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VfGH vom 27.06.1996, b131/95

VfGH vom 27.06.1996, b131/95

Sammlungsnummer

14548

Leitsatz

Verletzung im Eigentumsrecht durch verfassungswidrige Auslegung der BAO hinsichtlich der Aussetzung der Einhebung einer Abgabe aufgrund Unterlassung von Erwägungen über die möglichen Erfolgsaussichten der verfassungsrechtlich motivierten Beschwerdebehauptungen; verfassungskonforme Auslegung hinsichtlich einer Abschätzung auch solcher Behauptungen im Hinblick auf ihre Erfolgsaussicht geboten

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch die angefochtenen Spruchteile a) und c) des bekämpften Bescheides in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

Der Bescheid wird insoweit aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Aufgrund von Umsatzmitteilungen durch die beschwerdeführende Gesellschaft setzte das zuständige Finanzamt die Kammerumlage nach § 57 Abs 1 HKG idF BGBl. 958/1993 für die Monate April bis Juni 1994 bescheidmäßig fest. Gleichzeitig mit den gegen die die Kammerumlage für Mai und Juni festsetzenden Bescheide erhobenen Berufungen, in denen die Verfassungswidrigkeit der der vorgeschriebenen Kammerumlage zugrunde liegenden Bestimmungen des HKG gerügt wurde, beantragte die Gesellschaft die Aussetzung der Einhebung gemäß § 212a BAO.

Diese Anträge auf Aussetzung der Einhebung wurden vom Finanzamt abgewiesen; den dagegen erhobenen Berufungen blieb der Erfolg versagt: Die Finanzlandesdirektion für Oberösterreich wies mit Bescheid vom in den Spruchpunkten a) und c) (der Spruchpunkt b) betrifft eine vor dem Verfassungsgerichtshof nicht bekämpfte Entscheidung über ein Zahlungserleichterungsansuchen) die Aussetzungsanträge ab. Sie führte diesbezüglich begründend aus, daß gemäß § 212a Abs 2 lita BAO die Aussetzung der Einhebung nicht zu bewilligen sei, insoweit die Berufung nach der Lage des Falles wenig erfolgversprechend erscheine. Es sei strittig, ob eine Aussetzung der Einhebung auch dann denkbar ist, wenn in einer Berufung lediglich die Verfassungswidrigkeit einer einfachgesetzlichen Bestimmung behauptet wird. Diese von ihr aufgeworfene Frage löste die belangte Behörde, indem sie meinte:

"... In den Fällen, in denen ein Abgabepflichtiger ein Berufungsbegehren auf die Behauptung stützt, eine angewendete gesetzliche Bestimmung sei verfassungswidrig, kann von einer echt strittigen Rechtsfrage nicht gesprochen werden, weil die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes dem Verfassungsgerichtshof vorbehalten bleibt und erst eine allenfalls diese Bestimmung aufhebende Entscheidung in einem Gesetzesprüfungsverfahren im Verwaltungsverfahren zu beachten ist

..."

2. Gegen diese Entscheidung wendet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unverletzlichkeit des Eigentums und die Anwendung einer rechtswidrigen Norm gerügt und die kostenpflichtige Aufhebung der Spruchpunkte a) und c) des bekämpften Bescheides beantragt wird. Die von der belangten Behörde vorgenommene Auslegung des § 212a Abs 2 lita BAO unterstelle dieser Bestimmung einen verfassungswidrigen Inhalt. Die beschwerdeführende Gesellschaft meint (unter Hinweis auf VfSlg. 11196/1986), diese Auslegung verstoße gegen das rechtsstaatliche Prinzip, das ein bestimmtes Mindestausmaß an faktischer Effizienz von Rechtsschutzeinrichtungen verlange und es verbiete, den Berufungswerber einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung zu belasten.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Darin wird insbesondere ausgeführt:

"Nach Ansicht der Beschwerdeführerin müßte eine Aussetzung der Einhebung ('entgegen anderer Ansicht in den Richtlinien für die Abgabeneinhebung' - gemeint ist damit wohl der Erlaß des Bundesministeriums für Finanzen vom , AÖF 1988/53) auch dann bewilligt werden, wenn eine Berufung nur damit begründet wird, daß eine angewendete gesetzliche Bestimmung verfassungswidrig sei.

Dieser Rechtsansicht kann nicht gefolgt werden. Gemäß § 212a Abs 2 lita BAO ist eine Aussetzung der Einhebung nicht zu bewilligen, insoweit die Berufung nach der Lage des Falles wenig erfolgversprechend erscheint. Dabei ist unter Berufung nur das ordentliche Rechtsmittel im Sinne des § 243 BAO zu verstehen. Eine Beschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts stellt weder eine Berufung in diesem Sinne dar, noch kann § 212a Abs 2 lita BAO dahingehend ausgelegt werden, daß hier auch die Erfolgsaussichten einer allfälligen Beschwerde zu prüfen wären. Der Verwaltungsbehörde kann nur aufgetragen sein, die Erfolgsaussichten im Verwaltungsverfahren zu beurteilen, auf einen 'zweiten Rechtsgang' kann dabei nicht Bedacht genommen werden.

