VfGH vom 20.06.2007, B881/06
Sammlungsnummer
18154
Leitsatz
Kein Entzug des gesetzlichen Richters durch Zurückweisung einer Maßnahmenbeschwerde durch den Unabhängigen Verwaltungssenat (UVS) gegen vorläufige Maßnahmen des Jugendwohlfahrtsträgers betreffend die Obsorge der Eltern zweier minderjähriger Kinder; Zuordnung vorläufiger Maßnahmen der Erziehungshilfe zur Privatwirtschaftsverwaltung; Maßnahmenbeschwerde nur gegen Akte der Hoheitsverwaltung
Spruch
Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Beschwerdeführerin ist die obsorgeberechtigte Mutter zweier minderjähriger ehelicher Kinder. Aufgrund des Verdachts von Gewalt in der Familie und des sexuellen Missbrauchs durch den Kindesvater wurden die Kinder am vom Amt der Jugendwohlfahrt der Stadt Innsbruck als Jugendwohlfahrtsträger (im Folgenden: Jugendwohlfahrtsträger) zwangsweise abgenommen und vorübergehend in einem Kinderheim untergebracht.
2. Am beantragte der Jugendwohlfahrtsträger beim Bezirksgericht Innsbruck unter Berufung auf § 215 ABGB, "die zum Schutz der mj. [Kinder] notwendig gewordene Unterbringung" in einem näher bezeichneten Heim "pflegschaftsgerichtlich zu genehmigen und den Teilbereich der Obsorge 'Pflege und Erziehung' sowie die gesetzliche Vertretung in besagtem Teilbereich für beide Kinder dem Land Tirol, vertreten durch das Amt für Jugendwohlfahrt der Stadt Innsbruck zu übertragen".
3. Das Bezirksgericht Innsbruck wies mit Beschluss vom den Antrag des Jugendwohlfahrtsträgers auf Entzug der Obsorge im Teilbereich "Pflege und Erziehung" ab, erteilte den Kindeseltern jedoch die Weisung, sich zumindest einmal wöchentlich einer Betreuung durch einen näher bezeichneten Verein zu unterziehen sowie allenfalls eine psychologische oder psychiatrische Betreuung der Kinder regelmäßig in Anspruch zu nehmen.
4. Dem dagegen erhobenen Rekurs des Jugendwohlfahrtsträgers wurde mit Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom keine Folge gegeben, da das Gericht nicht über die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Maßnahmen des Jugendwohlfahrtsträgers zu befinden, sondern eine endgültige pflegschaftsbehördliche Entscheidung pro futuro zu treffen habe. Überdies seien vorläufige Maßnahmen des Jugendwohlfahrtsträgers gem. § 215 Abs 1 zweiter Satz ABGB als "hoheitliches Handeln" zu qualifizieren (unter Hinweis auf zwei, die gegenteilige Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich ablehnende Entscheidungen des und , 1 Ob 58/05v).
5. Mit Maßnahmenbeschwerde vom beantragte die Beschwerdeführerin, "der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol wolle feststellen, daß die belangte Behörde [gemeint: der Jugendwohlfahrtsträger] durch ihr Einschreiten vom [sie] in ihren Rechten verletzt hat."
6. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom hat der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol - nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung - die Maßnahmenbeschwerde als unzulässig zurückgewiesen.
Dies im Wesentlichen mit folgender Begründung:
Mit der einschlägigen Lehre und der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts sei davon auszugehen, dass dem Jugendwohlfahrtsträger bei solchen Sofortmaßnahmen die Stellung eines Sachwalters zukomme. Er handle insoweit als besonderer gesetzlicher Vertreter des Minderjährigen im Rahmen des Privatrechts und nicht des vffentlichen Rechts. Solche Maßnahmen seien ihrer Art nach nicht Ausübung der dem Staat eigentümlichen Befehls- und Zwangsgewalt. Erziehungsmaßnahmen würden aufgrund der Bestimmungen des bürgerlichen Rechts gesetzt. In weiterer Folge habe der Jugendwohlfahrtsträger ein solches Einschreiten nur vor dem Vormundschaftsgericht, nicht aber "vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts" zu verantworten.
7. Gegen diesen - keinem weiteren Rechtszug unterliegenden - Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, worin die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt:
Die zwangsweise Abnahme und Unterbringung der Kinder der Beschwerdeführerin gemäß § 215 Abs 1 ABGB stelle ein hoheitliches Handeln des Jugendwohlfahrtsträgers dar, das der Kontrolle durch die Unabhängigen Verwaltungssenate unterliege.
Die gegenteilige Auffassung, dass der Jugendwohlfahrtsträger insoweit nicht in hoheitlicher Vollziehung tätig werde, sondern es sich bei der in Rede stehenden Maßnahme um privatrechtliches Handeln eines staatlichen Organs handle, provoziere eine Rechtschutzlücke, da für die Rechtmäßigkeitskontrolle solcher Zwangsmaßnahmen im "Jugendwohlfahrtsrecht" kein spezielles Verfahren vorgesehen sei. Aus diesem Grund greife die Generalkompetenz der Unabhängigen Verwaltungssenate gemäß Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG.
