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OGH vom 11.11.1999, 8ObS236/99k

OGH vom 11.11.1999, 8ObS236/99k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Dietmar Strimitzer und Ing. Hugo Jandl als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Franz F*****, Angestellter, ***** vertreten durch Dr. Thomas Stampfer und Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Bundessozialamt Steiermark, Graz, Babenbergerstraße 35, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen Insolvenz-Ausfallgeld (Revisionsinteresse S 108.309,-- sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 75/99g-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 37 Cgs 428/98m-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

Spruch

Der Revision wird teilweise nicht Folge gegeben und das Urteil des Berufungsgerichtes hinsichtlich eines Zuspruches von S 86.386,-- samt 4,5 % Zinsen vom bis als Teilurteil bestätigt.

Die Entscheidung über die Kosten sämtlicher Instanzen bleibt diesbezüglich der Endentscheidung vorbehalten.

Im übrigen wird der Revision Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden hinsichtlich des Mehrbegehrens von S 21.923,-- samt 4,5 % Zinsen vom bis und im Kostenpunkt aufgehoben und die Rechtssache wird in diesem Umfang zur ergänzenden Verhandlung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom bis bei der C***** GmbH beschäftigt. Im Konkurs dieses Arbeitgebers erhielt der Kläger vom Insolvenz-Ausfallgeldfonds eine Abfertigung im Ausmaß von drei Monatsentgelten. Vom bis war der Kläger sodann bei der C***** beschäftigt. Mit "Dienstvertragänderung" vom wurden dem Kläger Vordienstzeiten im Ausmaß von 480 Monaten bei der Bemessung des Urlaubsausmaßes, der Entgeltfortzahlungsfristen bei Krankheit und Unglücksfall, der einzuhaltenden Kündigungsfrist sowie der Abfertigung voll angerechnet. Mit Beschluss vom wurde über das Vermögen dieses (zweiten) Arbeitgebers das Konkursverfahren eröffnet.

Mit Bescheid der beklagten Partei vom wurde dem Kläger Insolvenzausfallgeld für eine Urlaubsentschädigung im Ausmaß von 56 Werktagen zugesprochen. Mit weiterem Bescheid vom lehnte die beklagte Partei die Gewährung von Insolvenzausfallgeld für den vom Kläger geltend gemachten Abfertigungsanspruch im Ausmaß von 12 Moantsentgelten und für weitere Urlaubsentschädigung für 18 Werktage ab.

Der Kläger begehrte Insolvenz-Ausfallgeld im Ausmaß von S 117.991,-- netto sA mit dem Vorbringen, es seien ihm im Arbeitsvertrag Vordienstzeiten im Ausmaß von 480 Monaten aus seinem Arbeitsverhältnis zur C***** AG Linz und zur C***** GmbH angerechnet worden. Zuletzt sei er vom bis beschäftigt gewesen, wobei über das Vermögen der Arbeitgeberin am das Konkursverfahren eröffnet wurde. Der Kläger habe anlässlich der Konkurseröffnung über das Vermögen seiner vorletzten Arbeitgeberin eine Abfertigung von drei Monatsentgelten erhalten, sodass er unter Berücksichtigung der Restzeiten einen Anspruch auf Abfertigung im Ausmaß von zwei Monatsentgelten habe. Unter Berücksichtigung der Vordienstzeiten habe er einen jährlichen Urlaubsanspruch von 36 Werktagen, weshalb ihm eine zusätzliche Urlaubsentschädigung von 18 Werktagen gebühre.

