OGH vom 30.10.2019, 9ObA86/19s

OGH vom 30.10.2019, 9ObA86/19s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei ***** W*****, vertreten durch Herbert Holzinger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei P.***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Bert Ortner Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen Anfechtung einer Kündigung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Ra 95/18a-22, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 6 Cga 94/17m-17, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der am ***** 3. 1958 geborene Kläger war bei der Beklagten von bis im Rahmen der von ihr betriebenen Arbeitskräfteüberlassung als Kranführer beschäftigt. Vor diesem Dienstverhältnis war er bei einer Personalbereitstellungsfirma als Autokranfahrer tätig gewesen, davor hatte er bei unterschiedlichen Dienstgebern als LKW-Fahrer, Busfahrer, Autokranfahrer und Fahrer von Radladern gearbeitet. Er absolvierte eine Ausbildung zum Sanitätsgehilfen und machte den LKW-Führerschein. Beim BFI holte er die Ausbildung zum Berufskraftfahrer nach und erwarb ein Lehrzeugnis. Zur Beklagten wurde der Kläger vom Arbeitsmarktservice vermittelt. Das Dienstverhältnis endete durch die am ausgesprochene Arbeitgeberkündigung. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Beklagte den Kläger wegen dessen Forderung auf Zahlung von Entgeltdifferenzen gekündigt hat.

Der Kläger begehrte mit seiner Klage, die Kündigung für rechtsunwirksam zu erklären. Soweit rekursgegenständlich, berief er sich auf ihre Sozialwidrigkeit.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass aufgrund des Einsatzes automatisierter Kräne beim Beschäftigerbetrieb kein Bedarf an Kranfahrern mehr bestanden habe und andere Positionen oder Beschäftigerbetriebe, an die der Kläger hätte überwiesen werden können, nicht zur Verfügung gestanden seien.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Zur Sozialwidrigkeit der Kündigung stellte es fest, dass der Kläger verheiratet ist. Er bewohnt mit seiner Ehefrau ein in deren Eigentum stehendes Einfamilienhaus. Die Ehegattin des Klägers verdient ca 1.360 EUR netto, vierzehn Mal jährlich. Der Kläger hatte im Zeitpunkt der Kündigung monatliche Fixkosten im Ausmaß von rund 1.695 EUR zu tragen. Dazu kommen variable Kosten für Nahrung, Kleidung, Besuch von Kulturveranstaltungen und allgemeine Pflege sozialer Kontakte in Höhe von ca 600 EUR pro Monat.

Dem Kläger wird es bei intensiver persönlicher Arbeitsplatzsuche auch durch Auswertung des Stellenmarkts in Tageszeitungen und Fachjournalen und zusätzlicher persönlicher Kontaktaufnahme zu potenziellen Arbeitgebern und auch durch Inanspruchnahme der Dienstleistungen des AMS gelingen, in einem Zeitraum von bis zu zwölf Monaten ab Kündigungsausspruch eine Vollzeitbeschäftigung als Kranführer oder (alternativ) LKW-, Bus-, Mietwagen oder Staplerfahrer zu finden. Wenn man vom fortgeschrittenen (Erwerbs-)Alter des Klägers absieht, ist mit einer Arbeitsplatzsuchdauer von maximal vier Monaten ab Kündigungsausspruch zu rechnen.

