OGH vom 24.06.2020, 10ObS9/20a

OGH vom 24.06.2020, 10ObS9/20a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei F*****, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Thurnher Wittwer Pfefferkorn Partner Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 25 Rs 85/19i28, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

1. Die Bezeichnung der ursprünglich beklagten Vorarlberger Gebietskrankenkasse war gemäß § 23 Abs 1 und § 538t Abs 1 ASVG von Amts wegen auf Österreichische Gesundheitskasse zu berichtigen.

2. Gegenstand des Verfahrens ist der Anspruch der Klägerin auf Ausgleichszahlung zum pauschalen Kinderbetreuungsgeld (in der Variante 30+6) für den Zeitraum von bis in Höhe von 5,72 EUR täglich, somit von 4.888,15 EUR.

Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei, der Klägerin ab dem pauschales Kinderbetreuungsgeld von 5,72 EUR täglich ungekürzt bis zum zu zahlen.

Es stellte fest, dass die Klägerin vor der Geburt ihres Sohnes J***** am in Deutschland unselbständig beschäftigt war und der Vater des Kindes im Fürstentum Liechtenstein erwerbstätig ist, die Familie aber in Österreich wohnt. Die Klägerin vereinbarte mit ihrem Arbeitgeber Elternzeit bis zum . In Deutschland bezog sie 3.575 EUR an Elterngeld, der Vater des Kindes bezog 3.960 EUR an Elterngeld. Weiters erhielt die Klägerin bayerisches Betreuungsgeld vom 15. bis 23. Lebensmonat des Kindes in Höhe von 1.350 EUR (9 x 150 EUR) sowie bayerisches Familiengeld vom 24. bis 36. Lebensmonat des Kindes in Höhe von 3.900 EUR (150 bzw 300 EUR monatlich – Seite 8 des Berufungsurteils).

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass Deutschland primär und Österreich nachrangig für die Erbringung von Familienleistungen zuständig sei. § 6 Abs 3 KBGG sei auch in seiner Neufassung unionsrechtskonform dahin auszulegen, dass eine Anrechnung weiterhin nur bei Gleichartigkeit der Leistungen erfolge. Das bayerische Familiengeld unterscheide sich nach Struktur und Zweck vom österreichischen Kinderbetreuungsgeld und sei daher darauf nicht anzurechnen.

Das Berufungsgericht bestätigte (mit ausführlicher Begründung) diese Entscheidung mit der Maßgabe, dass die beklagte Partei zur Ausgleichszahlung von pauschalem Kinderbetreuungsgeld in der Zeit von bis von 5,72 EUR täglich „unter Anrechnung bereits erbrachter Leistungen“ verpflichtet würde.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts erhob die beklagte Partei außerordentliche Revision.

Die beklagte Partei hält daran fest, dass für die Frage der Anrechnung ausschließlich die europarechtliche Einordnung als Familienleistung im Sinn der Definition des Art 1 lit z der VO (EG) Nr 883/2004 maßgeblich sei. Selbst wenn man aber weiterhin auf das Erfordernis der Gleichartigkeit der Familienleistungen abstellen wollte, seien das bayerische Familiengeld und das Kinderbetreuungsgeld als gleichartig zu qualifizieren.

Mit diesen Ausführungen wird keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt.

Der Oberste Gerichtshof erachtete die Begründung der Vorinstanzen für zutreffend, sodass auf deren Richtigkeit verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO).

Ergänzend ist den Revisionsausführungen noch entgegenzuhalten

Rechtliche Beurteilung

1.1 Die Ruhensbestimmung des § 6 Abs 3 KBGG idF BGBl I 2016/53, die in Abänderung der Vorgängerbestimmung eine Anrechnung sämtlicher (und nicht nur gleichartiger) Leistungen vorsieht, ist mit in Kraft getreten (§ 50 Abs 15 KBGG) und gilt für Bezugszeiträume ab (1110 BlgNR 25. GP 8, 13). Demnach ist sie im vorliegenden Fall für die ab liegenden Bezugszeiträume der erbrachten Ausgleichszahlungen anwendbar.

