OGH vom 17.08.2006, 10ObS98/06v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Albert Ullmer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in den verbundenen Sozialrechtssachen der klagenden Partei Stadtpfarre z*****, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl Rechtsanwaltgesellschaft mbH in Graz, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1201 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Zuschuss nach Entgeltfortzahlung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 14/06t-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 32 Cgs 193/05d-6, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 306,70 EUR (davon 51,12 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die klagende Pfarre ist Dienstgeberin der bei ihr als Friedhofsarbeiter beschäftigten Dienstnehmer Anton O*****, Anton H***** und Franz K*****, die bei der beklagten Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt unfallversichert sind. Anton O***** war vom 4. 4. bis krankheitsbedingt, Anton H***** vom 18. 2. bis krankheitsbedingt und vom 31. 3. bis unfallsbedingt und Franz K***** vom 14. 2. bis krankheitsbedingt arbeitsverhindert. Die klagende Partei leistete gemäß § 3 EFZG Entgeltfortzahlung an Anton O***** in Höhe von 208 EUR, an Anton H***** in Höhe von 365,64 EUR und 374,75 EUR und an Franz K***** in Höhe von 452,44 EUR. Bei der klagenden Partei sind regelmäßig weniger als 51 Dienstnehmer beschäftigt. Mit Bescheiden vom lehnte die beklagte Partei die Anträge der Klägerin vom auf Zuschuss nach Entgeltfortzahlung für die Arbeitsverhinderung der genannten Dienstnehmer in den angeführten Zeiten mit der Begründung ab, dass kein Unternehmen iSd § 53b ASVG vorliege.
Das Erstgericht wies die dagegen erhobenen Klagen ab. Der durch § 53b ASVG geförderte Kreis umfasse nach den Gesetzesmaterialien Kleinbetriebe, da vor allem bei diesen im Zusammenhang mit der Abschaffung des Entgeltfortzahlungserstattungsfonds Probleme aufgetreten seien. Als Anspruchsberechtigt würden stets Unternehmen mit bis zu 50 Arbeitnehmer/innen erwähnt. Eine genaue Definition des Begriffes „Unternehmen" sei unterblieben. Eine Einschränkung nur auf den Begriff des „Dienstgebers" als Zuschussberechtigten sei keinesfalls gewollt. Kirchen und Religionsgemeinschaften seien juristische Personen öffentlichen Rechts eigener Art und ließen sich nicht dem Unternehmensbegriff unterordnen. Zum geförderten Kreis seien nur Klein- und Mittelbetriebe (juristische Personen privaten Rechts) zu zählen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei in der Hauptsache, nicht aber im Zinsenpunkt Folge. Es bejahte die Zulässigkeit des Rechtsweges und führte in der Sache aus, dass die Zuschussberechtigung der klagenden Partei nach § 53b ASVG idF 3. SVÄG 2004 davon abhänge, dass sie „Dienstgeberin" ihrer als Friedhofsarbeiter tätigen Dienstnehmer sei, für die sie Leistungen gemäß § 3 EFZG aufgrund eines Unfalls und einer Krankheit erbracht habe. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei der Begriff des Dienstgebers iSd § 35 Abs 1 ASVG zu verstehen; darunter falle auch die klagende Partei. Auch der Umstand, dass § 53b ASVG das Vorliegen eines „Unternehmens" voraussetze, vermöge an diesem Ergebnis nichts zu ändern.
Die ordentliche Revision sei zulässig, weil oberstgerichtliche Judikatur zur Frage, ob eine Pfarre zum anspruchsberechtigten Personenkreis des § 53b ASVG gehöre, fehle und dieser Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klageabweisenden Sinn. Die klagende Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.
Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass das Berufungsgericht zutreffend erkannte, dass Streitigkeiten über Zuschüsse gemäß § 53b ASVG Leistungssachen sind, die im Weg der sukzessiven Kompetenz den Arbeits- und Sozialgerichten zur Beurteilung zugewiesen sind (10 ObS 58/06m ua), wovon auch die Revisionswerberin ausgeht. Die Revisionswerberin vertritt die Auffassung, dass § 53b ASVG für die Zuschussberechtigung nicht nur die (im vorliegenden Fall unstrittig gegebene) Dienstgebereigenschaft nach § 35 ASVG voraussetze, sondern zusätzlich auch die Beschäftigung von weniger als 51 Dienstnehmer/innen in einem Unternehmen. Darunter seien vor allem im Hinblick auf Aufgabenstellung, Struktur und Wettbewerbsdruck nur privatrechtlich organisierte Unternehmen zu subsumieren, nicht aber solche, die von öffentlich-rechtlichen Rechtsträgern geführt würden, weil diese gesamtgesellschaftliche Zwecke verfolgen müssten. Hintergrund der Regelung des § 53b ASVG sei die Förderung von Klein- und Mittelunternehmen (KMU) als Rückrat der europäischen Wirtschaft, weshalb ein Zuschussberechtigter auch die wirtschaftlichen Merkmale von KMU aufweisen müsse. Nach einer Empfehlung der Europäischen Kommission vom sei ein Unternehmen, deren Unternehmensanteile oder Stimmrechte zu 25 % oder mehr von einer staatlichen Einrichtung oder Körperschaft des öffentlichen Rechts kontrolliert würden, nicht als KMU zu verstehen, was auch den gesetzgeberischen Intentionen im Zusammenhang mit der Schaffung des § 53b ASVG entspreche. Kirchen und Religionsgemeinschaften, denen vom Staat öffentlich-rechtliche Stellung zuerkannt werde, erfüllten aus staatlicher Sicht öffentliche Aufgaben und seien deshalb keine Unternehmen iSd § 53b ASVG.
