OGH vom 16.02.2000, 9ObA335/99a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Fritz Miklau und Mag. Hans Herold als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Zehrudin Z*****, Tischler, *****, vertreten durch Dr. Markus Orgler und Dr. Josef Pfurtscheller, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1) Franz und Martin E*****OHG, 2) Franz E*****, 3) Martin E*****, alle *****, vertreten durch Dr. Heinz Mildner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 80.295,63 brutto sA, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 13 Ra 39/99d-19, womit über Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 44 Cga 110/98g-12, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 7.303,68 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.217,28 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger - ein bosnischer Staatsbürger mit geringen Kenntnissen der deutschen Sprache - war seit bei der Erstbeklagten als Hilfsarbeiter beschäftigt. In seinem Haushalt leben seine vom 22. 6. bis zum als Hilfsarbeiterin beschäftigte Gattin, seine berufstätige Tochter und sein am geborener Sohn, der sich auf Grund eines Geburtsfehlers mehreren Operationen unterziehen musste.
Als der Sohn des Klägers im Juni 1998 neuerlich operiert wurde, traf der Kläger mit der Begründung, den Urlaub für die Operation des Sohnes zu benötigen, mit dem Zweitbeklagten für die Zeit vom 22. 6. bis zum eine Urlaubsvereinbarung. Er wollte diese Zeit so weit wie möglich bei seinem Sohn verbringen, weil dieser stark auf die Person des Vaters konzentriert ist. Die Beklagten hatten von den näheren Umständen Kenntnis, insbesondere von der Schwere des Eingriffes und der voraussichtlichen Notwendigkeit weiterer Pflege des Sohnes nach dessen Krankenhausaufenthalt. Schon anlässlich der Urlaubsvereinbarung ersuchte der Kläger, dass sein Urlaub allenfalls um zwei bis drei Tage verlängert werde, falls dies wegen der Operation des Sohnes erforderlich sei. Dass darüber eine Vereinbarung der Parteien zustande kam, ist nicht feststellbar. Auf Grund der Schwere der Operation und wegen des Genesungsverlaufes des Sohnes war dessen weitere häusliche Pflege nach der Entlassung aus dem Krankenhaus notwendig.
Nach dem Antritt des Urlaubs erfuhr der Kläger, dass sein Sohn voraussichtlich am 29. oder aus der Klinik entlassen werde. Er teilte dies dem Zweitbeklagten bzw. seiner Ehefrau am 25.
6. oder am und auch am telefonisch mit und bat aus diesem Grund um weiteren Urlaub, den er wegen der Entlassung seines Sohnes benötige. Dabei sprach er auch davon, sich krank zu melden. Der Zweitbeklagte lehnte das Ersuchen des Klägers um Urlaub unter Hinweis auf dringende Arbeiten ab und sprach im Zuge des Telefongesprächs vom die Entlassung des Klägers für den Fall aus, dass dieser am folgenden Tag, dem , nicht zur Arbeit erscheine.
Am erschien der Kläger nicht zur Arbeit. An diesem Tag wurde sein Sohn aus der Klinik entlassen. Der Kläger brachte ihn zur weiteren Betreuung nach Hause. Auch am erschien der Kläger nicht zur Arbeit. Er erhielt von den Beklagten eine Endabrechnung, in der ihm restliche Urlaubstage angerechnet wurden und das Ende des Entgeltanspruchs mit datiert wurde. Am legte der Kläger dem Zweitbeklagten eine Bestätigung des Hausarztes über die Notwendigkeit häuslicher Pflege des Sohnes vor. Der Zweitbeklagte erklärte, dass ihn dies nicht mehr interessiere.
Rechtliche Beurteilung
Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, dass ein Dienstversäumnis den Tatbestand des § 82 lit f GewO 1859 nicht verwirkliche, wenn mit der Inanspruchnahme von Pflegefreistellung nach § 16 UrlG ein rechtmäßiger Hinderungsgrund bestehe; das Verhalten des Klägers verwirkliche daher den genannten Entlassungsgrund nicht. Diese Rechtsauffassung ist zutreffend, sodass es insofern ausreicht, auf die Richtigkeit der Begründung der angefochtenen Entscheidung zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Den Revisionswerbern ist allerdings zuzugestehen, dass hier nicht die bloße Ankündigung des Fernbleibens Grund für die (bedingt für den Fall des Nichterscheinen des Klägers am ausgesprochene) Entlassung war, sondern der Umstand, dass der Kläger durch sein Fernbleiben vom Arbeitsplatz am diese Bedingung verwirklicht hat. Dessen ungeachtet kann sich der Kläger auf den vom Berufungsgericht zu Recht angesprochenen Rechtfertigungsgrund berufen.
