OGH vom 26.02.2004, 8ObS9/03m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Krüger und Robert Hauser als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Roman G*****, vertreten durch Jirovec & Partner, Rechtsanwalts-Gesellschaft mbH in Wien, wider die beklagte Partei IAF Service GmbH Geschäftsstelle Wien, 1040 Wien, Operngasse 17-21, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17-19, wegen EUR 1.405,28 netto sA, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits-und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 76/03k-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits-und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 28 Cgs 63/02p-7, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil, das, insoweit es das Klagebegehren von EUR 516,70 sA abweist, als unangefochten unberührt bleibt, wird darüber hinaus, somit insoweit es dem Klagebegehren von EUR 888,58 sA Folge gibt, dahin abgeändert, dass das Ersturteil wieder hergestellt wird.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war als Arbeiter bei einem Unternehmen beschäftigt, hinsichtlich dessen der Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens mit Beschluss vom mangels Kostendeckung abgewiesen wurde. Bereits am hatte der Kläger wegen Vorenthaltens des Entgelts seinen vorzeitigen Austritt aus dem Arbeitsverhältnis erklärt. Über Aufforderung des Klagevertreters gab ein offenkundig vertretungsbefugtes Organ der früheren Dienstgeberin des Klägers mit Schreiben vom April 2001 bekannt, dass die offenen Lohnforderungen des Klägers brutto ATS 219.605,23 betragen und dass auf die Erhebung des Einwandes der Verjährung verzichtet werde. Der Kläger machte daraufhin im April 2001 seine offenen Forderungen gegenüber der Dienstgeberin gerichtlich geltend. Am stellte der Kläger bei der Beklagten den Antrag auf Zuerkennung von Insolvenz-Ausfallgeld.
Mit Bescheid vom erkannte die Beklagte dem Kläger Insolvenz-Ausfallgeld von insgesamt EUR 12.083 zu und lehnte mit Ergänzungsbescheid vom gleichen Tag den Anspruch weiterer EUR 1.405,28 netto, davon EUR 888,58 Kündigungsentschädigung und EUR 516,70 Kosten der gegen die ehemalige Dienstgeberin eingebrachten Klage, ab. Der Anspruch auf Kündigungsentschädigung sei gemäß § 1162d ABGB verfallen. Die geltend gemachten Kosten für die Klage seien nicht als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig anzusehen, weil im Zeitpunkt der Klagseinbringung die formellen Voraussetzungen einer Antragstellung nach dem IESG bereits längst vorgelegen seien.
Mit seiner am beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte der Kläger, die Beklagte zur Zahlung des Betrages von EUR 1.405,28 schuldig zu erkennen. Seine ehemalige Dienstgeberin habe die Ansprüche des Klägers anerkannt und ausdrücklich auf die Geltendmachung der Verfristung im Sinn des § 1162d ABGB verzichtet. Die im April 2001 gerichtlich geltend gemachte Kündigungsentschädigung sei daher nicht verfallen. Entgegen der irrtümlichen Angabe des Klägers in seinem Antrag an die Beklagte habe er nicht bereits im Dezember 2000 Kenntnis davon gehabt, dass hinsichtlich seiner ehemaligen Dienstgeberin ein Konkursantrag mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen worden sei. Die Klagserhebung sei zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen und habe der Kläger in Absprache mit der Beklagten Ruhen des Verfahrens eintreten lassen, um Kosten zu sparen.
Die Beklagte wendete dagegen ein, in Anbetracht des am erklärten vorzeitigen Austritts des Klägers sei die erst im April 2001 gerichtlich geltend gemachte Kündigungsentschädigung verfallen und daher nicht nach dem IESG gesichert. Die Einbringung einer Klage ca fünf Monate nach Vorliegen eines Insolvenztatbestandes sei nicht als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendige Maßnahme zu qualifizieren.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und führte zur rechtlichen Beurteilung aus, dass der Anspruch auf Kündigungsentschädigung infolge Verstreichens der Frist des § 1162d ABGB verfallen sei. Die Kosten der Klage vom April 2001 hätten nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung gedient.
