VfGH vom 21.09.2009, b81/09

VfGH vom 21.09.2009, b81/09

Sammlungsnummer

18853

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen nicht rechtzeitiger Erledigung einer Rechnungslegung; Tätigkeit als Sachwalter - wenn auch nach Substitution - in Ausübung des Rechtsanwaltsberufes erfolgt

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der

Rechtsanwaltskammer Wien vom wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe

"die ihm als Sachwalter der S L mit Beschluss des BG Baden

vom ... binnen drei Wochen aufgetragene Rechnungslegung

nicht rechtzeitig, sondern erst mit Eingabe vom erledigt."

Der Beschwerdeführer wurde wegen des Vergehens der Berufspflichtenverletzung zur Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises gemäß § 16 Abs 1 Z 1 Disziplinarstatut 1990 und zur Tragung der Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt.

Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer von weiteren gegen ihn erhobenen Vorwürfen freigesprochen.

2. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission (im Folgenden: OBDK) vom keine Folge gegeben. Begründend wird unter anderem ausgeführt:

"Wenn der Berufungswerber vermeint, sich durch Substitution ungeachtet aufrechter Bestellung als Sachwalter jeglicher weiterer Verantwortung entledigt zu haben, ja sein diesbezügliches Verhalten als 'nicht in Ausübung des Berufes' ansieht, so lässt dies einen gravierenden Mangel im Verständnis der erforderlichen Sorgfalt bei der Besorgung fremder Angelegenheiten, somit anwaltlicher Berufspflichten erkennen. Diese Sorgfaltspflicht gilt in ganz besonderem Maße für den Sachwalter, hat er doch gemäß § 275 Abs 1 ABGB das Wohl des Pflegebefohlenen bestmöglich zu fördern. Schon die vom Gesetz intendierte besondere persönliche Vertrauenssstellung zwischen Sachwalter und Betroffenen lässt es äußerst fraglich erscheinen, ob die generelle Übertragung der sich aus der Sachwalterschaft ergebenden Pflichten an einen Substituten zulässig ist (vgl. zur sehr eingeschränkten Substitutionsmöglichkeit des Treuhänders 4 Ob 2112/96h). Dazu kommt, dass der Sachwalter gemäß § 275 Abs 2 ABGB in wichtigen, die Person des Pflegebefohlenen betreffenden Angelegenheiten, die Genehmigung des Gerichts einzuholen hat, ohne die - ausgenommen Gefahr in Verzug - getroffene Maßnahmen unzulässig und unwirksam sind. Dass der Wechsel in der Person des Sachwalters eine wichtige Angelegenheit ist, ist naheliegend und jedenfalls nicht allein der Beurteilung durch den Sachwalter zu überlassen. Dass im gegenständlichen Fall das Gericht (bewusst?) nicht verständigt wurde, ist unstrittig.

Gemäß § 1010 ABGB haftet der Gewalthaber ganz allein für den Erfolg, wenn er das Geschäft ohne Not einem Dritten aufträgt. Nur wenn die Bestellung eines Stellvertreters in der Vollmacht ausdrücklich gestattet, oder durch die Umstände unvermeidlich ist, haftet er nur für Auswahlverschulden. Korrespondierend dazu berechtigt § 14 RAO den Rechtsanwalt (nur) im Verhinderungsfall einen anderen Rechtsanwalt unter gesetzlicher Haftung zu substituieren. Andauernde Verhinderung ist dem Ausschuss der Rechtsanwaltskammer anzuzeigen. Auch der - hier wohl nicht einschlägige - § 31 Abs 2 ZPO sieht die Substitution nur für einzelne Akte oder Abschnitte des Verfahrens vor. Schließlich untersagt § 6 Abs 2 Z 2 KSchG dem Unternehmer - als solcher ist der Rechtsanwalt anzusehen (Feil/Wennig, Anwaltsrecht3 127) - soweit es nicht im einzelnen ausgehandelt ist, in Vertragsbestimmungen seine Pflichten oder den gesamten Vertrag mit schuldbefreiender Wirkung einem Dritten zu überbinden, der im Vertrag (erg.: mit dem Mandanten) nicht namentlich genannt ist.

Darauf, dass eine rechtsgeschäftlich relevante Einwilligung der Betroffenen oder zumindest die gerichtliche Genehmigung eingeholt wurde, beruft sich der Disziplinarbeschuldigte nicht. Zur gerichtlichen Genehmigung liegt eine gegenteilige Feststellung vor.

