OGH vom 19.12.2018, 10ObS89/18p
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau, den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter KAD Dr. Lukas Stärker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Angela Taschek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Mahringer Steinwender Bestebner Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung von Schwerarbeitszeiten, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 37/18z-33, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 16 Cgs 143/16x-28, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Am beantragte der am geborene Kläger bei der Beklagten die Feststellung von Versicherungs- und Schwerarbeitszeiten.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom stellte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt 512 Versicherungsmonate (Beitragsmonate einer Pflichtversicherung - Erwerbstätigkeit) fest. Sie lehnte hingegen die Anerkennung von Schwerarbeitszeiten im Zeitraum von bis ab, weil die Arbeitstätigkeit des Klägers als Bäcker nicht die Tatbestände der § 1 Abs 1 Z 1, Z 2 oder Z 4 Schwerarbeitsverordnung, BGBl II 2006/104 (SchwerarbeitsV), erfülle.
Mit seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt der Kläger die Feststellung von Schwerarbeitszeiten, die er durchgehend im Zeitraum von bis erworben habe. Der Kläger habe bereits durch seine Tätigkeit als Bäcker die relevanten Belastungsgrenzen nach § 1 Abs 1 Z 2 und Z 4 SchwerarbeitsV erreicht. Darüber hinaus sei der Kläger seit laufend als gewerblich selbständiger Lebensmittelhändler und Taxilenker tätig gewesen, dies neben seiner Beschäftigung als Bäcker und mit einer zusätzlichen Gesamtarbeitszeit von 20 bis 25 Stunden pro Woche. Es seien damit die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV, aber auch jene des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV erfüllt.
Die Beklagte wandte dagegen ein, dass die Tätigkeit des Klägers als Bäcker die Voraussetzungen für das Vorliegen von Schwerarbeit nicht erfülle. Die daneben ausgeübten selbständigen Tätigkeiten des Klägers seien bei der Beurteilung des Vorliegens von Schwerarbeitszeiten nicht zu berücksichtigen.
Das Erstgericht stellte fest, dass der Kläger im Zeitraum bis durchgehend Schwerarbeitszeiten erworben habe. Es ging dabei zusammengefasst von folgenden Feststellungen aus:
Im Zeitraum bis war der Kläger immer als Bäcker unselbständig erwerbstätig. Zusätzlich war der Kläger auch noch ab im Rahmen eines Lebensmittelhandels als Einzelunternehmer selbständig erwerbstätig. Außerdem war er von bis und von bis als Taxilenker bei G***** und von 9. 4. bis sowie von 22. 6. bis in einem geringfügigen Beschäftigungsausmaß als Taxilenker bei H***** beschäftigt.
Die zentrale und für die Existenzsicherung wesentliche Erwerbstätigkeit übte der Kläger in seinem Hauptberuf als Bäcker aus. Während des Arbeitsvorgangs in der Bäckerei betrugen die durchschnittliche Temperatur 30° C und die Luftfeuchtigkeit 40 %. Der Kläger arbeitete, beginnend mit Sonntag in der Nacht, an sechs Werktagen pro Woche. Arbeitsbeginn war um 23:00 Uhr, Arbeitsende um 6:00 Uhr früh. Der Kläger machte während seiner Arbeitszeit nur ein bis maximal zwei Mal kurze Pausen in der Dauer von 5 bis 10 Minuten.
Zeitgleich zur Tätigkeit als Bäcker übte der Kläger auch eine Verkaufstätigkeit im Lebensmittelhandel sowie die Tätigkeit als Taxiunternehmer und Taxilenker mit einer Wochenarbeitszeit von 20 bis 25 Stunden aus. Die Gesamtwochenarbeitszeit des Klägers betrug somit 60 bis 70 Stunden. Durch seine „Mischtätigkeiten“ als Bäcker, Lebensmittelhändler und Taxilenker betrug seine tägliche Arbeitszeit 12 Stunden und mehr.