Das Gericht zweiter Instanz änderte dieses Urteil dahin ab, dass es die Beklagte zur Zahlung von EUR 888,58 sA schuldig erkannte und das Mehrbegehren von EUR 516,70 sA abwies. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Bei der 6-Monatsfrist des § 1162d ABGB handle es sich ebenso wie bei jener des § 34 AngG um eine Präklusiv- oder Fallfrist, die sich von Verjährungsfristen dadurch unterscheide, dass das Recht mit ihrem Ablauf untergehe. Die Fristversäumnis sei aber nicht von Amts wegen, sondern nur bei entsprechendem Vorbringen des beklagten Dienstgebers vom Gericht zu beachten. Sie dürfe als relativ zwingende Bestimmung zwar nicht verkürzt, wohl aber verlängert werden, weil Letzteres typischerweise für den Dienstnehmer günstiger sei. Im Falle des Klägers habe die Präklusivfrist mit Ablauf des geendet und sei daher im Zeitpunkt der Klagseinbringung im April 2001 bereits abgelaufen gewesen. Die im Verfahren nach dem IESG bestehende Möglichkeit, von Amts wegen den Verfall oder die Verjährung von Ansprüchen wahrzunehmen, führe aber nicht zum Ergebnis, dass der Ablauf einer solchen Frist jedenfalls einer Zahlungspflicht der Beklagten entgegenstehe. Gemäß § 1502 ABGB sei der Verzicht auf die Einrede der Verjährung nach Ablauf der Verjährungsfrist zulässig. Dies gelte auch für Fallfristen. Der Kläger hätte daher, sofern sich seine ehemalige Dienstgeberin im Gerichtsverfahren auf den Eintritt des Verfalls berufen hätte, ihr den unwiderruflichen Verzicht auf diese Einrede entgegenhalten können. Aufgrund des wirksam abgegebenen Verzichts sei der Anspruch des Klägers auf Kündigungsentschädigung als gesicherter Anspruch im Sinn des § 1 Abs 2 IESG zu qualifizieren. Anders verhalte es sich jedoch mit den geltend gemachten Klagskosten, weil den Kläger bei Vorliegen der Indizien für eine Insolvenz ungeachtet einer allenfalls gegebenen positiven Kenntnis jedenfalls eine Erkundigungspflicht getroffen hätte, ob ein Tatbestand im Sinn des § 1 Abs 1 IESG vorliege. Da eine fristgerechte Antragstellung nach § 6 IESG Verjährungs- und Präklusivfristen unterbreche, habe es der Klagseinbringung nicht bedurft, sodass die dadurch entstandenen Kosten als nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig anzusehen seien.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen den stattgebenden Teil dieses Urteils gerichtete Revision der Beklagten ist - entgegen der in der Revisionsbeantwortung vertretenen Ansicht - nicht jedenfalls unzulässig, weil nach der ausdrücklichen Anordnung des § 502 Abs 5 Z 4 ZPO für Streitigkeiten in Arbeits- und Sozialrechtssachen die Betragsbeschränkungen der Absätze zwei und drei dieser Gesetzesstelle nicht gelten (8 ObA 106/03a). Sie ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist, weshalb ihr auch Berechtigung zukommt.
Gemäß § 1 Abs 2 IESG sind nur aufrechte, nicht verjährte und nicht ausgeschlossene Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis gesichert. Indem das Gesetz das aufrechte Bestehen des Anspruchs der Verjährung gegenüberstellt, nimmt es darauf Bezug, dass der Anspruch auch nicht verfallen sein darf (9 ObS 23/92; 8 ObS 234/97p). Während die Wahrnehmung der Verjährung oder des Verfalls von Ansprüchen sonst nur auf Einwendung erfolgen kann (§ 1501 ABGB), gebietet die zitierte Bestimmung für den Bereich der Insolvenzentgeltsicherung die amtswegige Wahrnehmung des Nichtbestandes von Ansprüchen aus diesem Grunde (9 ObS 19/93; 8 ObS 42/95; 8 ObS 234/97p).
