OGH vom 24.01.2006, 10ObS86/05b

OGH vom 24.01.2006, 10ObS86/05b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie durch die fachkundigen Laienrichter Mag. Helmut Brandl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Georg Eberl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. Christine P*****, vertreten durch Dr. Herwig Ernst, Rechtsanwalt in Korneuburg, gegen die beklagte Partei Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, 3100 St. Pölten, Dr. Karl Renner Promenade 14-16, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Wochengeld, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 44/05g-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 9 Cgs 53/04w-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihrer Revision selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin trat am in den Schuldienst ein und war zuletzt an einer Bundeshandelsakademie in Niederösterreich tätig. Seit befand sie sich als Pflegemutter des am geborenen Manuel James S***** in Karenzurlaub und bezog für dieses Kind von der beklagten Partei Kinderbetreuungsgeld. Anfang 2004 wurde die Adoption dieses Kindes durch die Klägerin und ihren Ehemann gerichtlich bewilligt. Am brachte die Klägerin ihren Sohn Moritz zur Welt.

Mit Bescheid vom lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin, ihr anlässlich des Versicherungsfalls der Mutterschaft ab Wochengeld zu gewähren, ab.

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihr anlässlich des Versicherungsfalls der Mutterschaft ab das Wochengeld im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Der in § 162 Abs 5 Z 3 ASVG geregelte Ausschluss vom Anspruch auf Wochengeld betreffe nicht den Fall, dass eine unselbständig erwerbstätige Mutter für ein in Pflege übernommenes und später adoptiertes Kind Kinderbetreuungsgeld beziehe und dann eines Kindes entbunden werde. Die beklagte Partei beantragte unter Berufung auf § 162 Abs 5 Z 3 ASVG die Abweisung des Klagebegehrens.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt beurteilte es rechtlich dahin, dass die Klägerin gemäß § 162 Abs 5 Z 3 ASVG vom Wochengeldbezug aus Anlass der Geburt ihres leiblichen Sohnes ausgeschlossen sei. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit ausführlicher Begründung. Der in § 162 ASVG mehrfach verwendete Begriff "Entbindung" sei ein Synonym für Geburt. Daraus ergebe sich, dass § 162 Abs 5 Z 3 ASVG eindeutig regle, dass Bezieherinnen von Kinderbetreuungsgeld nur dann neuerlich Anspruch auf Wochengeld haben, wenn sie bereits zuvor ein Kind geboren hatten und auf Grund dieser Entbindung Kinderbetreuungsgeld erhalten. Diese Regelung, die beim Bezug von neuerlichem Wochengeld früher erwerbstätige leibliche Mütter gegenüber früher erwerbstätigen Adoptivmüttern bevorzuge, verstoße - aus im Einzelnen dargelegten Gründen - nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht vorlägen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen in klagestattgebendem Sinn abzuändern.

Die beklagte Partei beantragt in der freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu § 162 Abs 5 Z 3 ASVG fehlt; sie ist aber nicht berechtigt.

Die Revisionswerberin macht zusammengefasst geltend, die aus den Materialien hervorgehende Absicht des Gesetzgebers sei darauf gerichtet gewesen, mit der Schaffung des § 162 Abs 5 Z 3 ASVG jene Bezieherinnen von Kinderbetreuungsgeld vom Anspruch auf Wochengeld auszuschließen, die zuvor mangels Erwerbstätigkeit keinen Wochengeldanspruch hatten. Der Gesetzgeber habe mit dieser Bestimmung nicht den Fall regeln wollen, dass eine unselbständig erwerbstätige Mutter für ein in Pflege genommenes und später adoptiertes Kind Kinderbetreuungsgeld beziehe und dann eines Kindes entbunden werde. Diese Regelungslücke sei dadurch zu schließen, dass die Ausnahme der Ausschlussbestimmung des § 162 Abs 5 Z 3 ASVG nicht nur auf den Tatbestand der (vorangegangenen) leiblichen Geburt, sondern auch auf den Tatbestand der (vorangegangenen) Adoption anzuwenden sei. Die genannte Bestimmung sei unsachlich. Mütter seien hinsichtlich des Wochengeldanspruchs bei vorangegangener unselbständiger Erwerbstätigkeit grundsätzlich gleich zu behandeln. Dies unabhängig davon, ob ein vorangegangenes Kind geboren oder adoptiert worden sei. Eine Differenzierung hinsichtlich des Wochengeldanspruchs bei der zweiten Geburt (beim zweiten Kind) sei sachlich nicht gerechtfertigt und widerspreche deshalb dem Gleichheitssatz.

