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OGH vom 20.03.2015, 9Ob11/15f

OGH vom 20.03.2015, 9Ob11/15f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj G***** A***** H*****, geboren am ***** 2008, *****, vertreten durch das Land Niederösterreich als Kinder- und Jugendhilfeträger *****, wegen Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter J***** H*****, vertreten durch Dr. Markus Tesar, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom , GZ 16 R 420/14z 70, womit der Rekurs der Mutter gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Baden vom , GZ 2 Ps 98/13w 65, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Mit Beschluss des Erstgerichts vom wurde der Mutter die Obsorge über ihren mj Sohn G***** A***** entzogen und dem Kinder- und Jugendhilfeträger über dessen Antrag vorläufig übertragen. Eine endgültige Obsorgeentscheidung steht aus. Der Minderjährige befindet sich seit Mai 2014 in der ***** Wohngemeinschaft *****.

Mit dem in den Punkten 2. und 3. angefochtenen Beschluss trug das Erstgericht der Mutter zum einen auf, mit der Kinder- und Jugendabteilung des Landesklinikums M***** Kontakt aufzunehmen und einen stationären Aufenthalt für sich und ihren mj Sohn G***** A***** zur Interaktionsbeobachtung zu vereinbaren (2.) sowie dem Gericht binnen vier Wochen über den vereinbarten Termin zu berichten und zum anderen einen Kostenvorschuss von 3.000 EUR zu erlegen (3.).

Das Rekursgericht wies den von der Mutter gegen die Punkte 2. und 3. dieses Beschlusses gerichteten Rekurs zurück. Beim angefochtenen Beschluss handle es sich um einen nicht selbständig anfechtbaren verfahrensleitenden Beschluss im Sinne des § 45 Satz 2 AußStrG, mit dem der Mutter Mitwirkungspflichten im Rahmen der Stoffsammlung auferlegt würden. Den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte das Rekursgericht für nicht zulässig.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter mit dem Antrag, den erstgerichtlichen Beschluss dahin abzuändern, dass die Interaktionsbeobachtung und Interaktionsanalyse durch einen Sachverständigen vor Ort am Wohnort der Mutter durchzuführen sei und als Sachverständiger Univ. Prof. ***** bestellt werden möge. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Alle Beschlüsse, die im Rahmen des Rekursverfahrens ergehen, auch solche auf Zurückweisung eines Rekurses durch das Rekursgericht aus formalen Gründen, sind unter den Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG anfechtbar (RIS-Justiz RS0120565; RS0120974). Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG vermag der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter jedoch nicht darzustellen, weshalb er nicht zulässig ist.

Beschlüsse des Gerichts erster Instanz können gemäß § 45 Satz 1 AußStrG mit Rekurs an das Gericht zweiter Instanz angefochten werden. Gemäß § 45 Satz 2 AußStrG sind aber verfahrensleitende Beschlüsse, soweit nicht ihre selbständige Anfechtung angeordnet ist, nur mit dem Rekurs gegen die Entscheidung über die (Haupt-)Sache anfechtbar. Vom Vorliegen der gesetzlichen Anordnung selbständiger Anfechtung ist hier nicht auszugehen. Die Rechtsprechung zählt zu den verfahrensleitenden Beschlüssen im Rahmen eines Beweisverfahrens getroffene Erledigungen (Beschlüsse, Aufträge und Verfügungen), die der Stoffsammlung dienen und deren Ziel es ist, die Sachverhaltsgrundlage für die gerichtliche Sachentscheidung zu klären oder zu verbreitern (RIS-Justiz RS0120910). Dementsprechend ist etwa ein Beschluss, mit dem ein Sachverständiger bestellt oder abberufen wird, als verfahrensleitender Beschluss anzusehen (RIS-Justiz RS0120052). Die Bestellung des Sachverständigen kann nämlich nicht als meritorische Entscheidung im Zusammenhang mit einer möglichen Entziehung oder Einschränkung der Obsorge beurteilt werden (4 Ob 194/14d).

