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OGH 23.04.2014, 10ObS9/14t

OGH 23.04.2014, 10ObS9/14t

Rechtssatz


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Normen
RS0129688
Die Rückforderung einer Geldleistung der Unfallversicherung gemäß § 53b ASVG (Zuschuss nach Entgeltfortzahlung), hinsichtlich derer weder in der genannten Bestimmung noch sonst im ASVG eine Sonderregelung (bzw eine Ermächtigung, von § 107 ASVG abweichende Regelungen zu treffen) enthalten ist, richtet sich nach § 107 ASVG.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Monika Lanz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Johann Sommer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Stiftung F*****, vertreten durch Kuhn Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65, 1201 Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Rückforderung von Zuschuss gemäß § 53b ASVG, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Rs 135/13h-14, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 25 Cgs 115/12b, 231/12m, 116/12z, 117/12x, 118/12v-10, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die im Umfang der Abweisung des Zahlungsbegehrens (Punkt A des Ersturteils) als unangefochten unberührt bleiben, werden im Übrigen, also hinsichtlich der Abweisung des Feststellungs- und des Kostenersatzbegehrens (Punkt B und C) aufgehoben. Insoweit wird die Sozialrechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die klagende Stiftung als eigenständige Rechtspersönlichkeit hat ihren Sitz im ***** und verfügt in Österreich über eine Reihe von Betrieben, darunter die Liegenschaftsverwaltung in Wien, in deren Aufgabenbereich die Verwaltung des Liegenschaftsbesitzes in Wien fällt. Da die Klägerin mehr als 50 Dienstnehmer beschäftigt, überschreitet sie die in § 53b Abs 2 Z 1 ASVG normierte Grenze.

Die beklagte Partei leistete der Klägerin am hinsichtlich einer Dienstnehmerin und eines Dienstnehmers unter dem Titel „Zuschuss für Entgeltfortzahlung gemäß § 53b ASVG“ einen Betrag von insgesamt 3.198,64 EUR. Aus Anlass dieser nach schriftlicher Antragstellung rein faktisch vorgenommenen Zahlungen wurde weder ein Bescheid erlassen noch eine Bescheiderlassung von der Klägerin begehrt.

Mit Bescheiden vom wies die beklagte Partei Anträge der Klägerin vom auf Zuschuss nach Entgeltfortzahlung gemäß § 53b ASVG für die Arbeitsverhinderung von zwei Dienstnehmern im Zeitraum bis (GZ 348507), bis (GZ 348499), bis (GZ 348519) und bis (GZ 348535) ab.

Mit Bescheid vom forderte die beklagte Partei die für die Arbeitsverhinderung der beiden Dienstnehmer in den genannten Zeiträumen („für die Fälle 348499, 348535, 348519 und 348507“) zu Unrecht geleisteten Zuschüsse gemäß § 53b ASVG in der Gesamthöhe von „3.192,64 EUR“ [richtig: 3.198,64 EUR] gemäß § 6 der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und Frauen, BGBl II Nr 64/2005 (Entgeltfortzahlungs-Zuschussverordnung kurz: EF-ZV) zurück.

Begründend führte die beklagte Partei zu den Bescheiden vom zusammengefasst aus, dass im Unternehmen der Antragstellerin die Höchstzahl der versicherten Dienstnehmer im Sinn des § 53b ASVG überschritten werde. Im Bescheid vom wies sie darauf hin, dass in den ihm zugrunde liegenden Fällen mit den vorausgegangenen Bescheiden vom über das Nichtbestehen des Anspruchs abgesprochen worden sei. § 6 EF-ZV sehe eine Zweijahresfrist für die Rückforderung vor. Am sei der beklagten Partei die Zahl der bei der Klägerin regelmäßig beschäftigten und bei der AUVA versicherten Dienstnehmer bekannt geworden. Die zu Unrecht geleisteten Zuschüsse seien daher zurückzufordern.