Während das Gericht über die "Obsorgeverteilung" zu entscheiden habe, stehe die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit der Inanspruchnahme der Interimsmaßnahmen des Jugendwohlfahrtsträgers als "Behördenhandeln" den Unabhängigen Verwaltungssenaten und in weiterer Folge den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts zu.
8. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen und die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II. Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
1. Bis zum Inkrafttreten des Kindschaftsrecht-Änderungsgesetzes - KindRÄG, BGBl. 162/1989, wurde die Befugnis der Bezirksverwaltungsbehörde zur Ergreifung vorläufiger Maßnahmen zum Schutze von Minderjährigen bei Gefahr im Verzug in § 26 Abs 2 Jugendwohlfahrtsgesetz - JWG, BGBl. 99/1954, wie folgt geregelt:
"(2) Liegt Gefahr im Verzug vor, so kann die Bezirksverwaltungsbehörde als Vormund oder als gesetzlicher Amtskurator die erforderlichen Maßnahmen der Erziehungshilfe sofort treffen, sie hat jedoch unverzüglich, längstens binnen einer Woche nach Vollzug der getroffenen Maßnahmen, die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts zu beantragen. Stellt die Bezirksverwaltungsbehörde den Antrag nicht binnen dieser Frist oder verweigert das Vormundschaftsgericht die Genehmigung, so gilt die Maßnahme als widerrufen."
2. Mit dem Kindschaftsrecht-Änderungsgesetz - KindRÄG, BGBl. 162/1989, wurde u.a. folgende Bestimmung in das ABGB aufgenommen:
"§215. Der Jugendwohlfahrtsträger hat die zur Wahrung des Wohles eines Minderjährigen erforderlichen gerichtlichen Verfügungen im Bereich der Obsorge zu beantragen. Bei Gefahr im Verzug kann er die erforderlichen Maßnahmen der Pflege und Erziehung als Sachwalter vorläufig mit Wirksamkeit bis zur gerichtlichen Entscheidung selbst treffen, wenn er unverzüglich, jedenfalls aber innerhalb von acht Tagen, die erforderlichen gerichtlichen Verfügungen beantragt.
Der Jugendwohlfahrtsträger ist erforderlichenfalls vor Verfügungen, die die Pflege und Erziehung eines Minderjährigen betreffen, zu hören, es sei denn, daß durch den damit verbundenen Aufschub der Verfügung das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Auf Ersuchen des Gerichtes hat der Jugendwohlfahrtsträger bei der Befragung eines Kindes mitzuwirken oder eine solche selbst vorzunehmen."
Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (RV 172 BlgNR 17. GP, 22 f.) besagen zu dieser Bestimmung Folgendes (Hervorhebungen nicht im Original):
"Ganz allgemein soll der Jugendwohlfahrtsträger nunmehr verpflichtet sein, die zur Wahrung des Wohles eines Minderjährigen erforderlichen gerichtlichen Verfügungen in den Bereichen der Pflege und Erziehung, der Vermögensverwaltung und der gesetzlichen Vertretung beim Pflegschaftsgericht zu beantragen, wenn er von der Erforderlichkeit solcher Maßnahmen Kenntnis erlangt. Dies ist deshalb notwendig, da das 'Jugendamt' zumeist weitaus früher von Mißständen in der Erziehung Minderjähriger informiert wird als das Pflegschaftsgericht.
Die Bestimmung des zweiten Satzes ersetzt die bisherige Regelung des § 26 Abs 2 JWG über die Setzung vorläufiger Maßnahmen durch die Bezirksverwaltungsbehörde. Auch bei Gefahr in Verzug dürfen vom Jugendwohlfahrtsträger Maßnahmen jedoch nur auf dem Gebiete der Pflege und Erziehung, nicht etwa auch im Bereich der gesetzlichen Vertretung, selbst getroffen werden. Gegen diese - im Bereich des Zivilrechts als Sachwalter - gesetzten Maßnahmen kann nun das Pflegschaftsgericht angerufen werden; Rechtsbehelfe des Verwaltungsverfahrens sind nicht möglich.
Beantragt der Jugendwohlfahrtsträger, nachdem er vorläufige Maßnahmen der Pflege und Erziehung selbst getroffen hat, nicht unverzüglich die erforderlichen gerichtlichen Verfügungen, hat er die Maßnahmen wieder rückgängig zu machen. Die bisher bestehende Frist von einer Woche wurde in den Entwurf nicht mehr übernommen, da je nach Lage des Falles auch eine frühere oder - in Ausnahmefällen - auch spätere Antragstellung möglich sein kann. Ob die gerichtliche Verfügung noch unverzüglich [Hervorhebung im Original] beantragt wurde, hängt von den Schritten, die zur Vorbereitung der Antragstellung nötig sind, aber auch von anderen Umständen, wie die durch Feiertage bedingte Sperre des Gerichtes, ab."
