OGH vom 17.01.1990, 9ObA347/89
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichshofes Hon-Prof.Dr. Kuderna als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Dietmar Strimitzer und Dr. Renate Klenner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A*** DER E***-U*** A*** FÜR
E*** I***, Wien 21., Shuttleworthstraße 6, vertreten durch den Vorsitzenden Franz P***, techn. Angestellter, Wien 22., Hartlebengasse 55/11, dieser vertreten durch Dr. Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei E***-U***, A*** FÜR E*** I***, Wien 14.,
Penzingerstraße 76, vertreten durch Dr. Michael Meyenburg, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs 1 ASGG (Streitwert S 31.000,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 33 Ra 74/89-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 7 Cga 1573/88-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 3.087,-- (darin S 514,50 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit der vorliegenden Klage begehrt der klagende Betriebsrat die Feststellung, daß anläßlich der am am Sitz der Beklagten stattgefundenen Betriebsversammlung, welche eine Dienstverhinderung der Angestellten durch 2/3 Stunden zur Folge gehabt habe, ein Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts bestehe und daher der mit der Aprilabrechnung 1988 vorgenommene Abzug für 2 Stunden nicht gerechtfertigt erscheine. Bei dieser Betriebsversammlung, an der mehr als drei Angestellte teilgenommen hätten, sei es um den Fortbestand des Werkes, Shuttleworthstraße 6, gegangen. Die Angestellten hätten an der Teilnahme ein eigenes Interesse gehabt, da es um ihre Arbeitsplätze gegangen sei. Die Dienstverhinderung habe von 8 Uhr bis ca. 10,45 Uhr gedauert. Die Beklagte sei verpflichtet, den Angestellten, für die Zeit der Betriebsversammlung und der Zu- und Abfahrt von dieser das Entgelt fortzuzahlen.
Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Bei der genannten Protestversammlung habe es sich nicht um eine Betriebsversammlung im Sinne des Arbeitsverfassungsgesetzes gehandelt. Da den Arbeitnehmern schon für die Zeit einer Betriebsversammlung gemäß § 47 Abs 1 ArbVG kein Entgelt gebühre, hätten sie darauf aufgrund einer bloßen Protestversammlung umso weniger Anspruch. Diese Versammlung, die sich allein gegen die wirtschaftlich begründete Entscheidung des Unternehmens, die Fertigung zu verlagern, gerichtet habe, hätte ebensogut auch außerhalb der Arbeitszeit abgehalten werden können. Kein Arbeitnehmer sei verpflichtet gewesen, daran teilzunehmen; keiner habe durch die Teilnahme eine höherwertige Pflicht erfüllt. Obwohl durch die Protestaktion die Werkleistung für ca. 3,5 Stunden eklatant beeinträchtigt gewesen sei, habe der Vorstand 1,5 Stunden der Ausfallszeit ohnehin freiwillig fortgezahlt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte im wesentlichen fest:
Die Beklagte beabsichtigte, die Motorenwerke von ihrem Teilwerk Wien 21., Shuttleworthstraße 6, in das Werk Weiz zu verlegen. Für eine diesbezügliche Entscheidung war für den Vormittag des eine Aufsichtsratsitzung in der Zentrale Wien 14., Penzingerstraße 76, angesetzt. Da durch die Verlegung der Motorenwerke ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze der Arbeitnehmer im Teilwerk Shuttleworthstraße 6 in Verlust zu gehen drohte und einige Aussprachen mit dem Vorstand der Beklagten bereits ergebnislos geblieben waren, beschloß der Betriebsrat des Teilwerks am Abend des über Verlangen zahlreicher Belegschaftsmitglieder, zugleich mit der Ausichtsratssitzung eine Protestversammlung abzuhalten. Der Betriebsrat kündigte die Versammlung in Flugblättern an, in denen er zur "Protestaktion gegen die Verlegung der Motorenproduktion von Wien nach Weiz" am vor der Zentrale der Beklagten in Penzing aufrief und auf die Abfahrt mit Bussen um 8 Uhr sowie auf eine Rückfahrt um ca. 10,30 Uhr hinwies.
Diese Flugblätter wurden am Morgen des ab 6 Uhr an die Arbeitnehmer verteilt. Der Leiter des Teilwerks, Prokurist C***, wurde von der geplanten Versammlung erst zwischen 6,30 Uhr und 7 Uhr verständigt. Gegen 8 Uhr fuhr ein Großteil der Arbeitnehmer des Teilwerks mit Autobussen zur Zentrale, wo von etwa 8,30 Uhr bis 9 Uhr die Protestversammlung stattfand. Gegen 10,45 Uhr trafen die Arbeitnehmer wieder im Werk Shuttleworthstraße 6 ein und nahmen dort ihre Arbeit wieder auf.
