OGH vom 21.07.2011, 10ObS56/11z
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Andrea Eisler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Mag. Franz Szyszkowitz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist Straße 1, wegen Witwenpension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Rs 121/10b 20, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom , GZ 8 Cgs 278/09v 16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision der klagenden Partei wird, soweit sie sich gegen die Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz im Kostenpunkt richtet, zurückgewiesen.
Im Übrigen wird der Revision nicht Folge gegeben.
Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am verstorbene Ehemann der Klägerin bezog vom bis zu seinem Tod eine Berufsunfähigkeitspension. Im Jahr 2005 hatten seine Bruttobezüge noch 61.188,54 EUR betragen, im Jahr 2006 hingegen nur mehr 22.847,40 EUR; im Jahr 2007 26.700,30 EUR und im Jahr 2008 27.340,93 EUR.
Die Berechnungsgrundlage der Klägerin betrug für das Jahr 2007 53.760 EUR und für das Jahr 2008 47.647,80 EUR.
Mit Bescheid vom anerkannte die beklagte Partei den Anspruch der Klägerin auf Witwenpension ab in Höhe von 262,52 EUR zuzüglich Höherversicherung von 8,76 EUR, gesamt somit im Ausmaß von 271,28 EUR.
In ihrer Klage begehrt die Klägerin die Leistung einer Hinterbliebenenpension im gesetzlichen Ausmaß ab . Sie bringt vor, unter Heranziehung der richtigen Bemessungsgrundlagen und Zeiträume wäre ein monatlicher Pensionsanspruch von zumindest 550 EUR zuzuerkennen gewesen. Die ihrem (verstorbenen) Ehemann ab zuerkannte Berufsunfähigkeitspension sei auf eine krankheitsbedingte Einschränkung zurückzuführen. Da es durch Krankheit zur Verminderung seines Einkommens gekommen sei, wären zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage gemäß § 264 Abs 4 2. Satz ASVG die letzten vier Kalenderjahre, geteilt durch 48, heranzuziehen.
Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren und brachte soweit für das Revisionsverfahren wesentlich vor, als Berechnungsgrundlage des Einkommens des verstorbenen Ehegatten sei nur dessen Einkommen in den letzten zwei Kalenderjahren vor dem Todeszeitpunkt (geteilt durch 24) heranzuziehen. Da das Einkommen des Verstorbenen infolge Bezugs der Berufsunfähigkeitspension schon ab dem gemindert gewesen sei, somit ab einem Zeitpunkt, der länger als zwei Kalenderjahre vor dem Todeszeitpunkt liege, sei § 264 Abs 4 2. Satz ASVG nicht anwendbar. Ausgehend von dieser Prämisse sei die Höhe der Witwenpension richtig berechnet.
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der klagenden Partei ab eine Witwenpension in der Höhe von 262,52 EUR zuzüglich Höherversicherung von 8,76 EUR, gesamt somit 271,28 EUR monatlich zu leisten. Rechtlich ging es davon aus, nach § 264 Abs 4 ASVG sei die Berechnungsgrundlage des (der) Verstorbenen das Einkommen in den letzten zwei Kalenderjahren vor dem Zeitpunkt des Todes (geteilt durch 24). Abweichend davon sei die Berechnungsgrundlage das Einkommen der letzten vier Kalenderjahre vor dem Zeitpunkt des Todes (geteilt durch 48), wenn die Verminderung des Einkommens in den letzten beiden Kalenderjahren vor dem Tod des (der) Versicherten auf Krankheit oder Arbeitslosigkeit zurückzuführen sei oder in dieser Zeit die selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit wegen Krankheit, Gebrechen oder Schwäche eingeschränkt worden sei und dies für die Witwe (den Witwer) günstiger sei. Diese Regelung sei so zu verstehen, dass die Verminderung des Einkommens in den beiden Kalenderjahren vor dem Tod eingetreten sein müsse, und nicht schon vor diesem Zeitraum. Dies ergebe sich insbesondere aus der Formulierung im letzten Halbsatz „oder in dieser Zeit die selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit wegen Krankheit, Gebrechen oder Schwäche eingeschränkt wurde“. Durch die Verwendung der Worte „in dieser Zeit“ werde klar, dass die Verminderung des Einkommens in den letzten zwei Jahren stattgefunden haben müsse. Da es im vorliegenden Fall in den letzten zwei Kalenderjahren vor dem Tod des Verstorbenen (2008 und 2007) nicht zu einer krankheitsbedingten Verminderung des Einkommens des Ehegatten gekommen sei, sondern die Verminderung schon mit dem Beginn des Bezugs der Berufsunfähigkeitspension im Jahr 2006 eingetreten sei, sei die Höhe der Witwenpension von der beklagten Partei richtig errechnet worden.