3. Durch ArtI des Bundesgesetzes zum Schutz vor Gewalt in der Familie, BGBl. 759/1996, wurde § 215 Abs 1 ABGB ein dritter Satz angefügt, der den Jugendwohlfahrtsträger "als Sachwalter des Minderjährigen" dazu ermächtigte, für den Fall, dass der "sonstige gesetzliche Vertreter" einen erforderlichen Antrag nicht unverzüglich stellt, bei Gericht einstweilige Verfügungen zur Wegweisung des gewalttätigen Elternteils aus der Wohnung und ihrer Umgebung im Sinne der §§382b ff EO zu beantragen.
4. Die dem vorliegenden Fall zugrunde liegende Fassung des § 215 Abs 1 ABGB geht auf das Kindschaftsrechts-Änderungsgesetz 2001 - KindRÄG 2001, BGBl. I 135/2000, zurück. Seither hat die Bestimmung folgenden Wortlaut:
"§215. (1) Der Jugendwohlfahrtsträger hat die zur Wahrung des Wohles eines Minderjährigen erforderlichen gerichtlichen Verfügungen im Bereich der Obsorge zu beantragen. Bei Gefahr im Verzug kann er die erforderlichen Maßnahmen der Pflege und Erziehung vorläufig mit Wirksamkeit bis zur gerichtlichen Entscheidung selbst treffen; er hat diese Entscheidung unverzüglich, jedenfalls innerhalb von acht Tagen, zu beantragen. Im Umfang der getroffenen Maßnahmen ist der Jugendwohlfahrtsträger vorläufig mit der Obsorge betraut.
(2) Eine einstweilige Verfügung nach § 382b EO und deren Vollzug nach § 382d EO kann der Jugendwohlfahrtsträger als Vertreter des Minderjährigen beantragen, wenn der sonstige gesetzliche Vertreter einen erforderlichen Antrag nicht unverzüglich gestellt hat; § 212 Abs 4 gilt hiefür entsprechend."
Die Befugnis des Jugendwohlfahrtsträgers zur Antragstellung auf Erlassung einstweiliger Verfügungen im Sinne der §§382b ff EO ist nunmehr in Absatz 2 geregelt, jedoch mit der Maßgabe, dass der Jugendwohlfahrtsträger nicht mehr als "Sachwalter des Minderjährigen", sondern als "Vertreter des Minderjährigen" bezeichnet wird.
Die Gesetzesmaterialien zu § 215 ABGB idF BGBl. I 135/2000, begründen dies auszugsweise wie folgt (RV 296 BlgNR 21. GP, 73):
"Bisher war der Jugendwohlfahrtsträger, sofern und soweit er erforderliche Maßnahmen der Pflege und Erziehung vorläufig mit Wirksamkeit bis zur gerichtlichen Entscheidung selbst getroffen hat, Sachwalter des minderjährigen Kindes. Dass er nunmehr mit der Obsorge betraut ist, stellt grundsätzlich nur eine terminologische Anpassung (Beseitigung der Sachwalterschaft im Bereich des Kindschaftsrechts) dar. Durch die Umstellung der Satzstellung in dieser Vorschrift soll überdies betont werden, dass die Betrauung des Jugendwohlfahrtsträgers mit der Obsorge nur in dem Umfang kraft Gesetzes bis zur gerichtlichen Entscheidung eintritt, als der Jugendwohlfahrtsträger meint, Maßnahmen setzen zu müssen. ..."
5. Seit der B-VG-Novelle 1988, BGBl. 685/1988, erkennen gemäß Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG die unabhängigen Verwaltungssenate nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges, sofern ein solcher in Betracht kommt, über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein. Davon sind jedoch - gleichfalls aufgrund der eben genannten Bestimmung - ausdrücklich faktische Amtshandlungen ausgenommen, die in "Finanzstrafsachen des Bundes" gesetzt werden.
III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1.1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).
1.2. Die Beschwerdeführerin sucht die Verfassungswidrigkeit des angefochtenen Bescheides einzig und allein damit darzutun, dass sie die auf Grundlage des § 215 Abs 1 Satz 2 ABGB ergriffene Maßnahme des Jugendwohlfahrtsträgers als Handeln im Rahmen der Hoheitsverwaltung, somit als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt qualifiziert und daraus die Zuständigkeit der Unabhängigen Verwaltungssenate ableitet.
1.3. Damit ist ihr Vorbringen aber - wie nachstehend dargelegt wird - schon vom Ansatz her verfehlt: Denn einer Maßnahmebeschwerde nach Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG sind nur Akte, die in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ergehen, mithin Akte der Hoheitsverwaltung zugänglich, nicht aber solche der Privatwirtschaftsverwaltung.
