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OGH vom 26.04.2011, 8ObS7/10b

OGH vom 26.04.2011, 8ObS7/10b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofräte Hon. Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und Alfred Klair als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei P***** P*****, vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei IEF Service GmbH, Geschäftsstelle Eisenstadt, 7000 Eisenstadt, Neusiedlerstraße 10, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17 19, wegen 3.138,39 EUR sA (Insolvenz Entgelt), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Rs 24/10f 16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 4 Cgs 100/09d 12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 371,52 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 61,92 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom bis zu seinem berechtigten vorzeitigen Austritt am Arbeitnehmer des G***** P***** bzw nach dessen Tod seiner Verlassenschaft. Er leistete vom bis den Präsenzdienst. Am machte er seine Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis gegen den Arbeitgeber mit Klage geltend. Mit Beschluss vom wurde über das Vermögen der Verlassenschaft des Arbeitgebers das Konkursverfahren eröffnet.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Zahlung von Insolvenz-Entgelt für Ansprüche auf laufendes Entgelt für die Monate Juli und August 2007 sowie für Sonderzahlungen (Urlaubszuschuss und Weihnachtsremuneration) je für den Zeitraum bis samt dazu gehörenden Zinsen und Kosten.

Die Beklagte wandte dagegen ein, dass der Kläger erst am seine Ansprüche gerichtlich gegen den Arbeitgeber geltend gemacht habe, sodass jene Entgeltbestandteile, die mehr als 6 Monate davor bereits fällig geworden seien, gemäß § 3a IESG nicht mehr gesichert seien. Daran ändere die Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses durch den Präsenzdienst nichts.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es führte rechtlich aus, dass der Präsenzdienst des Klägers gemäß § 6 Abs 1 Z 1 APSG den Fortlauf der Frist zur Geltendmachung von Insolvenz Entgelt hemme. § 6 Abs 1 APSG erfasse nicht nur die Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber, sondern auch die Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen nach dem IESG. Ob dem Kläger zumutbar gewesen sei, seine Ansprüche während des Präsenzdienstes gerichtlich geltend zu machen, sei irrelevant. Infolge der Fristhemmung lägen die begehrten Ansprüche innerhalb des gesicherten Zeitraum gemäß § 3a IESG.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil nicht Folge. Es führte rechtlich aus, dass die Auswirkungen des § 6 APSG differenziert zu betrachten seien. Während § 3a Abs 1 Satz 1 IESG einen bestimmten Zeitraum beschreibe, innerhalb dessen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis gesichert seien, gelte diese Frist im Fall des § 3a Abs 1 Satz 2 IESG nicht, soweit Ansprüche auf Entgelt binnen 6 Monaten nach ihrem Entstehen gerichtlich bzw vor einer Schlichtungsstelle oder der Gleichbehandlungskommission geltend gemacht wurden. Für § 3a Abs 1 Satz 2 IESG komme es nicht auf die Fälligkeit, sondern auf das Entstehen der Entgeltansprüche an. Die nun vom Kläger begehrten Forderungen könnten zwar den Tatbestand des § 3a Abs 1 Satz 2 IESG nicht unmittelbar erfüllen. Allerdings sei hier § 6 APSG zu beachten, der zwar nicht die angeordnete allgemeine Begrenzung der Sicherung gemäß § 3a Abs 1 Satz 1 IESG berühre, jedoch sehr wohl eine Fortlaufhemmung der Frist im Fall des § 3a Abs 1 Satz 2 IESG bewirke. Dies ergebe sich aus dem Zweck des § 6 Abs 1 APSG, der den Schutz des Arbeitnehmers vor Augen habe und ihn vor einem Verlust von Ansprüchen bewahren wolle, die während der Zeit etwa eines Präsenzdienstes aufgrund eines möglichen Ablaufs einer Frist geltend gemacht werden müssten. Die Frist zur Geltendmachung der Ansprüche des Klägers, die dieser mit seiner am erhobenen Klage gefordert habe, sei daher während der 6 Monate des Präsenzdienstes des Klägers in ihrem Fortlauf gehemmt gewesen. Daraus ergebe sich, dass die Geltendmachung sämtlicher Ansprüche gemäß § 6 APSG iVm § 3a Abs 1 Satz 2 IESG fristgerecht erfolgt sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung zum Verhältnis zwischen § 6 APSG und § 3a Abs 1 IESG fehle.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Kläger beantwortete Revision der beklagten Partei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