Dieser Standpunkt wird vom Obersten Gerichtshof nicht geteilt:
Im Rahmen des Hochwasseropferentschädigungs- und Wiederaufbau-Gesetzes 2002 (BGBl I 2002/155; siehe dazu Neumann,
Neuregelung bei Entgeltfortzahlung: Zuschüsse für Klein- und Mittelbetriebe, ASoK 2002, 394) wurde § 53b ASVG mit der Intention, eine Begünstigung von Klein- und Mittelunternehmen vorzusehen (RV 310 BlgNR 22. GP 6), in das ASVG eingefügt. Diese Bestimmung sah vor, dass den Dienstgebern Zuschüsse aus Mitteln der Unfallversicherung zur teilweisen Vergütung des Aufwandes für die Entgeltfortzahlung iSd § 3 EFZG oder vergleichbaren österreichischen Rechtsvorschriften geleistet werden können, sofern die Entgeltfortzahlung verunfallten Dienstnehmern gebührt, die (zum Zeitpunkt des Unfalles) bei der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt versichert waren. Die Zuschüsse konnten nur Dienstgebern, die „regelmäßig weniger als 51 Dienstnehmer in Betrieben (§ 77a ASchG) beschäftigen" gewährt werden, und zwar höchstens für sechs Wochen jährlich in der Höhe von 50 % des fortgezahlten Entgeltes. Eine nähere Regelung der Gewährung der Zuschüsse an die Dienstgeber und die Abwicklung des Verfahrens erfolgte im Rahmen der Verordnung des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen über Zuschüsse der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt an Dienstgeber nach Entgeltfortzahlung (BGBl II 2002/443). Diese Verordnung ist mit dem Inkrafttreten der Verordnung der Bundesministerien für Gesundheit und Frauen über Zuschüsse der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt und der Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau an Dienstgeber/innen für Entgeltfortzahlung (Entgeltfortzahlungs-Zuschussverordnung), BGBl II 2005/64, außer Kraft getreten.
Seit dem Inkrafttreten mit wurde § 53b ASVG mehrfach novelliert (siehe dazu Teschner/Widlar, ASVG 90. Erg-Lfg § 53b Anm 1 und 2).
Soweit für den vorliegenden Fall maßgeblich, gebührt der Zuschuss nach § 53b Abs 2 Z 1 ASVG der seit dem Inkrafttreten des 2. SVÄG 2003, BGBl I 2003/145, geltenden Fassung „nur jenen Dienstgeber(inne)n die in ihrem Unternehmen regelmäßig weniger als 51 Dienstnehmer(innen) beschäftigen". Es wurde schon dargestellt, dass § 53b ASVG mit der Intention, eine Begünstigung von Klein- und Mittelunternehmen vorzusehen, geschaffen wurde. In den Materialien zum 3. SVÄG 2004, BGBl I 2004/171, wird darauf hingewiesen, dass „im Zusammenhang mit der Abschaffung des EFZG-Fonds nach wie vor Probleme bei Kleinbetrieben auftreten und die in der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt für diesen Zweck budgetierten Mittel nicht ausgeschöpft worden sind", weshalb auf Anregung der Wirtschaftskammer Österreich der Zuschuss zur Entgeltfortzahlung auf langandauernde und betriebsgefährdende Krankheitsfälle ausgedehnt werden soll (RV 703 BlgNR 22. GP 14; dazu Neumann, Zuschuss zur Entgeltfortzahlung an Arbeitnehmer auch bei Krankheit, [14], und Melzer-Azodanloo, Rückkehr zum Erstattungsfondssystem über Umwege? ).
