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VfGH vom 12.06.1982, B34/78

VfGH vom 12.06.1982, B34/78

Sammlungsnummer

9395

Leitsatz

Finanzstrafgesetz; denkunmögliche Auffassung, im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren von den Ergebnissen des rechtskräftig abgeschlossenen Abgabenverfahrens ausgehen und dem Beschwerdeführer den Gegenbeweis auflasten zu können

Spruch

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer betrieb im hier maßgeblichen Zeitraum einen Fotohandel und ein Fotoatelier mit Betriebsstätten in Krems und in Tulln. Im Zuge von Betriebsprüfungen betreffend den Zeitraum 1969 bis März 1973 wurde ua. festgestellt, daß er die Einnahmen innerhalb dieses Zeitraumes nicht vollständig aufgezeichnet habe, unaufgeklärte Rohaufschlagsdifferenzen bestünden und verschiedene Aufwendungen für die private Lebensführung als Betriebsausgaben geltend gemacht worden seien.

Die hierauf erlassenen, den Feststellungen der Betriebsprüfungen folgenden Abgabenbescheide betreffend Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer für die Jahre 1969 bis 1973 sind in Rechtskraft erwachsen.

2. a) Am leitete das Finanzamt Krems an der Donau als Finanzstrafbehörde erster Instanz gegen den Beschwerdeführer als Beschuldigten ein Finanzstrafverfahren ein. Mit Erk. des Spruchsenats des Finanzamtes für den 1. Bezirk in Wien als Finanzstrafbehörde erster Instanz (§65 FinStrG) vom wurde der Beschwerdeführer des Finanzvergehens der versuchten Abgabenhinterziehung nach den §§13, 33 Abs 1 FinStrG schuldig erkannt und hiefür nach § 33 Abs 5 FinStrG zu einer Geldstrafe in Höhe von

S 80.000,- im Falle der Uneinbringlichkeit gemäß § 20 FinStrG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 60 Tagen verurteilt. Gemäß § 185 Abs 1 lita FinStrG wurde er zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens in Höhe von S 5.000,- verpflichtet. Der Beschwerdeführer habe vorsätzlich unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflichten versucht, durch Abgabe unrichtiger Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuererklärungen eine Verkürzung der Umsatzsteuer für die Jahre 1969 bis 1973 im Betrage von S 40.770,-, der Einkommensteuer für die Jahre 1969 bis 1972 im Betrage von S 230.594,- und der Gewerbesteuer für die Jahre 1969 bis 1972 im Betrage von S 115.856,- zu bewirken.

b) In der Begründung des Erk. wird die Auffassung vertreten, daß im Verfahren vor dem Spruchsenat als Finanzstrafbehörde eine Überprüfung der Abgabenschuldigkeit, was den Grund und die Höhe anlangt, grundsätzlich nicht mehr vorzunehmen sei. Dabei wird für den Bereich des gerichtlichen Strafverfahrens auf die Entscheidungen des OGH SSt 34/14, EvBl. 1975/15, EvBl. 1972/279 und EvBl. 1968/393, für den Bereich des verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahrens auf die Entscheidung des Z 618, 1125/70, verwiesen.

Sodann heißt es in der Begründung.

"Angesichts der von der zitierten Judikatur herausgearbeiteten absoluten Präjudizialität der in Rechtskraft erwachsenen Bescheide über die Abgabenbemessung, was den Grund und die Höhe der hinterzogenen Abgaben anlangt, ist somit grundsätzlich nicht mehr auf den Grund und die Höhe der hinterzogenen Beträge, sondern nur mehr auf die subjektive Tatseite einzugehen, d.h. zu beurteilen, ob Vorsatz, Fahrlässigkeit oder allenfalls ein Schuldausschließungsgrund oder ein Rechtfertigungsgrund iS der §§9 und 10 FinStrG (neue Fassung) vorliegt."

