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OGH vom 05.06.2007, 10ObS60/07g

OGH vom 05.06.2007, 10ObS60/07g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Johannes Schneller (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. Erich G*****, Kammerangestellter, *****, vertreten durch Mairhofer Gradl Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Rs 8/07m-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 7 Cgs 208/06y-6, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das klagsabweisende Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Der Kläger hat seine Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger erwarb im Jahre 1982 das Grundstück K*****weg 8 in der Katastralgemeinde K***** in L*****. Über die linke südliche Ecke des Grundstückes führte bereits damals eine 30 kV-Hochspannungsleitung. Unter dieser Leitung war und ist eine Fichtenhecke gepflanzt. Außerhalb des Bereichs der Hochspannungsleitung stehen links und rechts des Grundstückes ca 7 m hohe Fichtenbäume.

Am führte der Kläger Ausästungen bei der Fichtenhecke durch. Er blieb mit der Motorheckenschere im Gestrüpp hängen und löste beim Versuch, die Heckenschere freizubekommen, einen Lichtbogen aus. Dabei wurde er schwer verletzt.

Mit Bescheid vom sprach die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt aus, dass der Unfall nicht als Arbeitsunfall anerkennt werde und kein Anspruch auf Leistungen gemäß § 173 ASVG bestehe.

Der Kläger begehrt den Zuspruch einer Versehrtenrente im Ausmaß von (mindestens) 30 vH der Vollrente im gesetzlichen Ausmaß. Anlässlich des Grundstückserwerbs sei er von einem Mitarbeiter der Vorgängerfirma der L***** Strom GmbH telefonisch zwei- bis dreimal ersucht worden, die unter der Starkstromleitung befindliche Hecke einzukürzen. Dieser Aufforderung sei er, ohne je eine Einschulung erhalten zu haben, seit diesem Zeitpunkt einmal jährlich nachgekommen. Er sei weder beim Erwerb des Grundstücks noch danach aufgefordert worden, die Hecke zu entfernen. Er sei auch nicht informiert worden, dass die Hecke durch die L***** Strom GmbH bzw durch ein von dieser betrautes Unternehmen eingekürzt werde. Ebenso wenig sei er davon in Kenntnis gesetzt worden, dass er die L***** Strom GmbH 14 Tage vor Vornahme der Ausästung von diesem Vorhaben in Kenntnis zu setzen habe. Durch die Einhaltung des Mindestabstands mittels Ausästung der vorhandenen Hecke habe er seine Bereitschaft gezeigt, sich den für das Unternehmen gültigen Normen zu unterwerfen und allenfalls dazu erforderliche Weisungen des Unternehmens entgegenzunehmen. Die L***** Strom GmbH habe durch die Duldung der Ausästung seit 1982 die konkludente Abänderung des Dienstbarkeitsvertrags zur Kenntnis genommen. Nach dem Starkstromwegegesetz 1970 habe der Leitungsberechtigte vorerst den durch das Leitungsrecht Belasteten nachweislich aufzufordern, die Ausästung oder Durchschläge vorzunehmen und gleichzeitig den Belasteten auf allenfalls zu beachtende elektrotechnische Sicherheitsvorschriften hinzuweisen. Entgegen dieser Bestimmung sei er niemals auf die zu beachtenden Sicherheitsvorschriften hingewiesen worden.

Es liege daher eine betriebliche Tätigkeit im Sinne des § 176 Abs 1 Z 6 ASVG vor. Die durch diesen Unfall bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit betrage mindestens 30 vH.

Die beklagte Partei wandte im Wesentlichen ein, dass es weder dem tatsächlichen noch dem mutmaßlichen Willen der L***** Strom GmbH entspreche, wenn Arbeiten im Nahbereich von Starkstromfreileitungen durch ungeschulte Privatpersonen oder Grundeigentümer erbracht würden. Die Arbeiten seien vom Kläger auf eigene Faust und ausschließlich wegen eigener Interessen durchgeführt worden, zumal ein optisch ansprechender Heckenschnitt nur dann sichergestellt sei, wenn er die Schnittarbeiten selbst durchführe. Nach dem im Grundbuch eingetragenen Dienstbarkeitsvertrag sei es grundsätzlich zu unterlassen, Bäume im Bereich unterhalb der Leitung anzupflanzen; laut Vertrag sei der Baumbestand entfernt und entgeltlich abgelöst worden. Insgesamt habe der vom Kläger in seiner Freizeit und auf seinem privaten Grundstück vorgenommene Heckenschnitt allein eigenwirtschaftlichen Interessen gedient.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Über die eingangs angeführten hinaus traf es noch folgende weitere wesentliche Feststellungen:

Betreffend das klägerische Grundstück besteht ein Dienstbarkeitsvertrag aus dem Jahre 1913, der die Rechte und Pflichten des Grundeigentümers und Leitungsbetreibers und deren Nachfolger regelt. Punkt II lautet:

„Zu diesem Zweck räumt die Gefertigte .... der Tramway und Elektrizitäts-Gesellschaft L***** und deren Rechtsnachfolgern das Recht ein, soweit nötig, die ihr gehörigen Gründe zu betreten, auf denselben für die Drahtleitungen Maste aus Eisen oder Holz mit oder ohne Betonsockel samt allem Zubehör wie Streben, Anker und Konsolen, an den der Tramway und Elektrizitäts-Gesellschaft L***** zweckdienlich erscheinenden Plätzen aufzustellen und in der Folge, wenn nötig, an eine andere Stelle derselben oder eine andere Parzelle zu versetzen, die Leitungsdrähte zu spannen und auszuwechseln, sowie an den Leitungen auch andere notwendig gewordene oder zweckdienlich erscheinende Auswechslungen vorzunehmen, jederzeit die, die Leitung behindernden Bäume, Sträucher und Äste jeder Art zu entfernen, die Leitungen zu revidieren, kurz alle Arbeiten vorzunehmen und jene Vorkehrungen zu treffen, welche zur Errichtung, Bestand und Benützung

der Leitungen notwendig oder zweckdienlich sind ... Der Grundeigentümer ... hat den Bestand der Leitungen samt allen Arbeiten

und Vorkehrungen im oben angeführten Ausmaß zu dulden und alles zu unterlassen, was geeignet ist, dermaßen oder in Zukunft, der Errichtung oder dem Bestand der Leitungen zu schaden oder deren Benützung zu stören ...".

Punkt IV. lautet:

„... Die von der Elektrizitäts-Gesellschaft L***** zu bezahlenden Beträge gelten für die immerwährende Freihaltung der Leitungen, sodass weder anstelle von entfernten Bäumen neue gesetzt werden dürfen, noch auch für das Entfernen von neu oder wieder in die Leitung hineinwachsenden Äste eine neuerliche Entschädigung von den Grundbesitzern verlangt werden kann."

Die allgemeinen Bedingungen für den Zugang zum Verteilernetz der L***** Strom GmbH sehen in ihrem Punkt V. „Grundinanspruchnahme" unter anderem vor, dass der Netzbenutzer die für den ordnungsgemäßen Betrieb der Anlagen erforderlichen Maßnahmen gestattet. Es bleibt unbenommen, Ausästungen und Schlägerungen unter Beachtung des Punktes

VIII. 8.) sowie der erforderlichen Sicherheitsvorschriften auch selbst durchzuführen. Punkt VIII. („Betrieb- und Instandhaltung") sieht in seinem Punkt 8 vor, dass sich der Netzbenutzer, wenn er Arbeiten im Bereich von Anlagen des Netzbetreibers durchführt oder durchführen lässt, zwei Wochen vor deren Inangriffnahme mit dem Netzbetreiber in Verbindung zu setzen hat. Der Netzbetreiber wird dann gegebenenfalls entsprechende Sicherungsmaßnahmen durchführen oder anordnen. Unterlässt der Netzbenutzer die Verständigung oder beachtet er diese Sicherungsmaßnahme nicht, so haftet er für alle daraus entstehenden Schäden. Ob diese allgemeinen Bedingungen für den Zugang zum Verteilernetz der L***** Strom GmbH dem Kläger persönlich bekannt gemacht wurden, kann nicht festgestellt werden. Sie werden jeweils in der Wiener Zeitung kundgemacht.