Bei einem siebenstündigen Arbeitstag als Bäcker erreichte die Arbeitsbelastung des Klägers rund 1.900 Arbeitskilokalorien.
Unter Berücksichtigung der zusätzlich vom Kläger ausgeübten Aktivitäten als selbständiger Einzelunternehmer und als Taxifahrer erhöht sich dieser Wert proportional. In diesem Fall ist „bei einer Addition“ der siebenstündigen Tätigkeit als Bäcker und den zusätzlich noch täglich ausgeübten – der Pflichtversicherung unterliegenden – (Neben-)Tätigkeiten der Grenzwert von 2.000 Arbeitskilokalorien deutlich überschritten.
Rechtlich folgerte das Erstgericht, dass der Tatbestand des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV durch die Tätigkeit als Bäcker allein nicht erfüllt sei, weil keine unregelmäßige Nachtarbeit vorgelegen sei. Die Voraussetzungen des Vorliegens von Schwerarbeit gemäß § 1 Abs 1 Z 2 SchwerarbeitsV seien nicht erfüllt, weil keine besonders belastende Arbeit bei Hitze im Sinn des Art VII Abs 2 Z 2 NSchG geleistet worden sei. Auch für die Erfüllung des Tatbestands des § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV würde die Tätigkeit des Klägers als Bäcker allein nicht genügen, weil der erforderliche Verbrauch von Arbeitskilokalorien nicht gegeben gewesen sei. Der Kläger habe daneben aber als selbständiger Einzelunternehmer und als Taxilenker
20–25 Stunden pro Woche gearbeitet. Unter Berücksichtigung dieser selbständigen Erwerbstätigkeit habe der Kläger mehr als die erforderlichen 2.000 Arbeitskilokalorien verbraucht, sodass der Tatbestand des § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV erfüllt sei. Da der Kläger laufend als Bäcker in der Nacht und als selbständiger Einzelunternehmer am Tag gearbeitet habe, sei auch der Tatbestand des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV erfüllt.
Das Berufungsgericht gab der von der Beklagten gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge.
Für die Feststellung des Vorliegens von Schwerarbeit seien nicht nur Tätigkeiten innerhalb eines Zweigs der Pensionsversicherung zu berücksichtigen, sondern auch am selben Kalendertag ausgeübte (nach ASVG versicherungspflichtige) unselbständige Erwerbstätigkeiten und (nach GSVG oder BSVG versicherungspflichtige) selbständige Erwerbstätigkeiten. Der Begriff der Schwerarbeit sei nach der zu § 607 Abs 14 ASVG,§ 298 Abs 13a GSVG,§ 287 Abs 13a BSVG und § 4 Abs 4 APG ergangenen SchwerarbeitsV einheitlich zu beurteilen. Die SchwerarbeitsV differenziere nicht danach, ob Schwerarbeit in unselbständiger oder selbständiger Erwerbstätigkeit erbracht werde.
Aus § 4 SchwerarbeitsV ergebe sich, dass ein Schwerarbeitsmonat nicht nur dann vorliegt, wenn in einem Monat nur eine Tätigkeit im Sinne des § 1 Abs 1 Z 1 bis 6 SchwerarbeitsV ausgeübt werde; vielmehr könne auch durch die Ausübung verschiedener besonders belastender Tätigkeiten im entsprechenden Ausmaß ein Schwerarbeitsmonat erworben werden. Maßgeblich für das Vorliegen von Schwerarbeit sei die tatsächliche Beanspruchung durch die Tätigkeit. Keine Rolle spiele die Anzahl der Versicherungsverhältnisse, sodass eine das Versicherungsverhältnis übergreifende Zusammenrechnung möglich sei. Sachliche Gründe für eine unterschiedliche Behandlung je nachdem, ob dieselbe (Gesamt-)Tätigkeit in (einer oder) mehreren unselbständigen Erwerbstätigkeiten oder in einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, seien nicht ersichtlich. Es seien daher die von einem Versicherten ausgeübten unselbständigen und selbständigen Tätigkeiten in ihrer Gesamtheit der Beurteilung der Frage zugrunde zu legen, ob diese als Schwerarbeit zu werten seien.