Wenn der Kläger eine Beschäftigung als LKW-Fahrer, Busfahrer oder Kranführer findet, dann wird seine Verdiensteinbuße im Vergleich zum bisher bei der Beklagten bezogenen Einkommen von ca 1.800 EUR netto jedenfalls unter 20 % liegen. Bei Besetzung eines Arbeitsplatzes als Mietwagen- oder Staplerfahrer ist mit einer Einkommenseinbuße von weit über 20 % bezogen auf das zuletzt bei der beklagten Partei Verdiente zu rechnen.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, die Kündigung sei nicht sozialwidrig, weil der Kläger ohne Rücksicht auf sein Erwerbsalter innerhalb von vier Monaten einen adäquaten Arbeitsplatz mit einem Einkommensverlust von unter 20 % finden könne. Der besondere Schutz für ältere Arbeitnehmer, die nach Vollendung des 50. Lebensjahres eingestellt würden, gelte erst ab Vollendung des zweiten Beschäftigungsjahres im Betrieb, was hier nicht vorliege. Die Novelle BGBl I 2017/37 sei auf den Kläger nicht anwendbar, da er vor dem bei der Beklagten eingestellt worden sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und hob das Ersturteil zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung durch das Erstgericht auf. In umfassender Analyse des § 105 Abs 3b ArbVG idF BGBl I 2010/101 und unter Berücksichtigung der einschlägigen Literatur kam es zum Ergebnis, dass das Lebensalter von über 50-jährigen Arbeitnehmern im Fall einer Sozialwidrigkeitsanfechtung zwar nicht „besonders“, aber doch zu berücksichtigen sei. Der Kläger, der unter Beachtung seines realen Lebensalters mit einer zwölfmonatigen Arbeitslosigkeit rechnen müsse, sei in seinen wesentlichen Interessen beeinträchtigt. Über die Rechtfertigungsgründe der Kündigung fehlten aber hinreichende Feststellungen, die eine Interessenabwägung und abschließende rechtliche Beurteilung möglich machten. Der Rekurs sei zur Auslegung des § 105 Abs 3b ArbVG zulässig.

In ihrem dagegen gerichteten Rekurs beantragt die Beklagte die Abänderung des Beschlusses im Sinne einer Wiederherstellung des klagsabweisenden Ersturteils; hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

Der Kläger beantragt, dem Rekurs keine Folge zu geben und die Sache im Sinne einer Klagsstattgabe zu entscheiden, in eventu, den bekämpften Beschluss zu bestätigen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Die Beklagte bringt im Wesentlichen vor, das Alter sei nach dem gesetzgeberischen Willen und nach der Vorjudikatur (9 ObA 125/13t; OLG Linz 12 Ra 83/15l) bei der Beurteilung, ob eine Kündigung sozialwidrig sei, gänzlich auszublenden. Eine nur teilweise Ausblendung des höheren Lebensalters sei praktisch nicht durchführbar, weil ein Sachverständiger nur ausführen könne, wie lange die Suchdauer für die jeweilige Person unter Berücksichtigung ihres tatsächlichen Lebensalters und unter Ausblendung des (höheren) Lebensalters sei. Die Berücksichtigung eines Schutzniveaus auf „Normalniveau“ würde bedeuten, dass das Lebensalter eines 50+ Arbeitnehmers letztlich genauso zu berücksichtigen wäre wie das Lebensalter eines Arbeitnehmers, der vor Vollendung des 50. Lebensjahres eingestellt worden sei, was die gesetzliche Absicht verkenne.

Folgendes war vom Senat zu erwägen:

1. Der Kläger hatte zum Einstellungszeitpunkt am das 58. Lebensjahr vollendet. Die Novelle BGBl I 2017/37 trat mit in Kraft und ist für Arbeitnehmer heranzuziehen, die nach dem eingestellt wurden (§ 264 Abs 31 ArbVG). Im vorliegenden Fall ist daher noch § 105 ArbVG idF BGBl I 2010/101 anzuwenden.

2. Nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG kann die Kündigung bei Gericht angefochten werden, wenn sie sozial ungerechtfertigt und der gekündigte Arbeitnehmer bereits sechs Monate im Betrieb oder Unternehmen, dem der Betrieb angehört, beschäftigt ist. Sozial ungerechtfertigt ist eine Kündigung, die wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt, es sei denn, der Betriebsinhaber erbringt den Nachweis, dass die Kündigung

a) durch Umstände die in der Person des Arbeitnehmers gelegen sind und die betrieblichen Interessen nachteilig berühren oder

b) durch betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegenstehen (lit b), begründet ist.