Die L***** Strom GmbH handhabt es betreffend Ausästung grundsätzlich so, dass regelmäßige Kontrollen der Leitungen durchgeführt werden, ob diese frei von Beeinträchtigungen sind. Ist dies nicht der Fall, wird von der L***** Strom GmbH bzw von einem von ihr beauftragten Unternehmen ein Schnitt bzw eine Ausästung auf ihre Kosten durchgeführt. Die L***** Strom GmbH toleriert, dass Privatpersonen den Bereich des Privatgrundes, der sich unter den Hochspannungsleitungen befindet, selber pflegen, solange die entsprechenden Vorgaben wie Abstände etc eingehalten werden. Trifft dies nicht zu, schreitet die L***** Strom GmbH im Sinne der obigen Vorgehensweise ein. Die L***** Strom GmbH weist dabei auch generell in ihren Kundenmagazinen, die per Postwurfsendung zugestellt werden, darauf hin, dass Ausästungen kostenlos von der L***** Strom GmbH durchgeführt werden.

Der Kläger schnitt - so wie auch der vorherige Grundeigentümer - seine Fichtenhecke einmal im Jahr selbst, weil er so den Zeitpunkt und Schnitt selbst bestimmen konnte und seine individuellen und ästhetischen Vorstellungen verwirklichen konnte. Der Kläger wurde von der L***** Strom GmbH oder ihren Rechtsvorgängern niemals aufgefordert, die Ausästung für diese vorzunehmen. Der Kläger wusste, dass die L***** Strom GmbH bzw ihre Rechtsvorgängerin die Ausästung grundsätzlich durchführt.

In seiner rechtlichen Beurteilung verneinte das Erstgericht eine betriebliche Tätigkeit im Sinne des § 176 Abs 1 Z 6 ASVG, weil die vom Kläger vorgenommene Tätigkeit nicht dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen (des Netzbetreibers) entsprochen habe. Die L***** Strom GmbH habe aufgrund der Gefährlichkeit der Tätigkeit gerade kein Interesse, dass Privatpersonen derartige Tätigkeiten durchführen, sondern dulde lediglich das Einschreiten von Privatpersonen. Es sei auch zu keiner konkludenten Änderung des Dienstbarkeitsvertrages gekommen, weil die L***** Strom GmbH nicht auf ihre Rechte verzichtet und keine Übertragung auf den Kläger stattgefunden habe; vielmehr habe sie ihre Rechte selbst ausgeübt. Der Kläger habe seinerseits Zeitpunkt und Art der Tätigkeit selbst bestimmt, ohne in den betrieblichen Ablauf in irgendeiner Form eingegliedert zu sein. Er sei nicht bereit gewesen, sich während seiner Tätigkeit allfälligen Anweisungen des Unternehmens oder eines von diesem bestellten Aufsehers im Betrieb zu unterwerfen, zumal er die L***** Strom GmbH von seiner Tätigkeit nicht in Kenntnis gesetzt und somit eine allfällige Einweisung in diese gefährliche Tätigkeit verhindert habe. Da die Tätigkeit des Klägers demnach seinem eigenwirtschaftlichen Bereich zuzuordnen sei, könne der Unfall nicht als ein einem Arbeitsunfall gleichgestellter Unfall anerkannt werden. In Stattgebung der Berufung des Klägers hob das Berufungsgericht das Ersturteil auf und verwies die Sozialrechtssache zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück.

Entscheidende Bedeutung komme nach der Rechtsprechung zu § 176 Abs 1 Z 6 ASVG dem tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang zu, in dem im konkreten Fall die helfende Tätigkeit verrichtet worden sei. Es müsse sich um eine arbeitnehmerähnliche, betrieblich spezifische Tätigkeit handeln, die als Ausübung der Erwerbstätigkeit erscheine, durch die ein innerer ursächlicher Zusammenhang mit dem Unternehmen hergestellt werde. Die Handlungstendenz müsse auf Belange des Unternehmens gerichtet sein. Zu betrachten seien die Gesamtumstände, weil es nicht ausreiche, dass die einzelne Verrichtung losgelöst von den sie tragenden Umständen im Unternehmen nützlich und ihrer Art nach dem allgemeinen Arbeitsmarkt zugänglich sei. Ob die geleistete Tätigkeit dem Unternehmen dienlich gewesen sei, könne nicht aus einer nachträglichen Betrachtungsweise heraus beurteilt werden, sondern müsse aus dem Zweck der geleisteten Tätigkeit erschlossen werden (10 ObS 247/03a = SSV-NF 18/90).

