OGH vom 26.05.1992, 10ObS97/92
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Karl Heinz Kux (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Franz Eckner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Herbert F*****, technischer Angestellter, ***** vertreten durch Dr. Reinhard Tögl, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei ALLGEMEINE UNFALLVERSICHERUNGSANSTALT, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner, Dr. Josef Milchram und Dr. Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Integritätsabgeltung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 95/91-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom , GZ 32 Cgs 68/91-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 1.811,52 bestimmten Revisionskosten (darin enthalten S 301,92 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am verschuldete Anton S***** als Lenker eines von seinem Dienstgeber gehaltenen VW-Busses auf der Eferdinger Bundesstraße Nr. 129 einen Verkehrsunfall, durch den unter anderen auch der Kläger als Beifahrer des Kraftfahrzeuges schwer verletzt wurde. Mit rechtskräftigem Urteil des Kreisgerichtes Wels vom wurde Anton S***** schuldig erkannt, am gegen 18.15 Uhr als Lenker des genannten Kraftfahrzeuges infolge Außerachtlassung der im Straßenverkehr erforderlichen Vorsicht, insbesondere dadurch, daß er eine für die Straßen- und Witterungsverhältnisse zu hohe Geschwindigkeit einhielt, wodurch er mit seinem Fahrzeug auf der mit Schneematsch bedeckten Fahrbahn ins Schleudern kam und auf der linken Fahrbahnhälfte mit einem entgegenkommenden Tankwagenzug zusammenstieß, Handlungen begangen zu haben, von denen er schon nach ihren natürlichen, für jedermann leicht erkennbaren Folgen sowie vermöge besonders bekannt gemachter Vorschriften, nämlich der Straßenverkehrsordnung 1960 einzusehen vermochte, daß sie eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit von Menschen herbeizuführen oder zu vergrößern geeignet sind. Er wurde des Vergehens gegen die Sicherheit des Lebens nach dem § 335 StG schuldig erkannt und zu einer bedingten Arreststrafe verurteilt. Nach den Feststellungen im Strafverfahren waren der Kläger, der Fahrzeuglenker Anton S***** und weitere Monteure beim Bau des Kraftwerkes Ottensheim beschäftigt. Da die Männer ihr Quartier in Alkoven hatten, mußten sie jeden Abend mit einem Firmenkleinbus dorthin fahren. Zur Unfallszeit war es schon dunkel, an dem Fahrzeug waren die abgeblendeten Scheinwerfer eingeschaltet. Es herrschte starkes Schneetreiben, so daß auch die Scheibenwischer in Tätigkeit waren. Das Fahrzeug war mit Sommerreifen (am Morgen war schönes Wetter gewesen) ausgerüstet, die mit Ausnahme des linken hinteren Reifens, der fast kein Profil mehr aufwies, verkehrssicher waren. Auf der Straße befand sich ein etwa 5 cm tiefer Belag von matschigem Schnee; die Sicht betrug ungefähr 20 bis 30 m. Anton S***** lenkte das Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 40 km/h. Etwa 100 m vor der späteren Unfallstelle überholte er einen mit 20 bis 30 km/h in dieselbe Richtung fahrenden Personenkraftwagen und erhöhte dabei seine Geschwindigkeit auf ca. 50 km/h. Nach dem Überholmanöver reihte er sich wieder auf die rechte Fahrbahnhälfte ein. Infolge der überhöhten Geschwindigkeit und den schlechten Bodenverhältnissen - der Schneematsch hatte Rinnen gebildet, die den VW-Bus aus der Spur zogen - kam dieser, obwohl die Straße gerade verlief, von seiner Fahrbahnhälfte ab und geriet auf die Gegenfahrbahn, auf der ein Tankwagenzug mit einer Geschwindigkeit von etwa 40 km/h entgegenkam. Unbestritten ist, daß Anton S***** zur Unfallszeit gegenüber dem Kläger als Aufseher im Betrieb anzusehen war.
Der Kläger bezog ab eine Vollrente samt Nebenleistungen und seit eine Versehrtenrente von 85 v.H. der Vollrente.
Mit Bescheid vom wies die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom auf Gewährung einer Integritätsabgeltung gemäß § 213 a ASVG wegen der Folgen des Arbeitsunfalles ab, da eine grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht vorgelegen habe.
