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OGH vom 11.05.2005, 9Ob12/05p

OGH vom 11.05.2005, 9Ob12/05p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. B***** AG, und 2. A***** AG, *****, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei U***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Boesch, Dr. Peter Rustler und Dr. Clemens Vintschgau, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 16.666,70 sA, infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom , GZ 2 R 89/04d-19, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 35 Cg 141/03d-15, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Urteilsfällung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die beklagte Partei übernahm als Frachtführer unter anderem den Transport von Waren von N***** in Tirol zu Empfängern in Großbritannien bzw in Wien. Die erstgenannte Sendung geriet am Umschlagplatz der Beklagten in Großbritannien in Verlust. Aus der zweiten Sendung kam ein Paket am Umschlagplatz in Köln abhanden.

Nicht strittig sind der Warenwert sowie die Aktivlegitimation der Klägerinnen als Transportversicherer. Strittig ist, ob die Beklagte über den bereits geleisteten Schadenersatz nach Art 23 Z 3 CMR hinaus bis zum tatsächlichen Wert des verlorenen Frachtguts haftet.

Die Klägerinnen brachten dazu im Wesentlichen vor, es sei voller Schadenersatz zu leisten, da die Beklagte schweres Verschulden am Verlust treffe. Diese sei auch ihrer Verpflichtung zur Darlegung ihrer Organisation und der allgemeinen und im konkreten Fall gepflogenen Maßnahmen zur Vermeidung von Transportgutverlusten nicht nachgekommen. Sie bleibe auch jede Erklärung dafür schuldig, welche Such- und Nachforschungstätigkeiten nach Kenntnis des Schadens erfolgt seien, um die Sendung wieder aufzufinden bzw die Schadensursache festzustellen. Verjährung sei nicht eingetreten.

Die Beklagte wandte im Wesentlichen ein, die beiden Pakte seien aus ungeklärter Ursache in Verlust geraten. Angesichts des von ihr gehandhabten Versendungsablaufs sowie der eingerichteten Kontrollmaßnahmen liege grobes Verschulden am Abhandenkommen nicht vor. Zum Schutz der übergebenen Güter gegen Diebstahl seinen Zutrittskontrollen zu den Betriebsräumlichkeiten und Beförderungsmitteln eingerichtet; separate Sicherheitsbeauftragte führten stichprobenartige Kontrollen durch, bei sämtlichen Verladevorgängen sei immer ein Mitarbeiter der Beklagten anwesend. Sowohl die Umschlagplätze als auch die Firmengebäude seien durch spezielle Zutrittsrestriktionen und Videoüberwachung gesichert. Es herrsche überall Ausweistragepflicht, um so unberechtigten Personen den Zuritt zu den Gebäuden der Beklagten nicht zu ermöglichen. Laufend fänden Sicherheitskontrollen sowie personelle Kontrollrundgänge und stichprobenartige Personenkontrollen statt. Die Beklagte beschäftige nur Personen mit einwandfreiem Leumund. Trotz physischer Lagerkontrollen und weiterer Nachforschungen habe das in Köln in Verlust geratene Paket nicht mehr lokalisiert werden können. Ein Teil der Daten zum Transport nach Großbritannien sei bereits gelöscht worden. Es sei noch feststellbar gewesen, dass die Ware am Umschlagplatz angekommen und dort aus ungeklärter Ursache in Verlust geraten sei. Auch diese Sendung habe trotz intensiver Nachforschungen nicht mehr aufgefunden werden können. Mit diesen Aufklärungen sei die Beklagte ihrer prozessualen Mitwirkungs- und Darlegungspflicht im Detail nachgekommen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und traf unter anderem folgende Feststellungen:

Was die Sicherheitsvorkehrungen der Beklagten im Allgemeinen betrifft, so umfasst ihr Mindeststandard die Verpflichtung der Mitarbeiter, Ausweise mit sich zu tragen, schwerpunktmäßige Kontrollen, regelmäßige Audienz (Überprüfung der einzuhaltenden Regeln durch Stichproben) und die Maßnahme, dass jeder Mitarbeiter ein Leumundszeugnis beibringt. Die Beklagte arbeitet darüber hinaus mit Videoüberwachung und Schließanlagen, die man nur mit einer Karte mit der entsprechenden Berechtigung passieren kann. In jedem Land unterhält sie einen Securitybeauftragten. In Köln besteht eine Sicherheitsmannschaft von 11 oder 12 Mann. An diesem Umschlagplatz gehen die Sicherheitsvorkehrungen in einigen Punkten über den Mindeststandard hinaus. So führt etwa das Wachpersonal stichprobenartige Kontrollen der das gesicherte Areal verlassenden Personen durch. Es gibt Metalldetektoren. Die Mitarbeiter dürfen keine eigenen Taschen und keinen eigenen Schmuck in den Arbeitsbereich mitnehmen.

Im Fall des Verlustes einer Sendung werden die Scans des jeweiligen Paketes abgefragt. Verläuft diese Suche ergebnislos, wird in einem speziellen Lager, das sich zentral für Europa in Deutschland befindet, nachgeschaut. Das Ergebnis dieser Nachforschungen wird sodann rückgemeldet, sodass der Verlustfall mit dem Kunden abgewickelt werden kann. Hinsichtlich der Sendung vom konnte die Beklagte den letzten Scan des Paketes in Köln feststellen. Nicht festgestellt werden kann, aus welchem Grund und wie jenes Paket in Köln in Verlust geraten ist. Hinsichtlich der Sendung vom konnte die Beklagte aufgrund der Ausnahmescans, die noch vorhanden waren, eruieren, dass die Sendung in Großbritannien eingelangt war. Nicht festgestellt werden kann, aus welchem Grund und wie jene Sendung in Großbritannien verloren ging.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, mit ihren Ausführungen sei die Beklagte der sie treffenden Darlegungspflicht zu den im konkreten Fall gepflogenen Maßnahmen nicht ausreichend nachgekommen. Sie habe nichts dazu angeben können, aufgrund welcher Umstände und wie es zum Verlust der beiden Sendungen gekommen sei. Es hätten daher auch aufgrund der Ergebnisse des Beweisverfahrens keine präzisen Feststellungen hinsichtlich der im Konkreten von der Beklagten anlässlich der beide Verluste ergriffenen Nachforschungen an Ort und Stelle getroffen werden können. Letztlich hätten sich die von der Beklagten dargelegten, im konkreten Fall gepflogenen Maßnahmen in einer Wiedergabe der doch eher dürftigen Informationen aufgrund der im EDV-System der Beklagten vorhandenen Scans bzw Ausnahmescans erschöpft. Möge der festgestellte Sachverhalt angesichts der Fülle an logistischen und sicherheitstechnischen Vorkehrungen der Beklagten auch eher einen Grenzfall darstellen, läge nach Auffassung des Erstgerichts grobe Fahrlässigkeit iSd Art 29 Abs 1 CMR vor, da die Beklagte die von ihr nach Bekanntwerden der Verluste im Konkreten ergriffenen Nachforschungsmaßnahmen nicht ausreichend habe darlegen können. Die Klageforderung sei nicht verjährt, weil die Verjährungsfrist wegen der groben Fahrlässigkeit der Beklagten gemäß Art 32 Abs 1 CMR drei Jahre betrage.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne einer Klageabweisung ab und erklärte die Revision letztlich für zulässig. Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit müssten grundsätzlich vom Geschädigten behauptet und bewiesen werden. Nach herrschender Rechtsprechung treffe den Frachtführer jedoch eine Darlegungspflicht über die Organisation in seinem Unternehmen zur Sicherung des übernommenen Gutes und über die im konkreten Fall gepflogenen Maßnahmen. Komme der Frachtführer seiner Darlegungspflicht nach, habe er seiner Mitwirkungspflicht Genüge getan. Die Beweislast dafür, dass er durch die schwer mangelhafte Organisation grob fahrlässig gehandelt habe, verbleibe jedoch beim Geschädigten. Soweit der Beklagten vom Erstgericht unterlassene Maßnahmen angelastet würden, die sich auf den Zeitraum nach dem Abhandenkommen der Paketsendungen beziehen, fehle diesen Nachforschungsmaßnahmen jeder kausale Bezug zum eingetretenen Verlust der Güter. Die Darlegungs- bzw Aufklärungspflicht des Frachtführers beziehe sich auf die Organisation sowie auf die Maßnahmen zur Sicherung des übernommenen Gutes, die zur Vermeidung von Schäden gesetzt werden, nicht jedoch auf solche, die nach dem Schadenseintritt von Bedeutung sein könnten. Auch wenn die Beklagte nichts dazu angeben habe können, aufgrund welcher Umstände und wie es zum Verlust der beiden Sendungen gekommen ist, treffe die Nichtaufklärbarkeit den Anspruchsteller. Den Klägerinnen sei der Nachweis grob schuldhaften Verhaltens der Beklagten nicht gelungen. Es dürfe auch nicht übersehen werden, dass im modernen Massenverkehr und bei Massenabfertigung der Verlust einzelner Stücke nie gänzlich ausgeschlossen werden könne, und dass beispielsweise eine Kontrolle im Sinn einer neuerlichen Ent- und Beladung der einzelnen Stücke als ein bei der raschen Massenabfertigung wohl nicht zumutbarer kostenaufwändiger Vorgang anzusehen sei, der wohl nicht der Disposition in der für diese Waren allgemein üblichen Weise entspreche. Es habe lediglich festgestellt werden können, dass die in Verlust geratenen Güter in Köln bzw in Großbritannien eingelangt und sodann aus ungeklärt gebliebener Ursache in Verlust geraten seien. Mit diesen Feststellungen, die auf dem entsprechenden Vorbringen der Beklagten beruhten, sei letztere einerseits der ihr obliegenden Mitwirkungs- und Darlegungspflicht in ausreichendem Maß nachgekommen, andererseits seien angesichts der festgestellten Organisations- und Kontrollmaßnahmen keine gravierenden Mängel bzw habituellen Schwachstellen im Organisationssystem der Beklagten erkennbar. Die Klägerinnen hätten auch nicht behauptet, dass bei der Beklagten wiederholt Güter abhanden gekommen wären, was Schlussfolgerungen auf Fehler in ihrer Organisation zuließe.

