zuge der Einführung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungs-geldes übersehen worden; es liege eine planwidrige Gesetzeslücke vor, die durch Analogie zu schließen sei, um einen normativen Wertungswiderspruch zu vermeiden: Wäre nämlich der Versicherungsfall der Mutterschaft während des Leistungsbezugs von Kinderbetreuungsgeld eingetreten, hätte die Klägerin Wochengeld unter Bezugnahme auf die Höhe des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes gemäß § 162 Abs 3a Z 3 ASVG erhalten. Aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich, dass für Frauen, die das Modell des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes gewählt hätten, gewährleistet werden müsse, dass sie im Fall des Eintritts des Versicherungsfalls der Mutterschaft während des Bezugs von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld auch Anspruch auf einkommensabhängiges Wochengeld hätten. Offensichtlich habe es der Gesetz-geber planwidrig verabsäumt, im Jahr 2009 § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG entsprechend seinen Intentionen zum einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld zu novellieren.
Dazu wurde erwogen:
1. Im Fall der Klägerin, bei der der Versicherungsfall am und damit nach dem Ende ihrer Pflichtversicherung eintrat, sind für die Berechnung der Höhe des Wochengeldes entsprechend § 122 Abs 3 iVm § 162 Abs 3 ASVG die letzten vollen drei Kalendermonate vor dem Ende der Pflichtversicherung heranzuziehen. In diesem Zeitraum von bis bezog die Klägerin zum Teil einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 60,13 EUR netto täglich (von bis ) und zum Teil Erwerbseinkommen (von bis ).
2. Im Zusammenhang mit der Erlassung des Kinderbetreuungsgeldgesetzes (BGBl I 2001/103) wurde auch der den Wochengeldanspruch regelnde § 162 ASVG partiell geändert. Insbesondere wurde § 162 Abs 3a Z 2 ASVG eingefügt, wonach den Bezieherinnen von Kinderbetreuungsgeld Wochengeld in der Höhe des um 80 % erhöhten Kinderbetreuungsgeldes gebührt. Damals war im KBGG lediglich die Variante „30+6“ vorgesehen (§ 5 KBGG), mit einer täglichen Höhe des Kinderbetreuungsgeldes von 14,53 EUR (§ 3 Abs 1 KBGG).
2.1. Nach den Gesetzesmaterialien soll im Fall eines neuerlichen Wochengeldanspruchs „während des Kindbetreuungsgeldbezuges“ so wie schon zuvor nach dem Karenzgeldgesetz das um 80 % erhöhte Kinderbetreuungs-geld als Bemessungsgrundlage dienen. Frauen, die mangels Erwerbstätigkeit keinen Anspruch auf Wochengeld anlässlich einer vorangehenden Geburt hatten, sollen aber durch den bloßen Kinderbetreuungsgeldbezug nicht den Anspruch auf Wochengeld erwerben; sie sind davon nach § 162 Abs 5 Z 3 ASVG ausgeschlossen (ErläutRV 620 BlgNR 21. GP 68).
2.2. In § 6 Abs 1 KBGG wurde normiert, dass der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld im Fall eines Anspruchs auf Wochengeld in der Höhe des Wochengeldes ruht. In den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 620 BlgNR 21. GP 68) wird erwähnt, dass die Ruhensregelung auch im Zusammenhang damit zu sehen ist, dass das Wochengeld in der Regel höher ist als das Kinderbetreuungsgeld.
3. Mit dem Bundesgesetz BGBl I 2007/76 wurden in den §§ 5a 5c KBGG drei Kurzleistungen („20+4“, „15+3“ und „12+2“) eingeführt. In diesem Zusammenhang wurde in § 162 Abs 3a ASVG der Z 2 der folgende Satz angefügt: „Berechnungsgrundlage ist der im § 3 Abs. 1 KBGG genannte Betrag.“ Die Bezugnahme bloß auf den Tagessatz von 14,53 EUR bei allen (damals) vier Kinderbetreuungsgeldvarianten wird in den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 229 BlgNR 23. GP 8) damit erklärt, dass „zur Gleichbehandlung aller Mütter die Höhe des aus einem KBG Bezug resultierenden Wochengeldes unabhängig von der zuvor gewählten Leistungsart stets auf Basis des § 3 Abs. 1 KBGG berechnet wird“.
