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VfGH vom 28.06.2011, B878/10

VfGH vom 28.06.2011, B878/10

19423

Leitsatz

Keine Verletzung der Versammlungsfreiheit durch Untersagung einer Versammlung gegen den Ball des rechtsextremen Wiener Korporationsringes in Hinblick auf eine Verletzung der "Bannmeile" beim Parlament durch die angezeigte Route

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Mit Eingabe vom zeigte die "GRAS - Grüne Alternative StudentInnen Wien", vertreten durch Bezirksrat G.P., der Bundespolizeidirektion Wien die beabsichtigte Abhaltung einer Versammlung am von 17.00 Uhr bis 22.00 Uhr zum Thema "Protest gegen den Ball des rechtsextremen Wiener Korporationsrings" mit einer erwarteten Teilnehmerzahl von circa 1000 Personen an. Laut Versammlungsanzeige war die Verwendung von fünf Lautsprecherwagen, Lautsprecheranlangen, Transparenten, Transparentstangen, Aggregaten, Flugblättern, Informationsmaterial, Informationstischen und anderen themenbezogenen Utensilien geplant. Die beabsichtigte Route wurde in der Anzeige konkret wie folgt bezeichnet:

"Route: Christian-Broda Platz (Auftaktkundgebung) - Mariahilfer Straße - Babenbergerstraße - Burgring - Dr. Karl Renner Ring - Löwelstraße - Ballhausplatz - Bruno Kreisky Gasse - Leopold Figel Gasse - Herrengasse - Michaelerplatz - Herrengasse - Bankgasse - Josef Meinrad Platz - Dr. Karl Renner Ring - Burgring Ecke Maria Theresienplatz (Abschlusskundgebung)."

Im Zuge einer Besprechung vor der Bundespolizeidirektion Wien am teilte die Bundespolizeidirektion Wien Herrn G.P. mit, dass die Untersagung des angezeigten Demonstationsmarsches auf Grund einer Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit - insbesondere auf Grund der Vorkommnisse in den Jahren 2008 und 2009 - sowie der Tatsache, dass die Versammlungsroute die "Bannmeile" verletzt, beabsichtigt sei. Zu dem von der Behörde vorgeschlagenen Kompromiss der Abhaltung einer Standkundgebung am Christian-Broda-Platz gab Herr G.P. Folgendes an:

"Es wurde eine Alternativroute vorgeschlagen:

Christian-Broda-Platz - Mariahilfer Straße - Babenbergerstraße bis Burgrin[g]/Ecke Maria-Theresien-Platz (außerhalb der Bannmeile) Abschluss des Demonstrationszugs.

Es ist ein Bruch des Rechts auf Versammlungsfreiheit und wird im Bewusstsein ausgeführt, dass das Vorgehen der Behörde rechtswidrig ist. Eine angemeldete Kundgebung ist weit eher dazu angetan die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten als etwaige durch die Untersagung verursachte Spontankundgebungen. Aus unserer Sicht handelt es sich um eine Eskalationsstrategie der Behörde."

2. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom wurde die für den angezeigte Versammlung gemäß § 6 iVm § 7 Versammlungsgesetz 1953 (im Folgenden: VersG) iVm Art 11 Abs 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (im Folgenden: EMRK) untersagt und gemäß § 64 Abs 2 AVG die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung ausgeschlossen.

3. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien mit Bescheid vom keine Folge und bestätigte den angefochtenen Bescheid. Der Bescheid wurde dem "Verein GRAS-Grüne Alternative StudentInnen Wien

Z Hd. Hrn. Herrn [G.P.] Bevollmächtigter" zugestellt.

Begründet wird die Untersagung im Wesentlichen einerseits damit, dass es in den Jahren 2008 und 2009 im Rahmen der Proteste gegen den Ball des Wiener Korporationsringes zu Ausschreitungen gekommen sei, sowie, dass andererseits am im Parlament eine Sitzung des Nationalrates stattfinden würde und die Einhaltung der "Bannmeile" [Anm.: Während der Nationalrat, der Bundesrat, die Bundesversammlung oder ein Landtag versammelt sind, darf gemäß § 7 VersG "im Umkreis von 300 m von ihrem Sitze keine Versammlung unter freiem Himmel stattfinden"] nicht gewährleistet sei. Deshalb sei die Versammlung schon aus den in § 7 VersG genannten Gründen nicht zulässig. Der Schutz der in Art 11 Abs 2 EMRK genannten Güter mache die Untersagung der beabsichtigten Versammlung notwendig. Zwar sei seitens der beschwerdeführenden Partei eine Alternativroute vorgeschlagen, die ursprüngliche Versammlungsanzeige jedoch nicht zurückgezogen worden, sodass jedenfalls über diese zu entscheiden sei.