In der dagegen rechtzeitig erhobenen, auf Gewährung einer Integritätsabgeltung im gesetzlichen Ausmaß gerichteten Klage brachte der Kläger vor, Anton S***** als sein Vorgesetzter sei mit dem Firmenfahrzeug zu schnell unterwegs gewesen und habe einen Fahrfehler begangen. Trotz Schneetreibens und Schneematsches bei Dunkelheit und schlechter Sicht und in Kenntnis der Fahrzeugausrüstung habe er eine derart überhöhte Geschwindigkeit eingehalten, daß er im Zuge eines Überholmanövers abgekommen sei; daraus sei ersichtlich, daß es sich um eine grobe Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften gehandelt habe.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage und wendete im wesentlichen ein, die Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung seien keine Arbeitnehmerschutzvorschriften iS des § 213 a ASVG.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die vom Lenker des Firmenfahrzeuges eingehaltene Fahrgeschwindigkeit sei überhöht gewesen und als Verletzung des § 20 Abs. 1 StVO zu werten, wonach der Lenker eines Fahrzeuges die Fahrgeschwindigkeit den gegebenen Straßen- und Sichtverhältnissen anzupassen habe. Diese Bestimmung sei eine allgemeine Schutzvorschrift und nicht eine Arbeitnehmerschutzvorschrift im engeren Sinn. Bezogen auf den Unfallstag habe grundsätzlich keine Notwendigkeit bestanden, das Fahrzeug mit Winterreifen auszustatten. Im Falle eines Schlechtwettereinbruchs in Form von Schneefall habe der Lenker eines Fahrzeuges sein Fahrverhalten den Fahrbahn- und Witterungsverhältnissen anzupassen. Das fehlende Profil am linken Hinterreifen könnte zwar als Verstoß gegen § 5 ASchG iVm § 29 f der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung gewertet werden, doch könne die mangelnde Profiltiefe eines Reifens, wenn überhaupt, lediglich als mittelbar kausal für das Zustandekommen des Unfalls angesehen werden. Im Strafverfahren sei hervorgekommen, daß der abgefahrene Hinterreifen keine Unfallsursache gewesen sei. Damit trete die mangelhafte Bereifung als Unfallursache völlig in den Hintergrund; eine grobe Fahrlässigkeit im Sinne auffallender Sorglosigkeit sei nicht gegeben gewesen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und trat der erstgerichtlichen Rechtsauffassung bei. Zwar erkläre § 7 Abs. 1 ASchG jene Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung, die die Sicherheit des Verkehrs betreffen, zu Arbeitnehmerschutzvorschriften. Diese Bestimmung beziehe sich aber, wie bereits aus der Überschrift ersichtlich, nur auf den Verkehr in den Betrieben. Der Verkehr innerhalb des Betriebes sei mit entsprechender Umsicht so abzuwickeln, daß ein möglichst wirksamer Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer erreicht werde. Für Straßen ohne öffentlichen Verkehr und für den sonstigen Verkehr im Bereich von Betrieben seien die Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung so weit sinngemäß maßgebend, als sie die Sicherheit des Verkehrs betreffen. Abweichungen von den Bestimmungen seien zulässig, soweit dies mit Rücksicht auf zwingende betriebliche Notwendigkeiten unbedingt erforderlich sei. Solche Abweichungen müßten im Betrieb entsprechend bekanntgemacht werden. Daraus ergebe sich aber eindeutig, daß die Straßenverkehrsordnung nicht generell als Arbeitnehmerschutzbestimmung dekretiert werde und insbesondere nicht für Dienstfahrten auf Straßen mit öffentlichem Verkehr iS des § 1 Abs. 1 StVO als eine solche Schutzbestimmung gelte. Der Arbeitsunfall, der nur durch einen Verstoß gegen § 20 Abs. 1 StVO verschuldet worden sei, sei nicht durch die grob fahrlässige Außerachtlassung einer besonderen Arbeitnehmerschutzvorschrift verursacht worden, weshalb für die Klagsstattgebung eine wesentliche Anspruchsvoraussetzung fehle.
Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteigt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Durch die 48. Novelle zum ASVG, BGBl. 1989/642, wurde in den Leistungskatalog der gesetzlichen Unfallversicherung eine völlig neuartige Leistung aufgenommen, nämlich die sogenannte Integritätsabgeltung. Deren besondere Anspruchsvoraussetzungen, Höchstausmaß und Kriterien für die Abstufung der Abgeltungshöhe innerhalb dieses Höchstausmaßes sind im ebenfalls neu eingefügten § 213 a ASVG normiert. Primäre Anspruchsvoraussetzung ist demnach die Verursachung des Arbeitsunfalles bzw. der Berufskrankheit durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften. Diese Leistung ist im Konkurrenzbereich zwischen ziviler Haftpflichtordnung und Sozialversicherung angesiedelt. Ihr Zweck ist es, durch eine Geldleistung einen gewissen Ausgleich für körperliche Schmerzen, Leid, verminderte Lebensfreude, Beeinträchtigung des Lebensgenusses und ähnliche Ursachen seelischen Unbehagens wie etwa dauernde Verunstaltung zu bieten. Damit wird ihre Verwandtschaft mit den immateriellen Schadenersatzansprüchen des ABGB deutlich (Dörner-Holzer, Ein Betriebsschitag, DRdA 1990, 372 [374]; Tomandl in Tomandl, SV-System 5.ErgLfg 344 f; Meisel-Widlar, Die Integritätsabgeltung - eine neue Leistung der Unfallversicherung, SozSi 1991, 362 f; Pöltner, Die Integritätsabgeltung in der gesetzlichen Unfallversicherung, DRdA 1990, 152; vgl. auch Schmidt in ecolex 1990, 772).
Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, daß der Arbeitsunfall vom Lenker des Firmenfahrzeuges wesentlich durch die Verletzung der Bestimmung des § 20 Abs. 1 StVO verursacht wurde. Den Vorinstanzen ist beizustimmen, daß es sich bei dieser Bestimmung der Straßenverkehrsordnung nicht um eine Arbeitnehmerschutzvorschrift iS des § 213 a ASVG handelt.
Wie den Gesetzesmaterialien zu entnehmen ist, werden durch den Ausdruck "Arbeitnehmerschutzvorschriften" alle Normen des österreichischen Arbeitnehmerschutzrechtes erfaßt. Das sind insbesondere das Arbeitnehmerschutzgesetz, BGBl. 1972/234, das Arbeitszeitgesetz, BGBl. 1969/461, das Kinder- und Jugendlichenbeschäftigungsgesetz, BGBl. 1987/599, die Allgemeine Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV), BGBl. 1983/218, und die Verordnung über die Beschäftigungsverbote und -beschränkungen für Jugendliche, BGBl. 1981/527 (1142 BlgNR 17.GP, 2). Der Gesetzgeber versteht demnach unter Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht das gesamte Arbeitsrecht in seiner Funktion als Schutzrecht der Arbeitnehmer, sondern bloß jenes Segment an arbeitsrechtlichen Normen, das von der Lehre als Arbeitnehmerschutzrecht im engeren Sinne bezeichnet wird (Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht4 702; Floretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht I3 326). Es handelt sich dabei um öffentlich-rechtliche Arbeitsrechtsnormen, die dem Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Sittlichkeit im Zusammenhang mit der Erbringung der Arbeitsleistung dienen, auf unmittelbarem staatlichen Eingriff basieren und typischerweise als Sanktionsinstrumentarium die Verwaltungsstrafe vorsehen (Schwarz-Löschnigg aaO 701; Tomandl, Arbeitsrecht 2, 29; Dörner-Holzer aaO 375). Allgemeine Fahrregeln der Straßenverkehrsordnung gehören demnach nicht zum Kreis der Arbeitnehmerschutzvorschriften, weil sie einen für jedermann geltenden Sorgfaltsmaßstab und von jedermann einzuhaltende Schutznormen darstellen, also prinzipiell nicht auf den Kreis der Arbeitnehmerschaft beschränkt sind (Dörner-Holzer aaO zu den sogenannten Pistenregeln).