Die beklagte Partei bestritt das Klagsvorbringen, beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und brachte vor, der Kläger habe aus dem vorausgehenden Arbeitsverhältnis eine Abfertigung von drei Monatsentgelten erhalten, weshalb keine anzurechnenden Vordienstzeiten übrig seien. Für das Urlaubsausmaß seien höchstens fünf Jahre an Vordienstzeiten anzurechnen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren hinsichtlich eines Teilbetrages von S 108.309,-- samt 4,5 % Zinsen vom bis statt und wies ein Mehrbegehren von S 9.682,-- sA ab, wobei dieser Teil in Rechtskraft erwachsen ist.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes seien abgefertigte Zeiten und die hiefür gezahlte Abfertigung auch dann, wenn das neue Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber unmittelbar an das alte anschließe, für Entstehen und Höhe eines allfälligen weiteren Anspruches nicht zu berücksichtigen; doch gelte dies nur für Zeiten, die für die seinerzeitige Abfertigung rechtlich notwendig gewesen seien, sodass, da der Kläger für den Zeitraum vom bis eine Abfertigung im Ausmaß von drei Monatsentgelten ausbezahlt bekommen habe und ihm eine solche Abfertigung bereits ab zugestanden sei, eine anrechnungsfähige Vordienstzeit aus dem Dienstverhältnis zum früheren Arbeitgeber vom bis und eine weitere Dienstzeit aus dem Beschäftigungsverhältnis zur Gemeinschuldnerin vom bis für die Bemessung der Abfertigung heranzuziehen seien. Für den Kläger ergebe sich somit ein abfertigungsfähiger Zeitraum von rund 4,5 Jahren, sodass ihm gemäß § 23 AngG eine Abfertigung im Ausmaß von zwei Monatsentgelten gebühre. Dem IESG sei eine Beschränkung auf bloß gesetzlich vorgeschriebene Anrechnungen von Vordienstzeiten nicht zu entnehmen und es seien Ansprüche aus einer vereinbarten Anrechnung nach dem IESG nicht ausgeschlossen. Auf Grund der arbeitsvertraglichen Anrechnung von 480 Monaten an Vordienstzeiten verfüge der Kläger somit über einen Urlaubsanspruch von 36 Werktagen jährlich, sodass die geltend gemachte erhöhte Urlaubsentschädigung zuzuerkennen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge und sprach aus, dass die Revision zulässig sei.

In rechtlicher Hinsicht führte es aus, dass das Erstgericht die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (RdW 1992, 120) richtig wiedergegeben habe, dass dann, wenn ein von der ersten Abfertigung nicht erfasster Restzeitraum verbleibe, dieser bei Berechnung der Abfertigung für das zweite Dienstverhältnis beim selben Arbeitgeber zu berücksichtigen sei; da die übriggebliebenen Zeiten selbst ohne Vereinbarung der Zeit des zweiten Dienstverhältnisses zuzuschlagen wären, liege in der vertraglichen Berücksichtigung dieser Zeiten weder eine unentgeltliche Verfügung des (späteren) Gemeinschuldners noch ein anfechtbares Rechtsgeschäft und es handle sich daher auch um keinen gemäß § 1 Abs 3 Z 1 und 2 lit a IESG ausgeschlossenen Anspruch. In dieser Entscheidung habe der Oberste Gerichtshof die von der beklagten Partei bezogene Entscheidung 9 ObA 98/87 ausdrücklich abgelehnt. Problematisch erscheine die Frage, ob einzelvertraglich und gegenüber dem IESG-Fonds wirksam Teilzeiten, die zur Begründung eines Abfertigungsanspruches bei einem vorausgegangenen Dienstgeber nicht erforderlich gewesen seien, also hier die über fünf Jahre hinausgehenden Zeiten der Beschäftigten beim vorausgehenden Arbeitgeber durch eine Einzelvereinbarung des Klägers mit der Gemeinschuldnerin dem Anspruch des Klägers gegenüber dem IESG-Fonds zugrundezulegen seien, weil es sich hiebei nicht um Zeiten eines vorausgegangenen Arbeitsverhältnisses zum selben Arbeitgeber handle. Grundsätzlich habe der Oberste Gerichtshof wiederholt betont, dass Insolvenz-Ausfallgeld für Abfertigung nur im Falle einer gesetzlichen Abfertigung gebühre, weil durch die Vereinbarung freiwilliger Abfertigungen der aus dem IESG hervorleuchtende klare Gesetzeszweck, Abfertigungen nur im gesetzlichen Ausmaß zu sichern, umgangen würde. Allerdings habe der Oberste Gerichtshof auch ausgesprochen, es dürfe in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden, dass das IESG sowohl in seiner Fassung nach dem IRÄG 1997 als auch nach der im Zeitpunkt der Konkurseröffnung gültigen Fassung in § 1 Abs 3 IESG ausdrücklich auf Einzelvereinbarungen Bezug nehme und diese nur in bestimmten Fällen nicht gesichert seien. § 3 Abs 3 zweiter Satz IESG bestimme nunmehr, dass eine einzelvertragliche Anrechnung von Vordienstzeiten unter Bedachtnahme auf § 1 Abs 3 Z 2 IESG der Berechnung des Insolvenz-Ausfallgeldes insoweit zugrundezulegen sei, als es sich um die Umrechnung von tatsächlich geleisteten Beschäftigungszeiten handle und solche Zeiten nicht bereits bei früheren Beendigungsansprüchen berücksichtigt worden seien. Damit habe der Oberste Gerichtshof klar gestellt, dass Einzelvereinbarungen auch insoweit gegenüber dem IESG-Fonds wirksam seien, als damit noch nicht abgefertigte Zeiten Berücksichtigung fänden (vgl 8 ObS 206/98x mwH).