Seit der Novellierung des § 7 Abs 1 IESG durch das IRÄG 1994 sowie das AMS-Begleitgesetz kommt nur mehr einem nach kontradiktorischem Verfahren ergangenen Urteil oder einer mindestens sechs Monate vor Konkurseröffnung (oder gleichgestelltem Tatbestand) rechtskräftig gewordenen anderen Gerichtsentscheidung Bindungswirkung zu. Selbst dann ist die Prüfung der Anspruchsqualifikation als "gesichert" nicht völlig ausgeschlossen, da im gerichtlichen Verfahren nicht geltend gemachte Einwände, etwa des Verfalls, ebenso beachtlich sind wie Anspruchsbegrenzungen und Anspruchsausschlüsse (9 ObS 23/92; 9 ObS 19/93; 9 ObA 25/01v ua). Solange noch keine bindende gerichtliche Entscheidung vorliegt, hat die Behörde bzw das im Rahmen sukzessiver Kompetenz angerufene Gericht das Bestehen von Ansprüchen selbständig zu beurteilen. Auch ein anhängiges Gerichtsverfahren steht einer Prüfung der Sach- und Rechtslage nach eigener Anschauung nicht im Wege (RIS-Justiz RS0077582). Abweichend von der früheren Rechtslage besteht nun keine Bindung mehr an die insolvenzrechtliche Feststellung der Forderung und somit an das Anerkenntnis des Masseverwalters, welches nicht auf einer titulierten Forderung im oben dargestellten Sinn beruht (8 ObS 127/97b; 8 ObS 200/98i). Zu keinem Zeitpunkt bestand eine Bindung an sonstige Erklärungen des Masseverwalters oder des Dienstgebers über die Richtigkeit oder Höhe einer Forderung. Derartigen Erklärungen kommt nicht der Charakter einer konstitutiven Willenserklärung zu, sondern lediglich der einer Wissenserklärung, über die nach Meinung des Erklärenden bestehende Rechtslage (8 ObS 22/95). Es wurde daher im Zusammenhang mit der Verjährung von Entgeltansprüchen wiederholt ausgesprochen, dass dem Anerkenntnis verjährter Entgeltforderungen durch den Dienstgeber und dessen Erklärung, auf den Verjährungseinwand zu verzichten, zwar im Verfahren gegen den Dienstgeber Relevanz zukommen könne, nicht jedoch bei der Entscheidung über das Zurechtbestehen von Ansprüchen gegen die Beklagte (8 ObS 14/95; 8 ObS 133/99p; 8 ObS 28/99x ua). Dieses Ergebnis lässt sich auch ohne Weiteres aus der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ableiten, dass Vereinbarungen, bei deren Abschluss die Parteien damit rechnen mussten, sie gingen im Ergebnis zu Lasten der Beklagten, gemäß § 879 Abs 1 ABGB ungültig sind. Außerhalb der Bindungsanordnung des § 7 Abs 1 IESG sind daher auch dann, wenn eine anfechtbare Rechtshandlung nicht vorliegt, Ansprüche nicht im Sinn des § 1 Abs 2 IESG gesichert, wenn die ihnen zugrunde liegende Vereinbarung unwirksam ist (SZ 61/249; 8 ObS 183/98i mwH).
Das festgestellte Anerkenntnis eines offenkundig vertretungsbefugten Organs der ehemaligen Dienstgeberin des Klägers und die Erklärung, auf den Einwand der Präklusion zu verzichten, ist daher für die Beurteilung des gegen die Beklagte erhobenen Anspruchs ohne Bedeutung.
Der Revision ist Folge zu geben und das Ersturteil wieder herzustellen.
Der Kläger hat seine Kosten selbst zu tragen, da kein Fall des § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG vorliegt.