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OGH vom 29.09.2021, 13Os76/21g

OGH vom 29.09.2021, 13Os76/21g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Vizthum in der Strafsache gegen ***** A***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom , GZ 605 Hv 1/21v-73, sowie über die Beschwerde des Angeklagten gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Widerruf einer bedingten Entlassung und einer bedingten Strafnachsicht nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde ***** A***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen des Verbrechens des Mordes nach § 15, 75 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am in W***** ***** M***** zu töten versucht (§ 15 StGB), indem er ihm mit einer Glasscherbe oder mit einem abgebrochenen Flaschenhals einen Stich gegen den Hals versetzte, wodurch dieser eine 4 cm lange Stichwunde mit Durchtrennung der medialen Schilddrüsenvene rechts, eine Durchtrennung des Schulter- und Zungenbeinmuskels rechts und eine Schnittwunde am linken kleinen Finger erlitt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 1, 6, 8 und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Mit den Ausführungen zur Dauer der in § 323, 325, 330 und 331 StPO vorgesehenen prozessualen Abläufe lässt die Rüge keinen Konnex zu den Kriterien der Nichtigkeitsgründe erkennen.

[5] Gleiches gilt für den – nominell als Besetzungsrüge (Z 1) vorgetragenen – Einwand der „nicht gehörigen richterlichen Besetzung“, weil das Protokoll über die Hauptverhandlung nicht erkennen lasse, „ob die Strafe vom Geschworenengericht, von den Geschworenen, vom Schwurgerichtshof oder von der Vorsitzenden bestimmt worden ist“.

[6] Hinzugefügt sei, dass über die Beratung und Abstimmung über die Straffrage ein den Verfahrensbeteiligten nicht zugängliches (RISJustiz RS0096773) gesondertes Protokoll zu führen ist (§ 343 Abs 1 StPO iVm § 272 StPO). Dessen Inhalt ist kein Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde (Danek/Mann, WK-StPO § 272 Rz 6 und 7; vgl auch RISJustiz RS0099678 und Ratz, WKStPO § 281 Rz 484).

[7] Die Geschworenen bejahten die anklagekonform gestellte Hauptfrage nach dem Verbrechen des Mordes (§§ 15, 75 StGB) und verneinten die Zusatzfrage nach dem Rechtfertigungsgrund der Notwehr (§ 3 Abs 1 erster Satz StGB). Die Eventualfragen nach den Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung (§§ 15, 87 Abs 1 StGB) und der schweren Körperverletzung (§§ 15, 84 Abs 4 StGB) blieben folgerichtig unbeantwortet (US 3 bis 5).

[8] Die gesetzeskonforme Ausführung einer Fragenrüge (Z 6) verlangt die deutliche und bestimmte Bezeichnung jenes Sachverhalts, auf den die Rechtsbegriffe der § 312 ff StPO abstellen, somit fallbezogen eines die begehrte Zusatz- oder Eventualfrage – nach den Gesetzen logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen (RISJustiz RS0100527 [T1], RS0100871 [T3] und RS0100930) – indizierenden Tatsachensubstrats (RISJustiz RS0119417; Lässig, WKStPO § 313 Rz 8, § 314 Rz 3).

[9] Soweit die Fragenrüge das Unterbleiben der – richtig (Lässig, WKStPO § 313 Rz 11–13 mwN) Ergänzung der – Zusatzfrage (§ 313 StPO) um die Straflosigkeitsgründe der Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt (§ 3 Abs 2 StGB), der Putativnotwehr (§ 8 StGB) und der Putativnotwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt (dazu Höpfel in WK2 StGB § 8 Rz 7) kritisiert, wird sie diesen Anforderungen nicht gerecht.

[10] Sie erschöpft sich vielmehr insoweit darin, einzelne Beweisergebnisse nominell anzusprechen, ohne darzulegen, aus welchen konkreten Passagen aufgrund welcher Überlegungen eine Ergänzung um welchen konkreten Straflosigkeitsgrund indiziert sein soll.

[11] Indem die Rüge eine Fragestellung nach dem „vollendeten Delikt“ verlangt, erweist sie sich – entgegen § 282 StPO iVm § 344 StPO – als nicht zum Vorteil des Angeklagten ausgeführt. Welche in der Hauptverhandlung vorgebrachten Tatsachen Eventualfragen (§ 314 StPO) nach dem Verbrechen des Totschlags (§ 76 StGB) im Versuchsstadium sowie den Tatbeständen der Körperverletzung (§ 83 StGB), der schweren Körperverletzung (§ 84 StGB) und der absichtlichen schweren Körperverletzung (§ 87 StGB) im Vollendungsstadium indiziert hätten, legt sie nicht dar.

[12] Die schriftliche Rechtsbelehrung ist dem Protokoll über die Hauptverhandlung angeschlossen (Beilage B). Soweit die Instruktionsrüge (Z 8) die Erteilung einer Rechtsbelehrung bestreitet, entfernt sie sich somit von der Aktenlage. Auch mit der Behauptung unvollständiger Rechtsbelehrung zu nicht gestellten Zusatz- und Eventualfragen orientiert sich die Rüge nicht am Gesetz (RISJustiz RS0110682).

[13] Der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 10a StPO zielt – soweit hier von Bedeutung (Fehler in der Sachverhaltsaufklärung werden nicht behauptet) – darauf, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse (§ 258 Abs 1 StPO iVm § 302 Abs 1 StPO) aufzuzeigen, die nahelegen, dass die Geschworenen das ihnen nach § 258 Abs 2 zweiter Satz StPO iVm § 302 Abs 1 StPO gesetzlich zustehende Beweiswürdigungsermessen in geradezu unerträglicher Weise gebraucht haben (RISJustiz RS0118780 [T13, T 16 und T 17]; Ratz, WKStPO § 281 Rz 470 und 490).

[14] Diesen Anfechtungsrahmen verlässt die Tatsachenrüge (Z 10a), indem sie ihre Einwände aus der Niederschrift der Geschworenen entwickelt (vgl dazu RISJustiz RS0115549 und RS0100809 sowie Ratz, WKStPO § 345 Rz 16) oder das Aussageverhalten des Zeugen M***** als „ausweichend“ bezeichnet. Mit dem Hinweis auf die Verletzungsfolgen, die Aussagen der Zeugen O***** und K***** und die Ausführungen des Sachverständigen weckt sie keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen.

[15] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO).

[16] Über die Berufung und die Beschwerde hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§§ 344, 285i, 498 Abs 3 StPO).

[17] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2021:0130OS00076.21G.0929.000

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