3. Zu § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG gilt allgemein, dass die Beeinträchtigung wesentlicher Arbeitnehmerinteressen für eine erfolgreiche Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit – neben der Mindestbeschäftigungszeit von sechs Monaten – maßgebende Voraussetzung ist. Das Tatbestandsmerkmal der wesentlichen Interessenbeeinträchtigung in § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG hat die Funktion, den Kündigungsschutz jenen Arbeitnehmern zu gewähren, die auf ihren Arbeitsplatz zur Sicherung ihres Lebensunterhalts angewiesen sind (RS0051753 [T3]; 9 ObA 125/13t mwN). Dieses Tatbestandsmerkmal ist nur dann erfüllt, wenn die durch die Kündigung bewirkte finanzielle Schlechterstellung ein solches Ausmaß erreicht, dass sie eine fühlbare, ins Gewicht fallende Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Lage zur Folge hat, ohne dass aber eine soziale Notlage oder eine Existenzgefährdung eintreten müsste (RS0051753).

Bei der Untersuchung, ob durch die Kündigung eine Beeinträchtigung wesentlicher Interessen eintrifft, ist auf die Möglichkeit der Erlangung eines neuen, einigermaßen gleichwertigen Arbeitsplatzes und in diesem Zusammenhang auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Alter des Arbeitnehmers, den Verlust allfälliger dienstzeitabhängiger Ansprüche sowie der mit dem Arbeitsverhältnis verbundenen Vorteile abzustellen; darüber hinaus sind aber auch die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers einzubeziehen, wie Einkommen, Vermögen, auf Gesetz, Vertrag oder sittlichen Verpflichtungen beruhende Sorgepflichten, das Einkommen des Ehegatten und der anderen erwerbstätigen Familienmitglieder sowie Schulden, soweit deren Entstehungsgrund berücksichtigungswürdig ist (RS0051703; RS0051806). In die Untersuchung ist nicht nur die Möglichkeit der Erlangung eines neuen, einigermaßen gleichwertigen Arbeitsplatzes, sondern vielmehr die gesamte wirtschaftliche und soziale Lage des Arbeitnehmers und seiner Familienangehörigen einzubeziehen (RS0051806 [T9]).

Ist eine solche wesentliche Interessenbeeinträchtigung gegeben, ist in einem zweiten Prüfschritt die vom Arbeitgeber nachzuweisende Personen- oder Betriebsbedingtheit (§ 105 Abs 3 Z 2 lit a und b ArbVG) der Kündigung zu prüfen. Liegen personen- oder betriebsbedingte Kündigungsgründe vor, ist in einem dritten Schritt eine Abwägung der Arbeitnehmerinteressen mit den Interessen des Betriebs vorzunehmen (grundlegend 9 ObA 279/88; Wolliger in ZellKomm3§ 105 ArbVG Rz 229).

4. Dem Schutzbedürfnis älterer Arbeitnehmer wird mit § 105 Abs 3b ArbVG besonders Rechnung getragen.

4.1. Bereits 1976 ergänzte der Gesetzgeber mit der Novelle BGBl 1976/387 § 105 Abs 3 ArbVG idF BGBl 1974/22 um jene Bestimmung, die nun § 105 Abs 3b S 2 ArbVG idF BGBl I 2010/101 ArbVG entspricht:

„Bei älteren Arbeitnehmern sind sowohl bei der Prüfung, ob eine Kündigung sozial ungerechtfertigt ist, als auch beim Vergleich sozialer Gesichtspunkte der Umstand einer vieljährigen ununterbrochenen Beschäftigungszeit im Betrieb oder Unternehmen, dem der Betrieb angehört, sowie die wegen des höheren Lebensalters zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsprozeß besonders zu berücksichtigen.“

4.2. Im Zuge der Beschäftigungssicherungs-Novelle BGBl 1993/502 wurde die Bestimmung des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG um jenen Satz ergänzt, der nun § 105 Abs 3b S 1 ArbVG idF BGBl I 2010/101 entspricht:

„Umstände gemäß lit. a, die ihre Ursache in einem höheren Lebensalter eines Arbeitnehmers haben, der im Betrieb oder Unternehmen, dem der Betrieb angehört, langjährig beschäftigt ist, dürfen zur Rechtfertigung der Kündigung des älteren Arbeitnehmers nur dann herangezogen werden, wenn durch die Weiterbeschäftigung betriebliche Interessen erheblich nachteilig berührt werden.“

Der Gesetzgeber hat damit zwei voneinander unabhängige Sonderbestimmungen in der damals entsprechenden Bestimmung § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG geschaffen, die auf das höhere Alter des Arbeitnehmers abstellen (Th. Dullinger, Kündigungsschutz älterer Arbeitnehmer, ecolex 2017, 442).

4.3. Durch das Budgetbegleitgesetz BGBl I 2003/71 wurde der Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer partiell wieder abgeschwächt, um nicht Arbeitgeber vor der Einstellung älterer Arbeitnehmer zunehmend abzuschrecken (Wolliger in ZellKomm3§ 105 Rz 184 f). In den damaligen § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG wurde nach dem zitierten Satz „Bei älteren Arbeitnehmern sind sowohl bei der Prüfung ...“ folgender Satz eingefügt:

„Dies gilt für Arbeitnehmer, die gemäß § 5a des Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetzes, BGBl. Nr. 315/1994, eingestellt werden, erst ab Vollendung des zweiten Beschäftigungsjahres im Betrieb oder Unternehmen, dem der Betrieb angehört.“

Zur Begründung (RV 59 BlgNR 22. GP 352) wurde festgehalten, dass das Regierungsprogramm im Bereich Beschäftigungspolitik unter anderem eine Reform des Bonus-Malus-Systems vorsieht, „wobei der verstärkte Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer – im Konkreten die besondere Berücksichtigung der altersbedingten Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess – erst nach einer längeren Beschäftigungszeit einsetzen soll, um so die Begründung von Arbeitsverhältnissen mit solchen Arbeitnehmern zu fördern“.

4.4. Mit der Novelle BGBl I 2010/101 wurde die Bestimmung des § 105 ArbVG zur besseren Lesbarkeit in neuer Gliederung (Abs 3 bis 3c) erlassen. Der Verweis auf § 5a Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz wurde gestrichen und durch das Abstellen auf das vollendete 50. Lebensjahr im Zeitpunkt der Einstellung ersetzt (RV 901 BlgNR 24. GP 6). In der für den vorliegenden Fall maßgeblichen Fassung des BGBl I 2010/101 lautet § 105 Abs 3b ArbVG daher:

„(3b) Umstände gemäß Abs. 3 Z 2 lit. a, die ihre Ursache in einem höheren Lebensalter eines Arbeitnehmers haben, der im Betrieb oder Unternehmen, dem der Betrieb angehört, langjährig beschäftigt ist, dürfen zur Rechtfertigung der Kündigung des älteren Arbeitnehmers nur dann herangezogen werden, wenn durch die Weiterbeschäftigung betriebliche Interessen erheblich nachteilig berührt werden. Bei älteren Arbeitnehmern sind sowohl bei der Prüfung, ob eine Kündigung sozial ungerechtfertigt ist, als auch beim Vergleich sozialer Gesichtspunkte der Umstand einer vieljährigen ununterbrochenen Beschäftigungszeit im Betrieb oder Unternehmen, dem der Betrieb angehört, sowie die wegen des höheren Lebensalters zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess besonders zu berücksichtigen. Dies gilt für Arbeitnehmer, die im Zeitpunkt ihrer Einstellung das 50. Lebensjahr vollendet haben, erst ab Vollendung des zweiten Beschäftigungsjahres im Betrieb oder Unternehmen, dem der Betrieb angehört.“

Zur Begründung wurde in der vorgenannten Regierungsvorlage ausgeführt:

„Im bisherigen § 105 Abs. 3 – nunmehr Abs. 3b letzter Satz – wird der Verweis auf § 5a Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz (AMPFG), BGBl. Nr. 315/1994, gestrichen, da diese Bestimmung durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 90/2009 aufgehoben wurde. Damit sind bei der Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit bei Arbeitnehmern, die im Zeitpunkt ihrer Einstellung das 50. Lebensjahr überschritten haben, die wegen des höheren Lebensalters zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess erst ab Vollendung des zweiten Beschäftigungsjahres zu berücksichtigen. Mit der vorgesehenen Zwei-Jahres-Frist wird jedoch keine Aussage in Bezug auf die Begriffe 'vieljährig' und 'langjährig' in den beiden voranstehenden Sätzen des Abs. 3b getroffen.“

4.5. Mit dem BGBl I 2017/37 wurde die zeitliche Beschränkung des gelockerten Kündigungsschutzes für die ersten zwei Jahre nach der Einstellung für ältere Arbeitnehmer fallen gelassen. Die aktuell geltende Fassung des S 3 leg cit sieht nun generell vor: „Dies gilt nicht für Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt ihrer Einstellung das 50. Lebensjahr vollendet haben.“

Die Materialien (AB 1497 BlgNR 25. GP 2) halten dazu fest: „Entsprechend dem Regierungsprogramm 2013 bis 2018 und dem Arbeitsprogramm der Bundesregierung 2017/2018 soll zum Zweck der Förderung der Einstellung älterer Arbeitnehmer/innen im Falle einer Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit bei Arbeitnehmer/inne/n, die im Zeitpunkt ihrer Einstellung das 50. Lebensjahr überschritten haben, der allgemeine Kündigungsschutz an den von jüngeren Arbeitnehmer/inne/n angeglichen werden. Es soll deshalb bei einem Sozialvergleich oder der Prüfung der Sozialwidrigkeit einer Kündigung das Alter nicht mehr gesondert, sondern nach demselben Maßstab wie bei jüngeren Arbeitnehmer/inne/n herangezogen werden.“

5. Interpretationsbedürftig ist für den vorliegenden Fall, worauf sich die Formulierung des § 105 Abs 3b S 3 ArbVG idF BGBl I 2010/101 („Dies gilt für Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt ihrer Einstellung das 50. Lebensjahr vollendet haben, erst ab Vollendung des zweiten Beschäftigungsjahres im Betrieb oder Unternehmen, dem der Betrieb angehört“) im Kontext mit S 1 und S 2 bezieht und weiter, welche Bedeutung der Bestimmung für solche Arbeitnehmer, deren Dienstverhältnis vor Vollendung des zweiten Beschäftigungsjahres endet, zukommt. Da S 1 eine langjährige Beschäftigung voraussetzt und S 2 Fall 1 auf eine vieljährige ununterbrochene Beschäftigungszeit abstellt, beides in den ersten beiden Beschäftigungsjahren jedoch nicht gegeben ist, ist S 3 nur auf die im Satz davor zum Ausdruck kommende besondere Berücksichtigung der Wiedereingliederungsschwierigkeiten älterer Arbeitnehmer zu beziehen (idS auch Th. Dullinger, aaO 442).

6. Zur zweiten Frage wird die Bedeutung der Bestimmung für die Berücksichtigungswürdigkeit des höheren Lebensalters unterschiedlich aufgefasst.

6.1. Nach Schrank (Kündigungsschutz älterer Arbeitnehmer, ZAS 2007, 4) könne die Bedeutung von S 3 leg cit nur in der generellen Ausnahme aller Bonus-Eingestellten vom Sozialwidrigkeitsschutz schlechthin liegen, weil die voranstehenden Sätze eine langjährige Beschäftigung voraussetzten, die bei einer bloß zweijährigen Beschäftigung nicht vorliege.