Die Revision sei zulässig, weil einerseits der (zeitliche) Umfang der Aufklärungs- und Darlegungspflicht in der bisherigen Judikatur des Obersten Gerichtshofes nicht näher ausgeführt und andererseits in einer aktuellen Entscheidung eines anderen Senats des Berufungsgerichts das Fehlen von Vorbringen zur Verhinderung des Verlustes der Ladung und zu den ergriffenen organisatorischen Maßnahmen zur Wiederauffindung des Guts als beachtlich angesehen worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und in ihrem Aufhebungsantrag auch berechtigt.

Auch wenn die Revisionswerberinnen meinen, ihre Ausführungen seien (ausschließlich) dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung zuzuordnen, kommt es doch auf deren erkennbaren Inhalt an. Mit dem in erster Linie erhobenne Vorwurf, das Berufungsgericht habe die (prozessuale) Frage der Darlegungspflicht der Beklagten unrichtig beurteilt, wird inhaltlich der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens ausgeführt, auf den somit einzugehen ist.

Ganz zutreffend haben schon die Vorinstanzen darauf hingewiesen, dass eine Darlegungs- bzw Aufklärungspflicht - besser: Aufklärungslast oder Aufklärungsobliegenheit - des Frachtführers gegenüber dem Geschädigten in vergleichbaren Fällen in der Judikatur des Obersten Gerichtshofs anerkannt wurde. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass den Geschädigten zwar die Beweislast für jene tatsächlichen Umstände trifft, die ein grobes Verschulden (oder sogar Vorsatz) des Frachtführers oder seiner Leute (Art 29 Abs 2 CMR) begründen könnten, ihm jedoch die Sphäre des Frachtführers nicht zugänglich ist, in der sich die maßgeblichen Vorgänge ereignet haben. Auch wenn der Oberste Gerichtshof zur Frage der Darlegungs- bzw Aufklärungspflicht der nicht beweisbelasteten Partei überwiegend in frachtrechtlichen Fällen (vgl RIS-Justiz RS0062591) Stellung genommen hat, handelt es sich doch um ein allgemeines (prozessuales) Problem, worauf noch näher einzugehen sein wird.