2.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes liegt hoheitliche Verwaltung vor, wenn die Verwaltungsorgane mit "imperium", also unter Einsatz spezifischer staatlicher Befehls- und Zwangsgewalt auftreten. Sie handeln dabei in jenen Rechtssatzformen, die das öffentliche Recht für die Ausübung von behördlichen Befugnissen zur Verfügung stellt. Danach kommt es für die Abgrenzung des Gebietes der Privatwirtschaftsverwaltung von dem der Hoheitsverwaltung auf die Motive und den Zweck der Tätigkeit nicht an, entscheidend ist vielmehr, welche rechtstechnischen Mittel die Gesetzgebung zur Verwirklichung der zu erfüllenden Aufgaben bereitstellt. Hat der Gesetzgeber den Verwaltungsträger mit keinen Zwangsbefugnissen ausgestattet, so liegt keine Hoheitsverwaltung, sondern Privatwirtschaftsverwaltung vor (vgl. etwa VfSlg. 3262/1957, 6084/1969; vgl. auch Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht3, 29 mwN). Letztendlich obliegt die Entscheidung über die Zuweisung einer Verwaltungsangelegenheit an eine der beiden Verwaltungstypen dem Gesetzgeber (vgl. VfSlg. 3183/1957).
2.2. In seiner zu § 26 Abs 2 JWG, der Vorgängerbestimmung des § 215 Abs 1 ABGB, ergangenen Entscheidung VfSlg. 11.492/1987 hat der Verfassungsgerichtshof zur Frage der Zuordnung vorläufiger Maßnahmen der Erziehungshilfe zur Hoheits- oder Privatwirtschaftsverwaltung Folgendes ausgeführt:
"Der VfGH pflichtet der Schlußfolgerung der Bundesregierung bei, daß die Absicht des Gesetzgebers auf die Regelung einer Tätigkeit im Bereich des Privatrechts gerichtet war und die getroffene Regelung dieser Absicht auch voll entspricht. Sie ist auch in der familienrechtlichen Literatur so verstanden worden (vgl. Wentzel-Piegler bei Klang2, Kommentar zum ABGB I/2, 1962, 354).
Die entscheidende Frage des vorliegenden Verfahrens geht freilich nach der verfassungsrechtlichen Beachtlichkeit dieser Vorgangsweise des Gesetzgebers. Ist doch die Abnahme von Kindern und ihre anderweitige Unterbringung gegen den Willen der Erziehungsberechtigten offenkundig die Ausübung von Zwang und die Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt geradezu das Kennzeichen hoheitlicher Tätigkeit. Es kann aber nicht im Belieben des Gesetzgebers stehen, Zwangsakte von Verwaltungsbehörden einfach zu privatrechtlichen Tätigkeiten zu erklären und so das Verbot der Trennung von Justiz und Verwaltung zu unterlaufen.
Indessen ist die Ausübung unmittelbaren Zwanges auch dem Privatrecht nicht ganz fremd. Die Ausübung von Eigenmacht zur Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche ist nur verboten, wenn sie unter Hintansetzung der durch die Gesetze bestimmten Behörden oder unter Überschreitung der Grenzen zulässiger Notwehr erfolgt (§19 ABGB). So gehört 'zu den Rechten des Besitzes' auch das Recht, 'in dem Falle, daß richterliche Hilfe zu spät kommen würde, Gewalt mit angemessener Gewalt abzutreiben' (§344 ABGB).
Zur Sicherung des Rechtes der Eltern, soweit Pflege und Erziehung es erfordern, auch den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen, haben die Behörden und Organe der öffentlichen Aufsicht auf Ersuchen eines berechtigten Elternteils, falls das Kind sich woanders aufhält, notfalls auch bei der Zurückholung des Kindes mitzuwirken (§146b ABGB) und das heißt, der Ausübung von Zwang durch die Eltern (zu dem von § 145 in der Stammfassung noch ausdrücklich formulierten Zweck, die Kinder '... mit obrigkeitlichem Beistand zurückzubringen') den allenfalls nötigen Nachdruck zu verleihen. In diesen Rahmen fügt sich ein Recht des Vormundes (Kurators), das seiner Sorge unterstellte Kind bei Gefahr im Verzug den ihre Erziehungsgewalt mißbrauchenden oder die damit verbundenen Pflichten nicht erfüllenden Eltern mit behördlicher Hilfe eigenmächtig wegzunehmen, ohne weiteres ein.
Zweifelhaft ist die Zulässigkeit der privatrechtlichen Einkleidung dieser Zwangsausübung nur deshalb, weil hier der Verwaltungsbehörde selbst die Aufgaben eines Vormundes (Kurators) übertragen sind. Das ist aber schon im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bundesverfassung als Fortentwicklung des Privatrechts verstanden worden:
...