1. Die Revisionswerberin führt zusammengefasst aus, dass § 6 Abs 1 Z 1 APSG nur bei der Prüfung von Ansprüchen gegen den Arbeitgeber Bedeutung habe. Diese Bestimmung könne jedoch keinen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Insolvenz Entgelt schaffen, der wegen § 3a Abs 1 Satz 1 IESG bereits verfristet sei. § 3a Abs 1 Satz 2 IESG sei daher als Ausnahmebestimmung einschränkend auszulegen. Diesen Ausführungen ist die zutreffende rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts insbesondere über das Verhältnis von § 6 Abs 1 Z 1 APSG zu § 3a Abs 1 Satz 2 IESG entgegenzuhalten, auf die gemäß § 510 Abs 3 ZPO verwiesen werden kann. Ergänzend ist auszuführen:

2. Die Bestimmungen des APSG dienen dem Schutz der arbeitsrechtlichen Situation ua von Präsenzdienern, deren Arbeitsverhältnis durch die Einberufung gemäß § 4 APSG unberührt bleiben soll (SZ 72/36 mwH; Spitzl/B. Gruber in ZellKomm § 4 APSG Rz 1). Auch die in § 6 Abs 1 Z 1 APSG angeordnete Fortlaufhemmung von Fristen für die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis, die auf Gesetz, Normen der kollektiven Rechtsgestaltung oder Einzelvertrag beruhen, dient diesem Schutzzweck. Dieser wird durch den gegenüber der Vorgängerbestimmung des § 12 Abs 3 APSG 1956 weiter gefassten Wortlaut des § 6 Abs 1 Z 1 APSG noch betont (vgl dazu Klein/Knöfler APSG 57 f): Erfasst ist nicht nur die Geltendmachung von Ansprüchen dem Arbeitgeber gegenüber, sondern ebenso die Geltendmachung von in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Dritten, zB nach dem IESG ( Spitzl/B. Gruber aaO § 6 APSG Rz 2 unter Hinweis auf die RV 291 BlgNR 18. GP 10).

3.1 Die mit dem BGBl I 1997/107 geschaffene Bestimmung des § 3a IESG hatte den Zweck, die missbräuchliche Inanspruchnahme des Insolvenz Entgelt-Fonds zurückzudrängen ( Gahleitner in ZellKomm § 3a IESG Rz 1). Von der in § 3a Abs 1 Satz 1 IESG normierten Sicherheitsschranke schuf der Gesetzgeber allerdings zwei Ausnahmen (§ 3a Abs 1 Satz 2 und 3 IESG). Unter anderem verfolgte er die Intention, die Ansprüche vor der Insolvenz zu begrenzen, wenn der Arbeitnehmer keinerlei Maßnahmen zu deren Rechtsdurchsetzung setzt. In den Erl zur RV wird dazu ausgeführt: „ Es ist daher angezeigt, zur Verhinderung von Missbräuchen entsprechende Schranken einzuziehen . Diese sollen in der Art erfolgen, dass Ansprüche, die länger als sechs Monate vor der Konkurs oder Ausgleichseröffnung zurückliegen, nur noch dann gesichert sind, wenn ein entsprechendes Gerichtsverfahren vom Arbeitnehmer eingeleitet wurde (= Klagsführung), das durch ein Urteil oder durch einen Vergleich beendet wird ; ...“ (737 BlgNR 20. GP 9; krit dazu Holzer/Reissner/Schwarz , IESG 4 [1999] § 3a, 238).