4. Schließlich wurden mit dem Bundesgesetz BGBl I 2009/116 die damals vier Kinderbetreuungsgeld-varianten zur Gruppe „Pauschales Kinderbetreuungsgeld“ zusammengefasst; daneben wurde in Abschnitt 5 des KBGG (§§ 24 24d) eine neue „12+2“ Variante, nämlich das „Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens“ eingeführt.
4.1. Zielgruppe dieser Variante sind nach den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 1) „Eltern, die nur für eine kurze Zeit aus dem Erwerbsleben aussteigen möchten, vor der Geburt erwerbstätig waren und relativ hohe Einkünfte erzielt haben“; für diese Gruppe sei der höchste Betrag in einer Pauschalvariante für den Erhalt des Lebensstandards nicht ausreichend.
4.2. Mit der Novelle wurde auch § 162 Abs 3a ASVG in Form einer Differenzierung zwischen der Pauschalvariante (Z 2) und der einkommensabhängigen Kindergeldvariante (Z 3) adaptiert. Bei den Pauschalvarianten blieb es bei der Maßgeblichkeit des in § 3 Abs 1 KBGG genannten Betrags von 14,53 EUR; für die einkommensabhängige Variante wurde vorgesehen, dass Wochengeld „in der Höhe des jeweiligen um 25 % erhöhten Kinderbetreuungsgeldes als Ersatz des Erwerbseinkommens“ gebührt.
Nicht geändert wurde § 162 Abs 3 ASVG.
4.3. Die Gesetzesmaterialien zur Änderung des § 162 Abs 3a ASVG (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 21 f) führen aus:
„Bei der Änderung in der Z 2 handelt es sich um eine terminologische Anpassung an die Änderungen im Kinderbetreuungsgeldgesetz. Im Unterschied zum Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens, das abhängig vom Einkommen der Frau variiert, wird das Kinderbetreuungsgeld nach den anderen Bezugsvarianten, die im KBGG vorgesehen sind, in Höhe eines Fixbetrages gewährt. Diese Bezugsvarianten sollen nunmehr als pauschal bezeichnet werden.
Durch die angefügte Z 3 in § 162 Abs. 3a ASVG, die ab zeitgleich mit den Änderungen im Kinderbetreuungsgeldgesetz in Kraft treten soll, soll für Frauen, die das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens (§ 24a Abs. 1 KBGG) in Anspruch nehmen, gewährleistet werden, dass sie im Falle des Eintritts des Versicherungsfalles der Mutterschaft (Beginn des absoluten oder individuellen Beschäftigungsverbots) während des Bezuges des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes auch Anspruch auf Wochengeld haben, sofern sie bereits aufgrund der des ea KBG Bezuges zugrundeliegenden Entbindung Wochengeld bezogen haben. Dieses Wochengeld soll dem Durchschnittsverdienst, der der Berechnung der Höhe des ea KBG zugrundegelegt wurde, entsprechen (daher Erhöhung um 25 %).“
An anderer Stelle, bei den Finanziellen Erläuterungen (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 8), wird unter der Überschrift „Mehrkosten im Bereich Wochengeld“ ausgeführt:
„Durch die Änderungen im Bereich ASVG kommt es zu Auswirkungen beim Aufwand für Wochengeld.
Es wird davon ausgegangen, dass es etwa in 54 Fällen zu einer Folgegeburt innerhalb eines Jahres kommt. Daraus ergibt sich statt wie bisher ein Wochengeld in Höhe von 180 % von 436 Euro (KBG gemäß § 3 Abs. 1) nun Wochengeld in Höhe von 125 % des ea. KBG gebührt. Die dadurch entstehenden Mehrkosten betragen rund 232 000 Euro pro Jahr, die zu 70 % auf den FLAF und zu 30 % auf die Krankenversicherungsträger entfallen.“
5. An erster Stelle ist das Zusammenspiel zwischen § 162 Abs 3 Satz 4 und Abs 3a ASVG für den Fall zu klären, dass eine Frau nicht unmittelbar aus dem Kinderbetreuungsgeldbezug in den Wochengeldbezug wechselt. Für diesen stellt sich die Frage, ob der Bezug von Leistungen nach dem KBGG im Beobachtungszeitraum als Arbeitsverdienst gelten soll.