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Aufgrund des ausdrücklichen und unmissverständlichen Wortlauts des § 264 Abs 4 ASVG sei Voraussetzung für beide darin geregelten Tatbestände, dass die Verminderung des Einkommens bzw die Einschränkung der selbständig oder unselbständigen Erwerbstätigkeit in den letzten beiden Kalenderjahren vor dem Tod des (der) Versicherten eingetreten sei. Es komme nicht darauf an, ob die Ursache für die Verminderung des Einkommens (zB Krankheit) schon vor dem Zweijahreszeitraum vor dem Tod des Versicherten aufgetreten sei und sich erstmals oder noch immer in diesem Zweijahreszeitraum auswirke. Entscheidend sei vielmehr, dass es innerhalb des Zweijahreszeitraums zu einer Verminderung des Einkommens bzw einer Einschränkung der Erwerbstätigkeit gekommen sei, möge die Ursache auch schon früher aufgetreten sein. Diese Interpretation entspreche dem Zweck der fakultativen Verlängerung des Beobachtungszeitraums hinsichtlich des Einkommens des Verstorbenen von zwei auf vier Jahren, der in der Milderung von krankheitsbedingten Einkommensschwankungen liege. Im vorliegenden Fall fehle es an der Voraussetzung einer Verminderung des Einkommens des Ehemanns der Klägerin in den letzten beiden Kalenderjahren vor dessen Tod, weshalb nur die zweijährige Berechnungsgrundlage betreffend dessen Einkommen heranzuziehen sei. Ausgehend davon sei die Pensionshöhe richtig berechnet. Da zur Auslegung des § 264 Abs 4 ASVG keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestehe, sei die ordentliche Revision zulässig.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, dem Klagebegehren vollinhaltlich stattzugeben.
Die beklagte Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.
In ihrer Revision vertritt die Klägerin zusammengefasst weiterhin den Standpunkt, dem Wortlaut des § 264 Abs 4 ASVG sei nicht zu entnehmen, dass „die Ursache für die Verminderung des Einkommens erstmals in den beiden letzten Kalenderjahren vor dem Tod des Versicherten eintreten müsse“. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass sich eine Krankheit oder Arbeitslosigkeit in den letzten beiden Kalenderjahren kausal aber nicht erstmals für die Einkommensminderung auswirken müsse. Da die 2006 gewährte Berufsunfähigkeitspension durch eine krankheitsbedingte Einschränkung verursacht worden sei und dazu geführt habe, dass in den letzten beiden Kalenderjahren vor dem Tod eine durch die Krankheit verursachte Verminderung des Einkommens vorgelegen sei, hätten die Vorinstanzen zu der rechtlichen Beurteilung gelangen müssen, dass die letzten vier Jahre als Beobachtungszeitraum heranzuziehen seien. Die Frage, wann die Verminderung erstmals eingetreten sei, sei demgegenüber nicht relevant. Der Verfassungsgerichtshof habe ausgesprochen, dass § 264 Abs 4 ASVG deshalb nicht verfassungswidrig sei, weil es im Rahmen einer Gesetzgebung schlichtweg unmöglich sei, jeden Härtefall hintanzuhalten. Im Sinne einer verfassungskonformen Auslegung seien Härtefälle jedoch möglichst zu vermeiden. Es sei deshalb § 264 Abs 4 ASVG jenes Verständnis beizulegen, das zu einer möglichst geringen Anzahl von Härtefällen führe. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 264 Abs 4 ASVG hätte deshalb nur das Ergebnis bringen können, dass ein Bemessungszeitraum von vier Jahren heranzuziehen sei, andernfalls eine massive Schlechterstellung der Klägerin gegeben wäre.