Insbesondere scheint es dem VfGH überaus naheliegend, die Amtsvormundschaft (Amtskuratel) derselben Art der Kontrolle zu unterwerfen, wie die Vormundschaft sonst. Es wäre nämlich höchst unzweckmäßig, die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts einzig und allein deshalb, weil staatliche Organe an die Stelle sonst privater Sachwalter getreten sind, zur Ausübung jener Kontrolle zu berufen, die sonst dem Vormundschaftsgericht obliegt. Daß der Gesetzgeber dem Staat die Rolle des privaten Sachwalters zuweist und ihn damit grundsätzlich auf die Möglichkeit der Antragstellung bei Gericht beschränkt (§§21 und 26 Abs 3 JWG), muß daher als folgerichtige, sachlich gerechtfertigte Entwicklung verstanden werden, der nicht der Vorwurf mißbräuchlicher Gestaltung gemacht werden kann.
Daß der Amtsvormund (Amtskurator) ungeachtet seiner privatrechtlichen Stellung auch noch mit gewissen hoheitlichen Befugnissen ausgestattet ist (vgl. schon Bartsch aaO 1012 zur Generalvormundschaft), ändert nicht nur - wie die Bundesregierung treffend bemerkt - nichts an seiner grundsätzlich privatrechtlichen Stellung, sondern zwingt den Gesetzgeber auch nicht, seine Tätigkeit insgesamt im Bereich der Hoheitsverwaltung anzusiedeln. Der österreichischen Rechtsordnung ist die Erscheinung, daß dasselbe staatliche Organ im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung auftritt, das im Rahmen der Hoheitsverwaltung zur Entscheidung berufen ist, nicht fremd.
Es steht einer privatrechtlichen Einordnung aber auch nicht im Wege, daß gerade die in Prüfung stehende Maßnahme nur der Bezirksverwaltungsbehörde, nicht aber sonstigen Vormündern oder Kuratoren eingeräumt ist. Das Privatrecht kennt eben vorläufige Maßnahmen dieser Art in Gestalt der Selbsthilferechte, und die Beschränkung auf die Behörde ergibt sich hier aus der Natur der Sache, weil zur Gewährung von Erziehungshilfe im Sinne des Gesetzes allein sie in Betracht kommt; es ist daher nur geboten, ihr die eigenmächtige Inangriffnahme der Maßnahme bei Gefahr im Verzug zu gestatten. Diese wird deshalb nicht zur Ausübung hoheitlicher Zwangsgewalt. Daß der Bezirksverwaltungsbehörde zur Durchsetzung ihrer Maßnahme eine vergleichsweise stärkere Macht zur Verfügung steht, verschlägt nichts. Sofern sie sich der Organe der öffentlichen Aufsicht bedient, gilt für deren Einschreiten ohnehin nichts anderes als für ihre Mitwirkung bei ähnlichen Maßnahmen der Eltern nach § 146b
ABGB. ..."
Aufgrund dieser Überlegungen stellte der Gerichtshof in VfSlg. 11.492/1987 fest, dass "die Bezirksverwaltungsbehörde [heute:
der Jugendwohlfahrtsträger] auch ohne Deckung durch einen Gerichtsbeschluss als Vormund oder gesetzlicher Amtskurator im Bereich des Privatrechts einschreitet und dieses Einschreiten nur vor dem Vormundschaftsgericht, nicht aber vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts zu verantworten hat."
2.3. Dieser mittlerweile ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. auch VfSlg. 11.498/1987 und 12.073/1989) hat sich auch der Verwaltungsgerichtshof angeschlossen; nach dem Inkrafttreten des den § 26 Abs 2 JWG ersetzenden § 215 ABGB führte der Verwaltungsgerichtshof dazu in VwSlg. 14.326 A/1995 Folgendes aus:
"§215 ABGB enthält in seinem Abs 1 Regelungen über das Einschreiten des Jugendwohlfahrtsträgers zum Schutze Minderjähriger. Nach dem ersten Satz hat der Jugendwohlfahrtsträger die zur Wahrung des Wohles eines Minderjährigen erforderlichen gerichtlichen Verfügungen im Bereich der Obsorge zu beantragen. Nach dem zweiten Satz kann er bei Gefahr im Verzug die erforderlichen Maßnahmen der Pflege und Erziehung als Sachwalter vorläufig mit Wirksamkeit bis zur gerichtlichen Entscheidung selbst treffen, wenn er unverzüglich, jedenfalls aber innerhalb von 8 Tagen, die erforderlichen gerichtlichen Verfügungen beantragt. Bei Sofortmaßnahmen nach dem zweiten Satz hat der Jugendwohlfahrtsträger die Stellung eines Sachwalters; er handelt insoweit als besonderer gesetzlicher Vertreter des Minderjährigen im Rahmen des Privatrechts und nicht des öffentlichen Rechts (Ent/Frischengruber, Jugendwohlfahrtsrecht, Anm. 9 zu § 215 ABGB)."