Gegen sämtliche angeführte Bescheide erhob die Klägerin rechtzeitig Klage und brachte darin - soweit noch von Bedeutung - zusammengefasst vor, die beklagte Partei habe den Anträgen der Klägerin zunächst entsprochen und ziffernmäßig bestimmte Beträge geleistet, ohne die Zahlungen als Vorschüsse zu bezeichnen. Die faktische Auszahlung des Zuschusses sei als Bescheid zu werten. Andernfalls wären die Bestimmungen des § 107 ASVG (zur Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen) ebenso sinnlos wie jene des § 68 AVG (der nach der Rechtsprechung des VwGH auch im Bereich des ASVG anzuwenden sei). Die gegenteilige Meinung des Versicherungsträgers hätte zur Folge, dass er, selbst nach vielen Jahren, einen Versagungsbescheid erlassen und bereits erbrachte Leistungen zurückfordern könnte. Die Voraussetzungen des § 107 ASVG lägen nicht vor, weil die Klägerin keine unwahren Angaben gemacht habe. Sie habe nicht erkannt oder erkennen müssen, dass ihr die tatsächlich gewährte Leistung nicht zustehe. Die beklagte Partei habe die für eine bescheidmäßige Feststellung erforderlichen Maßnahmen innerhalb angemessener Frist unterlassen, sodass jedenfalls auch die Verjährungsfrist abgelaufen sei. Die beklagte Partei habe jederzeit Zugang zu allen Sozialversicherungsdaten gehabt und daher zu jedem Zeitpunkt wissen können, wie viele Dienstnehmer bei der Klägerin bzw deren Betrieben beschäftigt seien. Hätte die beklagte Partei der Bestimmung des § 367 ASVG entsprochen, wäre eine Aufhebung ihres Bescheids gemäß § 68 ASVG ebenso wenig möglich wie eine Rückforderung gemäß § 107 ASVG. Die EF-ZV sei gesetzeskonform dahin auszulegen, dass sie den genannten Bestimmungen nicht derogiere.

Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung. Soweit hier noch relevant, wendete sie ein, dass keine Verpflichtung gemäß § 367 Abs 1 ASVG bestanden habe, einen Bescheid zu erlassen, weil es sich bei den Zuschüssen um eine einmalige Zahlung handle. Die bloß faktische Auszahlung lasse keinen Bescheidwillen erkennen. Wenn die Klägerin die Erlassung eines Bescheids moniere, wäre ihr die Säumnisklage zur Verfügung gestanden, welche sie jedoch nicht erhoben habe. Die genaue Zahl der Dienstnehmer der Klägerin sei der beklagten Partei nicht bekannt gewesen. Erst im Zuge einer Datenverknüpfung unterschiedlicher Dienstnehmer im Herbst 2010 sei im elektronischen System der beklagten Partei die tatsächliche Dienstnehmeranzahl erkennbar geworden.

Das Erstgericht wies sowohl das Klagebegehren, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, der Klägerin einen Zuschuss nach Entgeltfortzahlung für die Dienstnehmerin und den Dienstnehmer in den angeführten Zeiträumen zu gewähren (Punkt A), als auch die Begehren, festzustellen, dass eine Pflicht der Klägerin zum Rückersatz des mit Bescheid der beklagten Partei vom geforderten Betrags von 3.192,64 EUR [richtig: 3.198,64 EUR] nicht bestehe (Punkt B), und „die beklagte Partei zum Kostenersatz zu verpflichten“ (Punkt C) ab. Dazu traf es über den eingangs angeführten - unstrittigen - Sachverhalt hinaus noch folgende Feststellungen:

Allein in der Zweigniederlassung Wien beschäftigt die Klägerin durchschnittlich zehn bis zwölf Dienstnehmer. Eine entsprechende Dienstnehmeranzahl trug die Klägerin in die formularmäßig gestellten Anträge auf Zuschuss für Entgeltfortzahlung ein. Die Anträge wurden mit einer Stampiglie „Stiftung F*****“ samt Unterfertigung durch eine „Ansprechpartnerin“ gezeichnet.