Zur Urlaubsentschädigung sei primär davon auszugehen, dass die beklagte Partei nicht eingewendet habe, der Anrechnung von 480 Vordienstzeitenmonaten lägen nicht auch entsprechende Dienstzeiten zugrunde. Grundsätzlich sei es richtig, dass bei einem 25 Jahre andauernden Beschäftigungsverhältnis ein Urlaubsanspruch im Ausmaß von 36 Werktagen jährlich bestehe. Nicht gefolgt werden könne dem Standpunkt der beklagten Partei, dass für die Bemessung des Urlaubsausmaßes die in anderen Dienstverhältnissen zugebrachte Arbeitszeit nur bis zum Höchstausmaß von fünf Jahren angerechnet werden dürfe. Das Urlaubsgesetz bestimme lediglich, welche Zeiten verpflichtend für die Berechnung des Urlaubsausmaßes anzurechnen seien. Eine einzelvertragliche, über das 5-jährige Ausmaß hinausgehende Anrechnung von Vordienstzeiten für das Urlaubsausmaß widerspreche nicht dem Gesetz. Eine über das gesetzliche Ausmaß hinausgehende Anrechnung von Vordienstzeiten für den Urlaubsanspruch könne durch Vereinbarung jedenfalls erfolgen. Im übrigen habe die beklagte Partei nicht vorgebracht, dass es sich insoweit um einen ausgeschlossenen Anspruch aufgrund anfechtbarer Rechtshandlungen handle, oder die Ansprüche auf einer Einzelvereinbarung beruhten, die über die Anrechnung von tatsächlich geleisteten Beschäftigungszeiten hinaus gingen, sodass insoweit eine zum Nachteil des IESG-Fonds geschlossene Vereinbarung zugrundeläge. Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 46 Abs 1 ASGG liege insoweit vor, weil zur Frage der Sicherung des Anspruches auf höhere Urlaubsentschädigung, die auf Grund einzelvertraglicher Anrechnung von Vordienstzeiten für das Urlaubsausmaß gegründet seien, eine Judikatur des Obersten Gerichtshofes fehle.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung einer erheblichen Rechtsfrage des materiellen Rechts mit dem Antrag, es abzuändern und das Klagebegehren abzuweisen.

Der Kläger beantragt der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist teilweise berechtigt.