1.2 Das Berufungsgericht hat unter Hinweis auf die Entscheidung 10 ObS 110/19b ausgeführt, dass das Erfordernis des Vorliegens von Leistungen gleicher Art (Art 10 VO [EG] 883/2004) auch im Anwendungsbereich des § 6 Abs 3 KBGG idF BGBl I 2016/53 weiterhin gilt und diese Regelung als dem Unionsrecht widersprechend von den Gerichten unangewendet zu bleiben hat (siehe auch 10 ObS 108/19h = RS0125752 [T3]). Auf diese Rechtsprechung geht die Revisionswerberin nicht ein, sodass es keiner weiteren Auseinandersetzung mit dieser Frage bedarf.

2. Für die Gleichartigkeit von Familienleistungen ist Voraussetzung, dass sie einander in Funktion und Struktur im Wesentlichen entsprechen (RS0122907). Diese Frage hat das nationale Gericht zu prüfen (EuGH Rs C-347/12, Wiering, Rn 62 mwH).

3.1 Der vorliegende Bezugszeitraum ( bis ) fällt vorerst in den Geltungsbereich des Bayerischen Betreuungsgeldgesetzes (BayBtGG) vom GVBl S 94, BayRS 21704A, das den mit Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom , 1 BvF 2/13, als nichtig aufgehobenen Abschnitt 2 (Betreuungsgeld) des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG) ersetzt hat. Während des laufenden Bezugszeitraums ist mit das Bayerische Familiengeldgesetz (BayFamGG) vom GVBl S 613, 622, BayRS 21707A, in Kraft getreten. Dieses hat die Ansprüche nach dem Bayerischen Betreuungsgeldgesetz und dem Bayerischen Landeserziehungsgeld zusammengeführt und diese Leistungen abgelöst (Art 9a Abs 2 letzter Satz und Abs 3 BayFamGG).

3.2 Der Nichtanrechnung des bayerischen Betreuungsgeldes auf den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld (vor allem im Hinblick darauf, dass das bayerisches Betreuungsgeld von der Nichtinanspruchnahme öffentlich geförderter Betreuungseinrichtungen abhängt) setzt die Revisionswerberin inhaltlich nichts entgegen. Im Revisionsverfahren strittig verblieben ist nur mehr die Nichtanrechnung des bayerischen Familiengeldes.

4. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, das bayerische Familiengeld und das pauschale Kinderbetreuungsgeld entsprächen einander nach Zweck und Struktur nicht, findet Deckung in der zu dieser Frage mittlerweile ergangenen Entscheidung 10 ObS 1/20z des Obersten Gerichtshofs vom . Auf die Begründung dieser Entscheidung kann verwiesen werden.

5. Hervorzuheben ist daraus, dass das pauschale Kinderbetreuungsgeld in seiner (teilweisen) Einkommensersatzfunktion Eltern ermöglichen soll, sich unter Verzicht auf eine (Voll-)Erwerbstätigkeit der Betreuung ihres Kleinkindes zu widmen. Um die Betreuung des Kindes weitgehend zu sichern, erlaubt das pauschale Kinderbetreuungsgeld während des Bezugs nur eine geringe Erwerbstätigkeit. Das bayerische Familiengeld gebührt den Eltern hingegen als „Anerkennung ihrer Erziehungsleistung“ (Art 1 Satz 1 BayFamGG) unabhängig vom Erwerbseinkommen. Der Zweck des bayerischen Familiengeldes liegt nicht darin, ganz allgemein familiäre oder außerhäusliche Betreuungsleistungen zumindest teilweise abzugelten, sondern qualitativ die frühe Erziehung und Bildung der Kinder sowie ihre Gesundheit zu fördern. Es dient nach den im Gesetz ausdrücklich formulierten Zielen nicht der Existenzsicherung und kann aufgrund seiner geringen Höhe keinen Ausgleich für den Verzicht auf ein Erwerbseinkommen leisten. Anders als das bayerische Familiengeld ist es als Einkommen auf Leistungen der Mindestsicherung (Sozialhilfe) anzurechnen (zum einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld 10 ObS 19/20x vom ).

6. Da die maßgebliche Rechtsfrage der Gleichartigkeit des österreichischen (pauschalen) Kinderbetreuungsgeldes und des bayerischen Familiengeldes seit Ergehen der Berufungsentscheidung mittlerweile durch eine oberstgerichtliche Entscheidung gelöst ist, ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen (RS0112769).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:010OBS00009.20A.0624.000

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