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OGH vom 22.01.2020, 9ObA90/19d

OGH vom 22.01.2020, 9ObA90/19d

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Harald Kohlruss als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei L***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Klaus Rinner, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei C*****, vertreten durch Mag. Roland Seeger, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 1.274 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 15 Ra 17/19s17, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 48 Cga 34/18t12, nicht Folge gegeben wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 377,50 EUR (darin enthalten 62,92 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte war Dienstnehmer der Klägerin und wurde am entlassen. Er brachte daraufhin gegen die (hier) Klägerin eine Klage auf Zahlung von 11.326,66 EUR brutto an Kündigungsentschädigung, Sonderzahlung, Urlaubsersatzleistung und Feiertagszuschlägen ein. In diesem Verfahren schlossen die Parteien am den nachstehend auszugsweise wiedergegebenen Vergleich, wobei der dortige Kläger im vorliegenden Verfahren Beklagter, die dortige Beklagte nunmehr Klägerin ist:

„1. Die Streitteile vereinbaren eine einvernehmliche Auflösung

2. Die

3.

4. Mit diesem Vergleich sind sämtliche wechselseitigen Ansprüche der Streitteile aus dem Arbeitsverhältnis des Klägers zur Beklagten verglichen, sodass keiner der Streitteile mehr Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis gegen die andere Partei erheben kann.“

Nach Rechtswirksamkeit des Vergleichs überwies die (hier) Klägerin am 7.000 EUR an den Vertreter des (hier) Beklagten, der das Geld an den Beklagten weiterleitete.

Zwischen und führte die Klägerin den sich aus dem Vergleichsbetrag ergebenden Dienstnehmerbeitrag zur Sozialversicherung von 1.274 EUR an die TGKK ab.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten den Ersatz dieses Sozialversicherungsbeitrags und bringt vor, die Überweisung von 7.000 EUR ohne Abzug des Sozialversicherungsbeitrags sei irrtümlich erfolgt. Der Beklagte sei daher in diesem Umfang ungerechtfertigt bereichert.

Der Beklagte bestreitet. Durch den Vergleich seien sämtliche wechselseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verglichen. Der Anspruch der Klägerin sei überdies verjährt und verfallen. Er habe das Geld gutgläubig verbraucht.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Zahlung sei irrtümlich geleistet worden. Auch der Beklagte hätte wissen müssen, dass aus dem Bruttobetrag von 7.000 EUR keine Nettozahlung von 7.000 EUR resultiere. Der Anspruch sei auch nicht von der Streitbereinigungsklausel erfasst, die sich nicht auf Forderungen aus dem Vergleich beziehe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten gegen dieses Urteil nicht Folge. Der Vergleich trete als Neuerungsvertrag anstelle allfälliger Ansprüche des Beklagten aus dem seinerzeitigen Arbeitsverhältnis, sodass § 60 ASVG nicht mehr schlagend sei. Nach dem Inhalt des Vergleichs habe der Beklagte nur Anspruch auf den sich aus 7.000 EUR brutto ergebenden Nettobetrag. Aufgrund der irrtümlichen Überzahlung stehe der Klägerin eine Leistungskondiktion zu. Die Generalklausel beziehe sich auf Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, nicht aus solche aus dem Vergleichsvertrag.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil zur Anwendbarkeit des § 60 ASVG im Zusammenhang mit Zahlungen aufgrund eines Vergleichs keine klare und gefestigte Judikatur bestehe.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Revision des Beklagten mit dem Antrag, das Urteil dahingehend abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen wird, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Wird ein gerichtlicher oder außergerichtlicher Vergleich über den dem Dienstnehmer nach Beendigung des Dienstverhältnisses gebührenden Arbeitslohn oder das Gehalt abgeschlossen, so verlängert sich gemäß § 11 Abs 2 ASVG die Pflichversicherung um den Zeitraum, der durch den Vergleichsbetrag (Pauschbetrag) nach Ausscheidung allfälliger, gemäß § 49 ASVG nicht zum Entgelt gehörender Bezüge, gemessen an den vor dem Austritt aus der Beschäftigung gebührenden Bezügen, gedeckt ist. Die Pflichtversicherung besteht weiter für die Zeit des Bezugs einer Ersatzleistung für Urlaubsentgelt (Urlaubsabfindung, Urlaubsentschädigung) sowie für die Zeit des Bezugs einer Kündigungsentschädigung.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs sind derartige Vergleichssummen als Entgelt aus dem Arbeitsverhältnis im Sinn des § 49 Abs 1 ASVG anzusehen (VwGH 2000/08/0064).