2.4. Auch die herrschende Lehre geht in Einklang mit dieser Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts davon aus, dass die bei Gefahr im Verzug auf Grundlage des § 215 Abs 1 Satz 2 ABGB getroffene Maßnahme des Jugendwohlfahrtsträgers keine hoheitliche, sondern einen Akt der Privatwirtschaftsverwaltung darstellt (vgl. Kneihs, Privater Zwang, 2004, 454 ff; Weitzenböck, Rz 3 zu § 215 ABGB, in: Schwimann, ABGB Praxiskommentar, 2005; Ent/Frischengruber, Jugendwohlfahrtsrecht, 1992, § 215 ABGB Anm 9; Hopf, Rz 2 zu § 215 ABGB, in: Koziol/Bydlinski/Bollenberger [Hrsg.], Kurzkommentar zum ABGB, 2005; Helm in: Eisenberger/Ennöckl/Helm, Die Maßnahmenbeschwerde, 2006, 197 f; Wienerroither, Anmerkungen zur Entscheidung 1 Ob 49/05w des Obersten Gerichtshofs, ÖA 2005, 311; im Gegensatz dazu vertritt Schragel, Kommentar zum Amtshaftungsgesetz3, 2003, Rz 108 zu § 1 AHG, die gegenteilige Auffassung, der Jugendwohlfahrtsträger habe bei Gefahr im Verzug hoheitliche Anordnungen und Vollzugsmaßnahmen zu treffen).
3. Der Oberste Gerichtshof vertrat in diesem Zusammenhang bisher folgende Auffassungen:
3.1. Wenn der Jugendwohlfahrtsträger in Wahrnehmung seiner Interimskompetenz nach § 215 Abs 1 Satz 2 ABGB wegen Gefahr im Verzug bereits die erforderlichen Maßnahmen im Bereich der Pflege und Erziehung vorläufig wirksam getroffen habe, dann bleibe kein Raum mehr für eine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Maßnahmen des Jugendwohlfahrtsträgers oder deckungsgleiche eigene Maßnahmen des Gerichts nach § 176 ABGB. Die Zulässigkeit eines Antrages auf Feststellung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit könne dem Gesetz nicht entnommen werden. Das Gericht habe es aber jederzeit in der Hand, die Maßnahmen abzuändern oder zu beenden (, 1 Ob 70/04g, , 1 Ob 60/05p).
Bis dahin bleibe die getroffene Maßnahme, die dem Pflegschaftsgericht unverzüglich angezeigt und von diesem vorerst nicht abgeändert wurde, ohne weiteres bis zur Endentscheidung des Gerichts über die Zuteilung der Obsorge als vorläufige Maßnahme aufrecht und wirksam. Das Pflegschaftsgericht habe in einem solchen Fall - allerdings erst nach ausreichender Sachverhaltsklärung - möglichst rasch eine endgültige Entscheidung zu treffen (RZ 1992/7, EFSlg. 68.822, SZ 59/160). Stehe nach eingehender Prüfung fest, dass es dem Kindeswohl entspreche, die Maßnahme nicht weiter aufrecht zu erhalten, so sei unverzüglich eine gegenteilige Verfügung zu treffen. Für eine feststellende Entscheidung, die im Übrigen nie früher ergehen könne, bleibe weder Raum, noch sei ein Bedürfnis danach erkennbar (, 1 Ob 60/05p).
3.2. Im Jahr 2004 hat der Oberste Gerichtshof entschieden, dass vorläufige Maßnahmen nach § 215 Abs 1 Satz 2 ABGB regelmäßig einen Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens darstellen, und es für zulässig erachtet, dass die Pflegschaftsgerichte das Vorliegen der Voraussetzungen für eine solche Maßnahme - und damit wohl deren Rechtmäßigkeit - nicht nur im Zeitpunkt ihrer "endgültigen" Entscheidung, sondern auch in gewissem Sinne rückwirkend beurteilen (, 2 Ob 270/04a):
"Das Erstgericht hat nicht (rückwirkend) ausgesprochen, der Jugendwohlfahrtsträger werde ... mit der Obsorge ... im Bereich der Pflege und Erziehung betraut, es hat vielmehr ausgesprochen, dass der Jugendwohlfahrtsträger in dieser Zeit mit der Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung betraut gewesen ist und mit seiner Begründung zum Ausdruck gebracht, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für eine derartige Maßnahme vorgelegen sind.
Ein derartiger Beschluss ist an sich zulässig, weil die vom Jugendwohlfahrtsträger durchgeführte Trennung der Pflegebefohlenen von den Eltern einen Eingriff in das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) darstellt (vgl Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention2, Art 8 Rz 22). In Fällen, in denen durch eine Maßnahme des Jugendwohlfahrtsträgers dieses Grundrecht berührt wird, hat der davon in seinen Rechten Beeinträchtigte auch noch nach Aufhebung der einschränkenden Maßnahme weiterhin ein rechtliches Interesse an der Feststellung, ob die Einschränkung zu Recht erfolgte (vgl RIS-Justiz RS0071267). Ein derartiges Interesse steht aber nur den in ihren Rechten Beeinträchtigten zu, die Wahrung dieses Interesses ist aber nicht Aufgabe des Jugendwohlfahrtsträgers (vgl SZ 67/230). ..."
