VfGH vom 26.11.2015, E623/2014
Leitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht durch eine Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten betreffend die Abänderung eines Regulierungsplanes einer Agrargemeinschaft wegen Zweifel an der Unabhängigkeit eines dem Gericht angehörenden fachkundigen Laienrichters
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis in seinem durch Art 6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Das Land Kärnten ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.580,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1.1. Mit Bescheid des Amtes der Kärntner Landesregierung als Agrarbehörde erster Instanz, Dienststelle Villach, vom wurde unter Spruchpunkt I. der Plan über die Regulierung des Gemeinschaftsbesitzes Agrargemeinschaft Nachbarschaft Tauernberg und Roßbachalpe EZ 127, KG 73518 Zlapp und Hof, betreffend die Verwaltung der Agrargemeinschaft von Amts wegen abgeändert und § 8 Abs 1 erster Satz der Satzung durch nachstehende Bestimmung ersetzt:
"Haben sich für einen Beschluss der Vollversammlung weniger als 80 von Hundert der bei der Vollversammlung anwesenden Anteile ausgesprochen, so hat jeder Inhaber eines Anteiles, der gegen den Beschluss gestimmt hat, das Recht, binnen 8 Tagen eine Beschwerde an die Agrarbehörde zu richten."
Unter Spruchpunkt II. wurde einer allenfalls gegen diesen Bescheid eingebrachten Berufung die aufschiebende Wirkung aberkannt.
1.2. Mit Erkenntnis vom wies das Landesverwaltungsgericht Kärnten die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet ab.
1.3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die auf Art 144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
2. Die belangte Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht und das Landesverwaltungsgericht Kärnten haben die Verwaltungs- bzw. Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift bzw. Äußerung Abstand genommen.
3. Der Beschwerdeführer hat dem Verfassungsgerichtshof einen weiteren Schriftsatz samt Beilagenkonvolut übermittelt.
II. Rechtslage
Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
1. § 97a Kärntner Flurverfassung-Landesgesetz 1979 – K-FLG, LGBl 64 idF LGBl 85/2013, lautet:
"§97a
Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht
(1) In den Angelegenheiten dieses Landesgesetzes entscheidet das Landesverwaltungsgericht durch einen nach § 11 Abs 3 des Kärntner Landesverwaltungsgerichtsgesetzes, LGBl Nr 55/2013, zu bildenden Senat.
(2) An der Senatsentscheidung haben zwei auf dem Gebiet der Land- oder Forstwirtschaft fachkundige Laienrichter mitzuwirken.
(3) Zumindest ein fachkundiger Laienrichter (Ersatzrichter) ist auf Vorschlag der Kammer für Land- und Forstwirtschaft in Kärnten zu bestellen. Übt die Kammer für Land- und Forstwirtschaft in Kärnten ihr Vorschlagsrecht nicht binnen einer angemessenen, von der Landesregierung zu bestimmenden Frist aus, hat die Landesregierung die fachkundigen Laienrichter (Ersatzrichter) ohne Bedachtnahme auf das Vorschlagsrecht zu bestellen.
(4) Als fachkundige Laienrichter (Ersatzrichter) dürfen nur Personen bestellt werden, die über eine abgeschlossene Berufsausbildung als land- oder forstwirtschaftlicher Facharbeiter im Sinne der Kärntner Land- und Forstwirtschaftlichen Berufsausbildungsordnung 1991, LGBl Nr 144/1991, oder über eine höherwertige Ausbildung verfügen.
(5) Berufsqualifikationen im Sinne des Abs 4, die in einem anderen Bundesland erworben werden, sowie Berufsqualifikationen, die in einem anderen Staat, auf dessen Staatsgebiet erworbene Berufsqualifikationen Österreich aufgrund von Staatsverträgen im Rahmen der europäischen Integration anzuerkennen hat, erworben werden, sind diesen gleichgestellt. Im Übrigen sind die Bestimmungen des Kärntner Berufsqualifikationen-Anerkennungsgesetzes, LGBl Nr 10/2009, anzuwenden.
(6) Das Landesverwaltungsgericht hat der Landesregierung und dem Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft schriftliche Ausfertigungen der in den Angelegenheiten dieses Landesgesetzes ergangenen Erkenntnisse zu übermitteln."
