OGH vom 04.08.2009, 9ObA99/08m

OGH vom 04.08.2009, 9ObA99/08m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann-Prentner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Ingeborg Bauer-Manhart und Peter Schönhofer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Herbert S*****, vertreten durch Dr. Thomas Stampfer und Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Land Steiermark, 8010 Graz, Hofgasse 13, vertreten durch Dr. Christine Ulm, Rechtsanwältin in Graz, wegen 6.416,37 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Ra 11/08m-18, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 49 Cga 103/07a-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der Kläger war vom bis als Vertragsbediensteter des Landes Steiermark beschäftigt. Auf sein Dienstverhältnis waren die Bestimmungen des Gesetzes über das Dienst- und Besoldungsrecht der Bediensteten des Landes Steiermark (Stmk L-DBR) anzuwenden.

Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ist die Frage der Entlohnung von Bereitschaftszeiten des Klägers, die außerhalb der im Dienstplan vorgesehenen Dienststunden am Dienstort zu absolvieren waren, in denen er aber keine dienstliche Tätigkeit zu verrichten hatte. Die Entlohnung solcher Bereitschaftszeiten erfolgte gemäß § 170 Abs 1 Stmk L-DBR durch die Zahlung einer Bereitschaftsentschädigung, die an Stelle der in §§ 166 bis 169 Stmk L-DBR geregelten Nebengebühren (Überstundenvergütung, Pauschalzulage, Sonn- und Feiertagszuschläge sowie Journaldienstzulage) tritt.

Der Kläger vertritt unter Berufung auf die Arbeitszeitrichtlinie RL 2003/88/EG (vormals RL 93/104/EG) den Standpunkt, Bereitschaftszeiten der beschriebenen Art seien durchwegs als Überstunden zu entlohnen. Die Bestimmung des § 170 L-DBR, die für diese Bereitschaftszeiten im Ergebnis sogar ein geringeres Entgelt als für die Normaldienstzeit vorsehe, widerspreche nicht nur dem Gemeinschaftsrecht, sie sei auch sitten- und verfassungswidrig.

In beiden Vorinstanzen blieb die Klage erfolglos, das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Es billigte ausdrücklich die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts, wonach Bereitschaftsdienste im Sinne der Definition der RL 2003/88/EG zwar als Arbeitszeit zu werten seien, Gegenstand und Ziel des gemeinschaftlichen Arbeitsrechts aber der Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer und nicht eine Regelung des für Arbeitsbereitschaft zu leistenden Entgelts sei. Es entspreche der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass für Leistungen des Dienstnehmers im Rahmen eines Dienstverhältnisses, die nach ihrer Art die Intensität der vereinbarten Arbeitsleistung nicht erreichen, eine besondere Vereinbarung über die Vergütung getroffen werden und es auch gerechtfertigt sein kann, sie grundsätzlich geringer zu entlohnen als die vereinbarte eigentliche Arbeitsleistung. In der Bestimmung des § 170 Stmk L-DBR über die Abgeltung der Bereitschaftszeiten könne auch keine sittenwidrige Benachteiligung der Arbeitnehmer erblickt werden.

In seiner außerordentlichen Revision macht der Kläger geltend, das Berufungsgericht habe verkannt, dass die Begriffsbestimmungen zur Dienstzeit in § 36 Stmk L-DBR einen gemeinschaftsrechtswidrigen Inhalt aufweisen. Die Bereitschaftsdienstzeiten würden dabei nicht erwähnt, obwohl sie nach der RL 2003/88/EG sowie der Rechtsprechung des EuGH eindeutig als Arbeitszeit zu qualifizieren seien. Darüber hinaus habe das Berufungsgericht bei seiner Annahme einer zumindest konkludenten Vereinbarung über die Höhe der Bereitschaftsentschädigung die Grundsätze der Rechtsprechung zur Willensbildung bei Gebietskörperschaften außer Acht gelassen. Schlüssiges Handeln könne in diesem Bereich nur ausnahmsweise in Betracht kommen. Die Entscheidung sei daher von erheblichen Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO abhängig.

Rechtliche Beurteilung

Keines dieser Argumente ist geeignet, die Zulässigkeit der Revision zu begründen.

Der Kläger zeigt zunächst keine neuen Aspekte zugunsten der bereits von den Vorinstanzen mit ausführlicher Begründung verneinten gemeinschaftsrechtlichen Bedenken gegen die entgeltrechtlichen Bestimmungen der §§ 36 und 170 L-DBR auf.

Die RL 2003/88/EG des europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, mit der die RL 93/104/EG des Rates neu kodifiziert wurde, ist nach der Rechtsprechung des EuGH dahin auszulegen, dass sie der Anwendung einer Regelung durch einen Mitgliedsstaat nicht entgegensteht, die bei der Vergütung des Arbeitnehmers für Bereitschaftsdienst an seinem Arbeitsplatz die Zeitspannen, während deren die Arbeitsleistung tatsächlich erbracht werden, und diejenigen, während deren keine tatsächliche Arbeit erbracht wird, unterschiedlich berücksichtigt, soweit eine solche Regelung uneingeschränkt die praktische Wirksamkeit der den Arbeitnehmern durch diese Richtlinie gewährten Rechte im Hinblick auf einen wirksamen Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer gewährleistet (EuGH C-437/05, Vorel). Die Modalitäten der Vergütung der Bereitschaftsdienstzeiten sind bei der gegenwärtigen Entwicklung des Gemeinschaftsrechts keiner Harmonisierung zugänglich, sodass die nationalen Stellen für die Festsetzung der Höhe der jedem Arbeitnehmer insoweit zu zahlenden Löhne oder Gehälter allein zuständig bleiben (EuGH C-307/05, Del Cerro Alonso, Rz 46).