In der ersten höchstgerichtlichen Entscheidung zu diesem Problemkreis (SZ 66/89 = 7 Ob 540/93) wurde unter Hinweis auf deutsche Judikatur und Lehre ausgesprochen, die besondere frachtrechtliche Situation könne dazu führen, dass der Versender (Geschädigte) mit dem Beweis von Umständen belastet wird, die in der Sphäre des Frachtführers liegen und die er ohne ausreichende Aufklärung durch den Frachtführer nicht kennen kann. In Deutschland werde daher die Auffassung vertreten, dass den Frachtführer in diesen Fällen eine Darlegungspflicht über die Organisation in seinem Unternehmen zur Sicherung des übernommenen Guts und über die im konkreten Fall gepflogenen Maßnahmen treffe. Der Grundsatz von Treu und Glauben gebiete die Anwendung dieser Darlegungspflicht auch im österreichischen Recht, wenn die Aufklärung dem Frachtführer möglich und zumutbar ist, was immer dann der Fall sei, wenn die aufzuklärenden Umstände aus seiner Sphäre stammen; der Nachweis solcher Tatsachen liege auch nur im Rahmen des dem Frachtführer obliegenden Beweises mangelnder leichter Fahrlässigkeit. Davon könne er auch nicht befreit sein, wenn sich der Geschädigte auf eine qualifizierte Schuldform berufe.

Diese Auffassung wurde in der Folgejudikatur bestätigt, wobei wiederholt auch bekräftigt wurde, dass Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit auch in diesen Fällen grundsätzlich vom Geschädigten behauptet und bewiesen werden müssten (6 Ob 2200/96i, 7 Ob 373/97p, 6 Ob 349/97k, 5 Ob 74/99i). In der letztgenannten Entscheidung wurde zudem darauf hingewiesen, dass diese Darlegungspflicht nicht nur für Umstände der Betriebsorganisation gilt, sondern auch für den lediglich dem Frachtführer einsehbaren Geschehnisablauf, soweit sich daraus Hinderungsgründe für die Einhaltung der Lieferfrist ergeben.

Detaillierter ging die Entscheidung 7 Ob 160/00f auf die Einordnung der Aufklärungspflicht des Frachtführers in das System von Behauptungs- und Beweislast ein. Im Hinblick auf die typische Beweisnot des Geschädigten treffe den Frachtführer nach Treu und Glauben eine Darlegungspflicht über die Organisation in seinem Unternehmen zur Sicherung des übernommenen Gutes und über die im konkreten Fall gepflogenen Maßnahmen. Ihm sei jedoch über die Konstruktion einer generellen Aufklärungspflicht nicht etwa die Beweislast dafür aufzulegen, dass ihn kein grobes Verschulden treffe. Sei ein Frachtführer seiner Aufklärungs- bzw Darlegungspflicht nachgekommen, habe er seiner Mitwirkungspflicht Genüge getan; die Beweislast, dass er etwa durch eine schwer mangelhafte Organisation grob fahrlässig gehandelt habe, verbleibe beim Geschädigten, dessen Auskunftsanspruch nämlich nicht so weit gehen dürfe, dass er faktisch eine Entlastungspflicht des Frachtführers und damit eine Beweislastumkehr schaffe, die sich nach Art 41 Abs 2 CMR verbiete. Die Beweislast des geschädigten Anspruchstellers für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit des Frachtführers werde somit durch dessen Aufklärungs- bzw Darlegungspflicht nicht verändert. Lasse sich die Schadensursache letztlich nicht aufklären, treffe das non liquet den Anspruchsteller. Die Verpflichtung des Frachtführers, für eine unaufgeklärte Schadensursache einzustehen, beziehe sich nur auf die Haftung für leichtes Verschulden. Bei Misslingen eines Entlastungsbeweises habe der Frachtführer zwar zu haften, aber nur in dem nach Art 17 ff CMR beschränkten Umfang. Daran ändere die Pflicht des Frachtführers, zur Aufklärung der Ursachen, des in seinem Bereich eingetretenen oder entstandenen Schadens im zumutbaren Rahmen beizutragen, nichts. Nur wenn er diese Obliegenheit nicht erfülle, könne daraus unter Umständen auf ein qualifiziertes Verschulden geschlossen werden. Der Frachtführer müsse deshalb bei unbekannter Schadensursache bei der Aufklärung mitwirken und habe insbesondere darzulegen, welche organisatorischen Vorkehrungen er zur Vermeidung solche Schäden unternommen hat.