Eine betriebliche Tätigkeit könne auch bei bloß freiwilliger Mitarbeit vorliegen. Der Eingliederung in den fremden Betrieb stehe es nicht entgegen, dass die Mithilfe nicht aufgrund einer Aufforderung des Unternehmers, sondern freiwillig und aus bloßer Gefälligkeit erfolge. Wesentlich sei bei der Verrichtung des Gefälligkeitsdienstes nur, dass die Tätigkeit ihrer Art nach einer abhängigen Beschäftigung entspreche und dass sie nicht zum eigenen betrieblichen Aufgabenbereich des Verletzten gehöre. Der Helfende sei auch dann in das fremde Unternehmen eingegliedert, wenn er mit ausdrücklichem oder stillschweigend zum Ausdruck kommendem oder nach Lage der Sache zu vermutendem Einverständnis des Unternehmers handle und zumindest bereit sei, nach den den Arbeitsvorgang bestimmenden Weisungen des Unternehmers, in dessen Interesse (auch) die Tätigkeit ausgeübt werde, oder dessen Vertreters zu handeln. Auch derjenige könne also als eingegliedert angesehen werden, der unaufgefordert und ohne vorherige Absprache aus eigenem Entschluss helfend eingreife, wobei bereits seine Bereitschaft genüge, sich während der Tätigkeit im fremden Aufgabenbereich den Weisungen des fremden Unternehmers (oder des von diesem bestellten Aufsehers) zu unterwerfen. Eine bloß aus Gefälligkeit geleistete Tätigkeit könne zwar jederzeit eingestellt werden und es könne auch die weitere Mitarbeit verweigert werden; solange sie aber geleistet werde, werde auch die Bereitschaft zum Ausdruck gebracht, sich den Anweisungen des Unternehmers zu fügen. Die Tätigkeit müsse sich objektiv als eine wirtschaftlich nützliche Arbeitsleistung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt charakterisieren lassen, wobei es zur Begründung des Versicherungsschutzes ausreiche, wenn es für den Helfenden wesentlich gewesen sei, auch dem Unternehmen, dem seine Hilfe gelte, zu dienen (2 Ob 24/05a = SZ 2005/75). Diese Auffassung müsse sich an objektiven Maßstäben orientieren und unterliege somit einer objektiven Wertung. Auf die Motive des Hilfeleistenden könne es ebenso wenig ankommen wie auf ein „eigenwirtschaftliches Handeln", zumal auch selbständige Unternehmer bei einer Tätigkeit in einem fremden Betrieb versichert seien, wenn dort eine betriebliche Tätigkeit im Sinn des § 176 Abs 1 Z 6 ASVG für den fremden Betrieb entfaltet werde (3 Ob 172/97h = SZ 70/236).

Wende man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, sei ein Versicherungsschutz nach § 176 Abs 1 Z 6 ASVG zu bejahen: Nach dem maßgeblichen Dienstbarkeitsvertrag sei die L***** Strom GmbH berechtigt gewesen, jederzeit die die Leitung behindernden Bäume, Sträucher und Äste jeder Art zu entfernen und alle Arbeiten vorzunehmen, welche zur Errichtung, Bestand und Benützung der Leitungen notwendig und zweckdienlich gewesen seien. Hingegen habe der Kläger als Grundeigentümer lediglich alle Arbeiten und Vorkehrungen zu dulden und alles zu unterlassen gehabt, was geeignet sei, dem Bestand der Leitungen zu schaden und deren Benützung zu stören. Es sei daher nicht daran zu zweifeln, dass es sich beim positiven Tätigwerden, nämlich dem (der Berechtigung der L***** Strom GmbH entsprechenden) Schneiden der Hecke um eine arbeitnehmerähnliche betrieblich spezifische Tätigkeit handle, die als Ausübung einer Erwerbstätigkeit erscheine. Die Handlungstendenz des Klägers sei insoweit auf die Belange der L***** Strom GmbH gerichtet gewesen, weil ohne die Stromleitung ein Heckenschnitt nicht notwendig gewesen wäre. Dies würden auch die außerhalb des Bereichs der Hochspannungsleitung links und rechts stehenden - offensichtlich in ihrem Wuchs nicht eingekürzten - Fichtenbäume zeigen, die eine Höhe von ca. 7 m aufweisen.