Der Revision ist wohl zuzustimmen, dass der Begriff „Arbeitszeit" in Art 2 Z 1 der RL 2003/88/EG als jede Zeitspanne definiert wird, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder seine Aufgaben wahrnimmt, und dass dieser Begriff im Gegensatz zur Ruhezeit zu sehen ist, da beide Begriffe einander ausschließen. Die Richtlinie 93/104/EG kennt weder eine Zwischenkategorie zwischen den Arbeitszeiten und den Ruhezeiten, noch gehört im Sinne dieser Richtlinie die Intensität der vom Arbeitnehmer geleisteten Arbeit oder dessen Leistung zu den wesentlichen Merkmalen des Begriffs Arbeitszeit (vgl EuGH C-303/98 Simap, Rz 47; C-151/02 Jaeger, Rz 48; C-14/04 Dellas Rz 43, 48).

Relevant sind diese Abgrenzungen aber nach den dargelegten Grundsätzen nicht für die Höhe der Entlohnung, deren Regelung kein Gegenstand der Richtlinie ist, sondern für die Einhaltung der Gesamtheit der Mindestvorschriften, die in der Richtlinie zum wirksamen Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer aufgestellt wurden (EuGH C-14/04 Dellas Rz 63), konkret für die Einhaltung bestimmter Höchstarbeitszeitgrenzen. Eine Überschreitung der letzteren ist aber nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

Die Definition der Dienstzeit in § 36 Z 1 Stmk L-DBR, die sowohl die im Dienstplan vorgesehenen Dienststunden als auch Überstunden und jene Teile der Bereitschaft und des Journaldienstes umfasst, während derer die Bediensteten ihrer dienstlichen Tätigkeit nachzugehen verpflichtet sind, ist schon nach ihrem Wortlaut ohne weiteres einer gemeinschaftskonformen Auslegung zugänglich. Auch wenn sich Bereitschaftszeiten, die eine Anwesenheit am Dienstort erfordern, unter den Begriff der Dienstzeit nach § 36 Z 1 Stmk L-DBR subsumieren lassen, ist daraus für die im vorliegenden Verfahren allein relevante Frage der Entgelthöhe nichts abzuleiten.

Der Begriff des Bereitschaftsdienstes nach § 170 Abs 1 Stmk L-DBR entspricht inhaltlich der in ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs definierten Arbeitsbereitschaft, bei der sich der Arbeitnehmer an einer bestimmten Stelle zu jederzeitigen Verfügung des Arbeitgebers zu halten hat (vgl RIS-Justiz RS0051403, RS0116870; RS0051403; 9 ObA 71/04p; 9 ObA 98/07p uva).

Bei dieser Art des Bereitschaftsdiensts handelt es sich um Überstunden „minderer Art", die durch Kollektivvertrag oder Einzelarbeitsvertrag grundsätzlich auch geringer entlohnt werden dürfen (RIS-Justiz RS0116870, RS0054879, RS0051351, RS0027969, RS0021399 ua). Für über die Normalarbeitszeit hinausgehende Bereitschaftszeiten muss nicht notwendig, ohne Rücksicht auf das Ausmaß der erbrachten vertragsmäßigen Arbeitsleistung Überstundenentgelt zustehen (vgl RIS-Justiz RS0054541).

Den Ausführungen des Klägers, die Regelung des § 170 Stmk L-DBR beruhe auf der von ihm für gemeinschaftsrechtswidrig erachteten Definition der Dienstzeit in § 36 Stmk L-DBR, mangelt es an Schlüssigkeit. Es wird nicht dargetan, warum der Landesgesetzgeber bloß deswegen eine niedrigere Entlohnung für Bereitschaftszeiten mit geringer Arbeitsintensität vorgesehen haben sollte - wozu er sowohl gemeinschaftsrechtlich als auch nach den dargestellten Grundsätzen der innerstaatlichen Judikatur grundsätzlich berechtigt war - weil sie in § 36 Stmk L-DBR nicht (deutlich) als Dienstzeit definiert werden.

Die Ausführungen des Klägers über eine restriktive Judikatur zur Annahme konkludenten Verhaltens bei Vertragsabschlüssen von Gebietskörperschaften übergehen, dass die geringere Bezahlung der Bereitschaftsdienste unstrittig nicht durch (Sonder-)Vertrag geregelt war, sondern auf einem Landesgesetz beruhte.

Der erkennende Senat erachtet auch die Verneinung einer Sittenwidrigkeit der angezogenen Bestimmungen des Stmk L-DBR durch die Vorinstanzen für zutreffend, ebensowenig teilt er die in der Revisionsschrift neuerlich vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers gegen die Regelung des § 170 Stmk L-DBR. Auch hier genügt es, auf die Ausführungen des Berufungsgerichts zu verweisen.