Soweit die Revisionswerber versuchen, die dafür maßgebenden Tatsachenfeststellungen in Frage zu stellen, bekämpfen sie in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung der Vorinstanzen. Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit liegt nur vor, wenn Feststellungen auf aktenwidriger Grundlage getroffen wurden, also auf einem bei der Darstellung der Beweisergebnisse unterlaufenen Irrtum beruhen, der aus den Prozessakten selbst erkennbar und behebbar ist. Er ist hingegen nicht verwirklicht, wenn - wie hier - Feststellungen durch (allenfalls auch unrichtige) Schlussfolgerungen getroffen wurden (Kodek in Rechberger, ZPO**2 Rz 4 zu § 503 mwN). Den kritisierten Feststellungen zur Frage, ob der Kläger seinen Wunsch, auch am nicht zur Arbeit erscheinen zu müssen, mit dem Spitalsaufenthalt oder der Entlassung seines Sohnes begründet hat, kommt überdies nicht die von den Revisionswerbern angenommene Bedeutung zu. Ein Anspruch auf Pflegefreistellung iS § 16 UrlG bestand unter den hier gegebenen Umständen nämlich nicht nur wegen der Notwendigkeit, das Kind aus dem Krankenhaus abzuholen und es zu Hause weiter zu betreuen, sondern auch für die Zeit, in der es darum ging, dem Kind nach seiner außerordentlich schwierigen und seinen Zustand stark beeinträchtigenden Operation durch intensive Besuchskontakte die erforderliche psychische Betreuung zukommen zu lassen.
Dass für die Inanspruchnahme von Pflegefreistellung keine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber erforderlich ist, hat bereits das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt. Der Arbeitnehmer ist lediglich verhalten, den Arbeitgeber von der Arbeitsverhinderung rechtzeitig zu verständigen und erforderlichenfalls für das Vorliegen der Voraussetzungen der Pflegefreistellung den Nachweis zu erbringen. Dieser Nachweis muss nicht schon bei der Verständigung der Inanspruchnahme der Freistellung erbracht werden; es reicht aus, wenn er bei der Geltendmachung des Anspruchs auf Auszahlung des für die versäumte Zeit zustehenden Entgelts sowie - im hier interessierenden Fall der Entlassung wegen des Dienstversäumnisses - zum Nachweis eines rechtmäßigen Hinderungsgrundes erbracht wird (RdW 1998, 485 ua). Dass der Kläger den Arbeitgeber von der Arbeitsverhinderung rechtzeitig verständigt hat, ist nicht strittig; einen Nachweis der Voraussetzungen des Freistellungsanspruchs hat der Arbeitgeber nicht nur nicht verlangt, sondern sogar abgelehnt.
Dass im Haushalt des Klägers mit seiner Gattin und seiner Tochter weitere (allerdings berufstätige) Angehörige vorhanden waren, schließt den Freistellungsanspruch des Klägers nicht aus, weil mehrere berufstätige nahe Angehörige ein Wahlrecht für die Inanspruchnahme der Pflegefreistellung haben (Kuderna, UrlG**2, Rz 5 zu § 16).
Feststellungen darüber, dass der Sohn des Klägers erst um 17.00 Uhr aus dem Krankenhaus entlassen wurde, hat das Berufungsgericht zu Recht als entbehrlich erachtet. Abgesehen davon, dass gar nicht behauptet wurde, dass dieser späte Entlassungstermin vorhersehbar war, ist auf den bereits oben erörterten Umstand zu verweisen, dass im hier zu beurteilenden Fall die Pflegefreistellung auch für die Zeit vor der Entlassung im Hinblick auf die Notwendigkeit, dem Kind nach seiner überaus schweren Operation im Krankenhaus durch ausgiebige Besuchskontakte die erforderliche psychische Betreuung zukommen zu lassen, gerechtfertigt war. Ebensowenig kommt es darauf an, ob die Beklagten damals wegen eines Großauftrages viel Arbeit hatten. Eine Interessenabwägung im Sinne einer Berücksichtigung konkreter betrieblicher Erfordernisse des Arbeitgebers ist nämlich nicht vorzunehmen (Kuderna, UrlG**2, Rz 4 zu § 16 mwN).
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.