Ein ausdrücklicher Wille der L***** Strom GmbH, wonach der Kläger den Heckenschnitt unter der Stromleitung zu unterlassen habe, sei weder behauptet noch festgestellt worden. Jedenfalls habe das Tätigwerden des Klägers dem mutmaßlichen Willen der L***** Strom GmbH entsprochen: Diese toleriere nämlich, dass Privatpersonen den Bereich des Privatgrundes, der sich unter den Hochspannungsleitungen befinde, selbst pflegen, solange die entsprechenden Vorgaben (wie Abstände etc) eingehalten würden, im Fall des Klägers sogar über 20 Jahre. Der Kläger habe die Fichtenhecke einmal im Jahr selbst geschnitten, obwohl die L***** Strom GmbH regelmäßige Kontrollen der Leitungen durchführe. Dies lasse darauf schließen, dass der jährliche Heckenschnitt des Klägers den Ansprüchen der L***** Strom GmbH offensichtlich genügt habe. Aufgrund dieser jahrzehntelangen Übung könne daher durchaus von einer Eingliederung des Klägers in das Unternehmen der L***** Strom GmbH gesprochen werden. Da der Kläger die sonst grundsätzlich der L***** Strom GmbH obliegende Tätigkeit jahrzehntelang ohne Beanstandungen verrichtet habe, werde damit aber auch seine Bereitschaft zum Ausdruck gebracht, dass er sich den Anweisungen des Unternehmens habe fügen wollen. Aufgrund der an objektiven Maßstäben gebotenen Orientierung sei daher eine betriebliche Tätigkeit des Klägers für die L***** Strom GmbH zu bejahen.

Auch der Umstand, dass der Kläger die L***** Strom GmbH von seiner Tätigkeit nicht in Kenntnis gesetzt habe, vermöge an seiner dokumentierten Bereitschaft, sich während seiner Tätigkeit im fremden Aufgabenbereich den Weisungen des fremden Unternehmers zu unterwerfen, nichts zu ändern: Es sei weder von der beklagten Partei behauptet noch festgestellt worden, dass zwischen dem Kläger und der L***** Strom GmbH außer dem erwähnten Dienstbarkeitsvertrag weitere vertragliche Verbindungen bestünden. Nicht zuletzt aufgrund der eingetretenen Liberalisierung im Elektrizitätsbereich sei es daher fraglich, inwieweit der Kläger überhaupt Vertragspartner der L***** Strom GmbH hinsichtlich eines Netzzuganges sei. Entgegen der Ansicht des Erstgerichtes könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass die allgemeinen Bedingungen für den Zugang zum Verteilernetz der L***** Strom GmbH weitere Verpflichtungen des Klägers beinhalteten und der Kläger durch Nichteinhaltung der darin genannten Verständigungspflicht eine Eingliederung in das Unternehmen verhindert habe.

Da die Handlungstendenz des Klägers ganz offenkundig - gerade bei objektiver Betrachtung - auf die Belange der L***** Strom GmbH gerichtet gewesen sei, sei es nicht mehr entscheidend, dass er durch sein Einschreiten auch den Zeitpunkt und Schnitt selbst bestimmen und seine individuellen und ästhetischen Vorstellungen verwirklichen habe können. Die Motive des Hilfeleistenden seien nämlich nicht beachtlich.

Der Einwand der beklagten Partei, ein Verletzter könne nach der jüngsten Rechtsprechung (1 Ob 162/06i) dann nicht als gelegentlicher Helfer im Betrieb des Schädigers angesehen werden, wenn dessen Tätigkeit als Erfüllungshandlung zu werten sei, bei der er sich allenfalls in die räumliche Sphäre des Schädigers begebe bzw begeben müsse, ohne „eingegliedert zu sein", überzeuge nicht: Eine solche Erfüllungshandlung des Klägers liege deswegen nicht vor, weil er nach dem maßgeblichen Dienstbarkeitsvertrag gerade nicht zu Schneidarbeiten verpflichtet gewesen sei, sondern sich freiwillig in der unternehmerischen Sphäre der L***** Strom GmbH tätig geworden sei; er habe von sich aus an dem der L***** Strom GmbH zukommenden Aufgabenbereich mitgearbeitet.

Selbst wenn der Kläger auf seinem eigenen Grundstück nach seinen eigenen Zeitvorstellungen tätig geworden sei, könne aufgrund der Dienstbarkeit der Stromleitung nicht mehr von einem „uneingeschränkten persönlichen Lebensbereich des Klägers" gesprochen werden. Vielmehr stehe der Grundstücksteil, auf dem sich die fragliche Hecke befinde, aufgrund der Bestimmungen im Dienstbarkeitsvertrag in der maßgeblichen Sphäre der L***** Strom GmbH. Die Sichtweise, der Kläger habe allein eigenwirtschaftliche Interessen verfolgt, sei daher nicht berechtigt. Dafür, dass „das Vorliegen eines Versicherungsfalls nach § 176 Abs 1 Z 6 ASVG zu bejahen" sei, reichten die getroffenen Feststellungen aus, ohne dass auf die begehrten ergänzenden Feststellungen in der Berufung einzugehen sei.