Der Umstand, dass zwischen den Parteien ein Vergleich über eine Kündigungsentschädigung abgeschlossen wurde, ändert daher nichts daran, dass für dieses Entgelt nach § 49 Abs 1 ASVG die allgemeinen sozialversicherungsrechtlichen Regelungen für Sozialversicherungsbeiträge gelten.

2. Nach § 58 Abs 2 erster Satz ASVG schuldet die auf den Versicherten und den Dienstgeber entfallenden Beiträge zur Sozialversicherung der Dienstgeber. Schuldner (und nicht bloß Inkassant oder Zahlstelle) ist daher auch für den Dienstnehmeranteil zur Sozialversicherung der Dienstgeber (vgl VwGH 92/08/0090). Diese Verpflichtung des Dienstgebers ist – abgesehen von gesetzlichen Ausnahmefällen – zwingendes Recht und kann durch Vereinbarung zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer nicht abgeändert werden (Derntl in Sonntag, ASVG,§ 58 Rz 15).

Dementsprechend hat die Klägerin, indem sie die Dienstnehmeranteile zur Sozialversicherung hinsichtlich des Vergleichsbetrags abgeführt hat, eine eigene Schuld beglichen.

3. § 60 ASVG regelt, inwieweit der Dienstgeber die von ihm abgeführten Beiträge vom Dienstnehmer einbehalten kann. In der Entscheidung 9 ObA 36/17k hat der Oberste Gerichtshof ausdrücklich die bisherige Rechtsprechung bestätigt, dass § 60 Abs 1 ASVG eine abschließende Regelung darstellt und abgesehen von den gesetzlich geregelten Ausnahmefällen dann, wenn ein Abzug nach dieser Bestimmung nicht mehr möglich ist, keine Verpflichtung des Dienstnehmers zum Ersatz von auf ihn entfallenden Sozialversicherungsbeiträgen besteht.

4. Zu prüfen ist daher, ob die Tatsache, dass über den vom Dienstgeber zu zahlenden Betrag zwischen den Parteien ein Vergleich geschlossen wurde, zu einer anderen Beurteilung führen kann.

Die Regelung, nach der Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer keine Wirkung gegenüber dem Sozialversicherungsträger haben, bedeutet zunächst nicht, dass damit nicht das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (in den Grenzen zwingenden Rechts) durch Vereinbarung gestaltet werden kann.

In der Entscheidung 9 ObA 119/11g bejahte der Oberste Gerichtshof bereits einen Rückforderungsanspruch des Arbeitgebers für von ihm bezahlte Dienstnehmerbeiträge zur Sozialversicherung aus einem Vergleich. Er verwies dabei auf die Judikatur, durch die der Umfang und die Bedeutung von § 60 Abs 1 ASVG bei Nachzahlungen – mögen diese auch im Rahmen von Vergleichen erfolgen – eingeschränkt worden sei (9 ObA 222/93, 3 Ob 15/96 und 8 ObA 63/01z). Darüber hinaus sei im konkreten Fall dem Arbeitgeber aufgrund der komplexen Berechnung des Dienstnehmeranteils kein Verschulden an der verspäteten Zahlung der Versicherungsbeiträge zur Last zu legen.

Ein Vergleich ist nach § 1380 ABGB ein Neuerungsvertrag bestimmter Art. Dessen ungeachtet ist die Rechtsnatur des Vergleichs dennoch umstritten. Die überwiegende Rechtsprechung billigt dem Vergleich zwar nicht jedenfalls, aber doch dann Novationswirkung zu, wenn er die ursprüngliche Obligation – als Ergebnis der Auslegung des Parteiwillens – durch eine Änderung des Rechtsgrundes oder des Hauptgegenstands des Anspruchs ersetzt, sodass ein Rückgriff auf das seinerzeitige Schuldverhältnis nicht mehr möglich ist (7 Ob 165/00s mwN). Ein Neuerungsvertrag liegt unter anderem dann vor, wenn streitige oder zweifelhafte Rechte unter gegenseitigem Nachgeben neu festgelegt werden (RS0032600 [T3]).