Die Umstellung der Begriffsfolge „in Betrieben" auf „in ihrem Unternehmen" (hinsichtlich der Beschäftigtenzahl) durch das 2. SVÄG 2003, BGBl I 2003/145, wird in den Gesetzesmaterialien damit erklärt, dass § 53b ASVG auf die Beschäftigung von „weniger als 51 Dienstnehmer(innen) in Betrieben (§ 77a ASchG)" abstelle, während § 2 Abs 2 der Durchführungsverordnung, BGBl II 2002/443, Betriebe iSd § 53b Abs 2 Z 1 ASVG als „Unternehmen, in denen regelmäßig insgesamt weniger als 51 Dienstnehmer(innen) beschäftigt werden", definiere. „Durch die nunmehr vorgeschlagene Änderung soll diese Diskrepanz zwischen Gesetzestext und Verordnung bereinigt werden, indem nun eindeutig auf die Zahl der Dienstnehmer in einem Unternehmen abgestellt wird und der Verweis auf § 77a ASchG den Modus für die Ermittlung der Anzahl der Dienstnehmer(innen) betrifft. Die ursprüngliche Intention des § 53b ASVG, nämlich eine Begünstigung von Klein- und Mittelunternehmen vorzusehen, soll damit auf eine eindeutige Rechtsgrundlage gestellt werden" (RV 310 BlgNR 22. GP 6). Der Senat hat jüngst in der Entscheidung 10 ObS 86/06d ausgesprochen, dass der Gesetzestext nicht für eine differenzierte Betrachtungsweise zwischen „Dienstgeber" auf der einen und „Unternehmen" auf der anderen Seite spricht und aus den zitierten Gesetzesmaterialien erhellt, dass den Begriffen „Betrieb" und „Unternehmen" neben dem Dienstgeberbegriff keine eigenständige Bedeutung (im Sinn einer Einschränkung des Dienstgeberbegriffs) zukommen sollte. In dieser Entscheidung wird auch darauf verwiesen, dass der Verwaltungsgerichtshof dieser Ansicht zumindest implizit in seiner Entscheidung 2004/08/0139 (ARD 5586/10/2005 = ZAS 2005, 221), folgt. In dieser ging der Verwaltungsgerichtshof zwar nur auf den Dienstgeberbegriff ausdrücklich ein und verstand diesen iSd § 35 Abs 1 ASVG. Er führte aber auch aus, „dass das beschwerdeführende Unternehmen als juristische Person Dienstgeberin der betreffenden Dienstnehmerin iSd § 35 ASVG gewesen ist", verstand also Dienstgeber und Unternehmen in § 53b ASVG als sich inhaltlich mehr oder weniger deckende Begriffe, so wie in § 35 Abs 1 ASVG als Dienstgeber derjenige gilt, „für dessen Rechnung der Betrieb (die Verwaltung, die Hauswirtschaft, die Tätigkeit) geführt wird, indem der Dienstnehmer ... in einem Beschäftigungs...verhältnis steht". Die umfassende Aufzählung in § 35 Abs 1 ASVG zeigt ebenso wie die mehr oder weniger beiläufige Verwendung des unscharfen Begriffs des Unternehmens, dass jeweils der Dienstgeberbegriff im Vordergrund steht (siehe auch VwGH 96/08/0028, ZfVB 2002/910 zur Betriebs- bzw Unternehmenseigenschaft einer Musikschule einer Gemeinde). In § 53b ASVG soll also zum Ausdruck gebracht werden, dass der Dienstgeber ein Unternehmen führt, in dem weniger als 51 Dienstnehmer beschäftigt werden (ebenso Melzer-Azodanloo, , und dieselbe, Zuschuss an Dienstgeber zur Entgeltfortzahlung bei Krankheit oder Unfall II, ecolex 2006, 500 [503]). Die Hereinnahme des Begriffs des „Unternehmens" dient damit dem Hinweis auf die zuschussunschädliche Höchstanzahl an Arbeitnehmern, ohne dass dem Begriff neben dem Dienstgeberbegriff eine besondere eigenständige Bedeutung zukäme. Aus diesem Grund kann auch eine Heranziehung der - systemfremden - handelsrechtlichen, unfallsteuerrechtlichen oder konsumentenschutzrechtlichen Inhalte des Begriffs „Unternehmen" (bzw „Unternehmer") keine weitere Hilfe bei der Abgrenzung bieten. Ungeachtet der differenzierteren Definition auf europäischer Ebene (zB Empfehlung der Europäischen Kommission betreffend die Definition von Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen 2003/361/EG; ähnlich die Definition in Anhang I der Verordnung (EG) 70/2001 über die Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag auf staatliche Beihilfen an kleine und mittlere Unternehmen) orientiert sich der „KMU-Begriff" des § 53b ASVG eben an der Dienstnehmerzahl des jeweiligen Dienstgebers in seinem Unternehmen. Wie der Senat in der Entscheidung 10 ObS 86/06d ausgesprochen hat, bietet der Gesetzeswortlaut keinen Anhaltspunkt für eine weitergehende Einschränkung der Anspruchsberechtigung - zB für eine Herausnahme von Gebietskörperschaften als Dienstgeber. Die genannte Entscheidung bejahte daher die Zuschussberechtigung nach § 53b ASVG einer Gemeinde als Dienstgeberin einer Raumpflegerin. Da im Sinne der Ausführungen dieser Entscheidung auch eine Pfarre zum Kreis der Anspruchsberechtigten nach § 53b ASVG zählen kann und die klagende Partei die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt, war das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Die Bemessungsgrundlage beträgt 923,81 EUR.