Außer den Entscheidungen, die der Stoffsammlung dienen, zählen auch sonstige den Verfahrensablauf betreffende Verfügungen zu den verfahrensleitenden Beschlüssen. Damit dienen verfahrensleitende Beschlüsse der zweckmäßigen Gestaltung des Verfahrens, insbesondere des Beweisverfahrens, und haben kein vom Verfahren losgelöstes Eigenleben; das Gericht ist jederzeit in der Lage, sie abzuändern und einer geänderten Situation anzupassen (8 Ob 61/14z mwN; 10 Ob 47/14f).

Auch die Behauptung, durch den Inhalt der einer Partei auferlegten Mitwirkungspflichten würde in ihre Persönlichkeitsrechte eingegriffen werden, nimmt dem entsprechenden Beschluss nicht den Charakter eines verfahrensleitenden Beschlusses (vgl 5 Ob 181/09t; 2 Ob 97/14z; 4 Ob 194/14d; 3 Ob 187/14t; RIS-Justiz RS0120052 [T1]; Kodek in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 45 Rz 15). So wurde etwa der gerichtliche Auftrag an die Mutter, das Kind einer Entwicklungsdiagnostik zuzuführen, als verfahrensleitender und damit nicht abgesondert anfechtbarer Beschluss angesehen (2 Ob 97/14z).

Der Grund, warum bei verfahrensleitenden Beschlüssen von einer gesonderten Anfechtbarkeit abgesehen wird, wird vor allem darin gesehen, dass solche Erledigungen nicht unmittelbar in die Rechtssphäre der Parteien eingreifen. Die Anfechtbarkeit einer gerichtlichen Entscheidung ist vor allem nach dem Gesichtspunkt der Beeinträchtigung rechtlicher Interessen zu beurteilen. Ist die Rechtsstellung der Parteien unmittelbar beeinträchtigt, so liegt im Allgemeinen nicht lediglich ein verfahrensleitender Beschluss vor (8 Ob 61/14z; 10 Ob 47/14f; RIS-Justiz RS0006327).

Anders als etwa im Falle der Anordnung einer Besuchsbegleitung nach § 111 AußStrG bzw § 185c AußStrG aF (10 Ob 61/03y), der Bestellung eines Kollisionskurators (2 Ob 73/11s), eines Kinderbeistands nach § 104a Abs 1 AußStrG (1 Ob 78/12s) oder eines Besuchsmittlers nach § 106b AußStrG (8 Ob 61/14z; 10 Ob 47/14f) wird hier durch die der Mutter im Rahmen der Stoffsammlung aufgrund des von ihr gestellten Antrags auferlegte Mitwirkung deren Rechtsstellung (als derzeit nicht obsorgeberechtigte Mutter) nicht beeinträchtigt. Die im Revisionsrekurs dazu vorgetragenen Argumente, die Mutter sei durch den angefochtenen Beschluss formell und materiell beschwert, rechtlich geschützte Interessen der Mutter, ihres Ehegatten und ihrer vier Kinder seien dadurch beeinträchtigt, weil mit der bekämpften Anordnung in ihre Lebensgestaltung und Lebensführung eingegriffen werde, betreffen nicht ihre Rechtsstellung (im Verfahren) als nicht obsorgeberechtigte Mutter des mj Sohnes G***** A*****. Erst die Obsorgeentscheidung auf Basis von Sachverständigen-gutachten, die bei Nichtwirkung der Mutter auf andere Befundgrundlagen zurückgreifen müssen, kann nach Lage des Falls zu einem anfechtbaren Ergebnis führen (vgl 6 Ob 277/00d; RIS-Justiz RS0122156). Dass die Methodenwahl der Beweisaufnahme, wozu auch die Auswahl des geeignetsten Orts der Befundaufnahme unter zwingender Beachtung des Kindeswohls gehört, grundsätzlich zum Kern der Sachverständigentätigkeit zählt, bedarf keiner besonderen Erörterung (RIS-Justiz RS0119439).

Mangels einer Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG ist der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter daher zurückzuweisen (§ 71 Abs 3 Satz 4 AußStrG).

Der als Kostenentscheidung im Sinne des § 62 Abs 2 Z 1 AußStrG zu qualifizierende gerichtliche Auftrag zum Erlag eines Kostenvorschusses ist in dritter Instanz unanfechtbar (1 Ob 172/13w; RIS-Justiz RS0044179).

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2015:0090OB00011.15F.0320.000