Unter Punkt 25 des Formulars findet sich folgender Hinweis:

„Für die Richtigkeit der Angaben haftet der Aussteller (§§ 1295 ABGB). Gleichzeitig wird zur Kenntnis genommen, dass die AUVA berechtigt ist, zu Unrecht ausbezahlte Beträge zurückzufordern.“

Die beklagte Partei pflegte im Zuge der Bearbeitung von Anträgen nach § 53b ASVG im Datenbestand des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger die Dienstnehmeranzahl der jeweiligen Antragsteller abzufragen. Das dazu verwendete Identifikationsmaterial war die vom Hauptverband vergebene Dienstgeber-Kontonummer. Diese Abfragen lieferten in den Jahren vor 2010 in Bezug auf die Klägerin die in den Anträgen angegebene Dienstnehmerzahl. Eine eigene Dienstgeber-Kontonummer bedeutete jedoch nicht zwingend eine eigene Rechtspersönlichkeit des Antragstellers, sondern nur einen Arbeitgeber im sozialversicherungsrechtlichen Sinn.

Im Jahr 2009 stellte der Hauptverband eine Verknüpfung mit dem Datenbestand der Finanzbehörde her. Am langte ein Antrag gemäß § 53b ASVG der Klägerin bei der Außenstelle der Beklagten in St. Pölten ein. Anhand dieses Antrags wurde nach Abfrage beim Hauptverband eine Dienstnehmeranzahl ausgeworfen, die über siebzig lag. Damit wurde der beklagten Partei erstmals die tatsächliche Dienstnehmeranzahl bekannt.

Mit Schreiben vom an die „Stiftung F*****“ forderte die beklagte Partei die für die beiden Dienstnehmer geleisteten Beträge im Gesamtausmaß von 3.192,64 EUR binnen einer Frist von sechs Wochen zurück. Gleichzeitig wies sie mit den eingangs angeführten Bescheiden vom die Anträge der Klägerin auf Zuschuss nach Entgeltfortzahlung gemäß § 53b ASVG ab und forderte mit Bescheid vom die geleisteten Beträge zurück.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass der Empfänger einer Leistung nach § 53b ASVG keine Leistung aus dem Versicherungsverhältnis erhalte. Eine Bescheidpflicht sei in den Anwendungsfällen des § 53b ASVG nicht normiert. Die Gewährung der Zuschüsse und deren Abwicklung erfolge gemäß der eindeutigen gesetzlichen Anordnung des § 53b Abs 4 ASVG nach der EF-ZV und nicht nach § 367 ASVG. Aus dem Fehlen eines Gewährungsbescheids sei für den Standpunkt der Klägerin daher nichts zu gewinnen. Gemäß § 6 EF-ZV verjähre das Recht der beklagten Partei auf Rückforderung binnen zwei Jahren nach dem Zeitpunkt, in dem dem Versicherungsträger bekannt geworden sei, dass der Zuschuss zu Unrecht geleistet worden sei. Der beklagten Partei sei dieser Umstand frühestens am bekannt geworden. Die Rückforderung mit Bescheid vom sei daher rechtzeitig erfolgt. Hinsichtlich der Rückforderung von Leistungen nach § 53b ASVG komme nicht § 107 ASVG, sondern § 6 EF-ZV zur Anwendung.