3.3. Zuletzt hat der Oberste Gerichtshof (, 1 Ob 49/05w) im Rahmen der Prüfung der Frage, ob ein behaupteter Schaden, der durch einen im Zusammenhang mit dem Verdacht des Kindesmissbrauchs gutachtenden Sachverständigen verursacht worden sein soll, nach den Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes geltend zu machen ist, unter ausdrücklicher Ablehnung der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts (VfSlg. 11.492/1987, 11.498/1987, 12.073/1989 und VwSlg. 14.326 A/1995) und der oben wiedergegebenen herrschenden Lehre entschieden, dass die Wahrnehmung der Kompetenz zur Ergreifung vorläufiger Maßnahmen der Pflege und Erziehung durch den Jugendwohlfahrtsträger gemäß § 215 Abs 1 Satz 2 ABGB gegen den Willen der Obsorgeberechtigten eine Maßnahme im Rahmen der Hoheitsverwaltung darstelle:
Dies leite sich aus der Doppelfunktion der öffentlichen Jugendwohlfahrt ab. Diese erschöpfe sich nicht in der Mitwirkung an der Vollziehung eines bestimmten Teils des privatrechtlichen Obsorgerechts im Interesse bestimmter Minderjähriger und deren Familien, sondern entspreche auch dem gesellschaftlichen Interesse an einer gedeihlichen Entwicklung nachwachsender Generationen. So sei etwa die Hintanhaltung des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen und die Klärung einer entsprechenden Verdachtslage durch Maßnahmen der öffentlichen Jugendwohlfahrt nicht auf die Wahrnehmung der Interessen bestimmter Individuen in Vollziehung des privatrechtlichen Obsorgerechts beschränkt. Offenkundig sei deshalb in der Entscheidung SZ 62/74 betont worden, die "Regelungen der Jugendwohlfahrt" dienten "auch dem Wohl der gesamten inländischen Bevölkerung".
Qualifiziere man Maßnahmen der Jugendwohlfahrtsbehörde nach § 215 Abs 1 zweiter Satz ABGB rein als privatwirtschaftliches Verhalten, würden die Interessen der Allgemeinheit übergangen. Werde Interessen der Allgemeinheit mit behördlichem Zwang zum Durchbruch verholfen, so bestehe - außer im Bereich der öffentlichen Jugendwohlfahrt - gewöhnlich kein Zweifel am Einsatz dieses Zwangs als hoheitliches Mittel. Die gegenteilige Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts würde auf einer verkürzten Perspektive bei der Beurteilung der für Hoheitsakte maßgebenden Voraussetzungen beruhen. Das von den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts gebrauchte Argument, die Ausübung unmittelbaren Zwangs sei "auch dem Privatrecht nicht ganz fremd", überzeuge nicht, weil der Zwang nach § 215 Abs 1 zweiter Satz ABGB dagegen auf einer - vor allem auch im Interesse der Allgemeinheit gelegenen - anderen Qualität staatlicher Machtausübung beruhe.
3.4. Diese nunmehrige Auffassung hat der Oberste Gerichtshof (, 1 Ob 58/05v) im Zusammenhang mit der Unterbringung eines Kindes in einem Kriseninterventionszentrum, also in einem dem Beschwerdesachverhalt ähnlichen Fall, bekräftigt.
4. Der Verfassungsgerichtshof vermag der Meinung des Obersten Gerichtshofes nicht beizupflichten und sieht - auch nach Erlass des § 215 ABGB idF des KindRÄG, BGBl. 162/1989 - keinen Grund, von seiner ständigen Rechtsprechung abzugehen.
4.1. Zum Ersten sieht sich der Verfassungsgerichtshof in seiner bisherigen Auffassung, die Handlungen des Jugendwohlfahrtsträgers iSd hier strittigen Bestimmung als Akte der Privatwirtschaftsverwaltung qualifizieren zu müssen, darin bestärkt, dass der Gesetzgeber im Zuge der Neuordnung der Rechte des Jugendwohlfahrtsträgers durch das KindRÄG, BGBl. 162/1989, in Kenntnis der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu § 26 Abs 2 JWG, der Vorgängerbestimmung des § 215 ABGB, keine gesetzlichen Anordnungen getroffen hat, welche dieser Rechtsprechung den Boden entziehen würden.
Im Gegenteil: In den Gesetzesmaterialien zu § 215 ABGB idF BGBl. 162/1989 geht der Gesetzgeber unverändert davon aus, dass der Jugendwohlfahrtsträger bei der Ergreifung einstweiliger Maßnahmen nach der in Rede stehenden Norm nicht im Rahmen der Hoheitsverwaltung tätig wird (vgl. RV 172 BlgNR 17. GP, 22: "Gegen diese - im Bereich des Zivilrechts als Sachwalter - gesetzten Maßnahmen kann nun das Pflegschaftsgericht angerufen werden; Rechtsbehelfe des Verwaltungsverfahrens sind nicht möglich").