3.2 Mit der Novellierung dieser Bestimmung durch das BGBl I 2000/142 (Art 45), änderte sich an der grundsätzlichen Anordnung, dass laufendes Entgelt nur mehr für einen Zeitraum von 6 Monaten vor der Insolvenzeröffnung oder einem gleichzuhaltenden Stichtag gesichert ist (außer wenn das Arbeitsverhältnis vor dem Stichtag geendet hat) nichts. § 3a Abs 1 Satz 2 IESG lautet in seiner auch nunmehr noch geltenden Fassung (IRÄG 2010, BGBl I 2010/29): „ Die Frist von 6 Monaten gilt nicht, soweit Ansprüche auf Entgelt binnen 6 Monaten nach ihrem Entstehen gerichtlich oder im Rahmen eines in Normen der kollektiven Rechtsgestaltung vorgesehenen Schlichtungsverfahrens oder eines Verfahrens vor der Gleichbehandlungskommission zulässigerweise geltend gemacht wurden und das diesbezügliche Verfahren gehörig fortgesetzt wird und soweit eine Differenz zwischen unterkollektivvertraglicher und kollektivvertraglicher Entlohnung beantragt wird .“ Durch § 3a Abs 1 Satz 2 IESG erfolgte daher eine weitere Begrenzung insofern, als auch gerichtlich vom Arbeitnehmer geltend gemachte Ansprüche nur dann gesichert sein sollen, wenn sie binnen 6 Monaten nach ihrem Entstehen geltend gemacht werden. Durch diese zeitliche Begrenzung der Lohnrückstände auf 6 Monate wird eine übermäßige, sachlich nicht gerechtfertigte Verlagerung des wirtschaftlichen Risikos auf den Fonds verhindert (RIS Justiz RS0098896).

3.3 § 3a Abs 1 Satz 2 IESG ordnet ausdrücklich an, dass die in § 3a Abs 1 Satz 1 IESG normierte Frist von 6 Monaten nicht gilt, soweit Ansprüche auf Entgelt binnen 6 Monaten nach ihrem Entstehen gerichtlich geltend gemacht werden. Gerade eine gesetzliche Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsvertrag wie diese ist jedoch durch § 6 Abs 1 Z 1 APSG in ihrem Fortlauf gehemmt. Träfe die Rechtsansicht der Beklagten zu, hätte dies zur Folge, dass Präsenz (Ausbildungs , Zivil )diener zur Wahrung eines allfälligen Anspruchs auf Insolvenz Entgelt entgegen der ihren Schutz anordnenden Bestimmung des § 6 Abs 1 Z 1 APSG gezwungen wären, Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von 6 Monaten nach ihrem Entstehen gerichtlich geltend zu machen, um ihre Ansprüche nach dem IESG zu wahren. Dass der von § 6 Abs 1 Z 1 APSG angeordnete besondere Schutz von Präsenz (Ausbildungs-, Zivil )dienern durch § 3a Abs 1 IESG eingeschränkt werden sollte, ergibt sich gerade nicht aus dem IESG. Im Gegenteil erfahren gerade dem APSG unterliegende Arbeitnehmer etwa in den Fällen des § 3c IESG eine ihre Sonderstellung berücksichtigende Behandlung (vgl 8 ObS 1/03k).

Auch ausgehend vom schon genannten Gesetzeszweck des § 3a Abs 1 IESG, nämlich die Zurückdrängung missbräuchlicher Inanspruchnahme des Insolvenz-Entgelt-Fonds, ist die von der Beklagten geforderte Auslegung des § 3a Abs 1 Satz 2 IESG im konkreten Zusammenhang nicht geboten: denn gerade in den in § 6 Abs 1 Z 1 APSG geregelten Fällen ist ein Missbrauchsfall im Sinn eines unzulässigen Zuwartens mit der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen (vgl RIS Justiz RS0112283) nicht gegeben. Ein solcher Missbrauch wird hier von der Beklagten auch gar nicht behauptet. Auf den von der Revisionswerberin betonten Umstand, dass § 6 Abs 1 Z 1 APSG keine zusätzlichen materiellen Ansprüche des Arbeitnehmers im Fall der Insolvenz des Arbeitgebers schafft (vgl ausführlich zum Verhältnis des APSG zum IESG nach der Nov BGBl 1992/835 Klein/Knöfler aaO § 6, 59), kommt es für die hier zu beurteilende Rechtsfrage daher nicht an.

4. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die durch § 6 Abs 1 Z 1 APSG bewirkte Fortlaufhemmung der Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis auch im Anwendungsbereich des § 3a Abs 1 Satz 2 IESG zu gelten hat. Vor diesem Hintergrund hat aber der Kläger unstrittig seine Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis rechtzeitig gerichtlich eingeklagt, sodass diese Ansprüche gesichert sind.

Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 1 lit a ASGG.