Das Berufungsgericht gab der nur gegen die Punkte B und C des Ersturteils (Abweisung des Feststellungs- und Kostenersatzbegehrens) erhobenen Berufung der Klägerin - die Abweisung des Begehrens auf Zuschussgewährung (Punkt A) ließ sie unbekämpft - nicht Folge. Es erkannte der Tatsachen- und Mängelrüge sowie der Rechtsrüge keine Berechtigung zu. Da der Spruchpunkt A des angefochtenen Urteils unbekämpft in Rechtskraft erwachsen sei, sei davon auszugehen, dass die Voraussetzungen für einen Zuschuss nach Entgeltfortzahlung gemäß § 53b ASVG hinsichtlich des gegenständlichen Betrags von 3.198,64 EUR nicht vorlägen. Somit stelle sich im Wesentlichen nur die Frage, ob die Klägerin hinsichtlich dieses Betrags eine Rückersatzpflicht treffe und ob diese Rückersatzpflicht verjährt sei. Hiefür sei § 6 EF-ZV maßgeblich (vgl § 53b Abs 4 ASVG und § 9 EF-ZV). Da die beklagte Partei mit Bescheid vom , somit innerhalb der zweijährigen Verjährungsfrist des § 6 Satz 2 EF-ZV, die Zuschüsse zurückgefordert habe, sei das Recht auf Rückforderung nicht verjährt. Daraus ergebe sich, dass das Erstgericht auch das Feststellungsbegehren (Spruchpunkt B) zu Recht abgewiesen habe. Bei § 6 EF-ZV handle es sich um eine gegenüber § 107 ASVG speziellere Regelung, weshalb § 107 ASVG bei der Rückforderung von Zuschüssen nach § 53b ASVG nicht zur Anwendung komme (so auch 10 Rs 98/11x des OLG Wien). Demzufolge sei es - entgegen der Auffassung der Klägerin - irrelevant, zu welchem Zeitpunkt die beklagte Partei habe erkennen müssen, dass die verfahrensgegenständlichen Zuschüsse nach § 53b ASVG zu Unrecht erbracht worden seien (vgl § 107 Abs 2 lit a ASVG; 10 Rs 98/11x des OLG Wien).

Da Spruchpunkt A des Ersturteils unbekämpft in Rechtskraft erwachsen sei und die Voraussetzungen der Rückersatzpflicht nach § 6 Satz 1 und 2 EF-ZV erfüllt seien, komme der in den Rechtsmittelschriften relevierten Frage, ob bei der Gewährung von Zuschüssen nach § 53b ASVG eine Bescheidpflicht bestehe, keine Bedeutung zu. Eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Frage erübrige sich daher.

Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil eine erhebliche Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität nicht zu beurteilen gewesen sei.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidung der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren in Ansehung der Rückzahlungsverpflichtung stattgegeben werde.

Die beklagte Partei beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision nicht zuzulassen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist - entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch - zulässig, weil die Berufungsentscheidung von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Rückforderungsvoraussetzung nach § 107 Abs 1 ASVG abweicht; sie ist im Sinn der beschlossenen Aufhebung auch berechtigt.

Die Revisionswerberin macht geltend, es liege noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den beiden entscheidenden Fragen vor, ob § 107 ASVG im „vorliegenden Fall“ anzuwenden gewesen wäre, oder ob die Rückforderung nach dem - allein anwendbaren - § 6 EF-ZV zu Recht erfolgt sei. Die Anwendbarkeit des § 107 ASVG im Zusammenhang mit der Gewährung von Zuschüssen gemäß § 53b ASVG stelle eine erhebliche Rechtsfrage dar, weil die bekämpfte Rechtsansicht des Berufungsgerichts bedeute, dass durch eine Verordnung (die gemäß § 53b Abs 4 ASVG die „Gewährung und Abwicklung“ der Zuschüsse regeln dürfe) die „generelle Gesetzesbestimmung“ des § 107 ASVG nicht anzuwenden wäre; dies sei schon aus verfassungsrechtlichen Gründen (mangels Berücksichtigung des Stufenbaus der Rechtsordnung) ebenso verfehlt wie die (wenn auch nur „implizit ausgedrückte“) Ansicht, auch § 367 ASVG sei wegen der Bestimmung des § 6 EF-ZV unanwendbar. Es sei vielmehr eine verfassungskonforme Interpretation der EF-ZV dahin geboten, dass die „§§ 107 (und 367) ASVG“ auch im Verfahren nach „§ 536“ (gemeint: § 53b) ASVG zur Anwendung kämen. Andernfalls könnte die beklagte Partei „Erledigungen“ auch noch nach Jahren korrigieren, obwohl keine der besonderen Voraussetzungen vorliege, die dies sonst ausnahmsweise ermöglichen (§ 68 AVG).