Bei dieser Versammlung, für die es außer der Protestaktion keine Tagesordnung gab, führte der Vorsitzende des Angestelltenbetriebsrates Franz P*** den Vorsitz. Weiters sprachen der Vorsitzende des Arbeiterbetriebsrates, der Bürgermeister der Stadt Wien und der Vorsitzende des Aufsichtsrates der Beklagten über die Verlegung der Motorenwerke. Auch Arbeitnehmer der Zentrale der Beklagten nahmen aus Solidarität an dieser Versammlung teil. In der Gehaltsabrechnung für April 1988 wurde den Angestellten des Teilwerks, die an dieser Protestversammlung teilgenommen hatten, darunter auch den Mitgliedern des Angestelltenbetriebsrats, das anteilige Entgelt für zwei Stunden unter der Bezeichnung "unbezahlter Urlaub" vom Gehalt abgezogen. Dieser Abzug entsprach zeitlich der Dauer der Hin- und Rückfahrt.
Eine Regelung über eine allfällige Entgeltzahlung für Betriebsversammlungen oder sonstige Versammlungen der Arbeitnehmer der Beklagten durch Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung besteht nicht.
Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß aus der Bestimmung des § 47 Abs 1 ArbVG eine Verpflichtung der Beklagten zur Entgeltfortzahlung nicht abzuleiten sei. Abgesehen davon habe es sich bei der Protestaktion der Arbeitnehmer nicht um eine Betriebsversammlung im technischen Sinn gehandelt, da alle gesetzlichen Erfordernisse hiezu gefehlt hätten. Der geltend gemachte Anspruch sei auch weder aus § 37 ArbVG, der auf entgeltrechtliche Vorschriften nicht Bezug nehme, noch aus § 8 Abs 3 AngG zu begründen. Der Zeitpunkt der Protestversammlung sei von der klagenden Partei willkürlich und ohne zwingende Notwendigkeit zeitgleich mit der Aufsichtsratssitzung der Beklagten angesetzt worden. Von einer die Angestellten treffenden Pflichtenkollision könne keine Rede sein.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach - entgegen der Bestimmung des § 45 Abs 5 ASGG - aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 30.000,-- übersteige. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und führte ergänzend aus, nicht die Beklagte habe einseitig gehandelt, sondern die klagende Partei habe mit ihrer einseitigen Vorgangsweise eine Reaktion der Beklagten hervorgerufen. Für den Abzug aliquoter Entgeltbestandteile spiele es keine Rolle, ob die Entgeltverrechnung nach Stunden oder Monaten erfolge. Es habe keine Notwendigkeit bestanden, die Protestversammlung während der Arbeitszeit abzuhalten. Bestehe nicht einmal für die Teilnahme an einer Betriebsversammlung Entgeltfortzahlungspflicht im Sinne des § 8 Abs 3 AngG, dann könne eine solche kraft Größenschlusses noch viel weniger für eine schlichte Protestversammlung bestehen. Den teilnehmenden Betriebsratsmitgliedern sei anzulasten, daß sie ihre Aktion nicht "tunlichst ohne Störung des Betriebes" ausgeführt hätten. Auch für sie müsse gelten, daß keine Notwendigkeit bestanden habe, die Protestaktion während der Arbeitszeit durchzuführen. Gegen dieses Urteil richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Beklagte beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der geltend gemachte Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Der Klage ist mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, daß Gegenstand des Feststellungsverfahrens gemäß § 54 Abs 1 ASGG die Ansprüche der an der Versammlung teilnehmenden Angestellten schlechthin sein sollte. Eine Differenzierung in arbeitswillige Arbeitnehmer, die etwa an der Arbeitsleistung gehindert worden wären, und andere Arbeitnehmer wurde nicht vorgenommen. Es fehlt auch eine Behauptung, daß die Arbeit während der Protestaktion im Betrieb zur Gänze geruht hätte. Hinsichtlich der Ansprüche der teilnehmenden Betriebsratsmitglieder wurde kein Feststellungsbegehren gestellt. Soweit der Angestelltenbetriebsrat als Kläger auftritt, handelt er als parteifähiges Organ der Arbeitnehmerschaft für die von ihm vertretenen Arbeitnehmer (vgl. Kuderna, ASGG § 54 Erl. 4 und 7). Hätte der Betriebsrat daher eigene Ansprüche geltend machen wollen, hätte er zumindest ein diesbezügliches Begehren stellen müssen. Die Rechtsrüge geht nicht von den Feststellungen aus, soweit sie unterstellt, die Arbeitsverhinderung der Angestellten sei der Sphäre der Beklagten zuzurechnen. Inwiefern die Beklagte Mittel und Wege gehabt hätte, den Zeitpunkt der Abhaltung der Versammlung durch Klage und Antrag auf einstweilige Verfügung zu bekämpfen, ist unerfindlich. Der Leiter des Teilwerks wurde von der für den , 8 Uhr, angesetzten Protestversammlung erst zwischen 6,30 Uhr und 7 Uhr desselben Tages verständigt. Der Zeitraum von etwa einer Stunde reichte allenfalls für die Information der Zentrale, nicht aber für die Einbringung einer Klage oder eines Antrages auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung (vgl. auch Firlei in DRdA 1982, 436).
