VfGH vom 11.03.2015, E819/2014
Leitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Abweisung der Beschwerde hinsichtlich des angefochtenen Bescheides über die Feststellung der Duldung; Möglichkeit einer Säumnisbeschwerde hinsichtlich des Antrags auf Ausstellung einer Karte für Geduldete
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
II. Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob der Beschwerdeführer durch das angefochtene Erkenntnis in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer – der vorbringt, Staatsangehöriger von Sierra Leone zu sein – reiste am in das Bundesgebiet ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Der diesen Antrag abweisende Bescheid des Bundesasylamtes, in dem auch die Ausweisung nach Sierra Leone ausgesprochen wurde, wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom bestätigt, wobei von einer ungeklärten Identität und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers ausgegangen wurde. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom abgelehnt.
2. Die mit Schreiben vom der Bundespolizeidirektion Wien übermittelte "Anregung" des Beschwerdeführers auf Duldung seines Aufenthalts wurde mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom abgewiesen. Dieser Bescheid wurde mit Bescheid der Landespolizeidirektion Wien vom mit der Begründung ersatzlos behoben, dass die Bundespolizeidirektion Wien in Verkennung der Beseitigung der Antragsmöglichkeit in Bezug auf die Ausstellung einer Karte für Geduldete durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011, BGBl I 38, zu Unrecht meritorisch über eine bloße Anregung des Beschwerdeführers entschieden habe.
3. Am stellte der Beschwerdeführer beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) einen "Antrag auf Feststellung der Duldungseigenschaft gem. § 46a FPG (Ausstellung einer Karte für Geduldete)". Der diesen Antrag zurückweisende Bescheid des BFA vom enthält den folgenden Spruch:
"Ihr Antrag [...] auf Feststellung der Unmöglichkeit der Abschiebung § 46a Abs 1a FPG wird [...] als unzulässig zurückgewiesen."
Begründend führt das BFA aus, dass ein Antragsrecht nicht bestehe und das BFA auch nicht von Amts wegen festgestellt habe, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers aus tatsächlichen Gründen nicht möglich sei. Weiters werde bezüglich des Ersuchens auf Ausstellung einer Karte für Geduldete gemäß § 46a Abs 2 Bundesgesetz über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG), BGBl I 100/2005 idF BGBl I 87/2012, "informativ mitgeteilt, dass diesem Ersuchen ebenso nicht entsprochen werden kann, da Sie nicht gemäß § 46a geduldet sind".
4. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom als unbegründet abgewiesen. Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht u.a. aus, dass eine amtswegige behördliche Feststellung, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers aus tatsächlichen, von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht möglich sei, vom BFA nicht getroffen worden sei. Da § 46a Abs 1a FPG idF BGBl I 87/2012 nach seinem eindeutigen Wortlaut und dem in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gebrachten klaren Willen des Gesetzgebers die Feststellung der Duldung ausschließlich von Amts wegen erlaube, sei ein diesbezüglicher Feststellungsantrag unzulässig.
5. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs 2 B VG) geltend gemacht wird. Begründend wird zusammengefasst ausgeführt, dass weder Nigeria noch Sierra Leone, die im Verfahren als mögliche Herkunftsstaaten des Beschwerdeführers angesehen worden seien, Einreisezertifikate für den Beschwerdeführer ausstellten. Das Bundesverwaltungsgericht verweigere zu Unrecht eine Sachentscheidung über die Feststellung der faktischen Unmöglichkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers und die Ausstellung einer Karte für Geduldete. Mit der Beseitigung der Antragsmöglichkeit hinsichtlich einer Karte für Geduldete durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011, BGBl I 38, sei § 46a Abs 2 FPG dahingehend geändert worden, dass der Behörde bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Duldung in Bezug auf die Ausstellung einer Karte für Geduldete keinerlei Ermessen zukomme. Trotz des Wortlauts des § 46a Abs 1a FPG habe der Beschwerdeführer ein Antragsrecht hinsichtlich der Feststellung der Duldung, da die Pflicht der Behörde zur amtswegigen Feststellung der Duldungsvoraussetzungen nicht nur im Interesse der Allgemeinheit, sondern insbesondere auch im Interesse des Beschwerdeführers liege.
6. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Gerichts- und Verwaltungsakten vor, sah jedoch von der Erstattung einer Äußerung ab. Das BFA erstattete ebenfalls keine Äußerung.
II. Rechtslage
§46a Bundesgesetz über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeige-setz 2005 – FPG), BGBl I 100/2005 idF BGBl I 87/2014, lautet:
"Duldung
§46a. (1) Der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet ist geduldet, solange deren Abschiebung gemäß
1. §§50 und 51 oder
2. §§8 Abs 3a und 9 Abs 2 AsylG 2005 unzulässig ist.
(1a) Darüber hinaus ist der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet geduldet, wenn das Bundesamt von Amts wegen feststellt, dass die Abschiebung des Betroffenen aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen nicht möglich ist, es sei denn, dass nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG 2005 eine Zuständigkeit des anderen Staates weiterhin besteht oder dieser die Zuständigkeit weiterhin oder neuerlich anerkennt. Diese Duldung kann vom Bundesamt mit Auflagen verbunden werden, sie endet jedenfalls mit Wegfall der Hinderungsgründe. Die festgesetzten Auflagen sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§63 Abs 2 AVG) mitzuteilen. § 56 gilt sinngemäß.
(1b) Vom Fremden zu vertretende Gründe liegen jedenfalls vor, wenn er
1. seine Identität verschleiert,
2. einen Ladungstermin zur Klärung seiner Identität oder zur Einholung eines Ersatzreisedokumentes nicht befolgt oder
3. an den zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes notwendigen Schritten nicht mitwirkt oder diese vereitelt.
(1c) Der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet ist ebenfalls geduldet, wenn das Bundesamt festgestellt hat, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung im Hinblick auf § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG vorübergehend unzulässig ist.
(2) Das Bundesamt hat Fremden, deren Aufenthalt im Bundesgebiet geduldet ist, eine Karte für Geduldete auszustellen. Die Karte dient dem Nachweis der Identität des Fremden im Verfahren vor dem Bundesamt und hat insbesondere die Bezeichnungen 'Republik Österreich' und 'Karte für Geduldete', weiters Namen, Geschlecht, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Lichtbild und Unterschrift des Geduldeten sowie die Bezeichnung der Behörde, Datum der Ausstellung und Namen des Genehmigenden zu enthalten. Die nähere Gestaltung der Karte legt der Bundesminister für Inneres durch Verordnung fest.
(3) Die Karte für Geduldete gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs 1 über Antrag des Fremden für jeweils ein weiteres Jahr verlängert. Die Gültigkeit der Karte für Geduldete gemäß Abs 1a endet mit dem Ende der Duldung. Die Karte ist zu entziehen, wenn
1. deren Gültigkeitsdauer abgelaufen ist;
2. eine Duldung im Sinne des Abs 1 nicht oder nicht mehr vorliegt;
3. das Lichtbild auf der Karte den Inhaber nicht mehr zweifelsfrei erkennen lässt oder
4. andere amtliche Eintragungen auf der Karte unlesbar geworden sind.
Der Fremde hat die Karte unverzüglich dem Bundesamt vorzulegen, wenn die Karte entzogen wurde oder Umstände vorliegen, die eine Entziehung rechtfertigen würden. Wurde die Karte entzogen oder ist diese vorzulegen, sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und das Bundesamt ermächtigt, die Karte abzunehmen. Von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes abgenommene Karten sind unverzüglich dem Bundesamt vorzulegen."
III. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist nicht begründet:
1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes verletzt, wenn das Verwaltungsgericht eine ihm gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (vgl. zB VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn es in gesetzwidriger Weise seine Zuständigkeit ablehnt, etwa indem es zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (vgl. zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).