Die beklagte Partei hält dem in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung entgegen, § 6 EF-ZV sei die maßgebliche, gegenüber § 107 ASVG speziellere Regelung, weshalb § 107 ASVG bei der Rückforderung von Zuschüssen nach § 53b ASVG nicht zur Anwendung komme.

Dazu wurde erwogen:

1. Der Revision ist vorweg zu erwidern, dass in der Berufungsentscheidung - wie die Rechtsmittelwerberin selbst festhält - ausdrücklich offen gelassen wird, ob hier gemäß § 367 ASVG eine von der beklagten Partei nicht erfüllte Bescheidpflicht bestand. Angesichts der Erwähnung dieser Frage kann von einer „implizit ausgedrückten“ (nunmehr bekämpften) Ansicht des Berufungsgerichts, (auch) § 367 ASVG sei wegen § 6 EF-ZV nicht anzuwenden, keine Rede sein. Die dazu erstatteten Rechtsmittelausführungen gehen daher ins Leere. Davon abgesehen hat der erkennende Senat erst jüngst festgehalten, dass auch ohne Erlassung eines Bescheids erbrachte Leistungen nur zurückgefordert werden können, wenn ein Rückforderungstatbestand nach § 107 Abs 1 ASVG erfüllt ist (10 ObS 160/13x mit Hinweis auf Gründler, Verfahrensrechtliche Voraussetzungen der Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen der Sozialversicherung, ZAS 1980, 123).

2. Festzuhalten ist weiters, dass die Abweisung des weiteren Begehrens auf Zuschussgewährung nach der Entgeltfortzahlung für die betroffenen Dienstnehmer in den näher bezeichneten Zeiträumen der Jahre 2005 und 2006 (Punkt A) bereits in der Berufung der Klägerin unbekämpft blieb und daher bereits rechtskräftig ist. Die Beurteilung, es sei schon aus diesem Grund jedenfalls davon auszugehen, dass die Klägerin die Voraussetzungen für einen Zuschuss nach Entgeltfortzahlung gemäß § 53b ASVG hinsichtlich des rückgeforderten Betrags nicht erfüllt, wird auch im Revisionsverfahren gar nicht in Zweifel gezogen.

3. Fest steht mittlerweile aber auch die Gesetzwidrigkeit der vom ASVG abweichenden Regelung der Entgeltfortzahlungs-Zuschussverordnung (BGBl II 64/2005) über eine zweijährige Verjährungsfrist für die Rückforderung zu Unrecht gewährter Vorschüsse an Dienstgeber/innen aus Mitteln der Unfallversicherung:

Der Verfassungsgerichtshof hat dazu nämlich in seinem Erkenntnis vom , V 17/2013, ausdrücklich ausgeführt, dass das vom antragstellenden Gericht (Arbeits- und Sozialgericht Wien) relevierte Bedenken des Verstoßes gegen Art 18 B-VG aus folgenden Gründen zutrifft:

Nach der Bundesverfassung (Art 18 Abs 2 B-VG) sind Verordnungen „auf Grund der Gesetze“ zu erlassen. Das bedeutet, dass eine Verordnung bloß präzisieren darf, was in den wesentlichen Konturen bereits im Gesetz selbst vorgezeichnet wurde (vgl etwa VfSlg 11.639/1988 mwN, VfSlg 14.895/1997).