Diese Überlegungen, nach denen eine generelle Substitution durch den Sachwalter gegenüber Gericht und Betroffenen nicht wirksam wäre und der Disziplinarbeschuldigte für die beauftragte Rechtsanwältin gemäß § 1313a ABGB einzustehen hätte, sind jedoch nicht weiter zu vertiefen, weil der Disziplinarbeschuldigte - wovon der Disziplinarrat ausgegangen ist - spätestens nach Erhalt der gerichtlichen Aufforderung vom an seine Privatadresse jedenfalls davon ausgehen musste, dass Probleme bei der Erfüllung der Sachwalterpflichten im Fall L aufgetreten waren. Zu Recht wurde auch das Verbleiben der Pflegschaftsakten beim Disziplinarbeschuldigten nach Auflösung der Regiegemeinschaft mit Dr. S und Kanzleiwechsel sowie der Umstand, dass die Substitution dem Gericht gegenüber nicht offengelegt wurde, als klares Signal an den Disziplinarbeschuldigten gewertet, jedenfalls nun tätig zu werden.

Das im Widerspruch dazu stehende geradezu teilnahmslose Verhalten des Disziplinarbeschuldigten bis zu seiner Enthebung hat der Disziplinarrat zu Recht als Berufspflichtenverletzung qualifiziert. Auf die (vom Berufungswerber vermisste) Feststellung, wann seine Kanzlei (aufgrund einer 'allgemeinen Anweisung' des Disziplinarbeschuldigten) den auch an die Kanzleiadresse zugestellten Beschluss vom an die Substitutin weitergeleitet hat, kam es somit nicht an.

Die Ansicht des Berufungswerbers, die im Telefonat der Richterin mit seiner Kanzlei gesetzte 'letzte Frist von 10 Tagen' sei als Fristverlängerung zu werten, kann in Anbetracht der gravierenden Säumigkeit des Disziplinarbeschuldigten nicht Anspruch auf ernsthafte Auseinandersetzung erheben."

3. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis der OBDK richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, Freiheit der Erwerbsbetätigung und Art 4 Abs 2 EMRK (Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

4. Die OBDK legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Bedenken gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften werden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof auch aus Anlass dieses Beschwerdeverfahrens nicht entstanden.

Der Beschwerdeführer wurde daher durch den angefochtenen Bescheid nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.

2. Der Beschwerdeführer behauptet die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie Freiheit der Erwerbsbetätigung, weil die belangte Behörde zu Unrecht die Möglichkeit der generellen Substitution eines als Sachwalter bestellten Rechtsanwaltes gegenüber dem Gericht und dem Betroffenen verneint habe. Schließlich werde er in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art 4 Abs 2 EMRK (Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit) verletzt, weil die belangte Behörde annehme, dass der Beschwerdeführer trotz der erteilten Substitution tätig werden müsse.

3.1. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

Der belangten Behörde kann - aus verfassungsrechtlicher Sicht - nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer durch sein Verhalten eine Berufspflichtenverletzung begangen hat.

Der belangten Behörde sind dabei keinesfalls Willkür oder eine denkunmögliche Gesetzesanwendung vorzuwerfen, die Entscheidung wurde schlüssig und nachvollziehbar begründet. Ob sie insgesamt rechtsrichtig getroffen wurde, ist eine Frage, die der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen hat.

Der Beschwerdeführer wurde daher nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

3.2. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung wird nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes durch einen Bescheid verletzt, wenn dieser einem Staatsbürger den Antritt oder die Ausübung einer bestimmten Erwerbsbetätigung untersagt, ohne dass ein Gesetz die Behörde zu einem solchen die Erwerbstätigkeit einschränkenden Bescheid ermächtigt, oder wenn die Rechtsvorschrift, auf die sich der Bescheid stützt, verfassungswidrig oder gesetzwidrig ist, oder wenn die Behörde bei der Erlassung des Bescheides ein verfassungsmäßiges Gesetz oder eine gesetzmäßige Verordnung in denkunmöglicher Weise angewendet hat (zB VfSlg. 10.413/1985, 14.470/1997, 15.449/1999, 17.980/2006; vgl. auch VfSlg. 15.431/1999).

Ein solcher Vorwurf kann der belangten Behörde, wie bereits unter Punkt II.3.1. ausgeführt wurde, jedoch nicht gemacht werden. Der Beschwerdeführer wurde sohin auch nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung verletzt.

3.3. Von einer Verletzung des Beschwerdeführers durch den angefochtenen Bescheid in dem ihm durch Art 4 Abs 2 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht kann ebenfalls nicht die Rede sein. Wie bereits unter Punkt II.3.1. ausgeführt, kann der belangten Behörde - aus verfassungsrechtlicher Sicht - nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgeht, dass sich der Beschwerdeführer als bestellter Sachwalter nicht substituieren lassen kann.

4. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.

Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art 133 Z 4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).

5. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

6. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.