Dazu ist auszuführen:
1. Um zu einem besseren Verständnis der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen zur Berechnung der Höhe der Witwenpension zu gelangen, ist es angezeigt, die Entwicklung der Rechtslage darzustellen (siehe auch schon 10 ObS 81/09y und 10 ObS 57/10w):
1.1. Ausgangspunkt der Berechnung der Höhe der Witwenpension war ab das zu Lebzeiten des Versicherten erzielte Haushaltseinkommen und dessen Verteilung auf die beiden Ehepartner. Verglichen wurden die Pensionsbemessungsgrundlagen des Verstorbenen und des überlebenden Ehepartners. Die Witwenpension betrug (auf der Grundlage eines komplizierten Berechnungsvorgangs) mindestens 40 %, höchstens 60 % der Pension des Verstorbenen.
1.2. Mit dem Sozialrechts Änderungsgesetz 2000 (SRÄG 2000 BGBl I 2000/92) wurde die Formel zur Ermittlung der Höhe der Witwenpension neu geregelt: Um sowohl Aktiv als auch Pensionseinkommen berücksichtigen zu können, war für jeden der beiden Ehepartner eine „Berechnungsgrundlage“ zu ermitteln. Bei gleicher Höhe der Berechnungsgrundlagen hatte die Witwenpension ein Ausmaß von 40 % der Pension des Verstorbenen. Die maximale Witwenpension betrug 60 % (wenn die Berechnungsgrundlage des Verstorbenen mindestens dreimal so hoch war wie die des überlebenden Ehegatten). War hingegen die Berechnungsgrundlage des hinterbliebenen Ehegatten größer, dann verminderte sich die Pensionshöhe pro 1 % Unterschied um 0,3 % bis auf 0 %. Durch das SRÄG 2000 wurde daher mit Wirkung ab eine Spreizung zwischen 0 % und 60 % der Pension des verstorbenen Ehegatten bei gleichzeitiger Änderung der Berechnungsformel eingeführt.
1.3. Aufgrund eines Drittelantrags von Nationalratsabgeordneten auf Aufhebung der Pensionsreform 2000 hat der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , G 300/02 ua (VfSlg 16.923), § 264 Abs 2 bis 5 ASVG idF BGBl I 2001/67, als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass die Aufhebung mit Ablauf des in Kraft tritt. Diese Entscheidung wurde mit Unsachlichkeit der antragsgegenständlichen Bestimmungen begründet, weil dem für die Spreizung maßgeblichen Vergleich die in § 264 Abs 3 und 4 ASVG geregelten Berechnungsgrundlagen zugrunde gelegt würden, die nicht die tatsächliche „Pensionshöhe“ widerspiegelten.