§ 53b ASVG wurde mit BGBl I 155/2002 in das ASVG eingefügt und sah zunächst vor, dass den Dienstgebern Zuschüsse aus Mitteln der Unfallversicherung zur teilweisen Vergütung des Aufwands für die Entgeltfortzahlung an Dienstnehmer nach Unfällen geleistet werden. Mit dem 3. Sozialversicherungs-Änderungsgesetz (SVÄG) 2004, BGBl I 171/2004, erfolgte eine Erweiterung der Zuschussregelung bei Entgeltfortzahlung auch auf krankheitsbedingte Arbeitsverhinderungen. Zugleich wurden die Zuschüsse gemäß § 53b ASVG in den Leistungskatalog der Unfallversicherung (§ 173 Z 3 ASVG) aufgenommen. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien (RV 703 BlgNR 22. GP 14) ergibt, sollte durch die Zuschüsse gemäß § 53b ASVG nach Abschaffung des Entgeltfortzahlungsfonds auftretenden Problemen in Kleinbetrieben entgegengewirkt werden.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits zur Rechtslage vor den Änderungen durch das 3. SVÄG, insbesondere vor der ausdrücklichen Aufnahme der Zuschüsse gemäß § 53b ASVG in den Leistungskatalog des § 173 ASVG, mehrfach ausgesprochen, dass Streitigkeiten über Ansprüche auf Zuschüsse an die Dienstgeber nach Entgeltfortzahlung im Sinn des § 53b ASVG Leistungssachen nach § 354 ASVG sind und daher im Wege der sukzessiven Kompetenz den Arbeits- und Sozialgerichten zur Beurteilung zugewiesen sind (; , 2 Ob 170/08a). Dabei hat der Oberste Gerichtshof (in Ablehnung der vereinzelt gebliebenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes, VwSlg. 16.534 A/2005, der aus Anlass der Behandlung einer derartigen Rechtssache offenbar implizit den Verwaltungsweg für zulässig erachtete) betont, dass es sich bei diesen Ansprüchen um Leistungsansprüche aus der Unfallversicherung nach dem ASVG handelt und dass dies mit der Ergänzung des § 173 ASVG durch das 3. SVÄG bloß klargestellt worden sei. Die im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof in seiner Äußerung vertretene Auffassung des Bundesministers für Gesundheit, dass die Gewährung von Zuschüssen gemäß § 53b ASVG „nicht zu den Kernaufgaben der Unfallversicherung“ zähle und dass es sich nicht um eine Leistung an den in der Unfallversicherung versicherten Personenkreis der Dienstnehmer handle, geht an dieser nunmehr klaren Rechtslage vorbei.

Da auch die Rückforderung von Versicherungsleistungen gemäß § 107 ASVG gemäß § 354 Z 2 ASVG iVm § 65 Abs 1 Z 2 ASGG eine Leistungssache ist, kann § 107 ASVG nur dahin ausgelegt werden, dass der im Einleitungssatz dieser Bestimmung verwendete Begriff der (zu Unrecht erbrachten) Geldleistungen eine Teilmenge des in § 354 Z 1 und Z 2 ASVG verwendeten Begriffs der Versicherungsleistungen ist, wobei letzterer Begriff auch die Sachleistungen mitumfasst. Daher richtet sich die Rückforderung einer Geldleistung der Unfallversicherung im Sinn des § 53b ASVG, hinsichtlich derer weder in der letztgenannten Bestimmung noch sonst im ASVG eine Sonderregelung enthalten ist, nach § 107 ASVG.

[...]

Nach § 107 Abs 2 lit b ASVG verjährt das Recht auf Rückforderung binnen drei Jahren nach dem Zeitpunkt, in dem dem Versicherungsträger bekannt geworden ist, dass die Leistung zu Unrecht erbracht worden ist. Da weder § 53b ASVG noch sonst eine Bestimmung den Verordnungsgeber dazu ermächtigt, von § 107 ASVG abweichende Regelungen zu treffen, erweist sich § 6 der EF-ZV, der die Verjährungsfrist auf zwei Jahre beschränkt, wegen Verstoßes gegen § 107 Abs 2 lit b ASVG als gesetzwidrig.

3.1. Demgemäß wurde der 2. Satz des § 6 EF-ZV aufgehoben und der Bundesminister für Gesundheit zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Bundesgesetzblatt II verpflichtet (Erkenntnis des ). Die Kundmachung der Aufhebung erfolgte mit dem am ausgegebenen BGBl II Nr 6/2014.