Noch ausführlicher setzte sich der Oberste Gerichtshof in SZ 74/191 (= 6 Ob 267/01k) mit der Darlegungspflicht des Frachtführers und den Rechtsfolgen ihrer Verletzung auseinander: Nach der bisherigen oberstgerichtlichen Judikatur treffe den Geschädigten grundsätzlich die Beweislast für das grobe Verschulden. Die Bejahung einer Darlegungspflicht des Frachtführers über die Organisation seines Unternehmens bedeute keineswegs eine Umkehr dieser Beweislast, sie verhindere nur, dass der im Regelfall über die Organisation des Frachtführers nicht informierte Auftraggeber in einen nicht behebbaren Beweisnotstand gerät, obwohl feststeht, dass die Fracht in der Sphäre des Frachtführers verloren ging. Komme der Frachtführer seiner prozessualen Mitwirkungspflicht nach, bleibe es Sache des Geschädigten, nachzuweisen, dass ein schuldhafter Organisationsfehler oder ein konkreter Fehler beim Transport den Schaden verursacht hat. Die Darlegungspflicht hänge nicht vom materiellen Verschuldensbegriff, sondern von den allgemeinen Verfahrensgrundsätzen ab. Die Parteien treffe im Zivilprozess die Wahrheitspflicht sowohl bei der Parteiaussage (§ 377 ZPO) als auch beim Parteivorbringen. Sie müssten den relevanten Sachverhalt wahrheitsgemäß, vollständig und bestimmt angeben (§ 178 ZPO). Die Parteien hätten also prozessuale Handlungspflichten, die sich nicht zuletzt aus dem aus mehreren prozessualen Bestimmungen ableitbaren Grundsatz von Treu und Glauben ergeben. Die Darlegungspflicht des Frachtführers sei nach diesem Grundsatz eine prozessuale Mitwirkungspflicht zur Erforschung der Wahrheit. Dieses Ergebnis entspreche der überwiegenden deutschen Lehre und der Rechtsprechung des BGH, nach der der Frachtführer das Informationsdefizit des Anspruchstellers durch detaillierten Sachvortrag zum Ablauf des Betriebes und zu den ergriffenen Sicherungsmaßnahmen auszugleichen habe, was keine Umkehr der materiellen Beweislast darstelle; die prozessuale Obliegenheit zur substantiellen Darstellung der Geschehensabläufe in der Organisation des Frachtführers bestehe aber nur dann, wenn Anhaltspunkte für ein Organisationsverschulden bestünden und sich der klägerische Sachvortrag darauf berufe. Eine Verletzung der Darlegungsobliegenheit führe nach der in Deutschland vertretenen Auffassung zum Schluss, dass ein qualifiziertes Verschulden des Frachtführers vorliege, wobei dieser Schluss als Akt der Beweiswürdigung beurteilt werde; diese Ansicht habe auch das Schweizerische Bundesgericht vertreten. Wenn in der Entscheidung 5 Ob 74/99i die Verletzung der Darlegungspflicht unter dem Gesichtspunkt der rechtlichen Beurteilung (einer Rechtsfrage des Verfahrensrechts) behandelt worden sei, sei dies jedenfalls dann zutreffend, wenn mangels Darlegung keinerlei Feststellungen über einen konkreten Sachverhalt (über die Organisation des Frachtführers und den Geschehensablauf) getroffen werden konnten (also keine Negativfeststellung dazu vorliegt) und das Obsiegen von der prozessualen Behauptungslast (Darlegungslast), die der Beweislast vorgelagert sei, abhänge. Ein (nicht revisibler) Akt der Beweiswürdigung liege dann vor, wenn die Vorinstanzen ausdrücklich ein qualifiziertes Verschulden festgestellt haben - etwa dass die Beklagte keinerlei Kontrollorganisation eingerichtet habe - und diese Feststellung mit der fehlenden Darlegung der Organisation durch den Frachtführer begründet haben.

