OGH vom 30.10.2014, 8Ob97/14v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden und durch den Hofrat Hon. Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache des Antragstellers W***** T*****, vertreten durch Anwaltssocietät Sattlegger Dorninger Steiner Partner, Rechtsanwälte in Linz und Wien, gegen die Antragsgegnerin C***** H*****, wegen Herabsetzung des Unterhalts, über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom , GZ 4 R 193/14w 57, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom , GZ 2 FAM 122/12s 53, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Der Antragsteller ist der Vater der im Jahr 1988 geborenen Antragsgegnerin. Er ist aufgrund eines rechtskräftigen Beschlusses des Erstgerichts vom zur Zahlung von monatlichem Unterhalt von 430 EUR an die Tochter verpflichtet.
Die Tochter ist einkommens und vermögenslos. Sie hat im Jahr 2003 durch einen Sprung aus dem vierten Stock eines Gebäudes ein Polytrauma erlitten. Aufgrund der daraus resultierenden orthopädischen Erkrankungen wäre sie in der Lage, leichte Arbeiten, überwiegend im Sitzen, auszuüben. Bei der Tochter liegt aber darüber hinaus eine schwere Persönlichkeitsstörung mit suizidalen Tendenzen, Depressionen, psychosomatischen Beschwerden, selbstverletzendem Verhalten und Essstörungen vor. Sie ist aufgrund dieser schweren Persönlichkeitsstörung nicht in der Lage, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Es steht nicht fest, wann eine Besserung eintritt. Dies ist bei günstigen Verhältnissen möglich, eine Nachuntersuchung sollte im Oktober 2015 durchgeführt werden.
Die Tochter war schon als Jugendliche und ist weiterhin in psychiatrischen Einrichtungen, sie konnte keinen Beruf erlernen. Sie steht seit Jahren (stationär und ambulant) sowohl in orthopädischer als auch in psychotherapeutischer Behandlung. Sie war seit dem Jahr 2005 mehr als 35 mal in stationärer Behandlung. Es wurden mehrere Operationen durchgeführt.
Die Tochter ist nicht arbeits und ausbildungsfähig, sie kann kein Einkommen erzielen.
Der Vater beantragt, ihn ab von seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber der volljährigen Tochter zu befreien. Dieser sei es trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen möglich, einer entsprechenden Erwerbstätigkeit nachzugehen und ein Einkommen zu erzielen. Die Tochter habe es schuldhaft unterlassen, entsprechende Behandlungen und Therapien zur nachhaltigen Verbesserung ihres Gesundheitszustands in Anspruch zu nehmen. Sie habe ihre Obliegenheit, ein entsprechendes Einkommen zu erzielen, vorsätzlich durch mehrere Selbstmordversuche, Abbruch der Behandlungen, nicht zählbare Selbstverletzungen verletzt.
Die Tochter wandte gegen den Antrag ein, dass sie infolge ihrer körperlichen und psychischen Einschränkungen nicht in der Lage sei, einer Arbeit nachzugehen, sie leide unter ständigen Schmerzen und den Folgen einer jüngst durchgeführten Korrektur einer Fehlstellung am Bein.
Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters ab. Die elterliche Unterhaltspflicht entfalle mit Erreichen der Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes. Diese sei nicht eingetreten, weil die Tochter infolge ihrer massiven psychischen und orthopädischen Erkrankungen ohne ihr Verschulden nicht in der Lage sei, ihre Ausbildung zielstrebig zu verfolgen oder eine Erwerbstätigkeit anzunehmen. Die Tochter sei ständig in ärztlicher Betreuung und Behandlung; sie habe es nicht schuldhaft unterlassen, entsprechende Behandlungen und Therapien zur nachhaltigen Verbesserung ihres Gesundheitszustands in Anspruch zu nehmen. Es könne ihr daher nicht vorgeworfen werden, sie entziehe sich rechtsmissbräuchlich einer zumutbaren Behandlung und bemühe sich nicht um eine Besserung ihres Zustands, um Unterhaltszahlungen durch den Vater zu erreichen.