4. Wird - wie hier - vom Verfassungsgerichtshof eine Verordnung wegen Gesetzwidrigkeit aufgehoben, sind nach Art 139 Abs 6 B-VG alle Gerichte und Verwaltungs-behörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofs gebunden (10 Ob 31/12z). Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalls ist jedoch die Verordnung weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht. Hat der Verfassungs-gerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis eine Frist gemäß Art 139 Abs 5 B-VG gesetzt, so ist die Verordnung auf alle bis zum Ablauf dieser Frist verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalls anzuwenden.

5. Aus der dargestellten Rechtslage ergibt sich, dass der vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene 2. Satz des § 6 EF-ZV auf den vorliegenden Rechtsstreit weiterhin anzuwenden ist, weil sich der zu beurteilende Sachverhalt bereits vor dem Außerkrafttreten der aufgehobenen Bestimmung konkretisiert hat und es sich beim vorliegenden Rechtsstreit auch nicht um einen Anlassfall im Sinn der zitierten Gesetzesbestimmung handelt (10 Ob 31/12z mwN; RIS-Justiz RS0054186).

5.1. Die hier (noch) maßgebende Norm des § 6 EF-ZV (idF BGBl II Nr 64/2005) legt Folgendes fest:

Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt und die Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau haben zu Unrecht geleistete Zuschüsse vom Dienstgeber/von der Dienstgeberin zurückzufordern. Das Recht auf Rückforderung verjährt binnen zwei Jahren nach dem Zeitpunkt, in dem dem Versicherungsträger bekannt geworden ist, dass der Zuschuss zu Unrecht geleistet wurde. Der Versicherungsträger kann bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Umstände, insb in Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Dienstgebers/der Dienstgeberin, auf die Rückforderung ganz oder teilweise verzichten oder die Rückzahlung des zu Unrecht gezahlten Zuschusses in Teilbeträgen zulassen.

5.1.1. Daran, dass diese Bestimmung - anders als die Rückforderungstatbestände des § 107 Abs 1 ASVG - einen dem Leistungsempfänger anzulastenden subjektiven Vorwurf nicht (ausdrücklich) vorsieht, jedoch die Verjährungsfrist auf zwei Jahre (statt drei Jahren gemäß § 107 Abs 2 lit b ASVG) nach dem Zeitpunkt, in dem dem Versicherungsträger bekannt geworden ist, dass die Leistung zu Unrecht erbracht wurde, verkürzt, besteht nach dem Wortlaut kein Zweifel: Nachdem der zuständige Unfallversicherungsträger Kenntnis davon erlangt hat, dass er zu Unrecht geleistet hat, hat er zwei Jahre Zeit, die Rückforderung geltend zu machen; danach ist der Anspruch verjährt (Putzer, Probleme der Zuschüsse zur Entgeltfortzahlung, DRdA 2006, 351 [355]).

5.1.2. Da insoweit die - in dritter Instanz nicht mehr angreifbaren - Feststellungen zugrunde zu legen sind (wonach dem Versicherungsträger frühestens am bekannt wurde, dass er hinsichtlich der Klägerin zu Unrecht Zuschüsse nach § 53b ASVG geleistet hatte), erfolgte die Rückforderung mit Bescheid vom aber ohnehin innerhalb der Zweijahresfrist des § 6 EF-ZV.

5.2. Zu Recht wendet sich die Revision jedoch gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass nach § 6 EF-ZV die Bestimmung des § 107 ASVG jedenfalls unanwendbar wäre; dem gegenteiligen Standpunkt der Klägerin, es sei eine verfassungskonforme Interpretation der EF-ZV dahin geboten, dass § 107 ASVG auch im Verfahren nach § 53b ASVG anzuwenden sei, kommt nämlich im Ergebnis Berechtigung zu:

5.2.1. Auch der Verfassungsgerichtshof hält zu dieser Frage im Erkenntnis vom , V 17/2013, bereits ausdrücklich fest, dass „das weitere, ohne einen gesonderten Aufhebungsantrag vorgebrachte Bedenken, die verordnungsgebende Bundesministerin hätte in die Verordnung auch die subjektiven Merkmale der Rückforderung (ersichtlich gemeint: des § 107 Abs 1 ASVG) ergänzend aufnehmen müssen, nicht erkennen lässt, durch welche Bestimmung der Verordnung sich das antragstellende Gericht an der unmittelbaren Anwendung der subjektiven Voraussetzungen des § 107 Abs 1 ASVG gehindert sieht, soweit es diese für geboten erachtet“.