Wörtlich wird im Bescheid u.a. wie folgt begründet:

"Wie die Erstbehörde zutreffend ausführte, kam es bereits im Jahre 2008 zu Protesten gegen den WKR-Ball. Damals zogen etwa 400 Demonstranten vom Museumsquartier zur Hofburg, attackierten Polizeibeamten, errichteten im Bereich des äußeren Burgtors Straßenblockaden, setzten Gegenstände i[n] Brand und zogen dann weiter in Richtung Mariahilfer Straße, wo es zu zahlreichen Sachbeschädigungen kam.

Anlässlich des WKR-Balls 2009 wurden im Bereich des äußeren Burgtors Ballbesucher von Demonstranten attackiert und lediglich massive Polizeipräsenz konnte verhindern, dass diese Ballbesucher nicht in ihrer körperlichen Integrität beeinträchtigt wurden. Dabei kam es zu Ausschreitungen seitens der Demonstranten, in deren Zuge die Exekutivbeamten mit pyrotechnischen Gegenständen, Steinen und Schneebällen angegriffen wurden. Zahlreiche Polizisten wurden dabei verletzt.

Vor diesem Hintergrund und unter Bedachtnahme auf die oben wiedergegebenen Aufrufe für den WKR-Ball 2010 ging die Erstbehörde zutreffend von der Annahme aus, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus anlässlich des am stattgefundenen WKR-Ball[s] mit Ausschreitungen von gewaltbereiten Demonstranten zu rechnen war, bei denen sowohl Ballgäste als auch Polizisten zu Schaden hätten kommen können. Ebenso war mit Beschädigungen von Sachen durch gewaltbereiten Demonstranten (wie in den beiden vergangenen Jahren) zu rechnen.

Diese Annahme ist umso mehr begründet gewesen, als die Berufungswerberin im Jahre 2009 ebenfalls die Versammlung gegen den WKR-Ball mit einer beinahe identen Route angemeldet hatte.

Die Erstbehörde kam daher nach sorgfältiger Abwägung der Interessen und Argumente der Berufungswerberin an der Abhaltung der angezeigten Versammlung mit den Interessen der Öffentlichkeit richtigerweise zu dem Schluss, dass die Beeinträchtigungen für die Öffentlichkeit (die zu befürchtenden Ausschreitungen und Verletzungen der körperlichen Integrität von Ballgästen und Exekutivbeamten, aber auch die zu befürchtenden Sachbeschädigungen) aus den genannten Gründen weit schwerer wogen, als die Interessen der Berufungswerberin. Auch die Berufungsbehörde vertritt die Auffassung, dass der Schutz der in Art 11 Abs 2 EMRK genannten Güter, konkret: das Interesse der nationalen und öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, der Gesundheit und der Rechte und Freiheiten anderer, die Untersagung der beabsichtigten Versammlung notwendig gemacht hat.

Die Behörde war auch nicht berechtigt, von sich aus die Versammlungsanzeige zu ändern, zu modifizieren oder zu konkretisieren. Sie hatte die Versammlung - wie sie angezeigt wurde - entweder zur Gänze zu untersagen, oder zur Gänze nicht zu untersagen. Die Erstbehörde hatte zwar vor, mit der Berufungswerberin gemeinsam einen Alternativvorschlag zu diskutieren, die Berufungswerberin bzw. ihr Vertreter lehnte diesen Vorschlag jedoch ab.

Letztlich erweist sich auch die Feststellung der Erstbehörde die angezeigte Versammlung verstoße gegen § 7 VersG, dass sie zu einem großen Teil innerhalb der sogenannten 'Bannmeile' abgehalten worden wäre, als richtig.