Im konkreten Fall sollten durch den Vergleich die sich aus der – nach der (von der Klägerin bestrittenen) Behauptung des Beklagten – ungerechtfertigten Entlassung ergebenden Ansprüche erledigt werden. Vereinbart wurde, dass die Klägerin 7.000 EUR brutto bezahlt. Das konnte von einem objektiven Erklärungsempfänger nur dahingehend verstanden werden, dass die Klägerin die mit dieser Zahlung verbundenen Gebühren und Abgaben trägt, sie weiters berechtigt ist, diese vom Vergleichsbetrag abzuziehen und dem Beklagten nur der sich daraus ergebende Nettobetrag zukommen soll. Durch die Zahlung eines höheren als des Nettobetrags hat die Klägerin daher mehr an den Beklagten geleistet, als sie aufgrund des Vergleichs an ihn zu zahlen verpflichtet war. Dabei kann es keinen Unterschied machen, woraus diese Überzahlung resultiert. Der Rückforderungsanspruch der Klägerin ergibt sich damit letztlich nicht daraus, dass der Dienstnehmerbeitrag zur Sozialversicherung gegenverrechnet wird, sondern eine irrtümlich überhöhte Auszahlung des verglichenen Betrags erfolgt ist. Hätten die Parteien von vornherein die Auszahlung eines konkreten Nettobetrags vereinbart, würde ebenfalls kein Zweifel bestehen, dass eine überhöhte Zahlung nach § 1431 ABGB rückforderbar ist.

Soweit die Revision darauf verweist, dass bei einer solchen Auslegung Arbeitnehmer schlecht beraten wären, einen Vergleich abzuschließen und nicht auf ein Urteil zu bestehen, übergeht sie, dass kein Zweifel daran besteht, dass nach dem Vergleich dem Arbeitnehmer jedenfalls nur der Nettobetrag zukommen sollte, die höhere Auszahlung auf einen Irrtum des Arbeitgebers beruht. Hätte die Klägerin nicht geirrt, wäre dem Kläger auch nur der Nettobetrag zugekommen.

5. Die Bereinigungswirkung eines anlässlich der Auflösung eines Dauerschuldverhältnisses abgeschlossenen Vergleichs erstreckt sich im Zweifel auf alle aus diesem Rechtsverhältnis entspringenden oder damit zusammenhängenden gegenseitigen Forderungen (RS0032589).

Es kann aber nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass mit einer in einer Auflösungsvereinbarung enthaltenen Generalklausel, nach der die wechselseitigen Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis bereinigt und verglichen sein sollen, auch Streitigkeiten aus denjenigen Ansprüchen mitverglichen sein sollen, die erst durch die Auflösungsvereinbarung geschaffen werden (9 ObA 74/19a). Der Vergleich erstreckt sich zwar auch auf Fälle, an die die Parteien nicht gedacht haben, nicht aber auf solche, an die sie nicht denken konnten. Grundsätzlich bilden nur die Verhältnisse zur Zeit des Vergleichsabschlusses den Gegenstand des Vergleichs und damit auch seiner Bereinigungswirkung (RS0032453).

Der Rückforderungsanspruch der Klägerin resultiert nicht aus dem Arbeitsverhältnis und nicht aus dem Vergleich, sondern aus der irrtümlichen Zahlung eines überhöhten Betrags nach Vergleichsabschluss. Richtig sind die Vorinstanzen daher davon ausgegangen, dass dieser Anspruch nicht von der Generalklausel umfasst ist.

6. Warum der Klägerin „lediglich ein Betrag von 939,42 EUR“ zuzusprechen wäre, wird auch in der Revision nicht begründet. Darauf ist daher nicht weiter einzugehen.

7. Dass ein Rückzahlungsanspruch aufgrund gutgläubigen Verbrauchs zu entfallen hätte, wird in der Revision nicht mehr aufrecht erhalten.

8. Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41, 50 ZPO.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:009OBA00090.19D.0122.000

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