OGH vom 18.10.2005, 10ObS63/05w
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Carl Hennrich und Dr. Friedrich Stefan (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Erna B*****, Landwirtin, *****, vertreten durch Dr. Rößler Rechtsanwalt KEG in Zwettl, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, 1031 Wien, Ghegastraße 1, vertreten durch Dr. Michael Stögerer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Gewährung einer Betriebsrente, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Rs 1/05y-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Krems an der Donau als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 7 Cgs 108/04x-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Die Revisionsbeantwortung der beklagten Partei wird als verspätet zurückgewiesen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin erlitt am einen Arbeitsunfall, als sie beim Eingang des Hausgartens stolperte, zu Sturz kam und gegen einen Betonpfeil fiel. Sie zog sich dabei im Bereich des linken Ellenbogens einen Bruch der Speiche zu.
Mit Bescheid vom gewährte die beklagte Partei der Klägerin für die Folgen dieses Arbeitsunfalls ab eine vorläufige Betriebsrente im Ausmaß von 20 vH. Diese Rentenleistung wurde mit Bescheid der beklagten Partei vom mit Ablauf des Monates Mai 2004 entzogen.
Das Erstgericht wies das auf Weitergewährung der Betriebsrente über den gerichtete Begehren der Klägerin ab. Nach seinen wesentlichen Feststellungen besteht bei der Klägerin als Folge des Bruches des Speichenköpfchens nunmehr eine deutliche Bewegungseinschränkung am linken Ellenbogengelenk. Das Ellenbogengelenk kann nicht gestreckt werden und es fehlen zur vollen Streckung 40 Grad. Auch die Beugemöglichkeit ist gegenüber dem rechten Ellenbogengelenk um 20 Grad vermindert. Diese Bewegungseinschränkung ist fixiert und es kann auch passiv keine bessere Beweglichkeit erzielt werden. Die Drehbewegung im Ellenbogengelenk ist allerdings frei möglich. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt seit 15 vH.
Daraus folgerte das Erstgericht, das Klagebegehren sei nicht berechtigt, weil die Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin auf den allgemeinen Arbeitsmarkt seit dem weniger als 20 vH betrage. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin als Landwirtin sei nicht maßgebend.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht vorliege.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Antrag der Klägerin an das Berufungsgericht auf Abänderung des Unzulässigkeitsausspruches dahin, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde. Gleichzeitig erhob die Klägerin Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, der Oberste Gerichtshof möge die Revision als zulässig erachten und die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der an das Berufungsgericht gerichtete Antrag auf Abänderung des Unzulässigkeitsausspruches ist verfehlt, weil in Streitigkeiten in Arbeits- und Sozialrechtssachen (§ 502 Abs 5 Z 4 ZPO idF ZVN 2002, BGBl I 2002/76) gemäß § 505 Abs 4 ZPO eine außerordentliche Revision erhoben werden kann, wenn das Berufungsgericht im Berufungsurteil nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO ausgesprochen hat, dass die ordentliche Revision nicht nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig ist (SSV-NF 17/75). Das vorliegende Rechtsmittel ist daher als außerordentliche Revision zu behandeln.
Die Revision ist zulässig, weil der Oberste Gerichtshof zur rechtserheblichen Frage, ob auch beim Anspruch auf Betriebsrente nach § 149d BSVG die Auswirkungen einer Unfallverletzung auf die Einsatzmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu prüfen sind, noch nicht ausdrücklich Stellung genommen hat.
Die von der beklagten Partei erstattete Revisionsbeantwortung ist verspätet. Die Mitteilung des Revisionsgerichtes, dass ihr die Beantwortung der Revision freistehe, wurde ihr am zugestellt. Entgegen der ausdrücklichen Bestimmung des § 507a Abs 3 Z 2 ZPO wurde die am zur Post gegebene Revisionsbeantwortung nicht beim Revisionsgericht, sondern beim Erstgericht eingebracht, wo sie am einlangte und von dort noch am selben Tag an den Obersten Gerichtshof weitergeleitet wurde, bei dem sie erst am - also nach Fristablauf - eingelangt ist. Eine unrichtige Adressierung schließt aber die Anwendung des § 89 GOG aus; in einem solchen Fall ist die Frist vielmehr nur dann gewahrt, wenn ungeachtet der unrichtigen Adressierung der Schriftsatz noch innerhalb der offenen Frist beim zuständigen Gericht einlangt (EvBl 1995/90 ua). Der Schriftsatz war daher als verspätet zurückzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Es entspricht seit SSV-NF 1/64 der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, dass auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung grundsätzlich die Auswirkungen einer Unfallverletzung auf die Einsatzmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu prüfen sind und der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit daher unabhängig vom tatsächlich ausgeübten Beruf abstrakt zu beurteilen ist (RIS-Justiz RS0088556, RS0088972, RS0084174 ua). Nur besondere Situationen im Einzelfall können die angemessene Berücksichtigung der Ausbildung und des bisherigen Berufes zur Vermeidung unbilliger Härten rechtfertigen (RIS-Justiz RS0043587). Grundlage für die Ermittlung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit bildet dabei regelmäßig ein ärztliches Gutachten über die Unfallfolgen und deren Auswirkungen. Allein der Umstand, dass eine unfallbedingte Einschränkung eine Versicherte - wie die Klägerin als Landwirtin - bei Ausübung ihres konkreten Berufes in größerem Ausmaß behindert, rechtfertigt nicht die Annahme einer über der medizinischen Einschätzung liegenden Minderung der Erwerbsfähigkeit (10 ObS 15/98y mwN).