Die Behörde nimmt in der Begründung weiters Bezug auf das Erk. des , in dem die Auffassung vertreten werde, es sei grundsätzlich nicht ausgeschlossen, einen Sachverhalt, der einem rechtskräftigen Abgabenbescheid zugrunde gelegt worden ist, im Finanzstrafverfahren als unrichtig zu bekämpfen, wobei hier die Beweislast allerdings denjenigen treffe, der die Unrichtigkeit des im Abgabenbescheid zugrundegelegten Sachverhalts behauptet und führt sodann aus:

"Die Einwendungen und das Vorbringen des Beschuldigten in der mündlichen Verhandlung vor dem Spruchsenat erschöpfen sich im wesentlichen in einer Bekämpfung der aufgezeigten Ergebnisse der Betriebsprüfungen. Sie sind damit nach der zuerst erwähnten Judikatur an sich unbeachtlich.

Selbst aber von der - vom Spruchsenat nicht geteilten - zuletzt dargestellten Rechtsansicht des VwGH ausgehend, erscheint aber dem Spruchsenat der vom VwGH geforderte Gegenbeweis nicht erbracht."

c) Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. als Finanzstrafbehörde zweiter Instanz vom als unbegründet abgewiesen. In der Begründung wird ausgeführt:

"Was die Zugrundelegung der Ergebnisse der Schätzung anlangt, so schließt sich der Berufungssenat ebenfalls den überzeugenden Rechtsausführungen des Spruchsenates an und vermeint, daß selbst für den Fall, als man die Rechtsansicht des VwGH heranziehen sollte, für den Beschuldigten nichts zu gewinnen wäre, weil ihm der vom VwGH geforderte Gegenbeweis nicht gelungen ist.

Aus diesen Erwägungen hatte die Berufung in beweismäßiger und rechtlicher Hinsicht keinen Erfolg."

2. a) Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den VwGH begehrt wird.

b) Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

1. a) Der angefochtene Bescheid stützt sich auf Bestimmungen des Finanzstrafgesetzes. Gegen diese Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides wurden Bedenken weder vorgebracht, noch sind solche beim VfGH unter dem Blickwinkel des vorliegenden Beschwerdefalles entstanden (vgl. auch VfSlg. 8111/1977).

b) Mit dem angefochtenen Bescheid wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe verhängt. Er greift somit in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Eigentumsrecht ein. Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides würde dieser das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums jedoch nur verletzen, wenn die Behörde das Gesetz in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre (vgl. zB VfSlg. 8866/1980).

Ein derartiger Fehler ist der belangten Behörde anzulasten:

Wie sich aus der Darstellung des Verwaltungsgeschehens ergibt, beruht der angefochtene Bescheid auf der Auffassung der belangten Behörde, von den Ergebnissen des rechtskräftig abgeschlossenen Abgabenverfahrens ausgehen und dem Beschwerdeführer den Gegenbeweis auflasten zu können. Die belangte Behörde sah auf Grund ihres Standpunktes insbesondere davon ab, die im Schätzungswege ermittelten Bemessungsgrundlagen der Abgabenfestsetzung einer Überprüfung zu unterziehen sowie auszuführen, auf Grund welcher Überlegungen sie deren Ergebnis für zutreffend hält.

Wie der VfGH bereits im Erk. VfSlg. 8111/1977 erkannt hat, steht diese Rechtsauffassung in einem derartig offenkundigen Widerspruch zu zwingenden Vorschriften des Finanzstrafgesetzes über das verwaltungsbehördliche Finanzstrafverfahren (insb. zu § 98 Abs 3 und § 115 FinStrG), daß insoweit von einer denkmöglichen Gesetzesanwendung nicht mehr die Rede sein könne. Angesichts der für die hier maßgeblichen Gesichtspunkte unveränderten Rechtslage sieht sich der VfGH nicht veranlaßt, aus Anlaß des vorliegenden Beschwerdefalles von dieser Rechtsauffassung abzugehen.

Der angefochtene, inhaltlich nicht trennbare Bescheid war daher wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums aufzuheben.

c) Bei diesem Ergebnis war nicht mehr zu untersuchen, ob der Beschwerdeführer auch in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden ist.