OGH vom 28.02.1990, 9ObA351/89

OGH vom 28.02.1990, 9ObA351/89

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Ernst Oder und Peter Pulkrab als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Univ.-Doz. Dr. Walter K***, Chefarzt, Salzburg, Dossenweg 12, vertreten durch Dr. Berndt Sedlazeck, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei S*** G*** FÜR

A*** UND A***, Salzburg, Faberstraße 19-23, vertreten durch Dr. Rudolf Bruckenberger, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Feststellung (Streitwert S 1,181.502), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 49/89-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landegerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 18 Cga 255/88-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird, soweit sie sich gegen die Bestätigung der Abweisung des auf Feststellung gerichteten Klagebegehrens wendet, daß der Zustimmungsbeschluß des Angestelltenbetriebsrats vom nichtig und die Suspendierung des Klägers aus diesem Grunde unwirksam sei, nicht Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird insoweit als Teilurteil bestätigt.

Hingegen wird der Revision dahin Folge gegeben, daß die Urteile der Vorinstanzen im Rahmen des übrigen Klagebegehrens auf Feststellung, daß die Suspendierung des Klägers zufolge Verstoßes gegen Bestimmungen der DO.B auch inhaltlich rechtsunwirksam sei, sowie in den Kostenzusprüchen aufgehoben. Die Arbeitsrechtssache wird in diesem Umfang an das Prozeßgericht erster Instanz zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens aller Instanzen bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Gegen den Kläger, der Chefarzt der Beklagten ist, wurde von der Beklagten ein Disziplinarverfahren eingeleitet und eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet. Nach § 28 a Abs. 2 der Dienstordnung für die Ärzte und Dentisten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (DO.B) idF ab ist der Obmann (des betreffenden Sozialversicherungsträgers) berechtigt, mit Zustimmung des Betriebsrats einen Arzt vom Dienst zu entheben, wenn die Belassung des Arztes im Dienst wegen der Art der ihm zur Last gelegten Dienstpflichtverletzung wesentliche Interessen des Versicherungsträgers gefährden würde. Gemäß § 28 a Abs. 4 DO.B können die Dienstbezüge des vom Dienst enthobenen Arztes - mit Ausnahme der Kinderzulage und der Haushaltszulage - mit Zustimmung des Betriebsrats bis auf zwei Drittel herabgesetzt werden. Nachdem der Betriebsrat der Beklagten zu zwei Anträgen der Beklagten vom August 1988 und vom , den Kläger vom Dienst zu entheben, seine Zustimmung verweigert hatte, fand auf Grund eines weiteren Antrages des Obmannes der Beklagten auf Suspendierung des Klägers unter Kürzung der Bezüge um ein Drittel am eine Sitzung des Betriebsrats statt, in der der Betriebsrat mit den vier Stimmen der Sozialistischen Fraktion gegen die vier Stimmen der übrigen Betriebsratsmitglieder dadurch seine Zustimmung erteilte, daß der Vorsitzende von seinem Dirimierungsrecht bei Stimmengleichheit (§ 68 Abs. 2 ArbVG) Gebrauch machte. Mit Schreiben vom enthob der Obmann der Beklagten den Kläger gemäß § 28 a DO.B bei gleichzeitiger Herabsetzung der Dienstbezüge auf zwei Drittel vom Dienst. Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Feststellung, daß

a) der Beschluß des Angestelltenbetriebsrats der Beklagten vom , womit über Antrag des Obmannes der Beklagten einer Suspendierung (Enthebung vom Dienst) des Klägers als Chefarzt der Beklagten gemäß § 28 a DO.B mehrheitlich zugestimmt worden ist, nichtig sei, und

b) die von der Beklagten am ausgesprochene Suspendierung sowohl mangels einer wirksamen Zustimmung des Betriebsrats als auch inhaltlich rechtsunwirksam bzw. nicht gerechtfertigt sei.