Das vorliegende Verfahren bietet nun Anlass, sich mit weiteren Detailfragen der Darlegungs- bzw Aufklärungslast der nicht beweisbelasteten Partei auseinanderzusetzen, wie insbesondere Fragen zur Behauptungslast, dem Umfang der von der betreffenden Partei zu leistenden Aufklärung und den (prozessualen) Folgen einer Verletzung diese Obliegenheit.

Wie bereits in SZ 74/191 dargelegt wurde, handelt es sich bei der Obliegenheit der nicht beweisbelasteten Partei, über dem Prozessgegner unbekannte Vorgänge in ihrer Sphäre Auskunft zu geben, um eine aus allgemeinen Bestimmungen der ZPO abgeleitete prozessuale Mitwirkungspflicht zur Erforschung der Wahrheit. In diesem Zusammenhang wurde besonders auf die gesetzlich normierte Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht (§§ 178, 377 ZPO) hingewiesen. Darüber hinaus kennt die ZPO eine Reihe weiterer prozessualer Mitwirkungspflichten der Parteien, wie etwa die von der Beweislastsituation unabhängige Verpflichtung, dem Gericht in ihren Händen befindliche und für die Beweisführung des Verfahrensgegners erhebliche Urkunden, Auskunftssachen und Augenscheinsgegenstände vorzulegen (§§ 303 ff, 318, 369 ZPO), zu denen durch die ZVN 2002 eine - nach dem Wortlaut des § 359 Abs 2 ZPO von der Beweislast unabhängige - Mitwirkungspflicht beim Sachverständigenbeweis gekommen ist.

Zum Unterschied zur deutschen ZPO enthält das österreichische Recht aber auch eine ausdrückliche Bestimmung über eine allgemeine Aufklärungspflicht der Parteien mit dem erklärten Ziel einer möglichst umfassenden und wahrheitsgemäßen Sachverhaltsfeststellung. Nach § 184 Abs 1 ZPO kann nämlich jede Partei zur Aufklärung des Sachverhalts über alle den Gegenstand des Rechtsstreites oder der mündlichen Verhandlung betreffenden, für die Prozessführung erheblichen Umstände an die anwesende Gegenpartei Fragen stellen (lassen). Diese Anordnung hätte keinen Sinn, wenn es der befragten Partei frei stünde, auf derartige Fragen nicht, unvollständig oder unrichtig zu antworten, ohne prozessuale Nachteile befürchten zu müssen. Es muss vielmehr davon ausgegangen werden, dass grundsätzlich eine Obliegenheit zur Offenlegung prozessrelevanter, dem Gegner sonst nicht zugänglicher, Umstände besteht, deren Verletzung der betreffenden Partei nachteilige Folgen bringen kann (so schon Klicka, Aufklärungspflichten der Prozessparteien im österreichischen Zivilprozess, JBl 1992, 235; ausführlicher Bienert-Nießl, Materiellrechtliche Aufklärungspflichten im Zivilprozess, 339 ff).

Wenn nun § 184 Abs 1 ZPO von der Aufklärung des Sachverhalts über alle den „Gegenstand des Rechtsstreites .... betreffenden", für die Prozessführung erheblichen Umstände spricht, so wird damit zugleich klargestellt, dass eine Umkehr der Behauptungslast insoweit nicht eintritt, sondern sich jede Partei bei der Ausübung ihres Fragerechts an den durch das Prozessvorbringen und die Prozessanträge abgesteckten Rahmen zu halten hat. Dem entspricht auch die bisherige Rechtsprechung zur Darlegungslast des Frachtführers, in der stets betont wurde, dass Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit auch hier grundsätzlich vom Geschädigten behauptet und bewiesen werden müssen. In SZ 74/191 wurde auch darauf hingewiesen, dass nach der deutschen Judikatur die prozessuale Obliegenheit zur substantiellen Darlegung der Geschehensabläufe nur dann bestehe, wenn Anhaltspunkte für ein Organisationsverschulden bestünden und sich der klägerische Sachvortrag darauf berufe. Fragen nach § 184 Abs 1 ZPO sollen somit auch nicht erst jegliche Substantiierung des Tatsachenvorbringens der beweisbelasteten Partei ermöglichen, sondern setzen vielmehr voraus, dass entsprechende Tatsachenbehauptungen bereits aufgestellt wurden (Rechberger in Fasching2 III vor § 266 ZPO Rz 4 mwN). Es liegt allerdings in der Natur der Sache, dass vor der Aufklärung durch den Prozessgegner eine vollständige und detaillierte Substantiierung nicht verlangt werden kann, sodass es idR genügt, den (allenfalls nur mit ausreichendem Grund vermuteten) Sachverhalt in einer solchen Weise zu behaupten, dass kein unschlüssiges Vorbringen vorliegt und eine ausreichende Basis für darauf aufbauende Fragen an den Gegner gegeben ist (vgl dazu auch Klicka aaO 234 f). Sobald der Sachverhalt zumindest in Grundzügen geklärt ist, werden - je nach Lage des Falls - konkretere Prozessbehauptungen zu fordern sein (vgl dazu Stürner, ZZP 98 [1985] 251; ZZP 184 [1991] 210).