An diesen Grundsätzen hat sich auch durch die Neuregelung des Leistungsrechtes der bäuerlichen Unfallversicherung durch die 22. Novelle zum BSVG, BGBl I 1998/140, keine Änderung ergeben. Als Leistung der Unfallversicherung wird demnach unter anderem die Betriebsrente gewährt. Die Anspruchsvoraussetzungen sind in § 149d BSVG umschrieben. Danach besteht Anspruch auf Betriebsrente, wenn die Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch die Folgen eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit über ein Jahr nach dem Eintritt des Versicherungsfalles hinaus um mindestens 20 % vermindert ist. Die Betriebsrente gebührt für die Dauer der Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 % (§ 149d Abs 1 BSVG in der Fassung nach der Aufhebung einer Wortfolge durch das Erkenntnis des ). Die Rentenhöhe ergibt sich nach § 149e BSVG aus dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit und aus der Bemessungsgrundlage.
Wie sich aus den Erläuternden Bemerkungen zur RV 1236 BlgNR XX. GP zum § 149d Abs 1 BSVG (abgedruckt in Teschner/Widlar, MGA, BSVG 38. Erg-Lfg. Anm 2 zu § 149d) ergibt, ging auch der Gesetzgeber der 22. BSVG-Novelle ausdrücklich von dem durch die Judikatur geprägten Erwerbsunfähigkeitsbegriff der gesetzlichen Unfallversicherung aus, wonach jene als erwerbsunfähig anzusehen sind, die nicht in der Lage sind, sich durch selbständigen oder unselbständigen Erwerb im wirtschaftlichen Leben ein regelmäßiges Einkommen zu verschaffen. Bei der Bewertung, in welchem Ausmaß die Erwerbsfähigkeit eingeschränkt ist, wird damit auf den gesamten („allgemeinen") Arbeitsmarkt Bezug genommen. Folge davon ist eine fast ausschließlich abstrakt erfolgende Einschätzung der Unfallfolgen. Die bäuerliche Unfallversicherung behält die abstrakte Schadensbemessung bei. Nach wie vor ist daher eine konkrete oder zumindest in Ansätzen konkrete Schadensbemessung auf sogenannte Härteklauselfälle beschränkt (RV aaO).
Aus den soeben zitierten Gesetzesmaterialien ergibt sich somit völlig unzweifelhaft, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit im Bereich der bäuerlichen Unfallversicherung weiterhin abstrakt zu beurteilen ist und daher nicht nur auf die unfallverursachende Tätigkeit ausgerichtet, sondern auf den gesamten Arbeitsmarkt zu beziehen ist. Daher sind bei der Beurteilung, ob und gegebenenfalls in welchem Ausmaß eine Minderung der Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch die Folgen eines Arbeitsunfalles besteht, alle dem Versehrten zumutbaren Tätigkeiten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu berücksichtigen (Riedel, Die bäuerliche Unfallversicherung 141).
Soweit die Klägerin unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien geltend macht, Betriebsrenten sollten vor allem der Weiterführung des Betriebes dienen und einen echten Ausgleich für den unfallsbedingten, auf Dauer eingetretenen Einkommensverlust bieten, beziehen sich diese Ausführungen, wie auch die Klägerin selbst zitiert, auf die Schaffung einer erhöhten gesamtsolidarischen Bemessungsgrundlage (§ 148f BSVG). Davon zu unterscheiden ist jedoch der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit, der weiterhin abstrakt zu beurteilen ist und daher nicht nur auf die unfallverursachende Tätigkeit sondern auf den gesamten Arbeitsmarkt ausgerichtet ist.
Ausgehend davon, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit bei der Klägerin nunmehr 15 vH beträgt, ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Weitergewährung der Rentenleistung nicht mehr vorliegen.
Der Revision musste daher ein Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Berücksichtigungswürdige Gründe, die einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch nach Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht geltend gemacht und sind aus der Aktenlage nicht ersichtlich. Im Übrigen beträgt die Bemessungsgrundlage für einen Kostenersatzanspruch gemäß § 77 Abs 2 ASGG nur EUR 3.600. Eine Pauschalgebühr fällt in Sozialrechtssachen nicht an (§ 80 ASGG).