Da die Beweisergebnisse noch keine abschließende Beurteilung erlaubten, inwieweit dem Kläger eine Versehrtenrente zustehe, werde das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren nach Erörterung mit den Parteien und geeigneter Beweisaufnahme Feststellungen zur unfallskausalen Minderung der Erwerbsfähigkeit zu treffen haben. Gegen den Aufhebungsbeschluss richtet sich der Rekurs der beklagten Partei aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Entscheidung in der Sache im klagsabweisenden Sinn.

Der Kläger beantragt in seiner Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der beklagten Partei ist zulässig und berechtigt.

1. Die Rekurswerberin vertritt die Ansicht, dass die vom Kläger ausgeführte Tätigkeit Ausfluss einer gesetzlichen oder sonstigen Verpflichtung (oder Beschränkung) und nicht eines dienstnehmerähnlichen Verhältnisses sei. Der Kläger habe die Hecke deshalb selbst geschnitten, weil er seine ästhetischen Vorstellungen wahren habe wollen. Dies stelle sich als Folge und Ausfluss des Bestehens einer öffentlichen Eigentumsbeschränkung dar, um in diesem Zusammenhang auch eigene Interessen zu wahren. Auch dann, wenn man die Sache von der wirtschaftlichen Nutzenseite sehe, könne nicht von einer dienstnehmerähnlichen Tätigkeit gesprochen werden. Selbst wenn sich die L***** Strom GmbH auf dem Grundstück des Klägers Schneidearbeiten erspart habe, dürfe nicht übersehen werden, dass es sich dabei um einen vom Kläger nicht intendierten Begleitnutzen handle. Zum Wesen der Dienstnehmereigenschaft gehöre aber, dass ein Dienstnehmer primär und ernstlich eine Arbeit für einen Dienstgeber verrichte. Umgekehrt würden im eigenen Interesse vorgenommene Tätigkeiten, die nebenher auch jemand anderem nützen würden, die ausführende Person noch nicht zum Dienstnehmer machen bzw seien solche Tätigkeiten auch nicht dienstnehmerähnlich iSd § 176 Abs 1 Z 6

ASVG.

2. Diese Ausführungen entsprechen - im Gegensatz zur Rechtsansicht des Berufungsgerichtes - der Judikatur des erkennenden Senates.

2.1. Die Auslegung des § 176 Abs 1 Z 6 ASVG ist - ebenso wie die des

vergleichbaren § 2 Abs 2 Satz 1 SGB VII (siehe Krasney, Die

„Wie-Beschäftigten" nach § 2 Abs 2 Satz 1 SGB VII, NZS 1999, 577 ff

[584]) - von einer diffizilen Kasuistik geprägt (Neumayr in

Schwimann, ABGB3 VII § 333 ASVG Rz 8, 10, 34 ff), die auch damit

zusammenhängt, dass die Rechtsprechung bei Bejahung eines

Arbeitsunfalls nach § 176 Abs 1 Z 6 ASVG „automatisch" auch das

Haftungsprivileg nach § 333 ASVG anwendet (2 Ob 33/87 = SZ 60/96 =

JBl 1988, 457 [kritisch Grillberger]; 3 Ob 172/97h = SZ 70/236; 2 Ob

24/05a = SZ 2005/75; RIS-Justiz RS0085264; eingehend zur Problematik

Holzer, Dienstgeberhaftungsprivileg und den Arbeitsunfällen

gleichgestellte Unfälle, JBl 1982, 348).

2.2. Nach ständiger Rechtsprechung (etwa 3 Ob 172/97h = SZ 70/236; 10

ObS 196/02z = SSV-NF 16/81 = SZ 2002/98 uva; RIS-Justiz RS0083555;

ebenso die Judikatur des deutschen BSG) liegt eine betriebliche Tätigkeit iSd § 176 Abs 1 Z 6 ASVG vor, wenn es sich um eine (wenn auch nur kurzfristige) ernstliche, dem Unternehmen dienende Tätigkeit handelt,


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-
die dem mutmaßlichen oder wirklichen Willen des Unternehmers entspricht,
-
die ihrer Art nach üblicherweise von Personen verrichtet wird, die aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses von dem Unternehmer persönlich oder wirtschaftlich abhängig sind (§ 4 ASVG), und
-
durch die ein enger ursächlicher Zusammenhang mit dem Unternehmen hergestellt wird.