Der eindeutige Wortlaut des § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG stellt ganz generell auf die Heranziehung des im Beobachtungszeitraum bezogenen Kinderbetreuungsgeldes ab:
„ Fallen in den für die Ermittlung des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes maßgebenden Zeitraum auch Zeiten des Bezuges einer Leistung nach dem KBGG oder nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, so gilt für diese Zeiten als Arbeitsverdienst jenes Wochengeld, das auf Grund des Abs. 3a Z 2 in Verbindung mit Abs. 5 Z 3 oder auf Grund des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 beim Eintritt des Versicherungsfalles der Mutterschaft während des Leistungsbezuges gebührt hätte.“
Für diese Einbeziehung des im Beobachtungszeitraum bezogenen Kinderbetreuungsgeldes in die Berechnung des Wochengeldes spricht auch die Gesetzgebungsgeschichte.
5.1. Im Rahmen der Ausdifferenzierung der Berechnungsarten nach § 162 Abs 3 ASVG mit der 50. ASVG Novelle (BGBl 1991/676) wurde im Zusammenhang mit dem Bezug von Leistungen nach dem AlVG in den Gesetzesmaterialien festgehalten, dass aufgrund einer Aufnahme einer Beschäftigung nach dem AlVG Leistungsbezug keine Schlechterstellung eintreten solle. Angesprochen wird der Fall, dass eine Versicherte innerhalb des Beobachtungszeitraums nach dem AlVG Leistungsbezug eine Beschäftigung aufnimmt. In diesem Fall konnte nach dem früheren Gesetzeswortlaut nur der einfache und nicht der um 80 % erhöhte Leistungsbezug nach dem AlVG herangezogen werden, weshalb der Wortlaut des § 162 Abs 3 ASVG klarstellend ergänzt wurde (ErläutRV 284 BlgNR 18. GP 32).
5.2. Mit dem auf den Initiativ-antrag IA 645/A 20. GP zurückgehenden Bundesgesetz BGBl I 1998/6 wurde dem Leistungsbezug nach dem AlVG der Bezug von Leistungen nach dem Karenzgeldgesetz gleichgestellt (siehe dazu AB 1003 BlgNR 20. GP 9).
5.3. Mit dem SRÄG 2005, BGBl I 2005/71, erfolgte die gleichstellende Anpassung an das KBGG. Gleichzeitig wurde in Bezug auf die Gleichstellung mit dem Arbeitsentgelt der Verweis auf § 162 Abs 3a Z 2 ASVG eingefügt.
Die Gesetzesmaterialien (ErläutRV 944 BlgNR 22. GP 6) führen dazu aus:
„Tritt nach dem Ende des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld (KBG) ein neuerlicher Mutterschutz ein, so gebührt Wochengeld im Regelfall nur aus einer allfälligen Erwerbstätigkeit. Tritt aber der neuerliche Mutterschutz zumindest noch am letzten Bezugstag von KBG ein, so gebührt Wochengeld in der fixen Höhe von 180 % des KBG (neben einem allfälligen Wochengeldanspruch aus Zuverdienst), wenn bereits während des vorigen Mutterschutzes ein Wochengeldanspruch bestand.
Dies wäre zwar eine durch den Ablauf einer Frist sachlich begründbare Differenzierung. Sozial- und familienpolitisch ist die unterschiedliche Behandlung aber insbesondere in Fällen eines unmittelbar dem Ende des Bezuges von KBG folgenden neuerlichen Mutterschutzes nicht zu rechtfertigen.
Zeiten des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld sollen daher ebenso wie schon bisher die Zeiten eines Bezuges nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz oder dem Karenzgeldgesetz in die Bemessungsgrundlage für Wochengeld einfließen können, wenn schon auf Grund der dem KBG Bezug zugrunde liegenden Entbindung Anspruch auf Wochengeld bestand. Einerseits wird dadurch an der Systematik des Wochengeldes als Einkommensersatzleistung festgehalten und andererseits in den Fällen der zeitlichen Nähe zum Ende des KBG Bezuges eine Abfederung durch einen Wochengeldanspruch vorgenommen. Eine Neuberechnung betreffend die Versicherungsfälle, die vor dem eingetreten sind, kann auf Antrag stattfinden.
