OGH vom 03.11.2020, 14Os97/20a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. SetzHummel sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter in Gegenwart des Schriftführers Dr. Koller in der Strafsache gegen H***** E***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Schöffengericht vom , GZ 13 Hv 129/19v76, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde H***** E***** mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB, in einem Fall nach § 206 Abs 1 und 3 erster Fall StGB (1), mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (2) und mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (3) schuldig erkannt.
Danach hat er von bis in R***** und an anderen Orten
1/ in zahlreichen Fällen an seiner 2001 geborenen, daher unmündigen Tochter L***** E***** eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er sie veranlasste, an ihm Oralverkehr durchzuführen, sowie mit seinem Finger in ihre Vagina einzudringen versuchte, wobei „die Tat in einem Fall“ eine schwere Körperverletzung, nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung, verbunden mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung, zur Folge hatte;
2/ außer dem Fall des § 206 StGB in zahlreichen Fällen an L***** E***** eine geschlechtliche Handlung vorgenommen oder von ihr an sich vornehmen lassen, indem er ihr Geschlechtsteil betastete und streichelte sowie sich von ihr mit der Hand befriedigen ließ;
3/ durch die zu 1 und 2 beschriebenen Handlungen mit einer mit ihm in absteigender Linie verwandten minderjährigen Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen oder von einer solchen Person an sich vornehmen lassen.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 3 und 4 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.
Die Verfahrensrüge (Z 3) macht Befangenheit der – mit der Erstattung eines aussagepsychologischen Gutachtens beauftragten – Sachverständigen Mag. Dr. ***** H***** geltend, weil diese vor ihrer Beiziehung im Strafverfahren in einem pflegschaftsgerichtlichen Verfahren „ein Gutachten über die Erziehungsfähigkeit“ der Mutter des Tatopfers erstattet und daher bereits „wesentliche Informationen“ über das Opfer, den „Angeklagten, das Familienleben sowie das familiäre Gefüge“ gehabt habe. „Eine Einflussnahme dieser bereits vorhandenen Informationen“ auf das im Strafverfahren erstattete Gutachten könne zumindest nicht ausgeschlossen werden.
Der Einwand übersieht, dass nur die Beiziehung eines nach § 47 Abs 1 Z 1 oder 2 StPO befangenen Sachverständigen Nichtigkeit nach Z 3 bewirkt, nicht aber hier behauptete Befangenheit nach § 47 Abs 1 Z 3 StPO (Ratz, WKStPO § 281 Rz 199; vgl 14 Os 129/19f).
Mit Blick auf ein allenfalls im Sinn der Z 4 gemeintes Vorbringen wird ergänzt, dass die angesprochene frühere Tätigkeit der Sachverständigen im Rahmen eines Pflegschaftsverfahrens per se nicht geeignet ist, objektiv gerechtfertigte Zweifel an ihrer Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit zu wecken. Für die Annahme, die Sachverständige werde auch angesichts allfälliger gegenteiliger Verfahrensergebnisse von einer allenfalls schon gebildeten Meinung nicht abgehen, wurden im Ablehnungsantrag (ON 75a S 2) keine Anhaltspunkte vorgebracht (vgl RISJustiz RS0096733; Lässig, WKStPO § 43 Rz 12).
Die weitere Kritik (Z 3), die Sachverständige Mag. Dr. H***** habe im Rahmen ihrer mündlichen Gutachtenserstattung in der Hauptverhandlung mehrmals auf das schriftliche Gutachten des – damals bereits verstorbenen – Sachverständigen Dr. ***** G***** (ON 43) verwiesen, weshalb dieses unter Umgehung der Verlesungsbeschränkungen in der Hauptverhandlung vorgekommen sei (§ 252 Abs 1 und 4 StPO), geht deshalb ins Leere, weil sich die gegenüber dem Vorsitzenden getroffene Verhaltensanordnung des § 252 StPO nur an das Gericht, nicht an Sachverständige richtet (Ratz, WKStPO § 281 Rz 229 und 359), sodass deren Verhalten keine Nichtigkeit begründende Umgehung nach § 252 Abs 4 StPO darstellen kann. Gegen das Vorkommen des Gutachtens Dris. G***** im Wege der Gutachtenserstattung durch Mag. Dr. H***** setzte sich der Beschwerdeführer nicht mittels – aus Z 4 abgesicherter – Antragstellung in der Hauptverhandlung zu Wehr (vgl Ratz, WKStPO § 281 Rz 237; Kirchbacher, WKStPO § 252 Rz 29).
Die Behauptung, „dem Erstgericht“ sei „nicht der vollständige Ermittlungsakt vorgelegen“, spricht keine Verletzung einer vom in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrund der Z 3 des § 281 Abs 1 StPO genannten Verfahrensbestimmungen an, weshalb sie keiner inhaltlichen Erwiderung bedarf.
Entgegen der aus Z 4 erstatteten Verfahrensrüge erfolgte die Abweisung der Anträge auf zeugenschaftliche Vernehmung des Kinderarztes, welcher das Opfer im Tatzeitraum regelmäßig behandelt habe, und einer Mitarbeiterin der „Jugendwohlfahrt“, jeweils zum Thema, dass die genannten Personen im Tatzeitraum keine „körperlichen bzw. psychischen Auffälligkeiten/Verletzungen“ des Opfers wahrgenommen hätten, „welche auf eine körperliche oder seelische Misshandlung rückschließen ließen“ (ON 75a S 16 f), zu Recht. Abgesehen davon, dass dem Beschwerdeführer die Zufügung körperlicher Verletzungen nicht zur Last liegt, war das Beweisthema nicht erheblich (RISJustiz RS0118319), weil aus dem Fehlen von Wahrnehmungen dieser Personen zu „psychischen Auffälligkeiten“ – unter Berücksichtigung der übrigen Beweisergebnisse (vgl die dazu getroffenen Aussagen der Sachverständigen Mag. Dr. H***** [ON 75a S 35]) – keine Rückschlüsse auf das Verhalten des Beschwerdeführers hätten gezogen werden können, bei Anlegung eines realitätsbezogenen Maßstabs also keine maßgebliche Beeinflussung der Beweiswürdigung bei der Feststellung entscheidender Tatsachen zu erwarten war (RISJustiz RS0107445; Ratz, WKStPO § 281 Rz 341).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0140OS00097.20A.1103.000 |
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