Wenn die Berufungswerberin dagegen moniert, sie habe eine Alternativroute vorgeschlagen, die sich außerhalb der 300 Meter vom Parlament befunden habe, so ist ihr entgegenzuhalten, dass die ursprüngliche Versammlungsanzeige nicht zurückgezogen wurde, sodass diese noch als aufrecht anzusehen war."

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde der "GRAS-Grüne Alternative StudentInnen Wien" [berichtigt: "Grüne und Alternative StudentInnen - Grüne (GRAS)"], in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Versammlungsfreiheit behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

Die beschwerdeführende Partei bringt vor, dass zum einen kein Untersagungsgrund iSd § 7 VersG vorliege, weil anlässlich der mündlichen Verhandlung am eine Alternativroute außerhalb der "Bannmeile" vorgeschlagen worden sei und dies als zulässige Abänderung der ursprünglichen Versammlungsanzeige gemäß § 13 Abs 8 AVG zu werten sei. Zum anderen rügt die Beschwerde eine mangelhafte Feststellung und rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes hinsichtlich des Untersagungsgrundes des § 6 VersG:

"Die Erstbehörde führte an, daß unter anderem 'wegen der teils unverhohlenen Gewaltaufrufe im Internet' mit 'an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit' auch anlässlich des diesjährigen 'WKR-Balls' mit 'Ausschreitungen' von gewaltbereiten DemonstrantInnen zu rechnen' gewesen sei […]). Als Beweis dafür führte die Erstbehörde einen Weblink zu einem Aufruftext an ([...]) und beschrieb die Gestaltung der auf Plakaten und Flugblättern verwendeten Illustrationen. Der angeführte Weblink enthielt jedoch keineswegs irgendwelche Aufrufe zur Gewalt, sondern lediglich Informationen und politische Beurteilungen zu den durchwegs 'schlagenden' Burschenschaften, die am Ball zu erwarten waren, sowie grundsätzliche Informationen zur Veranstaltung. Die von der Erstbehörde zur Begründung ihrer Entscheidung herangezogene Illustration, die unter dem Titel 'En Garde!' auf einem Degen aufgespießte Burschenschafter-Mützen darstellt, wäre bei einigermaßen verständiger Interpretation - ebenso wie das Motto 'WKR-Ball anfechten!' als ironische Bezugnahme auf die in 'schlagenden' Burschenschaften ausgeübten Rituale (die allenfalls ihrerseits als gewalttätig qualifiziert werden können) und jedenfalls nicht als Gewaltaufruf zu verstehen gewesen. Die unter dem von der Erstbehörde angeführten Weblink auffindbaren Dokumente entsprachen somit keineswegs der Beurteilung als 'unverhohlene Gewaltaufrufe im Internet'.

Bei der Darstellung von Protestkundgebungen gegen den 'WKR-Ball' in den vorangegangenen Jahren (2008 und 2009) wird von der Erstbehörde ungenügend zwischen Versammlungen, die vom Beschwerdeführer angemeldet wurden, und solchen, die nicht vom Beschwerdeführer zu verantworten waren, unterschieden: Die im Bescheid der Erstbehörde als besonders 'gewalttätig' dargestellte Kundgebung des Jahres 2008 wurde gerade nicht vom Beschwerdeführer angemeldet und ist ihm daher in keiner Weise zurechenbar. Für die vom Beschwerdeführer angemeldete Versammlung des Jahres 2009 gesteht er selbst zu, daß es kurz vor der Auflösung zu kleineren 'Zwischenfällen' gekommen war. Der Beschwerdeführer bemühte sich dabei, mäßigend auf die Teilnehmer einzuwirken. Hinsichtlich der Sicherheit der Ballbesucher stellt die Erstbehörde selbst fest, daß diese durch die 'massive Polizeipräsenz' sichergestellt werden konnte […].

Für die Prognose, 'daß genau diese Gewaltexzesse am wiederum passieren werden', eigneten sich die angeführten 'im Internet grassierenden Aufrufe' und höchst ungenauen Schilderungen unterschiedlicher Kundgebungen der vorangegangenen Jahre einschließlich der daran geknüpften, noch ungenaueren Beurteilungen der Erstbehörde keineswegs. Die von der Erstbehörde behauptete 'sorgfältige Abwägung der Interessen' des Beschwerdeführers ist im Hinblick auf die von ihr angeführten Gründe nicht glaubhaft.