Über den teils von der Krankenversicherung und teils vom Familienlastenausgleichsfonds zu tragenden finanziellen Mehraufwand kann derzeit keine Aussage getroffen werden, weil weder die aktuelle Zahl der Fälle, in denen bis zum Ende des drittfolgenden Kalendermonates nach Ende des Kinderbetreuungsgeldbezuges ein neuer Mutterschutz eintritt, bekannt ist, noch eine allfällige Reaktion der theoretisch Anspruchsberechtigten auf eine solche Ausdehnung des Wochengeldanspruches vorhergesehen werden kann.“
5.4. In der Literatur weist Drs (in SV Komm [Stand ] § 162 Rz 53) darauf hin, dass zwar unter „Arbeitsverdienst“ iSd § 162 Abs 3 ASVG grundsätzlich keine Geldleistungen nach dem KBGG zu verstehen sind (ebenso Teschner/Widlar/Pöltner , ASVG [119. ErgLfg] 877 f [§ 162 Anm 6] zu Geldleistungen nach dem ASVG), dass jedoch § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG für diese Zeiten eine Sonderregelung vorsieht: Fallen in den Beobachtungszeitraum auch Zeiten des Bezugs einer Leistung nach dem KBGG, so gilt als Arbeitsverdienst jenes Wochengeld, das aufgrund des § 162 Abs 3a ASVG im Fall des Eintritts des Versicherungsfalls der Mutterschaft während des Leistungsbezugs gebührt hätte.
5.5. Aus dem Gesetzeswortlaut und der dargestellten Entwicklung der Gesetzeslage unter Bedachtnahme auf die Intentionen des Gesetzgebers ist daher der Schluss zu ziehen, dass § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG generell das im Beobachtungszeitraum bezogene Kinderbetreuungsgeld in die Wochengeldberechnung einbezieht (zu beachten ist allerdings der in § 162 Abs 5 Z 3 normierte Ausschluss von „Nur-Kinderbetreuungsgeld-Bezieherinnen“ nach § 8 Abs 1 Z 1 lit f ASVG).
6. Damit stellt sich die weitere, das Verfahren vor den Vorinstanzen dominierende Frage, ob das Fehlen des auf § 162 Abs 3a Z 3 ASVG gerichteten Verweises in § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG zur Folge hat, dass auch bei Beziehern eines einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes als Berechnungsgrundlage nur das um 80 % erhöhte pauschale Kinderbetreuungsgeld bei der längsten Bezugsvariante dh mit der betraglich geringsten Höhe heranzuziehen ist.
6.1. Drs (in SV Komm [Stand ] § 162 Rz 53) folgt dem Gesetzeswortlaut: § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG verweise nur auf § 162 Abs 3a Z 2 ASVG, nicht aber auch auf Z 3.
6.2. Diese Ansicht hat zur Folge, dass hinsichtlich der Höhe des Wochengeldes danach zu differenzieren ist, ob der neuerliche Versicherungsfall spätestens am letzten Bezugstag des Kinderbetreuungsgeldes eintritt: Ist das der Fall, kommt die Sonderregel des § 162 Abs 3a ASVG zum Tragen: Das Gesetz unterscheidet dann danach, ob eine schwangere Frau pauschales Kinderbetreuungsgeld (Z 2) oder einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld (Z 3) bezogen hat. Im erstgenannten Fall ist Berechnungsgrundlage unabhängig von der gewählten Pauschalvariante der in § 3 Abs 1 KBGG genannte Betrag von 14,53 EUR, was aufgrund der Erhöhung um 80 % zu einem täglichen Wochengeld von 26,15 EUR führt ( Drs in SV Komm [Stand ] § 162 Rz 74). Bezieherinnen von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld gebührt das Wochengeld dagegen in Höhe des jeweiligen um 25 % erhöhten Kinderbetreuungsgeldes.
6.3. Gerade eine solche Unterscheidung zwischen Frauen, die bei Eintritt des Versicherungsfalls noch im Kinderbetreuungsgeldbezug stehen, und solchen, bei denen dies nicht mehr der Fall ist, wird vom Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien zum SRÄG 2005, BGBl I 2005/71, aber abgelehnt, weswegen in § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG der Verweis auf § 162 Abs 3a Z 2 ASVG eingefügt wurde (zu den diesbezüglichen gesetzgeberischen Intentionen siehe ErläutRV 944 BlgNR 22. GP 6).