6.2. Auch nach Rauch (Neuerungen bei der Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit, ASoK 2004, 70) ergab sich zu der mit in Kraft getretenen Vorläuferbestimmung aus dem Umstand, dass bei Arbeitnehmern über 50 in den ersten beiden Jahren des Arbeitsverhältnisses die Frage der Wiedererlangung eines Arbeitsplatzes nicht mehr besonders zu berücksichtigen sei, dass in diesen Fällen für die Annahme der Sozialwidrigkeit einer Arbeitgeberkündigung kein Spielraum mehr bestehe. Beide Autoren argumentierten im Wesentlichen mit dem Ziel des Gesetzgebers, die Einstellung älterer Arbeitnehmer zu begünstigen bzw die aus der Möglichkeit der Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit resultierenden Einstellungshemmnisse effektiv einzuschränken.

6.3. Nach Trost in Strasser/Jabornegg/Resch, Komm zum ArbVG [2012], § 105 Rz 249, beschreibe die im Gesetz festgelegte Wartefrist die formelle Voraussetzung für die Anwendung der Altersberücksichtigung an sich und enthalte darüber hinaus keine materielle Aussage.

6.4. Eine Ausklammerung lediglich des Elements der größeren Schwierigkeiten der Wiedereingliederung auf dem Arbeitsmarkt geht auch aus den Ausführungen von Gahleitner in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht 35 (2015) § 105 Rz 156, hervor. Alle sonstigen Aspekte der Interessenbeeinträchtigung seien auch in diesen Fällen zu prüfen und in die Interessenabwägung einzubinden.

6.5. Zur aktuellen Fassung des § 105 Abs 3b ArbVG vertritt nunmehr auch Rauch (Die neue Erweiterung der Einschränkung beim Kündigungsschutz älterer Arbeitnehmer, ASoK 2017, 187), dass für Arbeitnehmer, die bei ihrer Einstellung älter als 50 sind, der Sozialwidrigkeitsschutz nicht schlechthin ausgesetzt sei, im Falle einer Anfechtung einer Arbeitgeberkündigung wegen Sozialwidrigkeit das höhere Alter des Arbeitnehmers jedoch auszublenden sei. Rauch bezieht sich auf das Arbeitsprogramm der Bundesregierung, mit dem Neuanstellungen von Arbeitnehmern, die älter als 50 sind, durch „Beseitigung von Beschäftigungshemmnissen für Ältere durch Wegfall der Frist in § 105 Abs 3b letzter Satz ArbVG“ erleichtert werden sollten, sowie auf die Entscheidungen 9 ObA 125/13t und OLG Linz 12 Ra 83/15k.

6.6.Korenjak (Eingeschränkter Kündigungs-schutz für Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr vollendet haben, ASoK 2019, 256) kam zur aktuellen Fassung des S 3 leg cit zum Ergebnis, dass das Alter sowohl bei der Beurteilung der wesentlichen Interessenbeeinträchtigung als auch bei der Interessenabwägung außer Betracht zu bleiben habe.

6.7. Nach einer weiteren in der Literatur vertretenen Auslegung bedeutet die Bestimmung dagegen lediglich, dass das Alter des Arbeitnehmers bei der Prüfung der Sozialwidrigkeit nicht besonders, aber doch zu berücksichtigen sei (Eypeltauer, Eingeschränkter Kündigungsschutz für bestimmte Gruppe älterer Arbeitnehmer, ecolex 2016, 416; Th. Dullinger, Kündigungsschutz älterer Arbeitnehmer, ecolex 2017, 442 [445]; Bachhofer, Änderung im Anfechtungsrecht 2017, in Kozak, Sicherung des Bestandes von Arbeitsverhältnissen 9 [13]; Wolliger in ZellKomm3§ 105 ArbVG Rz 184).

7. Der erkennende Senat schließt sich dieser letzten Auffassung (Pkt 6.7.) an:

7.1. Nach der zitierten – schon vor der Einschränkung des Kündigungsschutzes älterer Arbeitnehmer entwickelten – Rechtsprechung ist das Alter eines Dienstnehmers eines der Kriterien, die bei der Prüfung der Beeinträchtigung wesentlicher Interessen des Arbeitnehmers im Zusammenhang mit Möglichkeit der Erlangung eines neuen, einigermaßen gleichwertigen Arbeitsplatzes zu berücksichtigen sind. Die Frage der möglichen Wiedererlangung eines neuen Arbeitsplatzes stellt sich an sich unabhängig von einem bestimmten Alter, jedoch ist in typisierter Betrachtung bei höherem Alter tendenziell mit größeren Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess zu rechnen.