Der Beschwerdeführer stellte statt der behaupteten 'sorgfältigen Abwägung' vielmehr eine gewisse Voreingenommenheit der Erstbehörde fest: Bereits anläßlich der Verhandlung mit der Erstbehörde am gab deren Vertreter zu verstehen, daß aufgrund von internen Vorgaben grundsätzlich nur eine Standkundgebung in sehr großer Entfernung zum 'WKR-Ball', keinesfalls aber ein 'Marsch' zum Thema der Versammlung und/oder aufgrund einer Anmeldung des Beschwerdeführers (völlig ungeachtet der beabsichtigen Route) zugelassen würde.

Die folgenden Ausführungen des Vertreters der Erstbehörde bringen diese voreingenommene Haltung sehr deutlich zum Ausdruck:

'Ich kann nicht mehr sagen. Meine Vorgaben sind so und die Behörde sieht das so.'

'Ich kann nicht mehr dazu sagen. Das sind die Fakten. Wenn Sie damit einverstanden sind - mit der Standkundgebung - soll es uns recht sein, wenn nicht, dann müssen wir untersagen. So ist es.'

Das Verhalten der Erstbehörde gegenüber dem Beschwerdeführer spricht dafür, daß sie keineswegs bemüht war eine objektive Interessensabwägung im Sinne des Art 11 EMRK vorzunehmen, sondern aufgrund von internen Vorgaben ohne genaue Prüfung der konkreten Umstände die Versammlung untersagte.

Die belangte Behörde griff in ihrer Berufungsentscheidung lediglich die unzutreffenden Feststellungen und Annahme der Erstbehörde auf, ohne auf die vom Beschwerdeführer in der Berufung dagegen vorgebrachten Einwände einzugehen.

Auch die belangte Behörde nimmt in ihrer Entscheidung keine ausreichende Interessenabwägung im Hinblick auf Art 11 EMRK vor:

Insbesondere befaßt sich auch die belangte Behörde in keiner Weise mit der Frage, inwieweit die von der Erstbehörde für die vorangegangenen Jahre festgestellten 'Vorfälle' rund um den Ball des 'Wiener Korporationsrings' in Zusammenhang mit dem Beschwerdeführer oder von ihm angemeldeten Versammlungen standen haben. Die belangte Behörde zitiert lediglich die sehr vage Feststellung des Bescheides der Erstbehörde:

'Diese Veranstaltung sei bereits in den Jahren 2008 und 2009 Ziel massiver Proteste seitens linken und linksext[re]men Lagers gewesen, wobei es in beiden Jahren zu zahlreichen Sachbeschädigungen und Ausschreitungen gekommen sei.' […]

Aus dem Umstand, daß in vorangegangenen Jahren 'massive Proteste' eines nicht näher bezeichneten 'linken und linksextremen Lagers' stattgefunden hatten, konnte aber keinerlei Prognose im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer angezeigte Versammlung gewonnen werden. Wäre dies der Fall, dann müßte aus der Feststellung, daß überhaupt zu irgend einer Zeit eine von irgend jemandem durchgeführte Versammlung zu einem bestimmten Thema oder aus einem bestimmten Anlaß gewalttätig verlaufen ist, die Untersagung jeder künftigen Versammlung zum selben Thema oder aus dem selben Anlaß abgeleitet werden.

Der Beschwerdeführer hatte dagegen bereits anläßlich seines Gespräches mit der Erstbehörde am deutlich zum Ausdruck gebracht, daß ihm an einer friedlichen und geordneten Durchführung der Versammlung und der Hintanhaltung auch für ihn nicht wünschenswerter Beeinträchtigungen der 'öffentlichen Sicherheit' gelegen war. Dies wird auch in den Bescheiden der Erstbehörde und der belangten Behörde zitiert:

'Eine angemeldete Kundgebung ist weit eher dazu angetan die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten als etwaige durch die Untersagung verursachte Spontankundgebungen.' […]

Der Vertreter des Beschwerdeführers war - entgegen der vorwurfsvollen Anmerkung der belangten Behörde in ihrer Berufungsentscheidung - auch bereit, bei der Festlegung der Route über die Berücksichtigung der 'Bannmeile' um den Tagungsort des Nationalrates hinaus auf allfällige Sicherheitserwägungen der Erstbehörde einzugehen. Deren Vertreter stellte sich jedoch auf den - absurden - Standpunkt, daß jegliche Versammlung, die über eine 'Standkundgebung' hinausginge aus 'Sicherheitsgründen' zu untersagen sein werde:

'C. Z.: Aber spricht etwas gegen eine Demoroute, eine verkürzte, nur auf der Mariahilfer Straße?