Das Rekursgericht gab dem vom Vater gegen diesen Beschluss erhobenen Rekurs nicht Folge. Unbekämpft stehe fest, dass die Tochter weder arbeits noch ausbildungsfähig sei, ihr sei auch nicht vorzuwerfen, dass sie sich nicht den erforderlichen ärztlichen und therapeutischen Behandlungen unterziehe. Wenn ein damals 15 jähriges Mädchen aus dem vierten Stock eines Gebäudes springe, um sich das Leben zu nehmen, so indiziere dies eine gravierende psychische Ausnahmesituation, die ein Verschulden der Tochter daran, dass sie sich nicht selbst erhalten könne, ausschließe. Wegen der bei ihr bestehenden schweren Persönlichkeitsstörung könnten der Tochter Selbstmordversuche und Selbstverletzungen nicht vorgeworfen werden.
Nachträglich sprach das Berufungsgericht über Antrag des Vaters aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu einem dem vorliegenden Sachverhalt vergleichbaren Fall nicht vorliege.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters, der eine Stattgebung seines Antrags anstrebt.
Eine Revisionsrekursbeantwortung wurde nicht erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs des Vaters ist entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichts, der den Obersten Gerichtshof nicht bindet, unzulässig, weil keine Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG zu beantworten ist.
1. Die vom Revisionsrekurswerber behauptete Aktenwidrigkeit liegt nicht vor. Er hat in zweiter Instanz nicht bestritten, dass die Antragsgegnerin nicht arbeits und ausbildungsfähig ist, und zwar auch nicht in seinen Ausführungen zur Mängelrüge. Dass das Rekursgericht die Ausbildungsunfähigkeit der Antragsgegnerin als unstrittig bezeichnet die Arbeitsunfähigkeit der Antragsgegnerin wird auch im Revisionsrekurs nicht bestritten ist daher nicht zu beanstanden.
2. Auch im Außerstreitverfahren kann ein im Rekurs behaupteter, vom Rekursgericht aber verneinter Mangel des Verfahrens erster Instanz vor dem Obersten Gerichtshof grundsätzlich (vgl 8 Ob 63/13t = RIS Justiz RS0020748 [T14, T 15]) nicht neuerlich geltend gemacht werden (RIS Justiz RS0050037). Anderes gilt nur für die in § 66 Abs 1 AußStrG genannten Mängel, von denen aber hier keiner geltend gemacht wurden.
3. Ist wie hier die Selbsterhaltungsfähigkeit wegen einer psychischen Erkrankung des Kindes nicht eingetreten, wäre sein Unterhaltsanspruch nach der von den Vorinstanzen zutreffend angewendeten Rechtsprechung nur bei Rechtsmissbrauch zu verneinen (8 Ob 139/06h; RIS Justiz RS0047330). Die Frage, ob ein derartiger Rechtsmissbrauch anzunehmen ist, hängt in aller Regel von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und vermag daher von Fällen krasser Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz abgesehen die Zulässigkeit des Revisionsrekurses nicht zu rechtfertigen. Dass die Vorinstanzen angesichts des eingangs wiedergegebenen Sachverhalts Rechtsmissbrauch der Antragsgegnerin verneint haben, ist aber keineswegs unvertretbar. Der vom Vater auch im Revisionsrekurs aufrecht erhaltene Vorwurf, der Tochter seien ihre „zahllosen Selbstverletzungen und Selbstmordversuche“ vorwerfbar, übergeht, dass nach den unangefochtenen Feststellungen selbstverletzendes Verhalten und suizidale Tendenzen Teil der bei der Tochter bestehenden schweren Persönlichkeitsstörung und ihr schon daher nicht im Sinn eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens vorwerfbar sind (vgl 7 Ob 577/94). In der im Revisionsrekurs zitierten Entscheidung 1 Ob 4/08g, die die hier nicht zu beurteilende Frage der gröblichen Vernachlässigung der Unterhaltspflicht gegenüber einem Kind betraf, war eine psychische Erkrankung der Mutter, die einen Selbstmordversuch begangen hatte, gerade nicht feststellbar, sodass dieser Fall von vornherein nicht vergleichbar ist.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2014:0080OB00097.14V.1030.000