Die Verletzung des § 20 Abs 1 StVO bedeutet auch nicht zugleich einen Verstoß gegen das Arbeitnehmerschutzgesetz. Gemäß § 1 Abs 1 regelt das ASchG unter anderem den Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer bei der beruflichen Tätigkeit. Nach § 2 Abs 1 ASchG umfaßt die Vorsorge für den Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Sittlichkeit der Arbeitnehmer alle Maßnahmen, die der Verhütung von beruflich bedingten Unfällen und Erkrankungen der Arbeitnehmer dienen; dieser Vorsorge entsprechend müssen die Betriebe eingerichtet sein sowie unterhalten und geführt werden. Nach § 18 Abs 1 ASchG hat sich der Arbeitgeber so zu verhalten, daß im Betrieb eine Gefährdung des Lebens und der Gesundheit der Beschäftigten soweit als möglich vermieden wird. Diese Generalklauseln, die nicht unter Strafsanktion stehen und denen der Gesetzgeber des ASchG auch so wenig vertraut, daß er sie in eine Fülle einzelner (unter Strafsanktion stehender) Verhaltenspflichten aufsplittert (Tomandl aaO 34, 35), sind keine Arbeitnehmerschutzvorschriften iS des § 213 a ASVG (aM offenbar Dörner-Holzer aaO, die aber zugeben, daß den Gesetzesverfassern diese Sicht zweifellos nicht vor Augen geschwebt haben dürfte). Es hätte nämlich dann keine besondere Bedeutung, daß im § 213 a ASVG der Anspruch auf Integritätsabgeltung von der Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften abhängig gemacht wird, weil jede (grob) fahrlässige Verursachung eines Verkehrsunfalls oder einer Berufskrankheit unter diese Generalklauseln fiele. Dem Gesetzgeber kann aber nicht unterstellt werden, eine überflüssige und damit inhaltslose Regelung getroffen zu haben (Bydlinski in Rummel, ABGB2 I Rz 18 zu § 6 mwN). Im Zweifel darf also eine Norm nicht so verstanden werden, daß sie überflüssig ist. Für den hier zu entscheidenden Fall kommt noch dazu, daß sich beide Bestimmungen ausdrücklich auf das Verhalten im Betrieb beziehen (übrigens auch der vom Revisionswerber herangezogene § 7 ASchG: "Verkehr in den Betrieben"). Da sich der Unfall, der zur Verletzung des Klägers führte, außerhalb des Betriebes ereignete, können die angeführten Bestimmungen auch aus diesem Grund nicht angewendet werden. Ebensowenig kann daraus etwas gewonnen werden, daß im § 7 Abs 1 ASchG die StVO erwähnt wird, weil auch diese Vorschrift nur für den Verkehr in den Betrieben gilt.
Zusammenfassend ergibt sich, daß der Arbeitsunfall des Klägers nicht durch die Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften iS des § 213 a ASVG verursacht wurde.
Daß sich der Unfall lange vor dem Inkrafttreten der 48.ASVGNov ereignete, wäre kein Anspruchshindernis: die Bestimmung des § 213 a ASVG ist nämlich auf Antrag auch auf Versicherungsfälle anzuwenden, die vor dem eingetreten sind, wenn seit dem Versicherungsfall keine wesentliche Besserung des körperlichen oder geistigen Zustandes des Versicherten erfolgt ist (Art VI Abs 10 der 48.ASVGNov).
Darüberhinaus fehlt es aber nach dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt auch am Vorliegen einer groben Fahrlässigkeit des Fahrzeuglenkers. Die Meinung des Revisionswerbers, das Vorliegen grober Fahrlässigkeit sei von der beklagten Partei außer Streit gestellt worden, ist unrichtig: außer Streit gestellt wurde bloß der Sachverhalt, nicht aber dessen rechtliche Beurteilung.
Angelpunkt für den Anspruch auf Integritätsabgeltung ist, daß Arbeitnehmerschutzvorschriften grob fahrlässig außer acht gelassen wurden (Meisel-Widlar aaO 364). Die Gesetzesmaterialien (AB 1142 BlgNR 17.GP, 2) verweisen zum Begriff der groben Fahrlässigkeit auf die bisher ergangene einschlägige Judikatur zu § 334 ASVG. So habe etwa der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, daß grobe Fahrlässigkeit im Sinne auffallender Sorglosigkeit dann anzunehmen sei, wenn eine ungewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht vorliege, die den Eintritt des Schadens nicht nur als möglich, sondern sogar als wahrscheinlich voraussehen lasse. Das Zuwiderhandeln gegen Unfallverhütungsvorschriften begründe nicht in allen Fällen grobe Fahrlässigkeit, es seien vielmehr die Umstände des Einzelfalles zu prüfen. Grobes Verschulden sei zu bejahen, wenn der Unternehmer ganz einfache und naheliegende Überlegungen unterlasse. Grobe Fahrlässigkeit sei auch anzunehmen, wenn jene Aufmerksamkeit außer acht gelassen werde, die in einem Betrieb der in Betracht kommenden Art im Interesse der Unfallverhütung erwartet werden müsse. Aufgabe der Unfallverhütungsvorschriften in der Arbeitswelt sei es jene zu schützen, die sich im tatsächlichen Gefahrenbereich wegen ihrer Tätigkeit aufhalten müssen. So sei das Belassen des schutzgesetzwidrigen Zustandes trotz mehrfacher Beanstandung als grob fahrlässig gewertet worden. Grobe Fahrlässigkeit sei extremes Abweichen von der gebotenen Sorgfalt. Die Rechtsprechung pflege dies mit ungewöhnlicher und auffallender Sorgfalts(pflicht)vernachlässigung zu umschreiben.