Dabei kommt es durchaus in Betracht, dass die beweisbelastete Partei mehrere denkbare Alternativen behauptet, die jeweils eine geeignete Grundlage für die angestrebte Rechtsfolge bilden. In einem Fall wie dem vorliegenden könnte der Geschädigte etwa vorbringen, das Abhandenkommen sei auf einen Diebstahl zurückzuführen, der entweder von einem der Leute des Frachtführers begangen oder dadurch ermöglicht worden sei, dass die damit betrauten Mitarbeiter die ihnen übertragenen Überwachungspflichten grob fahrlässig verletzt hätten. Daran könnte sich die Frage an den Frachtführer knüpfen, auf Grund welcher Umstände welcher andere Geschehnisablauf mit ausreichender Wahrscheinlichkeit sonst in Betracht kommen könnte und welche Beweismittel dafür zur Verfügung stehen.

Erblickt man nun in § 184 ZPO jene Vorschrift, die als maßgebliche Grundlage für die vom Obersten Gerichtshof bereits seit langem anerkannte Darlegungspflicht des Frachtführers über Umstände in seiner Sphäre - bzw allgemeiner: die Aufklärungsobliegenheit der nicht beweisbelasteten Partei über dem Gegner nicht zugängliche Tatsachen- und Beweislast - heranzuziehen ist, so ist festzuhalten, dass eine Verletzung dieser Aufklärungspflicht jedenfalls insoweit nicht vorliegen kann, als der (beweispflichtige) Prozessgegner Fragen, die diese Aufklärungspflicht idR erst auslösen, nicht gestellt und auch nicht auf andere Weise erkennbar Aufklärung verlangt hat. Ob eine Partei durch ihre Antwort auf eine gemäß § 184 Abs 1 ZPO gestellte Frage ihrer Aufklärungspflicht nachgekommen ist, ist von der jeweiligen Konstellation abhängig und kann allgemein nicht beantwortet werden; maßgeblich sind ihre (objektiven und subjektiven) Erkenntnismöglichkeiten. Behauptet der Befragte, von bestimmten Umständen selbst keine Kenntnis zu haben, wird ihm im Regelfall zuzumuten sein, sich diese Kenntnis durch Befragung der mit der Angelegenheit betrauten Mitarbeiter bzw durch Heranziehung sonstiger Erkenntnisquellen (zB Einsicht in Unterlagen) zu verschaffen, was eine Partei unter den gegebenen Umständen tun muss, um ihre Aufklärungspflicht zu erfüllen, ist eine Frage des Verfahrensrechts - ebenso wie etwa die Beurteilung, aus welchen („genügenden") Gründen eine Partei im Rahmen des § 381 ZPO die Beantwortung von Fragen ablehnen darf; eine Fehlbeurteilung stellt somit eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens dar.