Von der Beschwerdeführerin wurde nicht eingewendet, daß die von ihr bekämpften Bescheide, mit denen die Kammerumlagen festgesetzt wurden, nicht der geltenden Rechtslage entsprechen würden. Die Finanzverwaltung hat aber die Verwaltungsakte aufgrund der im Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Rechtslage zu setzen. Dabei ist eine Rechtsnorm, auch wenn sie verfassungswidrig ist, bis zu ihrer Aufhebung anzuwenden. Der Abgabenbehörde kommt eine Prüfung von in Geltung stehenden Gesetzen auf ihre Übereinstimmung mit der Verfassung nicht zu. So ist (anders als bei Gerichten) auch im Art 140 B-VG kein Gesetzesprüfungsantrag durch Verwaltungsbehörden vorgesehen. Auch aus diesem Grund kann § 212a Abs 2 lita BAO nicht dahingehend ausgelegt werden, daß hier von der Verwaltungsbehörde die Erfolgsaussichten einer VfGH-Beschwerde zu beurteilen wären.

Die Beschwerdeführerin verwies auch auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 11196/1986). In diesem hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, daß es nicht angehe, das Rechtschutzrisiko im 'echt fraglichen Bereich' dem Rechtschutzunterworfenen vorbehaltlos anzulasten. Von einer echt strittigen Rechtsfrage kann aber dann nicht gesprochen werden, wenn ein Abgabepflichtiger ein Berufungsbegehren nur auf die Behauptung stützt, eine angewendete gesetzliche Bestimmung sei verfassungswidrig, weil eben die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes dem Verfassungsgerichtshof vorbehalten bleibt und erst eine allenfalls diese Bestimmung aufhebende Entscheidung in Verwaltungsverfahren zu beachten ist (Ellinger-Wetzel-Mairinger, Die Bundesabgabenordnung, 2. Aufl., S. 126)."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. a) Nach § 212a BAO ist die Einhebung einer Abgabe auf Antrag des Abgabepflichtigen u.a. dann auszusetzen, wenn ihre Höhe von der Erledigung einer Berufung gegen einen Bescheid abhängig ist, mit dem eine Nachforderung verbunden ist, insoweit der Bescheid vom Anbringen abweicht. Nach Abs 2 ist aber die Aussetzung u.a. nicht zu bewilligen, "insoweit die Berufung nach Lage des Falles wenig erfolgversprechend erscheint" (lita).

b) Nach Ansicht der belangten Behörde ist dabei ausschließlich auf die Erfolgsaussichten des Abgabeverfahrens bis zur letztinstanzlichen Verwaltungsentscheidung abzustellen; ein allfälliger Erfolg eines Verfahrens vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts habe außer Betracht zu bleiben. Insbesondere könne eine Aussetzung nicht bewilligt werden, "wenn eine Berufung nur damit begründet wird, daß eine angewendete gesetzliche Bestimmung verfassungswidrig sei".

c) Der belangten Finanzlandesdirektion ist zuzugestehen, daß ihre Rechtsauffassung der in einem - angesichts seiner Formulierung unverbindlichen (vgl. VfSlg. 8858/1980) - Erlaß des Bundesministers für Finanzen festgehaltenen Rechtsansicht entspricht, mit dem dieser zu einigen Auslegungsfragen des § 212a BAO Stellung genommen hat (AÖF 53/1988); in diesem Erlaß heißt es:

"Stützt ein Abgabepflichtiger ein Rechtsmittel nur auf die Behauptung, eine angewendete Bestimmung sei verfassungswidrig, so kommt eine AE nicht in Betracht, da eine Norm - ungeachtet einer allfälligen Verfassungswidrigkeit - anzuwenden ist, solange sie dem Rechtsbestand angehört."

Ungeachtet dessen ist diese Ansicht grundlegend verfehlt und unterstellt der Bestimmung des § 212a Abs 2 lita BAO einen Inhalt, der sie als verfassungswidrig erscheinen ließe. Hätte die Vorschrift tatsächlich den vom Bundesminister und der belangten Behörde angenommenen Inhalt, so wäre sie mit genau jener Verfassungswidrigkeit behaftet, mit der (seinerzeit) § 254 BAO in der Stammfassung im damaligen Kontext belastet war. In der diese Bestimmung seinerzeit aufhebenden Entscheidung VfSlg. 11196/1986 hatte der Verfassungsgerichtshof an seine ständige Judikatur angeknüpft, derzufolge der Sinn des rechtsstaatlichen Prinzips darin gipfelt, "daß alle Akte staatlicher Organe im Gesetz und mittelbar letzten Endes in der Verfassung begründet sein müssen und ein System von Rechtsschutzeinrichtungen die Gewähr dafür bietet, daß nur solche Akte in ihrer rechtlichen Existenz als dauernd gesichert erscheinen, die in Übereinstimmung mit den sie bedingenden Akten höherer Stufe erlassen wurden". Diese Rechtsschutzeinrichtungen müßten ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen. Es gehe nicht an, "den Rechtsschutzsuchenden generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung so lange zu belasten, bis sein Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt ist".