7.2. S 2 des § 105 Abs 3b ArbVG ordnet für die Prüfung der Sozialwidrigkeit der Kündigung älterer Arbeitnehmer an, dass „die wegen des höheren Lebensalters zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess besonders zu berücksichtigen sind“. Damit wird schon nach dem Wortlaut der Bestimmung zum Ausdruck gebracht, dass diesem Aspekt bei der Prüfung der Interessenbeeinträchtigung stärkeres Gewicht als anderen Aspekten zukommen soll.

7.3. Die zu BGBl l 2003/71 zitierten Materialien zur Einschränkung des (nun) S 3 des Abs 3b leg cit („Dies gilt erst ab ...“) zeigen, dass die 2003 eingeführte Lockerung des Kündigungsschutzes für geförderte (50+) Arbeitnehmer dadurch erfolgen sollte, dass von der „besonderen“ Berücksichtigung für die ersten zwei Beschäftigungsjahre Abstand genommen werden sollte (arg RV: „im Konkreten die besondere Berücksichtigung der altersbedingten Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess ...“). Damit kommt zwar klar zum Ausdruck, dass altersbedingte Wiedereingliederungsschwierigkeiten von nach dem 50. Lebensjahr eingestellten Arbeitnehmern erst nach zwei Beschäftigungsjahren besonders berücksichtigt werden sollen, ihnen also dann dasselbe Schutzniveau wie älteren, jedoch unter 50-jährigen Arbeitnehmern zukommen soll. Daraus geht aber nicht hervor, dass ihre Wiedereingliederungsschwierigkeiten bei einer kürzeren Beschäftigungsdauer überhaupt nicht zu berücksichtigen sind. S 3 trifft für diese Situation schlicht keine Aussage. Wortlaut und Entstehungsgeschichte sprechen daher nur dafür, dass Wiedereingliederungsschwierigkeiten bei nach dem 50. Lebensjahr eingestellten Arbeitnehmern, deren Dienstverhältnis in den ersten zwei Beschäftigungsjahren endet, nicht in „besonderem“ Ausmaß zu berücksichtigen sind, womit aber eine „normale“ Berücksichtigung wie auch sonst verbleibt.

7.4. Dieses Verständnis wird auch durch die letzte Novelle bestätigt. Aus dem zitierten Ausschussbericht 1497 BlgNR 25. GP geht als Wille des Gesetzgebers hervor, dass „das Alter nicht mehr gesondert, sondern nach demselben Maßstab wie bei jüngeren Arbeitnehmer/innen herangezogen werden“ soll. Das bedeutet nichts anderes, als dass bei jüngeren und älteren (50+) Arbeitnehmern für die Frage der Wiedereingliederungsschwierigkeiten derselbe Prüfmaßstab – nicht aber dasselbe Alter – angelegt werden soll (zutreffend unterscheidend Bachhofer, aaO 12 f). Nur ältere Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt ihrer Einstellung das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, kommen danach iSd S 2 noch in den Genuss einer besonderen Berücksichtigung von altersbedingten Wiedereingliederungsschwierigkeiten. So führte auch das Berufungsgericht richtig aus, während der zweite Satz leg cit das Schutzniveau älterer Arbeitnehmer höher ansetzt, schwächt der dritte Satz leg cit dieses gesteigerte Schutzniveau wieder auf ein Normalniveau für Arbeitnehmer, die ab 50 eingestellt wurden, wieder ab. Im Ergebnis bedeutet das, dass aufgrund des konkreten Lebensalters zu erwartende Wiedereingliederungsschwierigkeiten bei ab dem 50. Lebensjahr eingestellten (noch nicht zwei Jahre beschäftigten) Arbeitnehmern im Rahmen der Prüfung der Interessenbeeinträchtigung eines Arbeitnehmers nach ihrem Gewicht und ihrer Bedeutung für ihn nicht „besonders“, sondern wie bei einem jüngeren Arbeitnehmer, das heißt „gewöhnlich“ zu berücksichtigen sind.