Die „ernstliche, dem Unternehmen dienende Tätigkeit" setzt voraus,

dass sich die Hilfstätigkeit objektiv als eine wirtschaftlich

nützliche Arbeitsleistung charakterisieren lässt, die auch sonst in

dem in Frage stehenden Betrieb anfällt und üblicherweise von einem

Arbeitnehmer im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des

allgemeinen Arbeitsmarktes verrichtet wird. Wenn es auch nach der

Rechtsprechung nicht auf die Beweggründe des Tätigwerdens ankommt

(RIS-Justiz RS0084197; kritisch Neumayr in Schwimann, ABGB3 VII § 333

ASVG Rz 35), muss für den Helfenden doch wesentlich gewesen sein,

auch dem Unternehmer, dem seine Hilfe gilt, zu dienen (10 ObS 126/95

= SSV-NF 9/67 = SZ 68/138; RIS-Justiz RS0084197 [T2], RS0109088). In

diesem Sinn ist eine Abgrenzung zwischen Tätigkeiten, die wie von

einem nach § 4 ASVG Versicherten im Interesse eines Unternehmers

ausgeführt werden (und dem Versicherungsschutz nach § 176 Abs 1 Z 6

ASVG unterliegen), und solchen Verrichtungen, die wesentlich allein

eigenen Interessen oder den Interessen außenstehender Dritter zu

dienen bestimmt sind. Die Judikatur hat etwa das Mitfahren des

Käufers einer Steckachse im Materiallift des Verkäufers dem

eigenwirtschaftlichen Bereich des Käufers zugeordnet (10 ObS 126/95 =

SSV-NF 9/67 = SZ 68/138) und verneint bei vertraglichen


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Erfüllungshandlungen ein „Einordnen in einen fremden Betrieb nach Art eines Dienstnehmers", solange der Verletzte nicht seinen persönlichen Lebensbereich und die Sphäre seines eigenen Aufgabenbereichs verlässt und sich in den Bereich der vertraglich dem schädigenden Unternehmer obliegenden Aufgaben einordnet (RIS-Justiz RS0021534, RS0084149; zuletzt 1 Ob 162/06i).

2.3. Nach den dargestellten Grundsätzen entspricht auch das im vorliegenden Fall zu beurteilende Tätigwerden des Klägers (Schneiden einer Hecke unter einer Hochspannungsleitung, um den technisch notwendigen Abstand zu wahren) nicht einer betrieblichen Tätigkeit, wie sie sonst ein nach § 4 ASVG Versicherter ausübt. Die das

klägerische Grundstück belastende Dienstbarkeit verpflichtet den Grundeigentümer in Bezug auf in die Höhe wachsende Bäume und Sträucher zu einem Dulden und Unterlassen und nicht zu einem aktiven Tätigwerden zugunsten des als „Dienstgeber" in Betracht kommenden Dienstbarkeitsberechtigten. Nach den Feststellungen schnitt der Kläger - wie auch der vorherige Grundeigentümer - die Fichtenhecke einmal im Jahr selbst, weil er so den Zeitpunkt und den Schnitt selbst bestimmen und seine individuellen und ästhetischen Vorstellungen verwirklichen konnte. Damit wollte er aber nicht primär eine Arbeit für einen Dienstgeber verrichten, sondern im eigenen Interesse vorgehen, um einer möglicherweise rüderen, nur von Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten geleiteten Vorgangsweise des Dienstbarkeitsberechtigten zuvorzukommen. Der Umstand, dass die Tätigkeit von irgendjemandem (regelmäßig einem Dienstnehmer eines Unternehmers) jedenfalls zu verrichten sein wird, macht nicht generell denjenigen, der sie außerhalb eines Dienstverhältnisses ausführt und damit auch dem verpflichteten Unternehmer nützt, zu einer gleichgestellten Person iSd § 176 Abs 1 Z 6 ASVG. Vielmehr verlangt die Rechtsprechung mit den oben angeführten Kriterien eine gewisse Intensität der Zusammenhangs der Tätigkeit mit dem Unternehmen, dem sie dient. Diese Voraussetzung kommt vor allem darin zum Ausdruck, dass das als Ausübung der Erwerbstätigkeit erscheinende Tätigwerden des Unternehmensfremden dem mutmaßlichen oder wirklichen Willen des „Dienstgebers" (Unternehmers) entsprechen muss. Im vorliegenden Fall hat die als „Dienstgeber" (Unternehmer) in Betracht kommende juristische Person das eigenständige Tätigwerden dienstbarkeitsverpflichteter Personen aber nur hingenommen. Ungeachtet einer allfälligen, mit ästhetischen Gründen untermauerten „Motivierung" der dienstbarkeitsverpflichteten Grundeigentümer könnte trotz der jahrelangen Duldung ein Wille des Netzbetreibers in die Richtung, dass die Grundeigentümer aktiv zu seinen Gunsten tätig werden sollen, auch nicht als mutmaßlich unterstellt werden, handelt es sich doch um für Unerfahrene nicht ungefährliche Tätigkeiten. Allein der Umstand, dass das Tätigwerden irgendeiner Person (direkt oder indirekt) der als „Dienstgeber" (Unternehmer) in Betracht kommenden Person zum Vorteil gereicht, reicht nicht aus, um den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 176 Abs 1 Z 6 ASVG auszulösen.