Dies sei auf Grundlage der Feststellungen zu bejahen. Addiere man die Tätigkeit des Klägers als Bäcker mit seinen Nebentätigkeiten, werde der Grenzwert von 2.000 Arbeitskilokalorien deutlich überschritten. Selbst wenn der Kläger bei seinen übrigen Tätigkeiten nur 2,75 Arbeitskilojoule pro Minute bei leichter Handarbeit im Sitzen verbraucht hätte, ergebe sich nach dem Schwerarbeitsrechner ein (zusätzlicher) Verbrauch von 165 Arbeitskilojoule bzw 39,41 Arbeitskilokalorien pro Stunde. Bereits nach etwas mehr als 2,5 Stunden der Ausübung der Nebentätigkeiten des Klägers würde sein Energieverbrauch daher den relevanten Grenzwert auch bei dieser leichtesten Tätigkeit erreichen. Ob der Kläger durch seine Tätigkeiten auch Schwerarbeit im Sinne des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV geleistet habe, müsse daher nicht beantwortet werden.
Die Revision erachtete das Berufungsgericht als zulässig, weil zur Frage der Zusammenfassung selbständiger und unselbständiger Erwerbstätigkeiten bei der Beurteilung der Frage des Vorliegens von Schwerarbeit Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Kläger beantwortete Revision der Beklagten, mit der sie die Abweisung der Klage anstrebt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
Die Revisionswerberin hält der Rechtsansicht des Berufungsgerichts entgegen, dass es nicht die Intention des Verordnungsgebers gewesen sei, die Erhöhung des Richtwerts von acht Stunden in § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV – etwa durch selbständige Erwerbstätigkeiten – unbegrenzt zuzulassen. Nicht jede selbständige Erwerbstätigkeit könne bei der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen von Schwerarbeit ungeprüft übernommen werden. Dies ergebe sich aus § 298 Abs 13a GSVG, der die Notwendigkeit der persönlichen Arbeitsleistung des Versicherten zur Aufrechterhaltung des Betriebs als Anspruchsvoraussetzung normiere. Stelle man keinen Gleichklang zwischen selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeiten in Bezug auf die Tätigkeitsdauer her, hätte dies zur Folge, dass die in § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV definierte Kaloriengrenze bei selbständigen Tätigkeiten allein durch die Ausdehnung der Arbeitszeit überschritten werden könnte, obgleich die verrichtete Tätigkeit für sich gesehen nur eine leichte Arbeitsbelastung beinhalte. Es fehle an Feststellungen, wie viele Arbeitskilokalorien der Kläger bei der Ausübung der Nebentätigkeiten tatsächlich verbraucht habe und an wie vielen Tagen im Monat diese Nebentätigkeiten tatsächlich ausgeübt worden seien.
Diese Argumente sind im Ergebnis berechtigt:
1.1 Durch die gleichzeitige Beschäftigung als Dienstnehmer und selbständig Erwerbstätiger kommt es zur Mehrfachversicherung ua auch in der Pensionsversicherung. Der Versicherte erwirbt dennoch nur eine einheitliche Pension (Drs, Rechtsprobleme der Mehrfachversicherung, DRdA 2003, 461 [466]; zum System der Wanderversicherung auch Windisch-Graetz, Probleme der Mehrfachversicherung, DRdA 2004, 523 [529]).
1.2 Es ist im Verfahren nicht strittig, dass die Beklagte (in Bezug auf den hier relevanten Stichtag ) der gemäß § 251a ASVG für den Kläger leistungszuständige Pensionsversicherungsträger ist. Die Leistungen bestimmen sich nach den Regelungen, die im Bereich jener Pensionsversicherung bestehen, die der zuständige Träger zu administrieren hat. Bei Feststellung der Leistungsansprüche hat dieser nur eigenes Recht anzuwenden und nur Versicherungsfälle zu berücksichtigen, die nach dem für ihn maßgeblichen System vorgesehen sind (RIS-Justiz RS0085021; Sonntag in Sonntag, ASVG9§ 251a ASVG Rz 2).