1.4. Als Reaktion auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs hat der Nationalrat am mit dem 2. SVÄG 2004 eine Novellierung der Abs 2 6 des § 264 ASVG beschlossen. Nach den Abs 3 und 4 werden die Berechnungsgrundlagen der Witwe und des Verstorbenen von ihrem jeweiligen Einkommen in den letzten zwei Kalenderjahren vor dem Zeitpunkt des Todes des Versicherten gebildet. Maßgebend für die Höhe der Witwen(er)Pension sollte vorerst die Relation der Einkommen im letzten Jahr vor dem Tod sein. Nach Kritik im Begutachtungsverfahren, dass ein Jahr Einkommensvergleich zu kurz sei, wurde der „Beobachtungszeitraum“ auf zwei Jahre ausgedehnt. Damit sollte laut den Gesetzesmaterialien dem Umstand Rechnung getragen werden, dass im letzten Jahr vor dem Todeszeitpunkt das Einkommen des/der Verstorbenen vielfach durch Krankheit oder Arbeitslosigkeit sinkt, weshalb das alleinige Abstellen auf dieses letzte Kalenderjahr eine gewisse Verzerrung des Lebensstandards mit sich brächte. Angesichts des Inhalts des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs vom , G 300/02 ua, hielt der Oberste Gerichtshof die Neuregelung für verfassungskonform. Es sei dem einfachen Gesetzgeber aufgrund des demokratischen Prinzips nicht verwehrt, seine rechtspolitischen Zielsetzungen auf die ihm geeignet erscheinende Art im Rahmen vertretbarer Zielsetzungen zu verwirklichen. Die Wahl eines zweijährigen Zeitraums, in dem die Einkommen gegenüber gestellt werden, erscheine unter Bedachtnahme auf den mit der Witwen(er)pension angestrebten Zweck nicht unsachlich, dies auch unter dem Gesichtspunkt, dass Härtefälle wenn auch nicht durchgehend durch den in § 264 Abs 6 ASVG vorgesehenen Schutzbetrag abgefedert werden (RIS Justiz RS0121071). Dass Härtefälle entstehen können, mache das Gesetz nicht per se gleichheitswidrig.
1.5. In mehreren Verfahren wurden aber neuerlich Bedenken vorgebracht, dass auch ein zweijähriger Beobachtungszeitraum nicht den zuletzt erworbenen Lebensstandard widerspiegle und zu willkürlichen Ergebnissen führe. Der Oberste Gerichtshof sah sich deshalb veranlasst, Abs 3 und 4 des § 264 ASVG beim Verfassungsgerichtshof anzufechten, weil es nahe liege, dass auch ein längerer als zweijähriger Beobachtungszeitraum den zuletzt erworbenen Lebensstandard repräsentieren könne (10 ObS 81/09y).
1.6. Bereits mit einem Entschließungsantrag des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom Oktober 2005 (1132 BlgNR 22. GP) war die Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz ersucht worden, eine Arbeitsgruppe von Experten/innen einzuberufen, um bis zur nächsten ASVG Novelle Lösungsmöglichkeiten zur Vermeidung von Härtefällen bei der Berechnung der Witwen/Witwerpension zu erarbeiten. Noch Ende 2005 wurde der Entwurf des SVÄG 2006 in Begutachtung geschickt. Neben der Aufnahme der sogenannten Administrativpensionen in den Einkommensbegriff wurde (neuerlich) vorgeschlagen, den Beobachtungszeitraum auf fünf Jahre auszudehnen, wenn dies für die Witwe (den Witwer) günstiger ist.
1.7. Mit dem SVÄG 2006, BGBl I 2006/130, wurde § 264 Abs 4 ASVG aber dann um eine Regelung ergänzt, nach der als Berechnungsgrundlage für den Verstorbenen dessen Einkommen der letzten vier Kalenderjahre vor dem Zeitpunkt des Todes, geteilt durch 48, heranzuziehen ist, wenn die Verminderung des Einkommens in den letzten beiden Kalenderjahren vor dem Tod des Versicherten auf Krankheit oder Arbeitslosigkeit zurückzuführen ist oder in dieser Zeit die selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit wegen Krankheit, Gebrechen oder Schwäche eingeschränkt wurde und dies für die Witwe günstiger ist.