Geht man nun davon aus, dass die Aufklärungspflicht des Prozessgegners stets ein - je nach den Umständen allgemeineres oder konkreteres - Prozessvorbringen der behauptungs- und beweisbelasteten Partei voraussetzt und das Fragerecht nach § 184 ZPO der Sachverhaltsaufklärung dienen soll, kann sich eine Verletzung der prozessualen Aufklärungspflicht auch nur im Rahmen der Sachverhaltsfeststellung auswirken. Ein anderes Ergebnis wäre nur über eine Umkehr der Behauptungs- und Beweislast zu erreichen, die allerdings von der bisherigen Judikatur und der überwiegenden Lehre abgelehnt wird. § 272 Abs 1 ZPO trägt dem Gericht auf, unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse der gesamten Verhandlung und Beweisführung nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine tatsächliche Angabe für wahr zu halten sei oder nicht. Ebenso wie das Nichterscheinen zur Parteienvernehmung oder die Weigerung, auf bestimmte Frage zu antworten (§ 381 ZPO), das Unterlassen einer Mitwirkung am Sachverständigenbeweis (§ 359 ZPO) oder die sonstige Verletzung der Wahrheits-, Vollständigkeits- oder Prozessförderungspflicht kann auch die Verletzung der prozessualen Aufklärungspflicht Anlass für den Tatrichter sein, bestimmte Prozessbehauptungen des Gegners für wahr zu halten (ausführlich dazu Bienert-Nießl, aaO 367 ff mwN sowie 342 ff; s auch Fasching in Fasching2 II/1 Einl Rz 18; auch Rechberger, aaO, sieht die freie Würdigung des Parteiverhaltens durch den Richter als einzige im Gesetz vorgesehene Sanktion für die Verletzung von Mitwirkungspflichten an, bezeichnet dies allerdings als problematisch, weil oft unzureichend). Das Gericht kann dabei - im Rahmen des Vorbringens der beweispflichtigen Partei - auch zu Alternativfeststellungen gelangen. Führen alle Alternativen rechtlich zu dem von der betreffenden Partei angestrebten Ergebnis, ist in ihrem Sinne zu entscheiden, andernfalls im Sinne des gegnerischen Sachantrags. Letzteres gilt auch, wenn eine Negativfeststellung getroffen wird; dann ist der beweisbelasteten Partei der Beweis eben nicht gelungen.

Abweichend von der hier dargelegten Rechtslage ist das Erstgericht offenbar davon ausgegangen, eine (von ihm angenommene) Verletzung der Aufklärungspflicht wäre nicht im Rahmen der Beweis- und Verhandlungswürdigung bei der Sachverhaltsfeststellung zu berücksichtigen, sondern könnte unabhängig davon und ungeachtet einer Negativfeststellung zum maßgeblichen Sachverhalt zu einem Prozesserfolg des Geschädigten führen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann die Frage der Erfüllung oder der Verletzung der gebotenen Aufklärung durch die beklagte Partei aber schon deshalb nicht abschließend beantwortet werden, weil das Erstgericht mit den Klägerinnen - ausgehend von seiner abweichenden Rechtsansicht - die Notwendigkeit, entsprechende Fragen nach § 184 Abs 1 ZPO an die Beklagte zu richten, um deren Aufklärungspflicht auszulösen, nicht erörtert hat. Nachdem diese Problematik auch in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bisher noch nicht im Detail, insbesondere in der praktischen Handhabung, aufgearbeitet wurde, ist eine Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen unerlässlich, um den Streitteilen die Möglichkeit zu geben, sich auf die erstmals im Einzelnen dargestellte (verfahrens)rechtliche Situation einzustellen. Dabei wird es insbesondere den Klägerinnen zu ermöglichen sein, konkretere Behauptungen zu den (möglichen) Ursachen des Abhandenkommens der Ware aufzustellen und Fragen an die Beklagte zur Aufklärung des ihr nicht zugänglichen Geschehnisablaufs sowie zu allenfalls vorhandenen Beweismitteln zu stellen.

Nicht weiter einzugehen ist hingegen auf die in der Revision angestellten Erwägungen zu einer Verletzung materiellrechtlicher Aufklärungspflichten. Selbst wenn man solche Pflichten annehmen wollte, wäre dies rechtlich ohne Bedeutung, weil deren Verletzung mit den geltend gemachten Schäden in keinem Kausalzusammenhang stünde. Der Schaden (Verlust) wäre auch entstanden, wenn nachträglich über dessen Ursache aufgeklärt worden wäre.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.