Das Bundesverwaltungsgericht hat entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers die Zuständigkeit zur Entscheidung über seine Beschwerde nicht verweigert. Vielmehr hat es die Beschwerde insofern einer meritorischen Entscheidung zugeführt, als es diese gemäß § 46a Abs 1a FPG – sohin hinsichtlich des angefochtenen Bescheides über die Feststellung der Duldung – abgewiesen hat. Dass über den Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung einer Karte für Geduldete im angefochtenen Erkenntnis nicht abgesprochen wurde, begründet keine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter, hat doch das BFA im beim Bundesverwaltungsgericht angefochtenen Bescheid über diesen Antrag nicht entschieden (siehe ; , 2007/18/0327; , 2009/07/0071).
2. Das angefochtene Erkenntnis verletzt den Beschwerdeführer aber auch nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander.
2.1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg. cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
2.2. Mit Erkenntnis vom , G171/2014 ua. wurden Anträge des Bundesverwaltungsgerichtes auf Aufhebung der dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschrift des § 46a Abs 1a FPG, BGBl I 100/2005 idF BGBl I 87/2012, – unter Berufung auf sein Erkenntnis vom , G160-162/2014, wonach § 46a Abs 1a FPG idF BGBl I 38/2011 nicht verfassungswidrig war – abgewiesen.
2.3. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander nur verletzt worden sein, wenn das Bundesverwaltungsgericht dem Gesetz einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt oder Willkür geübt hätte. Dies ist jedoch nicht der Fall:
Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , G171/2014 ua., ausgesprochen hat, kommt einem Fremden ein Antragsrecht auf Ausstellung einer Karte für Geduldete iSv § 46a Abs 2 FPG zu. Im Zuge des Verfahrens über die Ausstellung dieser Karte hat die Behörde zu prüfen, ob der Sachverhalt einer Duldung iSv § 46a Abs 1a FPG eingetreten ist. Ist dies der Fall, hat die Behörde die Karte für Geduldete auszustellen, ist die Duldung hingegen nicht eingetreten, hat sie einen abweisenden Bescheid zu erlassen. In einem nachfolgenden Rechtsmittelverfahren hat das Bundesverwaltungsgericht auch zu überprüfen, ob die Behörde zu Recht davon ausgegangen ist, dass die Voraussetzungen für eine Duldung gemäß § 46a Abs 1a FPG nicht vorlagen. Die "Feststellung der Duldung" erweist sich bei diesem Gesetzesverständnis als Darlegung der Ergebnisse des diesbezüglichen Ermittlungsverfahrens im Rahmen der Tatsachenfeststellungen in der Bescheidbegründung der Behörde.
Bei diesem Verständnis des § 46a Abs 2 FPG gebietet es das Rechtsstaatsprinzip nicht, § 46a Abs 1a FPG so zu interpretieren, dass dem Fremden auch ein Antragsrecht auf Feststellung der Duldung zukommt, um einen Weg zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung sicherzustellen. Einen solchen sieht das Gesetz nämlich mit dem Antragsrecht auf Ausstellung einer Karte für Geduldete vor (zu § 46a FPG idF BGBl I 38/2011 siehe ua.).
Soweit über den Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung einer Karte für Geduldete noch nicht bescheidmäßig abgesprochen worden ist, besteht für ihn durch die Möglichkeit der Erhebung einer Säumnisbeschwerde (Art132 Abs 3 B VG) ausreichender Rechtsschutz.
Es ist daher dem Bundesverwaltungsgericht weder willkürliches Verhalten vorzuwerfen, noch unterstellt es den seinem Erkenntnis zugrunde liegenden Rechtsvorschriften einen verfassungswidrigen Inhalt, wenn es davon ausgeht, dass dem Beschwerdeführer ein solches Antragsrecht auf Feststellung der Duldung nicht zukommt.
IV. Ergebnis
1. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.
Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in anderen, von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.
Die Beschwerde ist daher abzuweisen und gemäß Art 144 Abs 3 B VG antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:VFGH:2015:E819.2014