4.2. Der vom Obersten Gerichtshof allein in den Vordergrund der Argumentation gestellte Umstand, dass eine Maßnahme des Gesetzgebers auch den "Interessen der Allgemeinheit" dient, bedeutet keineswegs, dass deren Vollziehung schon deshalb hoheitlich ausgestaltet sein muss. Die hier in Rede stehende Abgrenzung im Bereich des Jugendwohlfahrtsrechtes ist zwar schwierig, weil die Rechte, welche die Jugendwohlfahrtsbehörde als gesetzlicher Vertreter (früher: Sachwalter) des minderjährigen Kindes (zu dessen Schutz auch unter den Gesichtspunkten seiner Grundrechte nach Art 2 und Art 8 EMRK) wahrzunehmen hat, einerseits privatrechtlicher Natur sind (Aufenthaltsbestimmung, sonstige Maßnahmen der Obsorge), dieselben Maßnahmen der Jugendwohlfahrtsbehörde - wie auch die sich daran anschließenden Anordnungen des Gerichtes - aber zugleich auch in Rechte der Eltern, insbesondere auch in das Grundrecht der Eltern auf Familienleben im Sinne des Art 8 EMRK, eingreifen.
Der Verfassungsgerichtshof hat aber im Erkenntnis VfSlg. 11.492/1987 nach eingehender historischer Untersuchung dieses Rechtsinstitutes davon abgesehen, die Maßnahmen des Jugendwohlfahrtsträgers (damals der Bezirksverwaltungsbehörde) wegen dieser Doppelnatur ihrer Wirkungen in einen privatrechtlich und in einen hoheitlich zu deutenden Teil, mit je unterschiedlichen Folgen für den Rechtsschutz, aufzuspalten. Daran hält der Verfassungsgerichtshof auch mit Blick auf § 215 ABGB fest:
4.2.1. Der Jugendwohlfahrtsträger ist nämlich nach dem Gesetz an sich nicht befugt, sich die Ermächtigung zum Tätigwerden als Vertreter des Kindes selbst (mit Mitteln der Hoheitsverwaltung, etwa durch Erlassung eines Bescheides) zu arrogieren. Der erste Satz des § 215 Abs 1 ABGB verpflichtet die Behörde vielmehr, vor einer Maßnahme die gerichtliche Genehmigung dazu einzuholen. Dies spricht entschieden gegen eine hoheitliche Befugnis des Jugendwohlfahrtsträgers in diesem Sachzusammenhang.
4.2.2. Der Umstand, dass der Jugendwohlfahrtsträger bei Gefahr im Verzug kraft Gesetzes Maßnahmen setzen darf, die "wirksam" sind, d.h. für einen Zeitraum von acht Tagen den Vorrang vor Obsorgemaßnahmen der Eltern genießen, wie im Falle der Bestimmung des Aufenthaltes des Kindes, der von dem der Eltern abweicht, spricht nicht gegen die Deutung der Maßnahme als eine privatrechtliche, zumal der Jugendwohlfahrtsträger binnen dieser Frist auch in diesem Fall die Entscheidung des Gerichtes einzuholen hat.
4.2.3. Der Gesetzgeber hat sich also dazu entschlossen, die Wahrung des Wohles des Kindes durch den Jugendwohlfahrtsträger mit den Mitteln des Privatrechts unter der Aufsicht der ordentlichen Gerichte zu bewerkstelligen, ungeachtet dessen, dass damit notwendigerweise Einschränkungen des Obsorgerechts der Eltern und damit gleichsam als Reflexwirkungen auch Eingriffe in deren Grundrechte nach Art 8 EMRK verbunden sind. § 215 ABGB steht in diesem Zusammenhang einer Auslegung nicht entgegen, dass - im Fall der Strittigkeit - darüber insgesamt das angerufene Gericht zu entscheiden hat.
4.3. Der Verfassungsgerichtshof sieht daher keine Veranlassung, von seiner Rechtsprechung abzugehen: Die Inanspruchnahme der in § 215 Abs 1 Satz 2 ABGB dem Jugendwohlfahrtsträger bei Gefahr im Verzug eingeräumten rechtsfürsorglichen Befugnis zur Obsorge, einschließlich der vorläufigen Aufenthaltsbestimmung des minderjährigen Kindes, ist privatrechtlicher Natur und keine Maßnahme verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt.
5.1. Die belangte Behörde hat somit ihre Zuständigkeit zur Entscheidung über die von der Beschwerdeführerin erhobene Maßnahmenbeschwerde zu Recht verneint.
5.2. Die Beschwerdeführerin ist daher im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht verletzt worden. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften ist es damit ausgeschlossen, dass sie in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden wäre (vgl. zB VfSlg. 8741/1980).
5.3. Die Beschwerde war daher abzuweisen.
6. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.