Hiezu wurde erwogen:

BezieherInnen von Kinderbetreuungsgeld nach dem Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG), BGBl I 2001/103, sind in der Krankenversicherung nach dem ASVG teilversichert, wenn nach § 28 KBGG ein Krankenversicherungsträger nach dem ASVG zuständig ist (§ 8 Abs 1 Z 1 lit f ASVG idF Art 3 Z 1 BGBl I 2001/103). Dass die Klägerin auf Grund dieser Bestimmung bei der beklagten Partei seit krankenversichert war, ist unstreitig.

Teilversicherte nach der genannten Bestimmung sind vom Anspruch auf Wochengeld (§ 162 ASVG) ausgeschlossen, wenn sie nicht schon auf Grund der dem Kinderbetreuungsgeld-Bezug zu Grunde liegenden Entbindung Anspruch auf Wochengeld hatten (§ 162 Abs 5 Z 3 ASVG idF Art 3 Z 8 BGBl I 2001/103). Hiezu führen die Materialien aus:

"Frauen, die mangels Erwerbstätigkeit keinen Anspruch auf Wochengeld anlässlich einer vorangehenden Geburt hatten, sollen durch den bloßen KBG-Bezug nicht den Anspruch auf Wochengeld erwerben. Sie sind hievon ausgeschlossen. Es wird vorausgesetzt, dass in Fällen einer neuerlichen Schwangerschaft/Geburt schon anlässlich der vorangegangenen Anspruch auf Wochengeld bestand." (ErläutRV 620 BlgNR 21. GP zu den Art 3 bis 6).

Entgegen der Auffassung der Klägerin belegen diese Ausführungen der Regierungsvorlage nicht die von ihr behauptete Regelungslücke. Dass Frauen, die ein Kind in Pflege genommen oder adoptiert haben, für dieses Kind Kinderbetreuungsgeld beziehen und nach § 8 Abs 1 Z 1 lit f ASVG teilversichert sind, nicht erwähnt sind, erklärt sich damit, dass solche Frauen - selbst wenn sie bei Begründung der Pflegschaft oder der Bewilligung der Adoption erwerbstätig sind - schon deshalb keinen Anspruch auf Wochengeld für dieses Kind haben, weil weder Inpflegenahme noch Adoption eines Kindes, sondern nur Schwangerschaft und Entbindung den Versicherungsfall der Mutterschaft (§ 157 ASVG) begründen, bei dem Wochengeld gebührt. Der letzte Satz der wiedergegebenen Erläuterungen der Regierungsvorlage verdeutlicht die sich aus dem Wortlaut der Bestimmung des § 162 Abs 5 Z 3 ASVG ergebende Absicht des Gesetzgebers, dass die bloße Teilversicherung von Kindergeldbezieherinnen nach § 8 Abs 1 Z 1 lit f ASVG und eine Geburt während des Kindergeldbezugs grundsätzlich nicht zu einem Anspruch auf Wochengeld aus Anlass dieser Geburt führen soll. Da die Klägerin die Voraussetzungen der Ausnahme vom Ausschluss vom Anspruch auf Wochengeld nicht erfüllt und eine durch Analogie zu schließende Regelungslücke nicht vorliegt, besteht der geltend gemachte Anspruch nicht.

Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit der Regelung vermögen die Ausführungen der Revisionswerberin nicht zu erwecken. Das Wochengeld soll einen Ersatz für den im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Entbindung stehenden Verlust des Arbeitsverdienstes der Versicherten während der gesetzlichen Beschäftigungsverbote vor und nach der Geburt des Kindes (§§ 3 und 5 MSchG) darstellen. Der Gesetzgeber entschied sich dabei für das Durchschnittsprinzip, das vergangene Werte berücksichtigt, und nicht für das Ausfallsprinzip, das die in Zukunft voraussichtlich zu erwartende Entwicklung in Rechnung stellt. Er nimmt daher in Kauf, dass die Versicherte trotz des Wochengeldes einen Verdienstausfall erleiden kann (10 ObS 287/02g = SZ 2002/140). Das Wochengeld ist keine Versicherungsleistung für die Betreuung eines Kindes, wie sie Pflege- oder Adoptivmütter erbringen. Die Inpflegenahme oder Adoption eines Säuglings begründet, anders als Schwangerschaft/Geburt, kein gesetzliches absolutes Beschäftigungsverbot in gewissem zeitlichen Ausmaß, sodass Pflege- oder Adoptivmütter nicht von gesetzeswegen an der Erzielung von Arbeitseinkommen in jenem Zeitraum, in dem Schwangere/Gebärende nicht beschäftigt werden dürfen und trotz Wochengeldbezugs einen Einkommensverlust erleiden können, gehindert werden. Dieser Unterschied stellt nach Auffassung des Senats eine ausreichende sachliche Rechtfertigung der Ausnahmeregelung dar, sodass Bedenken, diese verstoße gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz, nicht bestehen.

Aus diesen Erwägungen war der Revision ein Erfolg nicht zu bescheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.