Wie die Vorinstanzen richtig erkannten, entsteht den Arbeitnehmern aus der Teilnahme an einer Betriebsversammlung während der Arbeitszeit gemäß § 47 Abs 1 ArbVG kein Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts für diesen Zeitraum. Den Gesetzesmaterialien ist dazu zu entnehmen, daß es an einer Regelung zur Abgeltung eines allfälligen Verdienstentganges im geltenden Recht fehle. Die genannte Bestimmung normiere bewußt keinen Lohnfortzahlungsanspruch für den Zeitraum, in dem wegen Teilnahme an der Betriebsversammlung nicht gearbeitet werde, sondern behalte eine solche Regelung dem Kollektivvertrag und der Betriebsvereinbarung vor (840 Blg NR 13.GP 73). Mangels einer solchen Regelung in Kollektivvertrag und Betriebsvereinbarung oder einer individualrechtlichen Vereinbarung besteht daher entgegen der Ansicht des Revisionswerbers kein Anspruch der Arbeitnehmer auf Fortzahlung des Entgelts für die Zeit der Teilnahme an der Betriebsversammlung, da diese Teilnahme nicht als anderer wichtiger, die Person des Arbeitnehmers betreffender Grund im Sinne des § 1154 b ABGB und § 8 Abs 3 AngG angesehen werden kann. Lediglich die teilnehmenden Mitglieder des Betriebsrates hätten gegenüber dem Arbeitgeber gemäß § 116 ArbVG einen Entgeltfortzahlungsanspruch und gegenüber dem Betriebsratsfonds nach § 115 Abs 1 ArbVG Anspruch auf Ersatz der Fahrtkosten und sonstigen Barauslagen (Floretta in Floretta-Strasser, Handkommentar zum ArbVG § 47 Erl. 4; Floretta-Strasser, ArbVG Kurzkommentar2 § 47 Anm. 3; Adametz in Adametz-Basalka-Heinrich-Kinzel-Mayr-Meches, Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz 144 f; Cerny, ArbVG8 § 47 Erl. 3; derselbe in FS-Strasser (1983) 502; 9 Ob A 207/87 ua).
Den Vorinstanzen ist aber auch darin beizupflichten, daß die Protestaktion der Angestellten am gar keine Betriebsversammlung im Sinne der §§ 40 ff ArbVG war, da sie weder als Betriebsversammlung einberufen wurde, noch der Wahrnehmung der in § 42 ArbVG aufgezählten Aufgaben diente und dienen sollte. Es kam auch entgegen der Ansicht des Revisionswerbers nicht zu einer Behandlung von Berichten des Betriebsrates und der Rechnungsprüfer im Sinne des § 42 Abs 1 Z 1 ArbVG. Eine solche war in der Aufforderung zur Protestaktion auch nicht vorgesehen. Die Protestversammlung ist vielmehr als einseitige kurzfristige Arbeitsniederlegung im Sinne eines Kurzstreiks anzusehen; das hat aber zur Folge, daß die streikenden Arbeitnehmer mangels Leistungsbereitschaft grundsätzlich keinen Entgeltanspruch haben (vgl. Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht4 331; Krejci in Rummel, ABGB § 1155 Rz 20 mwH). Auf die Problematik eines Teilstreiks ist hier nicht einzugehen, da es dazu an jeglichen Behauptungen und Feststellungen fehlt. Es fehlt insbesondere an Behauptungen, daß es zu Entgeltabzügen auch bei arbeitswilligen Arbeitnehmern gekommen wäre. Gegenstand des Verfahrens sind nur die Ansprüche der an der Aktion teilnehmenden Angestellten. Insoferne könnten sich die teilnehmenden Mitglieder des Betriebsrates auch nicht auf eine Erfüllung von betriebsverfassungsrechtlichen Obliegenheiten berufen (SZ 60/193; Arb 9.535; 9 Ob A 121/89 ua).
Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet. Da es sich im vorliegenden Fall um eine Arbeitsrechtssache nach § 50 Abs 1 ASGG handelt, kommt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts die Bestimmung des § 58 ASGG nicht zur Anwendung. Bei der Kostenbemessung ist von dem in der Klage angegebenen Streitwert von S 31.000,-- auszugehen, da dieser Streitwert weder bemängelt noch berichtigt wurde.