7.5. Dass die mit dem jeweiligen Alter zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt danach nicht zur Gänze auszublenden sind, unterwandert bei über dem 50. Lebensjahr eingestellten Arbeitnehmern auch noch nicht die gesetzliche Intention einer Einstellungsförderung bei 50+ Arbeitnehmern, weil in jedem Einzelfall die Gesamtsituation eines gekündigten Arbeitnehmers zu berücksichtigen ist. Wie schon vom Berufungsgericht ausgeführt, würde eine abstrakte, alterslose Beurteilung schließlich nicht nur dem Prinzip widersprechen, dass die individuelle Interessenbeeinträchtigung des gekündigten Arbeitnehmers festzustellen ist, sondern ließe auch offen, welches Alter dafür als Vergleichsalter anzunehmen wäre. Altersbedingte Wiedereingliederungsschwierigkeiten könnten schon bei zB 35- oder 45-jährigen Arbeitnehmern unterschiedlich sein.

7.6. Die Entscheidung 9 ObA 125/13t steht diesem Auslegungsergebnis nicht entgegen.

Darin wurde im Rahmen der Zurückweisung einer außerordentlichen Revision in einem obiter dictum ausgeführt, dass die Bestimmungen den allgemeinen Kündigungsschutz für einen Arbeitnehmer, der im Anstellungszeitpunkt das 50. Lebensjahr erreicht hat, für die ersten zwei Beschäftigungsjahre nicht zur Gänze beseitigen. Vielmehr sollen bei einem solchen Arbeitnehmer die für ältere Arbeitnehmer besonders zu berücksichtigenden Kriterien des § 105 Abs 3b zweiter Satz ArbVG erst nach einem zweijährigen Beschäftigungszeitraum in die Prüfung der Sozialwidrigkeit einfließen. Das bedeutet nicht, dass eine Ausblendung des Lebensalters schlechthin zu erfolgen hätte. Es wird nur nahegelegt, dass die besondere Berücksichtigung der Kriterien, die für ältere Arbeitnehmer gemäß § 105 Abs 3b zweiter Satz ArbVG gelten, für jene Arbeitnehmer, die im Anstellungszeitpunkt das 50. Lebensjahr bereits erreicht haben, erst ab dem dritten Beschäftigungsjahr im Rahmen der Interessenabwägung zu erfolgen hat.

8. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies:

Da der Kläger unter Bedachtnahme auf sein konkretes Lebensalter mit einer zwölfmonatigen Arbeitslosigkeit rechnen muss und unter Berücksichtigung seiner gesamten Lebens- und Einkommenssituation in seinen wesentlichen Interessen beeinträchtigt ist, sind in der Folge die Rechtfertigungsgründe der Beklagten zu prüfen, für die das Berufungsgericht noch Feststellungen vermisst.

Wenn das Berufungsgericht zu seiner abschließenden rechtlichen Beurteilung noch die Ergänzung der Feststellungen für erforderlich erachtet, kann dem der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist,

nicht entgegentreten (RS0042179).

Der bloß hypothetischen Feststellung des Erstgerichts, dass der Kläger mit einer geringeren Arbeitsplatzsuchdauer zu rechnen hätte, wenn er jünger wäre (konkret: „wenn man vom fortgeschrittenen [Erwerbs]Alter des Klägers absieht“), kommt ebenso wenig Bedeutung zu, als wenn hypothetisch festgestellt worden wäre, der Kläger könnte früher mit einer Wiedereinstellung rechnen, wenn er eine andere („bessere“) Ausbildung hätte.

9. Im Ergebnis ist dem Rekurs der Beklagten danach keine Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO (Obermaier, Kostenhandbuch3 Rz 1.461 mwN).

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00086.19S.1030.000

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