OGH vom 30.04.2002, 10ObS91/02h

OGH vom 30.04.2002, 10ObS91/02h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler und Dr. Manfred Matzka (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Günther A*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Renner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr. Paul Bachmann, Dr. Eva-Maria Bachmann und Dr. Christian Bachmann, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung von Versicherungszeiten, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 403/01w-27, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 2 Cgs 192/00i-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es zu lauten hat:

"Es wird festgestellt, dass der Kläger bis zum in der österreichischen Pensionsversicherung folgende für die Leistungsbemessung zu berücksichtigende Versicherungszeiten erworben hat:

von bis

10/54 10/57 37 Beitragsmonate (ASVG)

11/57 09/58 11 Beitragsmonate (ASVG)

10/58 12/59 15 Ersatzmonate (ASVG)

01/60 03/63 39 Beitragsmonate (ASVG)

05/63 07/63 3 Beitragsmonate (ASVG)

08/63 11/63 4 neutrale Monate (ASVG)

06/64 06/71 85 Beitragsmonate (ASVG)

07/71 02/74 32 Beitragsmonate (GSVG)

03/74 09/77 43 Beitragsmonate (ASVG)

01/78 01/81 37 Beitragsmonate (GSVG)

02/81 08/81 7 Beitragsmonate (ASVG)

= Beitragsmonate (GSVG)

09/81 12/82 16 Beitragsmonate (ASVG)

01/83 03/83 3 Ersatzmonate (ASVG)

04/83 04/83 1 Beitragsmonat (GSVG)

05/83 12/87 56 Beitragsmonate (GSVG)

385

Das Klagemehrbegehren auf Feststellung von weiteren

Versicherungszeiten aus der Zeit vom bis sowie

vom bis wird abgewiesen."

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit 485,68 EUR = S

6.683,04 (darin enthalten 80,95 EUR = 1.113,84 Umsatzsteuer)

bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 333,12 EUR (darin enthalten 55,52 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes, wonach es sich bei den strittigen Versicherungszeiten entgegen der Ansicht des Klägers um keine Beitragszeiten im Sinn des § 115 Abs 1 Z 1 GSVG handelt, da die Beiträge nicht innerhalb von fünf Jahren nach Ablauf des Kalendermonates, für den sie gelten sollen, im Sinn des § 118 GSVG wirksam entrichtet wurden, ist zutreffend, sodass auf diese Ausführungen verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO).

Den Revisionsausführungen ist noch Folgendes entgegenzuhalten:

Soweit der Kläger seine Ansicht wiederholt, aufgrund des Inhaltes des Schreibens der beklagten Partei vom sei davon auszugehen, dass zu diesem Zeitpunkt keine Beitragsrückstände aus seiner früheren selbständigen Erwerbstätigkeit mehr bestanden hätten, entfernt er sich von den Feststellungen der Vorinstanzen, wonach zum Zeitpunkt der neuerlichen Versicherungspflicht des Klägers ab ein Altsaldo an Beitragsrückständen für den Zeitraum von Oktober 1987 bis März 1991 in Höhe von S 155.406,90 noch unberichtigt zur Zahlung aushaftete.

Weiters macht der Kläger geltend, dass er seine in den Jahren 1998 und 1999 an die beklagte Partei geleisteten Beitragszahlungen ausdrücklich für den Erwerb von Versicherungszeiten für diese beiden Jahre erbracht habe, sodass die beklagte Partei aufgrund seiner Zahlungswidmung nicht berechtigt gewesen sei, seine Zahlungen auf seine aus den Jahren 1987 bis 1991 resultierenden Beitragsrückstände anzurechnen. Das Recht des Schuldners, seine Zahlung für eine bestimmte Verbindlichkeit widmen zu können, sei ein fundamentaler Grundsatz unserer Rechtsordnung, der auch für das öffentliche Recht Geltung haben müsse. Es müsse in der Einflussmöglichkeit des Versicherten als Beitragsschuldner liegen, selbst zu bestimmen, welche Zahlungen er für welche Beitragszeiten als Versicherungszeiten entrichten möchte. Die gegenteilige Rechtsansicht der Vorinstanzen würde zu unbilligen Ergebnissen führen. Sollte die Bestimmung des § 115 Abs 1 Z 1 GSVG dahin zu verstehen sein, dass dadurch die Möglichkeit der Widmung von Beitragszahlungen ausgeschlossen werde, werde die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung durch den Verfassungsgerichtshof angeregt.