3. Der Kläger hat in der Berufung zusätzliche Feststellungen begehrt, die das Berufungsgericht aus rechtlichen Gründen für nicht notwendig gehalten hat. Auch wenn der Oberste Gerichtshof nicht der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes folgt, sind die gewünschten Feststellungen doch entbehrlich:

3.1. Richtig ist, dass die „Allgemeinen Bedingungen", deren Inhalt das Erstgericht teilweise festgestellt hat (Punkt VIII. 8.), ganz offensichtlich das Verhältnis zwischen Stromversorger und Strombezieher regeln und auf den Heckenschnitt, wie er vom Kläger als dienstbarkeitsverpflichtetem Grundeigentümer vorgenommen wurde, nicht anzuwenden sind. Sie sind auch der rechtlichen Beurteilung des Obersten Gerichtshofes nicht zugrunde gelegt. Dass das Erstgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung aus diesen „Allgemeinen Bedingungen" bestimmte Rückschlüsse gezogen hat ist vom Obersten Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht überprüfbar.

3.2. Es trifft zwar zu, dass das Ersturteil im Abschnitt „Sachverhalt" keine Feststellungen zu einem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmens und seiner Interessenlage in Bezug auf Ausästungen und Schnitte enthält, doch schließt das Gericht im Abschnitt „Beweiswürdigung" aus den allgemeinen Bedingungen für den Zugang zum Verteilernetz, dass das Stromversorgungsunternehmens aufgrund der Gefährlichkeit der Tätigkeit kein Interesse hat, dass Privatpersonen diese Tätigkeiten selbst vornehmen; ein tatsächliches Einschreiten von Privatpersonen wird aber toleriert. Der vom Kläger angenommene Feststellungsmangel liegt demnach nicht vor, auch nicht im Zusammenhang mit einem vom Kläger behaupteten wirtschaftlichen Interesse des Stromversorgungsunternehmen. Wie bereits oben dargestellt vermag ein wirtschaftlicher Vorteil des „Dienstgebers" („Unternehmers") die Voraussetzungen des § 176 Abs 1 Z 6 ASVG nicht zu begründen. Selbst dann, wenn sich die Berufungsbehauptung des Klägers, er sei durch einen Mitarbeiter des Stromversorgungsunternehmens (durch dessen Aussage, dass ein von diesem durchgeführter Schnitt allenfalls nicht so schön aussehen würde) zur eigenständigen Schneiden der Hecke motiviert worden, bestätigt hätte, würde dies nichts am zentralen Eigeninteresse des Klägers ändern, den Heckenschnitt nach seinen eigenen Vorstellungen vorzunehmen.

4. Da der Unfallversicherungsschutz des Klägers nach § 176 Abs 1 Z 6 ASVG zu verneinen ist (eine andere Anspruchsgrundlage kommt nicht in Betracht), kann zufolge Spruchreife gleich in der Sache selbst im Sinne einer Wiederherstellung des klagsabweisenden Ersturteils erkannt werden (§ 519 Abs 2 letzter Satz ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.