1.3 Im konkreten Fall sind daher die Bestimmungen der § 607 Abs 14 ASVG und 4 Abs 3 APG maßgeblich, auf die in § 247 Abs 2 ASVG auch verwiesen wird. Einer näheren Auseinandersetzung mit der weiteren in § 298 Abs 13a GSVG genannten Anspruchsvoraussetzung, dass „die persönliche Arbeitsleistung des (der) Versicherten zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war“, ist daher nicht erforderlich. Darüber hinaus hat, worauf das Berufungsgericht hingewiesen hat, die SchwerarbeitsV unabhängig davon, ob das ASVG oder das Parallelrecht zur Anwendung gelangt, eine einheitliche Festlegung der Kriterien für das Vorliegen von Schwerarbeit vorgenommen (Sonntag in Sonntag, ASVG9§ 607 Rz 13a).
2.1 Der Oberste Gerichtshof hat mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass für die Beurteilung, ob ein Schwerarbeitsmonat vorliegt, die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit ausschlaggebend ist (10 ObS 117/16b, SSV-NF 30/82 = DRdA 2017/43, 400 [Bell]; RIS-Justiz RS0130802 [T2]). Dies entspricht dem Zweck der Regelungen des § 607 Abs 14 ASVG und der § 1 Abs 1 und 4 SchwerarbeitsV, wonach die Anerkennung von Schwerarbeitszeiten jenen Versicherten offen stehen soll, die im Rahmen ihrer Berufstätigkeit tatsächlich besonders belastenden Formen von Schwerarbeit ausgesetzt waren (ErläutRV 653 BlgNR 22. GP 9).
2.2 Eine Differenzierung der Tatbestands-voraussetzungen des § 1 SchwerarbeitsV für selbständige oder unselbständige Erwerbstätige besteht im Hinblick auf die für einen selbständig Erwerbstätigen bestehende Möglichkeit einer freieren Arbeitseinteilung nicht: entscheidend ist die konkrete Ausgestaltung der vom Versicherten im maßgebenden Zeitraum tatsächlich verrichteten Tätigkeit (10 ObS 103/10k, SSV-NF 24/58).
2.3 Nach der Rechtsprechung stellt die Angabe von 8 Stunden in § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV lediglich einen Richtwert dar. Die Versicherten können nachweisen, dass sie täglich aufgrund längerer Arbeitszeiten oder aufgrund der besonderen Schwere der Tätigkeit auch bei kürzeren Arbeitszeiten den geforderten Arbeitskilokalorienverbrauch erreichen (10 ObS 95/14i, SSV-NF 28/52; RIS-Justiz RS0129751). Liegen daher tatsächlich längere Arbeitszeiten vor, so sind diese bei der Berechnung des Energieumsatzes entsprechend zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0129750 [T1]; 10 ObS 4/15h, SSV-NF 29/9). Dies ist jedoch beim Kläger, der als Bäcker (lediglich) sieben Stunden täglich gearbeitet hat, nicht der Fall.
3.1 Dass auch mehrere Tätigkeiten die Ausübung von Schwerarbeit begründen können, ergibt sich bereits aus der in der Mehrzahl gehaltenen Formulierung in § 607 Abs 14 ASVG („Tätigkeiten“), aber auch aus der vom Berufungsgericht zitierten Bestimmung des § 4 SchwerarbeitsV: „Ein Schwerarbeitsmonat ist jeder Kalendermonat, in dem eine oder mehrere Tätigkeiten nach § 1 Abs 1 zumindest in jenem Ausmaß ausgeübt wurden, das einen Versicherungsmonat im Sinne des § 231 Z 1 lit a ASVG begründet. Arbeitsunterbrechungen bleiben dabei außer Betracht, solange die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung weiter besteht.“ Daher ist die Vorgangsweise, sämtliche vom Kläger in den hier zu beurteilenden Monaten ausgeübten unselbständigen und selbständigen Erwerbstätigkeiten für die Beurteilung der Frage heranzuziehen, ob ein Schwerarbeitsmonat erworben wurde, grundsätzlich zutreffend.