2. §§11 und 12 des Gesetzes über die Organisation des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten (Kärntner Landesverwaltungsgerichtsgesetz – K-LvwGG), LGBl 55/2013, lauten:
"
3. Abschnitt
Geschäftsgang
§11
Einzelrichter, Senate
(1) Das Landesverwaltungsgericht entscheidet durch Einzelrichter, soweit gesetzlich nicht eine Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
(2) Jeder Senat besteht aus drei Landesverwaltungsrichtern, von denen einer den Vorsitz führt und einer Bericht erstattet. Die Bildung der Senate und die Regelung der Vertretung hat im Rahmen der Geschäftsverteilung zu erfolgen.
(3) Sofern gesetzlich die Beteiligung von fachkundigen Laienrichtern an der Rechtsprechung vorgesehen ist, besteht der Senat aus den Laienrichtern und ebenso vielen Landesverwaltungsrichtern, mindestens jedoch aus zwei Landesverwaltungsrichtern. Der Vorsitz und die Berichterstattung obliegt jedenfalls einem Landesverwaltungsrichter.
§12
Fachkundige Laienrichter
(1) Soweit in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, gelten für fachkundige Laienrichter die nachfolgenden Bestimmungen.
(2) Das Amt des fachkundigen Laienrichters ist ein Ehrenamt. Niemand ist zur Annahme eines solchen Amtes verpflichtet. Fachkundige Laienrichter bzw. Ersatzrichter sind in Ausübung ihres Amtes unabhängig.
(3) Zum fachkundigen Laienrichter bzw. Ersatzrichter kann bestellt werden, wer
1. voll handlungsfähig und österreichischer Staatsbürger ist,
2. nicht wegen einer vorsätzlichen begangenen gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilt worden ist, außer die Strafe ist getilgt oder die Voraussetzungen des § 6 des Tilgungsgesetzes 1972, BGBl Nr 68/1972, liegen vor.
(4) Fachkundige Laienrichter sind von der Landesregierung jeweils auf die Dauer von sechs Jahren zu bestellen. Eine Wiederbestellung ist zulässig. Sie haben vor dem Antritt ihres Amtes vor dem Präsidenten die Beachtung der Gesetze und die gewissenhafte Erfüllung ihrer Pflichten zu geloben. Für jeden fachkundigen Laienrichter sind in gleicher Weise ein erster und ein zweiter Ersatzrichter zu bestellen und anzugeloben. Die fachkundigen Laienrichter werden im Fall ihrer Verhinderung der Reihe nach vom jeweils ersten und zweiten Ersatzrichter vertreten.
(5) Das Amt als fachkundiger Laienrichter bzw. Ersatzrichter beginnt mit der Angelobung. Fachkundige Laienrichter und Ersatzrichter bleiben auch nach Ablauf ihrer Funktionsdauer bis zur Bestellung der neuen fachkundigen Laienrichter im Amt. Haben sie an einer mündlichen Verhandlung teilgenommen, verlängert sich ihre Amtszeit für dieses Verfahren bis zu dessen Beendigung.
(6) Das Amt als fachkundiger Laienrichter bzw. Ersatzrichter endet vorzeitig durch Tod, Verzicht und Enthebung vom Amt. In diesen Fällen ist für den Rest der Funktionsdauer ein neuer fachkundiger Laienrichter bzw. neuer Ersatzrichter zu bestellen. Der Verzicht ist der Landesregierung schriftlich zu erklären. Er wird eine Woche nach dem Einlangen der Verzichtserklärung unwiderruflich und, sofern in der Verzichtserklärung nicht ein späterer Zeitpunkt angegeben ist, mit diesem Zeitpunkt auch wirksam.
(7) Der Personal- und Geschäftsverteilungsausschuss hat einen fachkundigen Laienrichter bzw. Ersatzrichter seines Amtes zu entheben, wenn er
a) die in Abs 3 vorgesehenen Bestellungsvoraussetzungen verliert,
b) aufgrund seiner körperlichen oder geistigen Verfassung seine richterlichen Aufgaben nicht mehr erfüllen kann,
c) unentschuldigt die Pflichten seines Amtes wiederholt verletzt oder vernachlässigt oder
d) ein Verhalten setzt, das dem Ansehen des Amtes eines fachkundigen Laienrichters zuwiderläuft.
(8) Fachkundige Laienrichter haben Anspruch auf Gebühren. § 26 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes – VwGVG, BGBl I Nr 33/2013, gilt sinngemäß."
3. § 18 des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – in der Folge: VwGVG), BGBl I 33/2013, lautet:
"Parteien
§18. Partei ist auch die belangte Behörde."