HR H.: Es geht kein Marsch.

G. P.: Rechtlich meinen wir, nicht im Sinne von: Sie sagen, das geht

nicht.

HR H.: Ich hab gerade gesagt: Aus Sicherheitsgründen.'

[…]

Insgesamt entsteht der Eindruck, daß die Erstbehörde a priori nicht geneigt war, Versammlungen zum Zwecke des Protestes gegen den Ball des 'Wiener Korporationsrings' zuzulassen bzw. allenfalls nur als möglichst unauffällige 'Standkundgebung' in so großer Entfernung von der Veranstaltung, gegen deren politischen Charakter sich der Protest richten sollte, daß ein Zusammenhang zum Gegenstand des Protestes für das Publikum kaum noch wahrnehmbar gewesen wäre. Das gesamte Verhalten der Erstbehörde weist darauf hin, daß sie die vom Beschwerdeführer angezeigte Versammlung allein aufgrund vorgefaßter Absichten und nicht aufgrund einer Abwägung der in Betracht kommenden öffentlichen Interessen untersagte.

Würde man annehmen, daß diese Art der Entscheidungsfindung den Maßstäben des Art 11 EMRK genügte, dann hätte dies zur Folge, daß Protestversammlungen gegen politische Veranstaltungen bzw. Veranstaltungen, denen ein politischer Charakter beigemessen wird, grundsätzlich zu untersagen bzw. nur in einer kaum wahrnehmbaren Form zuzulassen wäre, da die 'Sicherheitserwägungen' der Erstbehörde, welche von der belangten Behörde völlig unkritisch wiederholt werden, letztlich bloß darauf hinauslaufen, daß die Abhaltung einer Veranstaltung politischen Charakters die Durchführung einer Versammlung gegensätzlichen politischen Charakters zur selben Zeit in für das Publikum wahrnehmbarer räumlicher Nähe grundsätzlich ausschließt.

Art 11 EMRK verlangt von den staatlichen Behörden aber keineswegs, grundsätzlich die Abhaltung politisch konkurrierender Versammlungen aus 'Sicherheitsgründen' zu verbieten. Die Behörden sind vielmehr dazu verpflichtet, das Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit einerseits sowie das Interesse an der Gewährleistung der Versammlungsfreiheit aller Versammlungswilligen andererseits nicht nur im Hinblick auf eine Untersagung der einen oder der anderen Versammlung zu erwägen, sondern vielmehr auch zur Erfüllung dieser öffentlichen Interessen aktiv beizutragen: Im konkreten Fall wären die Behörden verpflichtet gewesen, auch die Möglichkeit zu prüfen, für die Ermöglichung der friedlichen und geordneten Durchführung sowohl des 'WKR-Balles' als auch der Protestkundgebung gegen diesen und für den Schutz der Teilnehmer beider Versammlungen - etwa durch geeignete polizeiliche Maßnahmen wie zB Absperrungen - Vorsorge zu treffen. Es ist nicht erkennbar, daß die Erstbehörde oder die belangte Behörde eine derartige Prüfung vorgenommen und in ihre Entscheidung einbezogen hätte."

5. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie dem Beschwerdevorbringen entgegentritt und die Abweisung, in eventu die Ablehnung der Beschwerdebehandlung beantragt.