6.4. Bei Einführung der (pauschalen) Kurzvarianten des Kinderbetreuungsgeldes mit dem Bundesgesetz BGBl I 2007/76 hat der Gesetzgeber in § 162 Abs 3a ASVG bewusst keine Unterscheidung nach den einzelnen Varianten vorgenommen (siehe dazu die unter 3. zitierten Gesetzesmaterialien, ErläutRV 229 BlgNR 23. GP 8). Angesichts der mit Einführung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes dann doch durchgeführten Differenzierung in § 162 Abs 3a ASVG (zwischen der Z 2 einerseits und der Z 3 andererseits) wäre aber zu erwarten gewesen, dass der Gesetzgeber auch in Fortführung der dem SRÄG 2005 zugrunde liegenden Gedanken die bewusst getroffene Unterscheidung zwischen den Pauschalvarianten des Kinderbetreuungsgeldes einerseits und der einkommensabhängigen Variante andererseits nicht nur in § 162 Abs 3a ASVG, sondern auch in § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG umsetzt: Es ist kein Grund erkennbar, dass eine Frau, die bei Eintritt des Versicherungsfalls im aktuellen Bezug einer Leistung nach dem KBGG steht, in Bezug auf den Wochengeldanspruch bewusst verschieden behandelt wird, je nachdem ob das Kinderbetreuungsgeld in Form einer Pauschalvariante oder in Form von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld bezogen wird, während nach dem Gesetzeswortlaut dann, wenn der in den Beobachtungszeitraum fallende Kinderbetreuungsgeldbezug vor dem Eintritt des (neuen) Versicherungsfalls infolge Aufnahme einer Erwerbstätigkeit geendet hat, der Bezug der Leistung nach dem KBGG undifferenziert berücksichtigt würde.
Der Gesetzgeber hat zwar mit dem Bundesgesetz BGBl I 2009/116 eine Anpassung des Abs 3a des § 162 ASVG an das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld vorgenommen, aber offensichtlich auf die entsprechende Adaptierung des Abs 3 Satz 4 vergessen, worauf auch hindeutet, dass er trotz erkennbarer Klärungsbedürftigkeit in den Gesetzesmaterialien keinen Grund angibt, warum die in Abs 3a einerseits und in Abs 3 Satz 4 andererseits genannten Fälle unterschiedlich zu behandeln seien. Würden die Gesetzesmaterialien zum Bundesgesetz BGBl I 2009/116 (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 21 f) so verstanden, dass sie beim einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld diejenigen Frauen bevorzugen wollen, die im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls noch im Leistungsbezug stehen, würden sie sich in Widerspruch zu den nachvollziehbaren Intentionen setzen, die der Novellierung des § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG mit dem SRÄG 2005 zugrunde gelegt wurden.
Schließlich legt gerade der aus § 162 Abs 3a Z 3 ASVG hervorleuchtende Zweck, im Fall des vorherigen Bezugs von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld auch ein (indirekt) einkommensabhängiges Wochengeld zu gewähren, eine Gleichbehandlung der Fälle nahe.
Nach zutreffender Rechtsansicht der Klägerin bringt die Regelung des § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG auch unter Berücksichtigung der bereits zitierten Gesetzesnaterialien (ErläutRV 944 BlgNR 22. GP 6) ganz allgemein den Grundsatz zum Ausdruck, dass für Zeiten des Bezugs einer Leistung nach dem KBGG jenes Wochengeld gebühren soll, welches gebührt hätte, wenn der Versicherungsfall der Mutterschaft bereits während des Leistungsbezugs des Kinderbetreuungsgeldes eingetreten wäre. Wäre der Versicherungsfall der Mutterschaft bei der Klägerin während des Leistungsbezugs des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes eingetreten, hätte die Klägerin nach § 162 Abs 3a Z 3 ASVG Anspruch auf Wochengeld in der Höhe des jeweiligen um 25 % erhöhten einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes gehabt.
Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen ist eine planwidrige Gesetzeslücke zu bejahen, die dadurch zu schließen ist, dass in § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG auch ein Verweis auf Abs 3a Z 3 hineinzulesen ist.
7. In diesem Sinn sind die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass der Klägerin das von ihr begehrte, von der beklagten Partei hinsichtlich der Art der Berechnung nicht bestrittene höhere Wochengeld von 78,61 EUR täglich für den Zeitraum von bis zusteht.
8. Die Kostenentscheidung ist eine Folge des Obsiegens der Klägerin und beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00099.15D.0222.000