3.2 Allerdings folgt aus dem Wortlaut des § 4 SchwerarbeitsV, dass mehrere Tätigkeiten nach § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV ausgeübt werden müssen, um ein Schwerarbeitsmonat zu erwerben. Ein Schwerarbeitsmonat gemäß § 4 SchwerarbeitsV wird nach der Rechtsprechung dann erworben, wenn eine oder mehrere besonders belastende Tätigkeiten im Sinn des § 1 SchwerarbeitsV mindestens in der Dauer von 15 Tagen in einem Kalendermonat ausgeübt wurden (10 ObS 103/10k, SSV-NF 24/58; 10 ObS 39/17h, SSV-NF 31/27; Rainer/Pöltner in SV-Komm [166. Lfg] § 4 APG Rz 192; Milisits, Schwerarbeitsverordnung [2007] 41; Pöltner/Pacic, ASVG [APG; 96. ErgLfg], Anhang SchwerarbeitsV Anm 15, nennt als Beispiel für den Erwerb eines Versicherungsmonats 5 Tage Arbeit bei Hitze, [§ 1 Abs 1 Z 2 SchwerarbeitsV] zuzüglich 11 Tage körperliche Schwerarbeit [§ 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV]). Aus der Wendung („in dem eine oder mehrere Tätigkeiten nach § 1 Abs 1 zumindest in jenem Ausmaß ausgeübt wurden“) ist erkennbar, dass bei Vorliegen mehrerer unter § 1 Abs 1 Z 1 bis Z 6 SchwerarbeitsV fallender (unterschiedlicher) Tätigkeiten die Gleichbehandlung vorausgesetzt wird (10 ObS 23/16d, SSV-NF 30/30 = DRda 2017/4, 37 [De Brito]).
3.3 Dass jede ausgeübte Tätigkeit jeweils für sich eine besonders belastende Berufstätigkeit sein muss, lässt sich etwa auch aus der auf der Grundlage von § 15b Abs 2 BDG 1979 (§ 2e Abs 2 BThPG; § 2a Abs 2 BB-PG) erlassenen Verordnung der Bundesregierung über besonders belastende Berufstätigkeiten (BGBl II 2006/105) erkennen, die die Anwendung von Bestimmungen der Schwerarbeitsverordnung auf Beamte und Bundestheaterbedienstete anordnet. Diese sieht in ihrem § 1 Z 2 vor, dass ein Schwerarbeitsmonat dann vorliegt, „wenn eine oder mehrere besonders belastende Tätigkeiten im Sinne des § 1 Abs 1 der Schwerarbeitsverordnung mindestens in der Dauer von 15 Kalendertagen in einem Kalendermonat ausgeübt wurden. ...“ (10 ObS 118/15y, SSV-NF 30/16). Ungeachtet des von § 4 SchwerarbeitsV abweichenden Wortlauts der Verordnung BGBl II 2006/105 ist im gegebenen Zusammenhang eine parallele Interpretation geboten. Denn durch die Formulierung „körperlich oder psychisch besonders belastende Bedingungen“ in § 4 Abs 4 APG und § 607 Abs 14 ASVG hat der Gesetzgeber seine Absicht zum Ausdruck gebracht, dass nur die Formen von besonders belastender Schwerarbeit und nicht jede schwere Arbeit schlechthin in diesem Bereich berücksichtigt werden (ErläutRV 635 BlgNR 22. GP 9; 10 ObS 103/10k ua).