6. Auf Aufforderung durch den Verfassungsgerichtshof, zur Beschwerdelegitimation der "GRAS-Grüne Alternative StudentInnen Wien" Stellung zu nehmen, gab die beschwerdeführende Partei unter Vorlage der Satzung sowie der Bescheinigung des Bundesministeriums für Inneres über die Hinterlegung der Satzung bekannt, dass die "GRAS-Grüne Alternative StudentInnen" in der Rechtsform einer politischen Partei gemäß dem Parteiengesetz organisiert sei. Die Partei gliedere sich in "Universitätsgruppen". "Gemäß § 4 [richtig wohl: § 1] Abs 5 der Satzung bestimmen [die Universitätsgruppen] autonom über ihren Arbeitsbereich und ihre Arbeitsweise und geben sich eine ihren Bedürfnissen entsprechende Struktur", welche für sie Rechtspersönlichkeit vorsehen soll. Für die Universitätsgruppe "Wien" sei jedoch bislang keine Organisationsform mit eigener Rechtspersönlichkeit geschaffen worden. Daher stelle die Universitätsgruppe "Wien" lediglich eine organisatorische Gliederung der politischen Partei "GRAS-Grüne Alternative StudentInnen" dar. In der Versammlungsanzeige vom sei als Einbringer "GRAS-Grüne Alternative StudentInnen Wien", vertreten durch G.P. angeführt, um den Tätigkeitsbereich der Universitätsgruppe "Wien" ersichtlich zu machen. Es ergehe daher das Ersuchen, die Bezeichnung der beschwerdeführenden Partei von "GRAS-Grüne Alternative StudentInnen Wien" auf "Grüne und Alternative StudentInnen - Grüne (GRAS)" richtigzustellen.

II. Rechtslage

Die belangte Behörde hat den Bescheid, mit dem sie die angezeigte Versammlung untersagte, auf §§6 und 7 VersG idgF gestützt.

Diese Bestimmungen lauten:

"§6. Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, sind von der Behörde zu untersagen.

§ 7. Während der Nationalrat, der Bundesrat, die Bundesversammlung oder ein Landtag versammelt ist, darf im Umkreis von 300 m von ihrem Sitze keine Versammlung unter freiem Himmel stattfinden."

Die Bestimmungen sind angesichts des materiellen Gesetzesvorbehalts in Art 11 Abs 2 EMRK im Einklang mit dieser Verfassungsnorm zu interpretieren. Die Behörde ist daher zur Untersagung nur dann ermächtigt, wenn dies aus einem der in Art 11 Abs 2 EMRK genannten Gründe notwendig ist (vgl. dazu etwa VfSlg. 10.443/1985, 12.155/1989, 12.257/1990).

III. Erwägungen

1. Prozessvoraussetzungen:

Als Veranstalter einer Versammlung kann nur auftreten, wer Rechtspersönlichkeit besitzt (vgl. VfSlg. 11.258/1987). Vor den einschreitenden Behörden trat als Vertreter der die Versammlung anstrebenden "GRAS-Grüne Alternative StudentInnen Wien" stets Bezirksrat G.P. auf: Die Versammlungsanzeige erfolgte durch Bezirksrat G.P.; der Untersagungsbescheid erging an "Verein GRAS-Grüne Alternative Studentinnen Wien Z Hd. Hrn. Herrn [G.P.], Bevollmächtigter". Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wurde hingegen allein von der "GRAS-Grüne Alternative StudentInnen Wien" eingebracht.

Mit Schreiben vom ersuchte die beschwerdeführende Partei um Richtigstellung der Bezeichnung der beschwerdeführenden Partei auf "Grüne und Alternative StudentInnen - Grüne (GRAS)".

Gemäß § 235 Abs 5 ZPO ist die bloße Berichtigung des Namens des Beschwerdeführers keine Änderung der Klage oder Änderung der Partei. Da es sich bei der "GRAS-Grüne Alternative StudentInnen Wien", welche selbst kein rechtsfähiges Gebilde ist, um eine organisatorische Einheit der "Grüne und Alternative StudentInnen - Grüne (GRAS)", einer politischen Partei mit Rechtspersönlichkeit handelt, liegt kein Parteienwechsel vor. Im Übrigen erfolgte nachweislich die Einbringung der verfahrensgegenständlichen Versammlungsanzeige vom wie auch die Einbringung der Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof vor dem Hintergrund eines Beschlusses der nach den Statuten zur internen Willensbildung zuständigen Organe.

Die Beschwerdelegitimation der "Grüne und Alternative StudentInnen - Grüne (GRAS)" ist somit gegeben.

2. In der Sache:

2.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 12.257/1990 und die dort zitierte Vorjudikatur; 15.170/1998) ist jede Verletzung des Versammlungsgesetzes, die unmittelbar die Ausübung des Versammlungsrechtes betrifft und damit in die Versammlungsfreiheit eingreift, als Verletzung des durch Art 12 StGG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes zu werten. So verletzt etwa jeder Bescheid, mit dem österreichischen Staatsbürgern gegenüber die Abhaltung einer Versammlung untersagt wird, das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Versammlungsfreiheit schon dann, wenn das - im Einklang mit Art 11 Abs 2 EMRK auszulegende (VfSlg. 12.155/1989, 15.362/1998 und 17.259/2004) - Gesetz unrichtig angewendet wurde.