1. Zur Abfertigungsforderung:

Rechtliche Beurteilung

Eine einzelvertragliche Anrechnung von Vordienstzeiten ist nach der hier anzuwendenden Rechtslage vor dem IRÄG 1997 unter Bedachtnahme auf § 1 Abs 3 Z 2 IESG zulässig (8 ObS 21/94; Liebeg, IESG2 185 Rz 24 zu § 3), wobei bei einer vorausgehenden Gewährung von Insolvenz-Ausfallgeld nur jene Zeiten auszuscheiden sind, die für die seinerzeitige Abfertigung rechtlich notwendig waren (9 ObS 9/91 = RdW 1992, 120 mwN). Erst durch das IRÄG 1997 erfolgte eine ausdrückliche Einschränkung der Anrechnung von Vordienstzeiten durch § 3 Abs 3 IESG, wobei der Satzteil "oder solche Zeiten nicht bereits bei früheren Beendigungsansprüchen berücksichtigt wurden" sinngemäß dieser Rechtsprechung zur Vermeidung von Doppelanrechnungen entspricht.

2. Zum Ausmaß der Urlaubsentschädigung:

§ 3 Abs 2 UrlG zählt diverse anzurechnende Vordienstzeiten auf, unter anderem gemäß Z 1 dieser Gesetzesstelle solche aus einem anderen Beschäftigungsverhältnis, jedoch nur bis zum Höchstausmaß von fünf Jahren (§ 3 Abs 3 erster Satz UrlG; Kuderna, UrlG2 Rz 6 zu § 3). Diese beschränkte Vordienstzeitenanrechnung für das Urlaubsausmaß stellt aber gemäß § 12 UrlG nur den gesetzlichen Mindeststandard von Arbeitnehmernansprüchen im Sinne einer relativ zwingenden Norm dar, wodurch dem Arbeitnehmer günstigere Vereinbarungen keineswegs ausgeschlossen werden (Kuderna aaO Rz 10 zu § 2; ausdrücklich die Zulässigkeit der Vereinbarung der Anrechnung von Vordienstzeiten über den Rahmen des § 3 UrlG bejahend Rz 1 zu § 3, ebenso Cerny Urlaubsrecht7 Rz 1 zu § 3 UrlG). Ebenso wie beim Abfertigungsanspruch ist die vertragliche Anrechnung von Vordienstzeiten bei der Bemessung des gesicherten Urlaubsanspruches dann beachtlich, wenn es sich um tatsächlich zurückgelegte Zeiten handelt. Dies folgt einerseits aus der vergleichbaren Rechtsprechung zum Abfertigungsanspruch und andererseits daraus, dass eine Vordienstzeitenanrechnung für ältere Arbeitnehmer, die schon auf eine Beschäftigungszeit von über 25 Jahren zurückblicken können und auf Grund der langjährigen Anforderungen des Berufslebens eine erhöhte Erholungszeit benötigen, sachgerecht ist und nicht eine Vereinbarung zu Lasten des Insolvenz-Ausfallgeldfonds.

Der für die anspruchsbegründenden bzw -erhöhenden Tatsachen beweispflichtige Kläger hat zwar die Anrechnungsvereinbarung behauptet, nicht aber die tatsächliche Zurücklegung einer Beschäftigungszeit von mehr als 25 Jahren vor dem Ende des ersten Urlaubsjahres, für das eine Urlaubsentschädigung begehrt wird (siehe Kuderna aaO § 2 Rz 8). Da die beklagte Partei einen diesbezüglichen Einwand im Verfahren erster Instanz nicht erhoben hat und auch der Oberste Gerichtshof die Parteien nicht mit einer Rechtsansicht überraschen darf, wird im fortzusetzenden Verfahren zu erörtern sein, ob der Kläger tatsächlich Vordienstzeiten von 25 Jahren schon vor dem zurückgelegt hat.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 392 Abs 2 iVm § 52 Abs 2 ZPO sowie auf § 52 Abs 1 ZPO.