5.3. Der erkennende Senat sieht ebenfalls kein Hindernis für die unmittelbare Anwendbarkeit der subjektiven Voraussetzungen des § 107 Abs 1 ASVG auch in Verfahren nach § 53b ASVG:

5.3.1. Nach dem Anwendungsbereich des § 107 ASVG kommen für die Rückforderung nämlich alle Geldleistungen in Betracht; wobei diese Bestimmung zB auf Rückforderungen nach dem KBGG [nur] deshalb keine Anwendung findet, weil das KBGG in § 31 eine eigene Rückforderungsbestimmung enthält (10 ObS 25/10i, SSV-NF 24/14; Fellinger in SV-Komm, § 107 ASVG Rz 3; Atria in Sonntag [Hrsg], ASVG4 [2013] § 107 Rz 1a).

5.3.2. Gerade das ist hier jedoch nicht der Fall, weil eine solche in § 53b ASVG fehlt. Daher richtet sich auch die Rückforderung einer Geldleistung der Unfallversicherung gemäß § 53b ASVG (Zuschuss nach Entgeltfortzahlung), hinsichtlich derer weder in der genannten Bestimmung noch sonst im ASVG eine Sonderregelung (bzw eine Ermächtigung, von § 107 ASVG abweichende Regelungen zu treffen) enthalten ist, nach § 107 ASVG ().

5.4. Unter Zugrundelegung der in zweiter Instanz gebilligten, vom erkennenden Senat jedoch nicht geteilten Ansicht zur Unanwendbarkeit des § 107 ASVG hat das Erstgericht keine Feststellungen zu dem - von der Klägerin bereits in erster Instanz erstatteten - Vorbringen hinsichtlich der in Abs 1 und Abs 2 lit a der genannten Bestimmung normierten subjektiven Voraussetzungen einer Rückforderung getroffen. Dieser Umstand erfordert die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen im bekämpften Umfang und die Zurückverweisung der Sozialrechtssache an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung. Im fortzusetzenden Verfahren wird die dargelegte Rechtsansicht mit den Parteien zu erörtern und über die allein strittig verbliebene Rückersatzverpflichtung der Klägerin neuerlich zu entscheiden sein.

5.5. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch (Senat gemäß § 11a ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Stiftung F*****, vertreten durch Kuhn Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert Stifter-Straße 65, 1201 Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Rückforderung von Zuschuss gemäß § 53b ASVG, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Rs 135/13h-14, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 25 Cgs 115/12b, 231/12m, 116/12z, 117/12x, 118/12v-10, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschluss vom , 10 ObS 9/14t, wird in seiner Begründung dahin berichtigt, dass er auf Seite 6 unten zu lauten hat:

„In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass der Empfänger einer Leistung nach § 53b ASVG keine Leistung aus dem Versicherungsverhältnis erhalte.“

Das Erstgericht hat den Parteien die Beschlussausfertigungen abzufordern und die Berichtigung darauf ersichtlich zu machen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Das Berichtigungserfordernis hinsichtlich des in Fettdruck hervorgehobenen Worts „keine“ (statt irrig: „eine“) beruht - wie sich aus der Rechtsbeurteilung des Ersturteils ergibt (Seite 10) - auf einem offensichtlichen Schreibfehler. Die Unrichtigkeit ist von Amts wegen gemäß § 430 ZPO iVm § 419 ZPO zu korrigieren.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
Schlagworte
Sozialrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2014:010OBS00009.14T.0423.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
RAAAE-15194