Der zustimmende Beschluß des Betriebsrats sei unter grober Verletzung zwingender Bestimmungen des § 67 ArbVG und des § 14 Abs. 4 BRGO über die Einberufung und Durchführung der Sitzung zustandegekommen und daher nichtig. Die Betriebsratssitzung sei am ohne Bekanntgabe der Tagesordnung "überfallsartig" für denselben Tag einberufen worden, obwohl es sich um keine dringende Angelegenheit gehandelt habe. Der Beschluß sei auch deshalb rechtsunwirksam, da der Betriebsrat in derselben Sache bereits vorher gegenteilig entschieden habe, ohne daß eine Änderung des Sachverhalts eingetreten sei. Als einzige weitere "Unterlage" sei lediglich ein Telex des Generaldirektors des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger, Hofrat Dr. D***, vorgelegen, in dem dem Kläger vorgeworfen werde, für sich und seine Angehörigen Heilmittel auf Rechnung der Beklagten verordnet zu haben. Auch der Angestellte der Beklagten, Dr. Harald S***, habe keine weitere inhaltliche Information erteilen können. Es habe zwar eine äußerst heftige Diskussion gegeben, doch habe eine inhaltliche Erörterung der unberechtigten Vorwürfe überhaupt nicht stattgefunden. Die Zustimmung der Mitglieder des Betriebsrats sei durch Täuschung über das Vorliegen eines für den Kläger nachteiligen Gutachtens des Chefarztes des Hauptverbandes,

Univ.-Prof. Dr. D***, erwirkt worden; dieses Gutachten habe damals noch gar nicht existiert oder sei für den Kläger positiv ausgefallen. Die Zustimmung des Betriebsrats sei daher unter offensichtlichem Rechtsmißbrauch erfolgt. Der Vorsitzende des Angestelltenbetriebsrats, Anton W***, sei vom

seinerzeitigen Obmann der Beklagten massiv unter politischen Druck gesetzt worden. Der Betriebsratsvorsitzende habe selbst zugegeben, daß er den politischen Druck seiner Fraktion nicht mehr aushalte. Es habe sich bei der ganzen Aktion um ein politisch abgekartetes Spiel zwischen den Funktionären der Beklagten und den Mitgliedern der Sozialistischen Fraktion im Betriebsrat, insbesondere dem Betriebsratsvorsitzenden, gehandelt.

Unabhängig davon sei die Suspendierung jedenfalls ungerechtfertigt erfolgt, weil die dafür geltend gemachten Gründe nicht vorlägen. Die Rezeptverschreibungen in eigener Sache und für engste Familienangehörige seien mangels gegenteiligen Verbots erlaubt gewesen. Der Kläger hätte auch den Fortgang der weiteren Untersuchung gar nicht behindern können, da sämtliche 4000 Rezepte, die den chefärztlichen Dienst betrafen, bereits vorher vom BMfAuS geprüft worden seien.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Dem Betriebsratsmitglied Gerd E*** sei noch am Vormittag des die Tagesordnung der schließlich auf 12.15 Uhr verlegten Betriebsratssitzung bekannt gegeben worden. Der Obmann der Beklagten habe den neuerlichen Antrag auf Zustimmung zur Entlassung des Klägers deshalb gestellt, weil hervorgekommen sei, daß dieser bedenkenlos Rezepte für seine Familie ausgestellt habe, obwohl er dazu nicht berechtigt gewesen sei. Gemäß § 357 ASVG sei in Leistungs- und Verwaltungssachen nach dem ASVG die Bestimmung des § 7 AVG über die Befangenheit von Verwaltungsorganen anzuwenden. Nach § 7 AVG hätte sich der Kläger daher der Ausübung seines Amtes zu enthalten gehabt, soweit er selbst, seine Gattin oder seine Tochter beteiligt gewesen seien. Eine Überprüfung der durch den Kläger ausgestellten Rezepte habe überdies ergeben, daß er in der Zeit vom bis insgesamt 36 Rezepte für sich, seine Gattin und die Tochter ausgestellt habe. Auf den Kläger seien hievon 13 Rezepte mit insgesamt 42 Verschreibungen, auf seine Gattin 14 Rezepte mit 48 Verschreibungen und auf die 16jährige Tochter 15 Rezepte mit 71 Verschreibungen entfallen. Schon allein das Ausmaß der Verschreibungen und der Umstand, daß sich darunter Präparate wie Aspirin C-Brause, Badezusätze und Abführmittel befunden hätten, zeigten, daß diese keinesfalls als Heilmittel auf Kassenkosten verschrieben hätten werden dürfen.