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Gemäß Art 6 Abs 1 erster Satz EMRK hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht gehört wird, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat.
3. Dem vorliegenden Fall liegt die amtswegige Abänderung des Regulierungsplanes einer Agrargemeinschaft und die Anpassung einer Satzungsbestimmung an § 93 Abs 2a K-FLG zugrunde. Dadurch können die privatrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen des Beschwerdeführers berührt werden, weshalb Art 6 EMRK auf das hier zu beurteilende Verfahren anzuwenden ist (vgl. ua.).
4. Nach der mit der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte übereinstimmenden und auf Verwaltungsgerichte übertragbaren Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes haben die Unabhängigen Verwaltungssenate in Bezug auf die "Unparteilichkeit" und "Unabhängigkeit" ihrer Mitglieder den Erfordernissen eines Gerichts im Sinne des Art 6 EMRK zu genügen und daher eine Zusammensetzung aufzuweisen, die keinen berechtigten Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit ihrer Mitglieder entstehen lässt. Dabei ist nicht nur eine allfällige tatsächliche Befangenheit entscheidend, sondern auch der "äußere Anschein der Parteilichkeit" (vgl. VfSlg 19.799/2013 und die dort zitierte Judikatur).
5. Das Landesverwaltungsgericht Kärnten hat im vorliegenden Fall diesen Anforderungen nicht genügt:
6. Einer der beiden im erkennenden Senat des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten an der angefochtenen Entscheidung mitwirkenden fachkundigen Laienrichter war zu diesem Zeitpunkt Leiter der Abteilung 10 – Land- und Forstwirtschaft im Amt der Kärntner Landesregierung, in die auch die Agrarbehörde Kärnten (vormals Amt der Kärntner Landesregierung als Agrarbehörde erster Instanz) eingegliedert ist. Die Agrarbehörde Kärnten ist gemäß § 18 VwGVG als belangte Behörde Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens.
7. Zwar stellt der Umstand, dass ein fachkundiger Laienrichter eines Verwaltungsgerichtes Verwaltungsbeamter ist und als solcher in seiner sonstigen Tätigkeit weisungsgebunden (oder -befugt) ist, für sich allein noch keinen Grund dafür dar, an der Unabhängigkeit des Verwaltungsgerichtes zu zweifeln (vgl. VfSlg 15.668/1999 und EGMR , Fall Ringeisen , Serie A Nr 13).
8. Berechtigt sind allerdings Zweifel an der Unabhängigkeit einer Person, die einem Gericht iSd Art 6 EMRK angehört, wenn sie sich sowohl im Hinblick auf ihre Pflichten als auch auf die Organisation ihres Amtes im Verhältnis zu einer der Parteien in untergeordneter Stellung befindet (vgl. EGMR , Fall Sramek , Serie A Nr 84, VfSlg 11.131/1986, 15.668/1999 und ). Dasselbe gilt aber auch für eine Person, die gegenüber der Verwaltungsbehörde, der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Parteistellung zukommt, unmittelbar übergeordnet und damit weisungsberechtigt ist, wirkt sie doch bei der Überprüfung einer Entscheidung mit, auf deren Inhalt sie Einfluss nehmen konnte.
9. Da einer der beiden fachkundigen Laienrichter Leiter jener Abteilung des Amtes der Kärntner Landesregierung ist, in die die als belangte Behörde Parteistellung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren genießende Agrarbehörde Kärnten eingegliedert ist, sodass er dieser gegenüber unmittelbar übergeordnet ist, entspricht die Zusammensetzung des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten im vorliegenden Fall nicht den Anforderungen des Art 6 EMRK. Dies wiegt umso schwerer, als den Verwaltungsgerichten eine rechtsstaatliche Filterungsfunktion zukommt und die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes im Instanzenzug seit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl I 51, nur noch bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung erfolgt (). Der im Instanzenzug anrufbare Verwaltungsgerichtshof vermag aber nicht mehr im Sinne der bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur nachprüfenden Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VfSlg 19.320/2011) die möglicherweise mangels Unabhängigkeit fehlende Gerichtsqualität der entscheidenden Verwaltungsgerichte zu ersetzen ().
10. Der Beschwerdeführer wurde daher in seinem aus Art 6 EMRK abzuleitenden Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht verletzt (vgl. VfSlg 15.668/1999).
IV. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung in seinem durch Art 6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 430,– enthalten.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:VFGH:2015:E623.2014