3.4 Der Erwerb eines Schwerarbeitsmonats gemäß § 4 SchwerarbeitsV ist daher nicht nur durch Ausübung einer Tätigkeit gemäß § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV möglich, sondern auch durch Ausübung mehrerer, zeitlich hintereinander oder gleichzeitig ausgeübter Tätigkeiten gemäß § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV. Dies wäre etwa bei Teilzeittätigkeit denkbar (vgl dazu das oben genannte Beispiel bei Pöltner/Pacic, ASVG [APG; 96. ErgLfg], Anhang SchwerarbeitsV Anm 15): Dass Teilzeitkräfte nicht von vornherein vom Anwendungsbereich der SchwerarbeitsV ausgeschlossen sind, hat der Oberste Gerichtshof bereits entschieden (10 ObS 23/16d, SSV-NF 30/30 = DRdA 2017/4, 37 [De Brito]; 10 ObS 30/16h).
3.5 : Bei überschneidender Ausübung mehrerer selbständiger oder unselbständiger Tätigkeiten sind für den Erwerb eines Schwerarbeitsmonats im Sinn des § 4 SchwerarbeitsV nur jene Tätigkeiten zu berücksichtigen, die (für sich) besonders belastende Tätigkeiten gemäß § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV sind.
4.1 Nach den bisherigen Verfahrensergebnissen steht fest, dass die vom Kläger ausgeübte unselbständige Tätigkeit als Bäcker keine Schwerarbeit gemäß § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV begründet, weil der Kläger den erforderlichen Verbrauch an Arbeitskilokalorien nicht erreichte. Ebenso wenig liegt diesbezüglich Schwerarbeit gemäß § 4 Abs 1 Z 2 SchwerarbeitsV vor, weil die Voraussetzungen des Art VII Abs 2 Z 2 NSchG – wie bereits vom Erstgericht dargestellt –, nicht erfüllt sind.
4.2 Tatbestandsmerkmal des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV ist das Vorliegen unregelmäßiger Nachtarbeit. Die SchwerarbeitsV berücksichtigt nur Nachtarbeit im Wechsel zwischen Tag- und Nachtarbeit als besonders belastende Tätigkeit (RIS-Justiz RS0126106). Nachtdienste sind einheitlich als ein Arbeitstag zu werten und nicht im Hinblick auf den Datumswechsel als zwei Arbeitstage (RIS-Justiz RS0130646). Dass diese Voraussetzungen nach den Feststellungen im vorliegenden Fall durch die Tätigkeit des Klägers als Bäcker nicht erfüllt sind, hat bereits das Erstgericht zutreffend ausgeführt. Eine „Zusammensicht“ der bei Nacht ausgeübten Tätigkeit des Klägers als Bäcker und der während des Tages ausgeübten weiteren Nebentätigkeiten kommt aus den oben dargestellten Gründen nicht in Frage.
5. Ob die vom Kläger selbständig und unselbständig im Beobachtungszeitraum neben seinem Hauptberuf als Bäcker ausgeübten Tätigkeiten für sich genommen Schwerarbeit darstellen, wurde – ausgehend von dem vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsstandpunkt der Vorinstanzen – im Verfahren bisher noch nicht erörtert. Dem Kläger wird Gelegenheit zu geben sein, diesbezüglich entsprechendes Prozessvorbringen zu erstatten und Beweise anzubieten. Die Beklagte macht in ihrer Revision zutreffend geltend, dass diesbezüglich Feststellungen fehlen, aus denen sich abschließend beurteilen lässt, ob jede dieser Nebentätigkeiten für sich betrachtet Schwerarbeit darstellt. Dazu wird es insbesondere erforderlich sein, Feststellungen zu treffen, an wie vielen Tagen im Monat (und in welchen Monaten, insbesondere betreffend die nicht durchgehend ausgeübten Tätigkeiten des Klägers als Taxilenker) die Nebentätigkeiten ausgeübt wurden und – sofern der Kläger sich diesbezüglich allenfalls auf § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV stützen will – wie viele Arbeitskilokalorien der Kläger dabei tatsächlich verbraucht hat.
6. Es war daher der Revision Folge zu geben und die Rechtssache zur ergänzenden Erörterung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf den § 2 ASGG,§ 52 ZPO.
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:010OBS00089.18P.1219.000 |
Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.