Zum Zeitpunkt der Dienstenthebung des Klägers sei auf Grund eines Berichtes des BMfAuS über die bei der Beklagten vom 18.Juli bis durchgeführte Teileinschau und auf Grund anschließender Erhebungen gegen den Kläger bereits ein Disziplinarverfahren mit zahlreichen Fakten anhängig gewesen, die stichwortartig wie folgt zu bezeichnen seien:

1. Dipl.Ing. B***, Erwerb der Liegenschaft EZ 757 KG Morzg durch den Kläger und dessen Gattin,


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2.
Operationen im Stadtkrankenhaus Traunstein,
3.
Bezug von Moorpackungen im Kurzentrum Vigaun,
4.
Krankengeldbezug von Pensionisten,
5.
Bewilligung von Tubenligaturen (Unterbrechnung der Eileiter zur Schwangerschaftsverhütung),
6. Abhaltung von Pressekonferenzen und damit verbundener Verletzung der Verschwiegenheitspflicht,
7.
Verschreibungen für sich selbst und nahe Angehörige,
8.
Verordnungen Regeneratorium St.Georgener Hof,
9.
Verrechnungsbefugnis für Dr. Z***,
10.
Verletzung der Dienstaufsichtspflicht,
11.
Erhebung öffentlicher Vorwürfe gegen den Obmann der Salzburger Gebietskrankenkasse, Ing. Josef S***, im Zusammenhang mit einem Krankenhausaufenthalt im Privatsanatorium Wehrle,
12. mißbräuchliche Verwendung von Sozialversicherungsmitteln für private Zwecke.
Allein die Vielzahl und Schwere der erhobenen Vorwürfe bestätige, daß es der Beklagten nicht habe zugemutet werden können, den Kläger weiterhin im Dienst zu belassen. Dazu seien eine die Suspendierung fordernde Berichterstattung in den Medien und Aufforderungen durch Politiker gekommen, die bereits Versicherungsnehmer veranlaßt hätten, im Parteienverkehr die Konsultation des Klägers abzulehnen. Der Kläger habe ferner die Möglichkeit des persönlichen Zugriffs auf das Datenmaterial der Beklagten mißbräuchlich dazu benützt, um Funktionäre und Angestellte der Beklagten öffentlich und fälschlich zu beschuldigen. Es sei nicht Sache der Beklagten, eine vom Betriebsratsvorsitzenden abgegebene Zustimmungserklärung zu überprüfen. Abgesehen davon liege ein wirksam zustandegekommener Betriebsratsbeschluß vor, den der Kläger nicht anfechten könne. Da es sich bei der Suspendierung nicht um eine Disziplinarmaßnahme im Sinne des § 102 ArbVG handle, könne der Kläger auch nicht deren inhaltliche Überprüfung begehren.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:
Der Angestelltenbetriebsrat der Beklagten besteht aus vier Mitgliedern der Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter, drei Mitgliedern der Namensliste E*** und einem Mitglied der Fraktion Überparteilicher Gewerkschaften. Vorsitzender des Betriebsrats ist der Listenführer der Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter, Anton W***. Die Sekretärin des Angestelltenbetriebsrates
verständigte am um 8.15 Uhr den Angestellten Gerd E***, der als Betriebsratsmitglied der Namensliste E*** angehört, daß der Vorsitzende des Betriebsrats für 9.15 Uhr eine Sitzung anberaumt habe. Auf die Frage nach der Tagesordnung sagte die Sekretärin, daß er "dies eh wisse". Er antwortete, daß er dies nicht wisse und aus dienstlichen Gründen bis 12.15 Uhr an keiner Sitzung teilnehmen könne. Im Laufe des Vormittags wurde er davon verständigt, daß es um einen neuerlichen Antrag auf Zustimmung zur Enthebung des Klägers gehe. Eibenberger erklärte, daß er keinen Grund sehe, darüber eine Betriebsratssitzung abzuhalten, daß er sich aber ab 12.15 Uhr zu einer Besprechung zur Verfügung stelle. Die Sitzung wurde daraufhin auf 12.15 Uhr verschoben.