Aus der RV (1314 BlgNR 22. GP 3) ergibt sich dazu:
„ In der Praxis der Pensionsversicherungsträger hat sich gezeigt, dass ein Zeitraum von zwei Jahren für die Beobachtung der Einkommensverhältnisse zur Berechnung der Witwen/Witwerpension mitunter zu kurz ist, um etwa den Einkommenseinbußen bei dramatisch verlaufenden Krankheitsentwicklungen Rechnung zu tragen. Es soll daher die Berechnungsgrundlage des (der) Verstorbenen in Fällen einer Verminderung des Einkommens auf einen vierjährigen Beobachtungszeitraum umgestellt werden, soweit dies für die Witwe (den Witwer) günstiger ist. Damit sollen die (krankheitsbedingten) Auswirkungen von Einkommensschwankungen gemildert werden. “
Zugleich wurde der Katalog jener Einkommensbestandteile, die bei der Ermittlung des relevanten Einkommens im Beobachtungszeitraum zu berücksichtigen sind, um die sogenannten Administrativpensionen erweitert. Die neue Bestimmung trat (rückwirkend) mit in Kraft (§ 627 Abs 1 Z 2 ASVG).
1.8. Mit Erkenntnis vom , G 228/09, wies der Verfassungsgerichtshof den Antrag, § 264 Abs 3 und 4 ASVG idF BGBl I 2006/130 aufzuheben, ab. Er begründete dies im Wesentlichen damit, dass die Rahmenzeiträume von zwei oder vier Jahren in Verbindung mit dem vorgesehenen Günstigkeitsprinzip eine größere Anzahl von „Härtefällen“ zulasse, als dies bei einer längeren Frist der Fall wäre, weil es mit jeder Verlängerung der Frist ebenso denkbar sei, dass gerade damit Einkommenssituationen in die Betrachtung einbezogen werden, die für den Anspruch auf eine Witwen(er)pension ebenso ungünstig seien. Dem Gesetzgeber müsse daher zugebilligt werden, dass angesichts der potentiellen Vielfalt der Lebenssachverhalte keine Grenzziehung geeignet sei, Härtefälle zur Gänze zu vermeiden.
2.1. Zu der hier interessierenden Frage der Auslegung des § 264 Abs 4 ASVG ergibt sich aus dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs, dass die Höhe der Hinterbliebenenpension des Ehegatten durch einen Vergleich des durchschnittlichen monatlichen Einkommens der beiden Ehegatten während der beiden letzten Kalenderjahre vor dem Tod ermittelt werde (§ 264 Abs 3 und 4 ASVG). Sei in diesem Zeitraum beim verstorbenen Ehegatten eine Verminderung des Einkommens auf Krankheit oder Arbeitslosigkeit zurückzuführen, werde wenn es für die hinterbliebene Person günstiger sei der Durchschnitt seines monatlichen Einkommens während der letzten vier Jahre vor dem Tod herangezogen. Der Gesetzgeber habe im Falle der Verminderung des Einkommens durch Krankheit und Arbeitslosigkeit während des Beobachtungszeitraums der letzten beiden Kalenderjahre somit nunmehr einen Betrachtungszeitraum von vier Jahren vorgesehen, wenn dieser günstiger sei. Weiters führte der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis G 228/09 aus, der Gesetzgeber habe der Gefahr, dass die für die Berechnung der Witwenpension maßgeblichen Einkünfte während der Jahre vor dem Tod besonders stark von jenen Einkommensverhältnissen des Verstorbenen abweichen, welche für die Lebensführung der Eheleute über lange Zeiträume hinweg bestimmend gewesen seien, dadurch zu begegnen versucht, dass er im Falle der Verminderung des Einkommens durch Krankheit und Arbeitslosigkeit während des Betrachtungszeitraums der letzten beiden Kalenderjahre einen Betrachtungszeitraum von vier Jahren vorsehe, wenn dies günstiger sei (Pkt 4.1. des Erkenntnisses).