Diesen Ausführungen ist im wesentlichen beizustimmen. Grobe Fahrlässigkeit iS des § 334 Abs 1 ASVG ist dem Begriff der auffallenden Sorglosigkeit iS des § 1324 ABGB gleichzusetzen und nur dann anzunehmen, wenn eine ungewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht vorliegt, die den Eintritt eines Schadens nicht nur als möglich, sondern sogar als wahrscheinlich erscheinen läßt. Sie erfordert, daß ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist. Eine strafgerichtliche Verurteilung reicht für sich allein für die Annahme grober Fahrlässigkeit nicht aus. Es sind jeweils die Umstände des Einzelfalles zu prüfen (SZ 51/128 mwN). Grobe Fahrlässigkeit nach § 334 ASVG kommt auch bei der Verletzung von Verkehrsvorschriften in Betracht, und zwar insbesondere dann, wenn für die Sicherheit des Verkehrs wichtige Vorschriften unbekümmert mißachtet werden. Dazu wurde etwa das Einhalten einer Geschwindigkeit von 80 km/h bei Nebel und eingeschränkter Sicht gerechnet, weil dem Lenker bewußt sein mußte, daß er vor einem unter Umständen erst auf eine Sicht von 30 m aus dem Nebel auftauchenden Hindernis auf keinen Fall mehr hätte rechtzeitig anhalten können, wobei die Nässe der Fahrbahn ein zusätzliches Gefahrenmoment darstellte (DRdA 1975, 146). Es wurde auch ausgesprochen, daß die bloße Wahl einer überhöhten Geschwindigkeit grobe Fahrlässigkeit nicht begründe. Nur dann, wenn diese Geschwindigkeit in einem derart auffälligen Mißverhältnis zu der nach den Umständen des Falles gebotenen steht, daß sie als außergewöhnlicher Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht eines Kraftfahrers anzusehen ist, werde man in der Wahl einer solchen Geschwindigkeit eine grobe Fahrlässigkit zu erblicken haben (ZVR 1983/150). In einem anderen Fall wurde ein riskantes Überholmanöver auf einer Schneematschstraße bei Gegenverkehr mit einer Überholgeschwindigkeit von 80 km/h als grob fahrlässig qualifiziert (ZVR 1976/275; ähnlich bei einer Überholgeschwindigkeit von 60-70 km/h ZVR 1970/55 = Arb 8660).
Im vorliegenden Fall überholte der Lenker des Firmenfahrzeuges auf einer völlig gerade verlaufenden Straße im Freilandgebiet einen vor ihm mit nur 20 bis 30 km/h fahrenden Personenkraftwagen. Daß er dabei seine Geschwindigkeit auf ca. 50 km/h erhöhte, war lediglich angesichts der schlechten Fahrbahnverhältnisse (5 cm tiefer Schneematsch) eine unzulässige Beschleunigung auf eine mit Rücksicht auf die Fahrbahnverhältnisse überhöhte Geschwindigkeit. Lediglich den Fahrbahnverhältnissen war es zuzuschreiben, daß der Lenker im Anschluß an sein Überholmanöver auf die Gegenfahrbahn geriet. Daß die Benützung des Abblendlichtes bei Dunkelheit, die Ausrüstung mit Sommerreifen oder die fehlende Profiltiefe bei einem Hinterreifen unfallskausal gewesen wären, ist nach dem oben wiedergegebenen Sachverhalt nicht anzuehmen. Nach Ansicht des erkennenden Senates vermag aber die Einhaltung einer Geschwindigkeit von 50 km/h bei einem Überholvorgang auf einer mit Schneematsch bedeckten Fahrbahn nicht den Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu begründen. Es handelt sich dabei nicht um einen besonders schweren Sorgfaltsverstoß, der dem Lenker auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen wäre und der nur bei besonders nachlässigen und leichtsinnigen Menschen vorkommen kann. Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich damit auch wesentlich von den oben wiedergegebenen Fällen, in denen grobe Fahrlässigkeit angenommen wurde. Fehlt es aber am Erfordernis der grob fahrlässigen Verursachung des Arbeitsunfalles, dann kommt auch deshalb der Zuspruch einer Integritätsabgeltung nicht in Betracht.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG. Da eine höchstgerichtliche Judikatur zu § 213 a ASVG bisher nicht vorliegt, die Entscheidung also von der Lösung einer Rechtsfrage iS des § 46 Abs. 1 Z 1 ASGG abhängt, entspricht es der Billigkeit, dem unterlegenen Kläger die Hälfte seiner Revisionskosten zuzusprechen (SSV-NF 4/19 und 84).