Bei der Sitzung um 12.15 Uhr waren sämtliche Mitglieder des Angestelltenbetriebsrats anwesend. Für das verhinderte Betriebsratsmitglied E*** war ein Ersatzmann erschienen. Der Betriebsratsvorsitzende ersuchte den mit den Ermittlungen der Beklagten im Disziplinarverfahren gegen den Kläger beauftragten Angestellten Dr. Harald S*** mitzuteilen, warum überhaupt ein neuer Antrag auf Suspendierung gestellt wurde. Dr. S*** sprach von 36 neuen dem Kläger angelasteten Fällen und meinte, es sei ihm unerklärlich, warum diese erst jetzt geltend gemacht würden. Dr. S*** verwies auf ein Fernschreiben des Generaldirektors des Hauptverbandes Hofrat Dr. D***, in dem die Ansicht vertreten werde, daß die Verordnung von Rezepten durch den Kläger für sich und seine Familienangehörigen rechtswidrig gewesen sei. Er erklärte, daß ein Rechtsgutachten des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger über die Beurteilung dieser Rezepte vorliege, er dieses Gutachten aber nicht vorlegen könne. E*** ersuchte den Betriebsratsvorsitzenden, diese sogenannten neuen Vorwürfe einer rechtlichen Abklärung durch die Ärztekammer zuzuführen und begehrte eine Verlegung der Sitzung; auf Grund der Mehrheitsverhältnisse im Betriebsrat spiele es keine Rolle, ob über den Antrag sofort oder erst in einer Woche abgestimmt werde. E*** meinte weiters, daß man diese Sitzung nur als Betriebsbesprechung ansehen könne. Ein Dringlichkeitsfall sei nicht gegeben; außerdem sei der frühere vom Betriebsrat einstimmig gefaßte Beschluß bindend.
Eine inhaltliche Überprüfung der neuen Vorwürfe gegen den Kläger fand nicht statt; eine solche konnte auch nicht erfolgen, weil keine Unterlagen vorhanden waren. Das Betriebsratsmitglied Walter S*** (Sozialistische Fraktion) beantragte, über den Antrag des Obmannes der Beklagten abzustimmen. Es wurde gefragt, wer dafür und wer dagegen sei. E*** und drei weitere Betriebsratsmitglieder erklärten, gegen den Antrag zu stimmen. Die vier Mitglieder der Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter mit den Betriebsratsvorsitzenden waren für eine Supsendierung des Klägers. Der Betriebsratsvorsitzende machte von seinem Recht Gebrauch, bei Stimmengleichheit für die Suspendierung zu dirimieren. Das Ergebnis der Abstimmung wurde im Protokoll über die Betriebsratssitzung festgehalten.
Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß es sich bei der Enthebung vom Dienst gemäß § 28 a DO.B nicht um eine Disziplinarmaßnahme im Sinne des § 102 ArbVG handle. Die Überprüfung einer solchen Maßnahme müsse sich somit darauf beschränken, ob die Voraussetzungen des § 28 a DO.B vorliegen; eine weitergehende inhaltliche Überprüfung der Vorwürfe, ob die Vorwürfe auch zutreffen, komme nicht in Betracht, da eine solche Prüfung schon eine Vorwegnahme des Disziplinarverfahrens wäre. Da der Kläger unkündbar sei, dürfe er gemäß § 31 DO.B nur auf Grund eines Disziplinarerkenntnisses entlassen werden. Damit sei er trotz der Kürzung der Bezüge bessergestellt als Arbeitnehmer in einem nicht geschützten Arbeitsverhältnis, da er die Kürzungsbeträge nachgezahlt erhalte, wenn das Disziplinarverfahren ergebe, daß die Anschuldigungen unberechtigt seien.
Der Beschluß des Betriebsrats sei weder mit Verfahrensfehler noch mit Willensmängeln behaftet gewesen. Der Grundsatz "ne bis in idem" gelte für gerichtliche Verfahren, nicht aber für Entscheidungen des Betriebsrats. Allfällige Verfahrensfehler seien überdies im Sinne des § 14 Abs. 6 BRGO geheilt. Von einem rechtswirdigen politischen Druck der Beklagten auf Betriebsratsmitglieder könne nicht gesprochen werden, da nicht ersichtlich sei, welchem Druck das einzelne Betriebsratsmitglied tatsächlich ausgesetzt gewesen sein sollte. Der Betriebsrat sei auch nicht getäuscht worden. Dr. S*** habe nur behauptet, daß ein