Angesichts des Umstandes, daß der Gesetzgeber mit dem 2. AbgÄG 1987, BGBl. 312/1987, § 254 BAO in der (seinerzeit) als verfassungswidrig aufgehobenen Fassung neuerlich in Kraft setzte, die Verfassungswidrigkeit aber dadurch zu vermeiden trachtete, daß er gleichzeitig die Vorschrift über die Aussetzung der Einhebung einführte, die "unter bestimmten Voraussetzungen in einem (Berufungs-)Begleitverfahren zum Berufungsverfahren der Einbringung von Berufungen einen Anspruch auf Einräumung einer faktisch aufschiebenden Wirkung im Wege eines Zahlungsaufschubes besonderer Art" vermittelt (Stoll, BAO-Kommentar, S. 2603), wäre diese Bestimmung verfassungswidrig, wenn sie zum gleichen Ergebnis führte, wie seinerzeit § 254 BAO. Das von der Finanzverwaltung angenommene Verständnis führt aber in der Tat dazu, daß ein Rechtsschutzsuchender, der die Verfassungsmäßigkeit der ihm auferlegten Abgabenlast bekämpften möchte (und damit einen zentralen, vom Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 11196/1986 ausdrücklich hervorgehobenen Aspekt rechtlicher Bedingtheit in Frage stellt), generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung so lange belastet wird, bis sein Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt ist. Hätte die in Rede stehende Bestimmung tatsächlich diesen Inhalt, verlöre die Rechtsschutzeinrichtung das erforderliche Maß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber und wäre verfassungswidrig.

Nichts zwingt aber zu einer solchen Interpretation:

Weder gebietet sie der - oben zitierte - Wortlaut, noch legt sie eine die Entstehungsgeschichte der Regelung beachtende Interpretation nahe; wurde diese doch im Bestreben eingeführt, die vom Verfassungsgerichtshof erkannte Verfassungswidrigkeit des § 254 BAO im früheren Kontext zu vermeiden. Vielmehr läßt sich die Vorschrift in verfassungskonformer Weise derart auslegen, daß die Behauptung der Verfassungswidrigkeit der die Abgabenvorschreibung tragenden Bestimmung von der Behörde - ungeachtet der Bindung von Verwaltungsbehörden an ordnungsgemäß kundgemachte Gesetze - kraft der ausdrücklichen Anordnung in § 212a Abs 2 lita BAO in diesem Begleitverfahren ebenso wie jede andere Berufungsbehauptung im Hinblick auf ihre Erfolgsaussicht abzuschätzen ist (vgl. zur Abschätzungsnotwendigkeit im allgemeinen Stoll, aaO, S. 2273; zur Zulässigkeit bloß verfassungsrechtlicher Argumentation in Berufungsverfahren , mwH). Diese Auffassung wurde auch im Gefolge der Erlassung der in Rede stehenden Vorschrift in der Literatur vertreten (vgl. - insofern übereinstimmend - Wieser, FJ 1/1988, S. 1, und Zorn, FJ 2/1988, S. 24 f.). Die belangte Behörde übersieht, daß einer derartigen Interpretation - bedenkt man, daß über Berufungen allenfalls auch in einem nach Ergehen einer verwaltungsgerichtlichen oder verfassungsgerichtlichen Entscheidung fortgesetzten Verfahren zu entscheiden ist - auch der Wortlaut der Bestimmung nicht im Wege steht.

d) Die belangte Behörde hat somit der von ihr angewendeten Gesetzesvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt und von diesem verfassungsrechtlich verfehlten Verständnis der Vorschrift ausgehend überhaupt keine Erwägungen über die möglichen Erfolgsaussichten der verfassungsrechtlich motivierten Beschwerdebehauptungen angestellt. Sie hat damit den in das Eigentum der beschwerdeführenden Gesellschaft eingreifenden Bescheid nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 11495/1987, 13523/1993, 13562/1993 und ) mit Verfassungswidrigkeit belastet. Die angefochtenen Spruchpunkte des bekämpften Bescheides waren daher aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VerfGG; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen S 3.000,-- auf die Umsatzsteuer.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung beschlossen werden.