2.2. In der Literatur wurden bisher folgende Auffassungen vertreten:
2.2.1. Nach Teschner/Widlar/Pöltner , MGA ASVG 110. ErgLfg § 264 Anm 4a werde mit der Neuregelung am Grundprinzip der Heranziehung des Einkommens in den letzten zwei Kalenderjahren vor dem Todeszeitpunkt festgehalten. In besonderen Fällen, nämlich bei Krankheit, Gebrechen oder Schwäche sowie bei Arbeitslosigkeit solle aber ein längerer Beobachtungszeitraum für die Berechnungsgrundlage des (der) Verstorbenen herangezogen werden, und zwar dann, wenn dadurch eine Verminderung des Einkommens des (der) verstorbenen Versicherten in den letzten zwei Kalenderjahren vor dem Tod bewirkt wurde. Dies werde jedenfalls bei Krankengeldbezug, Bezug einer Leistung der Arbeitsmarktverwaltung oder bei Anspruch auf eine Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit anzunehmen sein. Auch die Meldung beim Arbeitsmarktservice als arbeitslos werde als ausreichend anzusehen sein. Die Regelung betreffe nur die Bemessungsgrundlage des (der) Verstorbenen, nicht aber die des (der) Überlebenden. Die Berechnungsgrundlage der (des) Verstorbenen sei weiters am Günstigkeitsprinzip ausgerichtet, wonach diese Bestimmung nur anzuwenden sei, wenn es für die Witwe oder den Witwer günstiger sei.
2.2.2. Sonntag (in Sonntag, ASVG 2 § 264 Rz 1) führt dazu nur aus, dass nach der Neureglung nunmehr die Relation der Einkommen des verstorbenen und des überlebenden Ehepartners in den letzten zwei Jahren, beim Verstorbenen ausnahmsweise in den letzten vier Jahren vor dem Todeszeitpunkt maßgebend sei.
2.2.3 Nach Weißensteiner, Witwen(er)pension eine Diskussionsanregung DRdA 2007, 365, 368, wurde die Günstigkeitsbestimmung in der Weise geändert, dass anstelle des zweijährigen ein vierjähriger Einkommensvergleich zu berechnen sei, wenn die Verminderung des Einkommens in den letzten beiden Kalenderjahren auf Krankheit des (der) Versicherten oder Arbeitslosigkeit zurückzuführen sei. Sie bezeichnet die neue Günstigkeitsbestimmung als sehr eng gefasst und kritisiert, dass lediglich denjenigen Hinterbliebenen eine eventuell höhere Witwen(er)pension zukomme, bei denen das Einkommen knapp vor dem Tod, dh in den letzten beiden Jahren herabgesunken sei. Für viele andere Sachverhalte verbessere sich nichts.
2.3. Der Oberste Gerichtshof hat bisher zur Auslegung des § 264 Abs 4 ASVG noch nicht Stellung genommen. Im Antrag an den Verfassungsgerichtshof, § 264 Abs 3 und 4 idF BGBl I 2006/130 als verfassungswidrig aufzuheben, findet sich nur der Hinweis, mit § 264 Abs 4 ASVG idF des SVÄG 2006 habe der einfache Gesetzgeber zu verstehen gegeben, dass der zeitliche Horizont des „zuletzt“ erworbenen Standards nicht zu eng verstanden werden dürfe (10 ObS 81/09y).
3. Die von der Revisionswerberin vorgetragenen Argumente geben keinen Grund dafür ab, von jenem Verständnis des § 264 Abs 4 ASVG abzugehen, das bereits vom Verfassungsgerichtshof und in der Literatur vertreten wird:
3.1. Die Witwen(er)pension soll den Unterhaltsausfall ausgleichen, der in einer partnerschaftlichen Ehe durch den Tod eines Ehepartners entsteht (10 ObS 382/02b, SSV NF 17/34). Es ist also nicht auf den höchsten während des Bestandes der Ehe erzielten, sondern auf den zuletzt erworbenen Lebensstandard abzustellen. Es ist demnach nicht Aufgabe der Hinterbliebenenpension, einen einmal erreichten und später wieder verloren gegangenen Lebensstandard wiederherzustellen. Aus diesem Zweck der Witwen(er)pension ergibt sich, dass einer beliebigen Ausdehnung des einschlägigen Beobachtungszeitraums Grenzen gesetzt sind (VfGH G 228/09).