entsprechendes Gutachten existiere, er es aber derzeit nicht vorlegen könne. Das Betriebsratsmitglied E*** habe zu erkennen gegeben, daß auch ein allfälliges Gutachten für ihn nicht Entscheidungsgrundlage sein könne. Er habe die übrigen Betriebsratsmitglieder aufgefordert, seiner Argumentation zu folgen; es habe eine Diskussion gegeben und er sei mit seinen Argumenten nicht durchgedrungen. Von einem offenkundigen Rechtsmißbrauch bzw. von List oder Drohung könne keine Rede sein. Im übrigen sei schon auf Grund der von der Beklagten behaupteten Verfehlungen des Klägers davon auszugehen, daß dadurch wesentliche Interessen der Beklagten gefährdet würden.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, S 30.000 übersteige. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und führte ergänzend aus, daß der Kläger zwar eine Überprüfung seiner Suspendierung begehren könne, daß sich diese Überprüfung aber auf das Vorliegen eines rechtswirksamen Zustimmungsbeschlusses des Betriebsrats und darauf beschränken müsse, ob die behaupteten Verfehlungen, objektiv gesehen, eine Dienstenthebung rechtfertigten. Dr. S*** habe in der Sitzung des Betriebsrats vom von 36 neuen Fällen gesprochen, die dem Kläger anzulasten seien, so daß ein gerechtfertigter Anlaß für eine neuerliche Beschlußfassung vorgelegen sei. Zwischen dem Kläger und dem Betriebsrat bestehe kein Vertragsverhältnis. Es sei daher zweifelhaft, ob die Bestimmungen der §§ 870 ff ABGB auf einen Beschluß des Betriebsrats anzuwenden seien. Der Kläger habe auch gar nicht behauptet, daß die Betriebsratsmitglieder mit konkreten Nachteilen bedroht worden wären. Ein politischer Mandatar sei in der Regel einem gewissen Druck durch Fraktionskollegen oder durch Medien ausgesetzt und müsse daher naturgemäß in der Lage sein, dieser Belastung standzuhalten. Ebenso fehle es an konkreten Behauptungen des Klägers in erster Instanz über eine Täuschung des Betriebsrats durch Organe der Beklagten. Die Annahme, daß das von Dr. S*** erwähnte Gutachten für den Standpunkt des Klägers spreche, sei eine bloße Vermutung. Der Beweisantrag des Klägers, die Beklagte zur Vorlage des Gutachtens zu verhalten, laufe auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis hinaus.
Gegen den Kläger sei der Vorwurf sehr massiver Dienstpflichtverletzungen erhoben worden. Ob diese Vorwürfe inhaltlich berechtigt seien, könne im Rahmen dieses Verfahrens nicht überprüft werden. Aus der Art und der Schwere der Vorwürfe müsse aber geschlossen werden, daß der Beklagten eine weitere Dienstausübung des Klägers bis zur Klärung der Vorwürfe im Disziplinarverfahren wohl nicht mehr zugemutet werden könne. Die Beklagte habe auch Strafanzeige erstattet und die Medien hätten eingehend darüber berichtet. Eine Belassung des Klägers im Dienst wäre sohin auch in der Öffentlichkeit kaum verständlich gewesen. Demgegenüber trete die Frage, ob die Suspendierung wegen "Verdunkelungsgefahr" oder "Wiederholungsgefahr" erforderlich sei, in den Hintergrund, zumal wesentliche Interessen der Beklagten zweifellos gefährdet gewesen seien. Eine im Berufungsverfahren beantragte Unterbrechung des Verfahrens bis zur Erledigung des anhängigen Strafverfahrens sei aus diesen Gründen nicht erforderlich. Gegen dieses Urteil richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt, in eventu wird begehrt, das Verfahren bis zur rechtskräftigen Erledigung des zu 9 St 7269/89 der Staatsanwaltschaft Salzburg bzw. des LG Salzburg infolge bzw. über den Antrag des Klägers gemäß § 48 Z 1 StPO anhängigen Verfahrens zu unterbrechen.
Die Beklagte beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zum Teil berechtigt.

Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit, mit dem im wesentlichen die Wirksamkeit des Zustimmungsbeschlusses des Betriebsrats bekämpft wird, liegt nicht vor. Auch der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, mit dem ein "sekundärer" Verfahrensmangel geltend gemacht wird, ist nur insoweit (als unrichtige rechtliche Beurteilung) gegeben, als die Vorinstanzen - wie noch auszuführen sein wird - auf Grund ihrer Rechtsansicht jegliche Beweisaufnahme zur Prüfung der materiell-rechtlichen Berechtigung der Beklagten zur Suspendierung des Klägers abgelehnt haben (§ 510 Abs. 3 ZPO). Da bereits das Berufungsgericht den Antrag des Klägers, das Verfahren bis zum Abschluß des Strafverfahrens über die erstattete Strafanzeige zu unterbrechen, zwar nicht mit gesondertem Beschluß, jedoch in den Entscheidungsgründen ausdrücklich abgewiesen hat, besteht insoferne weder eine Anfechtungsmöglichkeit (§ 192 Abs. 2 ZPO) noch ist ein neuerlicher Antrag auf Grund desselben Begehrens zulässig.

Die Rechtsrüge des Revisionswerbers vermag nur zum Teil zu überzeugen. Richtig ist, daß die Abgrenzung des arbeitsverfassungsrechtlichen Begriffs der Disziplinarmaßnahmen im Sinne des § 102 ArbVG gegenüber rein verfahrensrechtlichen Schritten einen allfälligen arbeitsvertraglichen Rechtsschutz gegen die Einleitung und Durchführung eines Disziplinarverfahrens nicht prinzipiell ausschließt. Das betriebliche Disziplinarstrafrecht beruht, soweit nicht für bestimmte Arbeitsverhältnisse gesetzliche Disziplinarvorschriften bestehen, auf einem dem Arbeitgeber durch Einzelvertrag oder Kollektivvertrag eingeräumten einseitigen Gestaltungsrecht (vgl. Spielbüchler, Grundlagen eines betrieblichen Disziplinarstraffrechts, DRdA 1970, 7 ff, 9 f). Dieses berechtigt den Arbeitgeber zwecks Wahrung und Wiederherstellung der betrieblichen Ordnung zu Maßnahmen, mit denen dem Arbeitnehmer ein Nachteil zugefügt oder zumindest angedroht wird (Strasser in Floretta-Strasser ArbVG Komm., § 102 Erl.2.3; Martinek-Schwarz AngG6 550; Arb.9.175 ua). Das privatrechtliche (JBl.1976, 365) Gestaltungsrecht ist zur Vermeidung von Willkür notwendig an bestimmte materielle Voraussetzungen geknüpft (Spielbüchler aaO 10). Die Rechtsprechung bejaht diesbezüglich ein umfassendes, auch die tatsächlichen Feststellungen einer Disziplinarkommission einschließendes Recht der Gerichte zur Nachprüfung betrieblicher Disziplinarerkennntnisse, wobei diese Prüfung auch die Frage umfaßt, ob die Disziplinarmaßnahme gegen zwingende Vorschriften des ArbVG verstößt, ob sie also etwa mangels Zustimmung des Betriebsrats rechtsunwirksam ist (Arb.9.649, 9.893 je mwH). Da die Ausübung des dem Arbeitgeber eingeräumten Gestaltungsrechts erst durch die Strafverhängung oder den Ausspruch, daß von einer Strafe abgesehen wird, ihren Abschluß findet, besondere Verfahrensvorschriften für die Verhängung der Disziplinarstrafe nicht bestehen müssen und selbst wenn sie bestehen, ihre Verletzung jedenfalls nicht zwingend die Unwirksamkeit der verhängten Strafe nach sich zieht, ist dem Arbeitnehmer gegen die Einleitung des Disziplinarverfahrens und gegen sonstige Verfahrensschritte grundsätzlich ein nachprüfender Rechtsschutz erst dann zu gewähren, wenn eine Disziplinarstrafe ausgesprochen wird. Ein Rechtsschutz gegen die Einleitung des Disziplinarverfahrens oder gegen andere Verfahrensschritte würde in die noch nicht abgeschlossene Ausübung des Gestaltungsrechts des Arbeitgebers vorzeitig eingreifen, das Verfahren unnötig verzögern und sich rückschauend als zwecklos erweisen, wenn das Disziplinarverfahren mit dem Ergebnis endet, daß eine Disziplinarstrafe nicht zu verhängen oder anzudrohen war. In der Regel hat daher der Arbeitnehmer erst nach Abschluß eines gegen ihn geführten Disziplinarverfahrens das Recht, die Überprüfung der verhängten Disziplinarmaßnahme im Wege der von der Rechtsprechung anerkannten Feststellungsklage zu begehren (vgl. JBl.1955, 529; Arb.9.623, 9.839, 9.860, 9.893, 9.895 = SZ 53/121; SZ 59/215; 14 Ob A 73/87 ua).