Bei ihrer Entscheidung hat die Behörde die Interessen des Veranstalters an der Abhaltung der Versammlung in der geplanten Form gegen die in Art 11 Abs 2 EMRK aufgezählten Interessen am Unterbleiben der Versammlung abzuwägen. Diese Entscheidung ist von der Behörde auf Grundlage der von ihr festzustellenden, objektiv erfassbaren Umstände in sorgfältiger Abwägung zwischen dem Schutz der Versammlungsfreiheit und den von der Behörde wahrzunehmenden öffentlichen Interessen zu treffen.

2.2. Im vorliegenden Fall hat die Behörde die Untersagung der am angezeigten Versammlung damit begründet, dass vor dem Hintergrund der Ausschreitungen anlässlich der Proteste gegen den Ball des Wiener Korporationsringes in den Jahren 2008 und 2009 und unter Bedachtnahme auf die Aufrufe im Internet zur Teilnahme an der Demonstration mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch anlässlich des Balls des Wiener Korporationsringes 2010 mit Ausschreitungen von gewaltbereiten Demonstranten zu rechnen sei. Diese Annahme der Behörde sei umso mehr begründet gewesen, als seitens der beschwerdeführenden Partei im Jahr 2009 ebenfalls die Versammlung gegen den Ball des Wiener Korporationsringes mit beinahe identer Route angemeldet worden sei.

Zudem verstoße die angezeigte Versammlung gegen § 7 VersG, weil sie zu einem großen Teil innerhalb der sogenannten "Bannmeile" abgehalten worden wäre.

2.3. Vorauszuschicken ist, dass der Untersagung der Versammlung zutreffend die von den Veranstaltern in ihrer Anzeige vom vorgesehene Route zu Grunde gelegt wurde: Die belangte Behörde hat zwar im Zuge einer Besprechung am angeregt, die geplante Versammlung derart zu modifizieren, dass anstelle eines "Marsches" eine "Standkundgebung" weit entfernt von dem Parlament und außerhalb des Platzverbotes, das die Bundespolizeidirektion Wien per Verordnung für den erlassen hat, abgehalten werde. Dieser Vorschlag einer Standkundgebung wurde jedoch seitens der Veranstalter nicht aufgegriffen und die ursprüngliche Anzeige in keinem Punkt verändert. Die Veranstalter haben eine Standkundgebung explizit abgelehnt und auch die ursprüngliche Versammlungsanzeige weder zurückgezogen noch (in rechtserheblicher Weise) modifiziert (vgl. ). Daher war allein die ursprüngliche Versammlungsanzeige - und nur diese - Gegenstand der Entscheidung (vgl. dazu VfSlg. 15.362/1998, 15.952/2000). An dieser rechtlichen Beurteilung ändert auch der Umstand nichts, dass der von der Bundespolizeidirektion Wien vorgeschlagene Versammlungsort der "Standkundgebung" am Christian-Broda-Platz - unter Bedachtnahme auf den Zweck der Versammlung - in unzumutbarer Entfernung zum Ball gelegen wäre (vgl. dazu VfSlg. 15.952/2000), wodurch der geplante Protest nicht (mehr) gegenüber den Ballbesuchern kommuniziert hätte werden können.

Vor diesem Hintergrund war die belangte Behörde schon im Hinblick darauf, dass die Route - in ihrer angezeigten Form - die "Bannmeile" verletzt, gemäß § 7 VersG berechtigt, die Versammlung in ihrer angezeigten Form zu untersagen. Ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen erübrigt sich.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Die belangte Behörde hat die angezeigte Versammlung daher zu Recht untersagt. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Versammlungsfreiheit ist daher nicht erfolgt.

2. Im Hinblick darauf, dass die Behörde rechtsrichtig entschieden hat, und dass gegen die bei Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendeten Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, ist es ausgeschlossen, dass die beschwerdeführende Partei durch den bekämpften Bescheid in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder in ihren Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

3. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.