3.2. Wenngleich der Wortlaut des § 264 Abs 4 2. Satz ASVG offen lässt, zu welchem Zeitpunkt der Grund für die Verminderung des Einkommens (Krankheit oder Arbeitslosigkeit) eingetreten sein muss, ist diese Regelung so zu verstehen, dass die negativen Auswirkungen der Krankheit oder Arbeitslosigkeit auf das Einkommen im Zeitraum von zwei Kalenderjahren vor dem Tod des Versicherten eingetreten sein müssen, es also zur Verminderung des Einkommens infolge Krankheit oder Arbeitslosigkeit im Zeitraum von zwei Kalenderjahren vor dem Tod des Versicherten gekommen sein muss. Für dieses Auslegungsergebnis spricht neben dem Bedeutungszusammenhang sowohl die Entstehungsgeschichte als auch der Zweck der Regelung. Wie sich auch aus der oben genannten Regierungsvorlage ergibt, sollte durch die Novelle (lediglich) eine der beiden maßgeblichen Berechnungsgrundlagen (§ 264 Abs 2 ASVG), nämlich jene des (der) Verstorbenen in Fällen einer durch Krankheit oder Arbeitslosigkeit bedingten Verminderung des Einkommens auf einen vierjährigen Beobachtungszeitraum „umgestellt“ werden, ohne dass vom Grundprinzip der Heranziehung des zweijährigen Beobachtungszeitraums für die Verminderung des Einkommens abgewichen werden sollte. Der Gesetzgeber des SVÄG 2006 hat daher trotz Kritik am zweijährigen Beobachtungszeitraum für die Verminderung des Einkommens festgehalten. Um den weiterhin vorkommenden Härtefällen doch möglichst zu begegnen, schuf er die ergänzende Möglichkeit, (ausnahmsweise) den bis dahin in allen Fällen zweijährigen Beobachtungszeitraum für die Berechnungsgrundlage des Einkommens des (der) Verstorbenen auf einen vierjährigen Beobachtungszeitraum zu erstrecken, wenn es innerhalb der letzten zwei Kalenderjahre vor dem Tod zu einer Verminderung dessen Einkommens infolge Krankheit oder Arbeitslosigkeit gekommen ist.
§ 264 Abs 4 ASVG idF des SVÄG 2006 ist demnach so zu verstehen, dass dann, wenn sich das Einkommen des Verstorbenen in den letzten beiden Kalenderjahren vor dem Tod infolge Krankheit oder Arbeitslosigkeit vermindert hat, der Durchschnitt des monatlichen Einkommens des Verstorbenen während der letzten vier Jahre vor dem Tod herangezogen werden kann, sofern dies für die (den) Witwe(r) günstiger ist.
4. Im vorliegenden Fall hat sich zwar das Einkommen des Verstorbenen krankheitshalber auf den Bezug der Berufsunfähigkeitspension vermindert. Wie die Vorinstanzen schon zutreffend erkannten, trat diese Verminderung aber nicht innerhalb der letzten beiden Kalenderjahre vor dem Tod des Versicherten ein, sondern war schon davor nämlich im März 2006 erfolgt. Mangels Erfüllung der in § 264 Abs 4 2. Satz ASVG normierten Voraussetzungen hat es deshalb für die Ermittlung des Einkommens des Verstorbenen bei der Heranziehung der zweijährigen Berechnungsgrundlage zu verbleiben.
Die Revision der Klägerin ist aus diesen Gründen erfolglos.
5. Soweit die Klägerin den Zuspruch von Verfahrenskosten nach Billigkeit auch für das Verfahren erster und zweiter Instanz begehrt, ist die Revision unzulässig. Nach ständiger Rechtsprechung kann nämlich die Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz über den Kostenpunkt auch in Sozialrechtssachen weder im Rahmen der Revision noch mit Rekurs bekämpft werden (10 ObS 241/99k, SSV NF 13/118 mwN).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Berücksichtigt man die Höhe der Eigenpension der Klägerin und jene der ihr zustehenden Witwenpension, erscheint ein ausnahmsweiser Kostenzuspruch nicht gerechtfertigt. Sozialgerichtliche Verfahren sind im Übrigen von Gerichtsgebühren befreit (§ 80 ASGG).