Im vorliegenden Fall geht es jedoch nicht darum, ob die Suspendierung des Klägers unter Kürzung seiner Bezüge bereits eine Disziplinarmaßnahme im Sinne des § 102 ArbVG ist (vgl. Floretta-Strasser MKK ArbVG2 § 102 Anm.2), welcher der Charakter einer endgültigen Sanktion zukommt, oder ob es sich nur um einen Verfahrensschritt im Zuge des Disziplinarverfahrens handelt. Das diesbezügliche Gestaltungsrecht der Beklagten ist nämlich durch § 28 a Ab.1 und 2 DO.B dadurch eingeschränkt, daß die Enthebung vom Dienst nur mit Zustimmung des Betriebsrats und aus den angeführten, erschöpfend aufgezählten Gründen erfolgen darf. Dem durch die Dienstordnung, die als Kollektivvertrag anzusehen ist (Arb.9.649), begründeten Recht des Klägers, nur bei Vorliegen eines dieser Gründe von der Dienstleistung ausgeschlossen zu werden, entspricht auf Seite der Beklagten die Verpflichtung, von ihrem Suspendierungsrecht gleichfalls nur unter diesen Voraussetzungen Gebrauch zu machen. insoferne besteht im Anwendungsbereich der DO.B ein Recht auf Beschäftigung, so daß der betroffene Arbeitnehmer eine im Widerspruch zu § 28 a DO.B angeordnete Suspendierung als Verletzung des Arbeitsvertrages nicht hinnehmen muß (vgl. Martinek-Schwarz, AngG6 420 f; Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht4 220; Arb.10.103; DRdA 1987/3 mit Besprechung von Wachter, insbesondere 61 f). Die Frage des Vorliegens eines wirksamen Zustimmungsbeschlusses des Betriebsrates vom wurde bereits vom Obersten Gerichtshof geprüft (9 Ob A 262/89). In diesem vom Betriebsratsmitglied Gerd E*** gegen den Angestelltenbetriebsrat der Beklagten geführten Verfahren ging es bei einem im wesentlich gleichgelagerten Sachverhalt ebenfalls darum, ob der Beschluß des Betriebsrats unter Verletzung zwingender Bestimmungen über die Einberufung der Sitzung zustandegekommen und, ob eine Entscheidung in derselben Angelegenheit zulässig war, ohne daß eine Sachverhaltsänderung eingetreten war, ob die Zustimmung des Betriebsrats durch eine Täuschung über das Vorliegen eines für den Kläger nachteiligen Gutachtens erwirkt worden und ob die Zustimmung insgesamt unter offensichtlichem Rechtsmißbrauch erfolgt war. Der Oberste Gerichtshof bejahte in diesem Verfahren die Klagelegitimation des klagenden Betriebsratsmitglieds und ging auch auf die geltend gemachten Sachargumente im einzelnen ein. Demnach ist es zwar richtig, daß die Mitglieder des Betriebsrates gemäß § 67 Abs. 1 ArbVG zu den Sitzungen des Betriebsrates rechtzeitig - dies ist grundsätzlich spätestens am Vortag (Floretta-Strasser, ArbVG Komm.379) - unter Bekanntgabe der Tagesordnung zu laden sind, doch kann gemäß § 14 Abs. 4 BRGO davon abgesehen werden, wenn besondere Gründe den sofortigen Zusammentritt des Betriebsrates erfordern. Der Verfahrnsfehler mangelnder oder nicht rechtzeitiger Verständigung ist aber jedenfalls saniert, wenn die nicht (rechtzeitig) verständigten Mitglieder zur Sitzung des Betriebsrates tatsächlich erscheinen (§ 14 Abs. 6 BRGO; Floretta-Strasser, ArbVG Komm.380). Da das Betriebsratsmitglied E*** am um 8.15 Uhr von der schließlich für 12.15 Uhr angesetzten Betriebsratssitzung verständigt wurde und auch von dem einzigen Tagesordnungspunkt Kenntnis erhielt, der Betriebsratsvorsitzende die Sache mit guten Gründen für dringlich halten durfte und E*** zur Betriebsratssitzung erschienen ist, sind allfällige Mängel der gehörigen Verständigung geheilt.