Voraussetzung für die vom Kläger angestrebte analoge Anwendung der §§ 1415, 1416 ABGB ist das Vorliegen einer Gesetzeslücke. Eine Lücke im Rechtssinn ist dort anzunehmen, wo das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie, unvollständig ist. Es ist daher nur eine planwidrige, vom Gesetzgeber nicht gewollte Lücke vom Gericht im Wege der Analogie zu schließen (MGA, ABGB35 E Nr 1 ff zu § 7 mwN ua). Eine ergänzende Anwendung der Bestimmungen der §§ 1415, 1416 ABGB auf öffentlich-rechtliche Schuldverhältnisse kann daher schon aus diesem Grunde nur dann in Betracht kommen, wenn aus solchen Schuldverhältnissen mehrere Schuldposten zu begleichen sind und die einschlägigen sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften über die Art der Verrechnung weder ausdrücklich noch ihrem Sinn entsprechend Besonderes aussagen (vgl Reischauer in Rummel, ABGB² Rz 38 zu § 1416 mwN ua). Zutreffend verweist die beklagte Partei in ihrer Revisionsbeantwortung darauf, dass das GSVG jedoch eine ausdrückliche Bestimmung über eine Zurechnung von Teilzahlungen bei Beitragsrückständen vorsieht. So sind nach § 35 Abs 1 letzter Satz GSVG Teilzahlungen anteilsmäßig und bei Beitragsrückständen auf den jeweils ältesten Rückstand anzurechnen. Eine gleichlautende Bestimmung enthält auch § 33 Abs 2 letzter Satz BSVG, während es im ASVG keine vergleichbare Teilzahlungs-Bestimmung gibt. Es gibt somit im GSVG und BSVG eine ausdrückliche Regelung dafür, welche Schulden(teile) als getilgt zu betrachten sind, wenn Beitragsschulden nicht zur Gänze beglichen werden (vgl Gruber, Teilzahlungen auf Beitrags- und Verzugszinsenschulden in der gewerblichen Sozialversicherung, ZAS 1997, 41 ff [41 f]). Auf die Frage der Rechtmäßigkeit einer von Gruber aaO kritisierten angeblichen Praxis des Sozialversicherungsträgers, dass mit Teilzahlungen zur Begleichung offener Forderungen der Sozialversicherung zuerst sämtliche bereits angefallenen Verzugszinsen und erst nach deren gänzlicher Tilgung die eigentlichen Beitragsrückstände abgetragen werden, kommt es im vorliegenden Fall nicht an. Die Beiträge zur Krankenversicherung und Pensionsversicherung bilden gemäß § 35 Abs 1 dritter Satz GSVG mit den Beiträgen der Unfallversicherung eine einheitliche Schuld. Es ist daher nicht möglich, Teilzahlungen zu widmen und etwa nur Pensionsversicherungsbeiträge oder Krankenversicherungs- beiträge bezahlen zu wollen (vgl Teschner/Widlar, MGA, GSVG 56. ErgLfg Anm 4 zu § 35). Nach der ausdrücklichen Regelung des § 35 Abs 1 letzter Satz GSVG ist weiters vorgesehen, dass eine Anrechnung von Teilzahlungen auf den jeweils ältesten Beitragsrückstand zu erfolgen hat. Diese Anrechnungsregel entspricht im Wesentlichen auch der im Bereich des ABGB subsidiär heranzuziehenden Bestimmung des § 1416 ABGB über die gesetzlichen Reihenfolge der Tilgung von mehreren Schuldposten. Damit liegt aber nach Ansicht des erkennenden Senates im Hinblick auf die ausdrückliche Anrechnungsregel des § 35 Abs 1 letzter Satz GSVG eine planwidrige Gesetzeslücke, welche eine analoge Anwendung der Regelung des § 1415 ABGB über die Möglichkeit einer Widmungserklärung des Schuldners in Bezug auf Teilzahlungen rechtfertigen könnte, nicht vor. Es ist daher für den Bereich des GSVG weder eine Widmung von Beitragszahlungen in der Form, etwa nur Pensionsversicherungsbeiträge oder Krankenversicherungs- beiträge bezahlen zu wollen, noch eine von der Anrechnungsregel des § 35 Abs 1 letzter Satz GSVG abweichende Widmung von Teilzahlungen bei Beitragsrückständen möglich. Auch im Bereich des ABGB ist eine Widmungserklärung des Schuldners in Bezug auf Teilzahlungen nur maßgebend, wenn der Gläubiger (ausdrücklich oder stillschweigend) einwilligt. Dabei ist für den Bereich der Sozialversicherung zu berücksichtigen, dass die Sozialversicherungsträger laufend Leistungen zu erbringen haben, die aufgrund des geltenden Umlageverfahrens in erster Linie mit den vereinnahmten Beitragszahlungen abgedeckt werden müssen. Es ist daher im Bereich der Sozialversicherung das periodengerechte Zufließen der gesetzlich vorgesehenen Beiträge von besonderer Bedeutung. Voraussetzung für die Anerkennung einer Versicherungszeit als Beitragszeit ist, dass die Beiträge wirksam entrichtet sind. Dies bedeutet, dass sie innerhalb einer bestimmten Zeit nach Ablauf des Zeitraumes, für den sie gelten sollen, entrichtet wurden. Verspätet entrichtete Beiträge führen nicht zur Entstehung leistungswirksamer Beitragszeiten. So sind nach § 115 Abs 1 Z 1 GSVG Zeiten der Beitragspflichten nur dann als Beitragszeiten anzusehen, wenn die Beiträge innerhalb von fünf Jahren nach Ablauf des Kalendermonates, für den sie gelten sollen, wirksam entrichtet worden sind. Diese zeitliche Limitierung der Beitragsnachentrichtung auf fünf Jahre soll eine spekulative Nachentrichtung verhindern und allfälligen Beweisproblemen vorbeugen (vgl Resch, Schadenersatz und Mitverschulden des Dienstnehmers bei Nichtanmeldung zur Sozialversicherung, JBl 1995, 24 ff [32]). Dass gegen die Bestimmung des § 115 Abs 1 Z 1 GSVG auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, wurde bereits ausgesprochen (SSV-NF 6/110; vgl auch = ZfVB 1984/1095; ZfVB 1984/154). Es wurde in diesem Zusammenhang vor allem auf die bereits erwähnte besondere Bedeutung des periodengerechten Zufließens der gesetzlich vorgesehenen Beiträge hingewiesen, wobei besonderen Härtefällen in Verfahren nach § 115 Abs 3 GSVG Rechnung getragen werden kann, sowie darauf hingewiesen, dass es zum Wesen jeder Versicherung gehört, dass die aufgrund rechtlicher Verpflichtung geleisteten Beiträge nicht unbedingt und jedenfalls zu einer Versicherungsleistung führen müssen. Auch der Verfassungsgerichtshof judiziert in ständiger Rechtsprechung, dass in der Sozialversicherung der Versorgungsgedanke im Vordergrund steht, während der Versicherungsgedanke in der Ausprägung der Vertragsversicherung zurückgedrängt ist. Es gilt daher in der Sozialversicherung auch nicht der Grundsatz der Äquivalenz von Beitragsleistung und Versicherungsleistung, sodass in Kauf genommen werden muss, dass es in manchen Fällen trotz Leistung von Pflichtbeiträgen zu keiner Versicherungsleistung kommt (vgl VfSlg 12.739 mwN ua).

Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen hegt der erkennende Senat weiterhin keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Bestimmung des § 115 Abs 1 Z 1 GSVG und er hegt solche Bedenken unter Bedachtnahme auf die dargelegten Besonderheiten des zwischen dem Versicherten und dem Versicherungsträger in der Sozialversicherung bestehenden Schuldverhältnisses auch nicht gegen die gesetzliche Anrechnungsregel des § 35 Abs 1 letzter Satz GSVG, wonach Teilzahlungen bei Beitragsrückständen auf den jeweils ältesten Rückstand anzurechnen sind, zumal auch nach § 1415 ABGB die Widmungserklärung des Schuldners nur bei einer (ausdrücklichen oder stillschweigenden) Einwilligung des Gläubigers maßgebend ist. Dass das Begehren des Klägers auf Berücksichtigung weiterer Versicherungszeiten ausgehend von der bestehenden Rechtslage nicht berechtigt ist, wird auch in der Revision nicht in Zweifel gezogen. Die Vorinstanzen haben jedoch übersehen, dass der Bescheid der beklagten Partei durch die Einbringung der Klage gemäß § 71 Abs 1 ASGG zur Gänze außer Kraft trat, weshalb jedenfalls der Erwerb der im Bescheid festgestellten Versicherungszeiten festzustellen gewesen wäre (SSV-NF 1/52 ua). Dies war aufgrund der Revision des Klägers nachzuholen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Der Kläger hat wohl letztlich gegenüber dem bescheidmäßigen Zuspruch keinen Erfolg erzielt, doch war die Erhebung der Berufung und der Revision notwendig, weil es nur dadurch zur (neuerlichen) Feststellung der im außer Kraft getretenen Bescheid bereits anerkannten Versicherungszeiten gekommen ist.