Eine entscheidungswesentliche Täuschung der dem Antrag zustimmenden Betriebsratsmitglieder lag schon deshalb nicht vor, weil der der Betriebsratssitzung gemäß § 67 Abs. 4 ArbVG beratend zugezogene Dr. Harald S*** ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß er das existierende Gutachten derzeit nicht vorlegen könne und weil dieses Gutachten auch nicht die einzige Entscheidungsgrundlage des Betriebsrates war. Selbst wenn aber dieses Gutachten damals noch gar nicht existiert oder keine Verdachtsgründe gegen den Kläger enthalten hätte, könnte nur der Betriebsrat selbst wegen der Täuschung der für die Annahme stimmenden Mitglieder die gegenüber dem Arbeitgeber abgegebene Zustimmungserklärung anfechten. Da eine durch List und ungerechtfertigte Furcht veranlaßte Erklärung nicht absolut nichtig sondern nur anfechtbar ist (Rummel in Rummel ABGB2 Rz 7 zu § 870), müßte es im Fall einer Täuschung dem Betriebsrat überlassen bleiben, ob er anfechten oder die abgegebene Erklärung weiterhin gegen sich gelten lassen wollte. Im übrigen liefe aber eine Prüfung der Frage, ob der Entscheidung zur Anfechtung berechtigende Willensmängel anhaften, insbesondere im Hinblick darauf, daß das von Dr. Harald S*** erwähnte Gutachten des Hauptverbandes nicht die einzige Entscheidungsgrundlage für die Zustimmung des Betriebsrates zur Enthebung des Klägers war, auf eine richterliche Nachprüfung der demokratischen Willensbildung eines Organs der Betriebsverfassung hinaus, die jedenfalls in jenen Bereichen, in denen es um die Ausübung pflichtgemäßen Ermessens oder um die Anwendung unbestimmter Gesetzesbegriffe geht, unzulässig ist. Ob Beschlüsse mit gesetzwidrigem Inhalt angefochten werden können (vgl. für den deutschen Rechtsbereich Fitting-Auffarth-Kaiser-Heither, BetrVG15 434), kann hier dahingestellt bleiben, weil der Betriebsrat zu beurteilen hatte, ob die vorliegenden Verdachtsgründe nach ihrer Schwere für die Zustimmung zur Enthebung des Klägers ausreichen.

Die Ausübung rechtswidrigen Drucks wurde im Verfahren 9 Ob A 262/89 nicht behauptet. Für einen derartigen Mangel muß an sich das gleiche gelten wie für die behauptete Täuschung. Es ist diesbezüglich dem Berufungsgericht beizupflichten, daß die Androhung konkreter Nachteile im gegenständlichen Verfahren nicht behauptet wurde. Auch in der Revision ist der Kläger nicht in der Lage, anzuführen, worin der nur undifferenziert behauptete "politische Druck" im einzelnen bestanden habe.

Abgesehen davon bedarf es keiner weiteren Erörterung der Wirksamkeit des Zustimmungsbeschlusses des Betriebsrats, da, wie bereits erwähnt, eine durch List und ungerechtfertigte Furcht veranlaßte Erklärung nicht von vorneherein nichtig, sondern nur anfechtbar ist. Eine Anfechtung des Beschlusses des Betriebsrates ist zwar durch das Betriebsratsmitglied E*** erfolgt, sie blieb aber erfolglos. Das auf Feststellung der Unwirksamkeit der Suspendierung gerichtete Klagebegehren ist somit unabhängig davon, ob der Kläger überhaupt zur Anfechtung berechtigt wäre und gegen wen sich diese Anfechtung zu richten hätte (vgl. die Ausführungen Strassers im ArbVG Handkomm. 599 f, wonach dem betroffenen Arbeitnehmer gegen Fehlentscheidungen des Betriebsrats überhaupt keine Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen; Floretta-Strasser MKK ArbVG2 § 102 Anm.1; Strasser in Floretta-Strasser, Arbeitsrecht2 II 290 f; Rummel aaO, § 876 Rz 4; SZ 56/84), jedenfalls nicht zielführend.

Die Revision ist aber insoweit berechtigt, als bisher überhaupt nicht geprüft wurde, ob tatsächlich ausreichende Verdachtsgründe iS des § 28 a Abs 2 DO.B für eine Suspendierung des Klägers vorgelegen sind. Es geht allerdings bei dieser Prüfung nicht darum, wie es dem Revisionswerber offenbar vorschwebt, schon jetzt die Ergebnisse des Disziplinarverfahrens gleichsam vorwegzunehmen, sondern lediglich darum, ob die bisher nur behaupteten Verfehlungen im Sinne eines begründeten Verdachtes auch zutreffen. Dabei wird die Notwendigkeit der Suspendierung nicht nach der subjektiven Einschätzung der Beklagten, sondern allein nach objektiven Kriterien, jedoch ohne weitwendiges Beweisverfahren zu beurteilen sein (vgl. Arb.10.102). Die Kostenentscheidung ist in § 52 Abs. 2 ZPO begründet.