OGH vom 27.03.1980, 13Os37/80
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Horak, Dr. Schneider und Dr. Hörburger als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Vichytil als Schriftführerin in der Strafsache gegen Wolfgang A wegen des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs. 1 StGB. über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Kreisgerichts Wels als Jugendschöffengerichts vom , GZ. 15 Vr 907/79-21, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Hörburger, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalts Dr. Karollus, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Der am geborene Schüler Wolfgang A wurde mit dem angefochtenen Urteil des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs. 1 (§§ 127 Abs. 1, 129 Z. 1) StGB. schuldig erkannt, weil er sich am 1. und in Altmünster fahrlässig durch den Genuß von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch versetzte, in diesem Rausch einen Einbruch in die Tabak-Trafik der Irmgard B beging und dabei Zigaretten und vier Feuerzeuge im Gesamtwert von 2.004 S erbeutete.
Rechtliche Beurteilung
Diesen Schuldspruch bekämpft Wolfgang A mit einer auf die Z. 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Rechtsirrtum behauptet er, weil die Tat - urteilsmäßig - nicht von einem Willensimpuls, sondern von einer sogenannten Willensreaktion geführt gewesen sei, worunter das Gericht offenbar die mechanisch logische Fortsetzung eines vorangegangenen Willensaktes (Willensimpulses) verstehe und dabei übersehe, daß die oberstgerichtliche Rechtsprechung den Begriff der Willensreaktion als ident mit dem des Willensakts sehe. Strafbarkeit nach § 287 StGB. sei nur dann gegeben, wenn die Tat von einem Willensakt getragen und deren Durchführung vom Willen kontrolliert ist; dagegen reiche der Begriff der Willensreaktion als mechanischer Fortsetzung eines vorgelagerten Willensakts nicht aus. Dieses Vorbringen hält einer Überprüfung nicht stand. Die Schuld, die § 287 Abs. 1 StGB. voraussetzt, bezieht sich nur auf die Herbeiführung des Rauschs, nicht aber - infolge der Zurechnungsunfähigkeit - auf die nachfolgende Betätigung eines auf die Herbeiführung eines bestimmten strafgesetzwidrigen Erfolgs gerichteten Willens.
Die sogenannte Rauschtat selbst kann schon begrifflich nicht vom Verschulden des Täters erfaßt sein, es ist auch nicht erforderlich, daß der Täter damit rechnen mußte, er könnte im Rausch diese oder irgendeine strafbare Handlung begehen. Die Rauschtat muß aber alle Tatbestandsmerkmale verkörpern, und zwar auch die subjektiven; andernfalls könnte etwa nicht unterschieden werden, ob das Grunddelikt ein Diebstahl oder eine dauernde Sachentziehung, ein Mordversuch oder eine versuchte schwere Körperverletzung gemäß §§ 15, 87 StGB. ist. Schon die Rechtsprechung zum § 523 StG. hat ausdrücklich eine vorsätzliche, auf die Verwirklichung der Deliktsmerkmale gerichtete Handlung des Vollberauschten verlangt (siehe Roeder, Schuld und Irrtum beim Vollrausch, Rittler-FS. 1957, S. 221 f.) und aus dem Kreis der nach dieser Gesetzesbestimmung zu beurteilenden Handlungen solche ausgeschieden, 'die nicht der Ausdruck einer Willensbetätigung sind, wie z.B. unzusammenhängende Reden, Torkeln und Umsichschlagen eines sinnlos Betrunkenen' (Roeder, a.a.O. S. 233 f.).
Die Rauschtat wird also vorsätzlich begangen, denn damit ist nichts anderes als das natürliche Wissen und Wollen der Tat gemeint (vgl. schon Löffler in GZ. 1906 S. 369 ff.;
derselbe in Bemerkungen zu §R. 12; Maurach-Zipf, Lehrbuch S. 318). In der Rauschtat eine objektive Bedingung der Strafbarkeit zu erblicken, ist darum abzulehnen (Roeder, a.a.O. S. 241). Dabei ist der Volltrunkene entweder nicht imstande, die Bedeutung und die Tragweite seines Handelns zu überblicken, oder er ist nicht in der Lage, sich gemäß einer solchen Einsicht zu verhalten, weshalb die von ihm verlangte Willensbildung keineswegs jener Bewußtheit und Einsichtigkeit bedarf, die das gewollte Handeln eines nicht volltrunkenen Vorsatztäters kennzeichnet (SSt. XIX/131). Auch hinter der im Zustand voller Berauschung begangenen, sich dem erkennbaren Geschehen nach als ein Verbrechen oder ein Vergehen darstellenden Tat muß aber ein entsprechender Willen stehen: Was dem Volltrunkenen fehlt, ist - so die seit vielen Jahrzehnten unveränderte Rechtsprechung - nicht der Willensentschluß (die Willensreaktion), sondern die Diskretionsfähigkeit oder die Dispositionsfähigkeit oder beide Fähigkeiten. Nur bei gäözlicher Aufhebung des Bewußtseins (Ohnmacht, Hypnose, Schlaf), wenn also der Täter einer willkürlichen Handlung überhaupt nicht mehr fähig ist, wäre eine Bestrafung nach § 287 Abs. 1 StGB. ausgeschlossen.
In diesem Zusammenhang hat das Erstgericht festgestellt, daß zwar die Diskretions- und Dispositionsfähigkeit des Angeklagten ausgeschaltet war, die (Rausch-)Tat sich aber dennoch als Reaktion eines auf die Herbeiführung des strafgesetzwidrigen Erfolgs gerichteten Willensimpulses und sohin als Betätigung eines solchen Willens darstellt (S. 117-118, 120 und 121).
Diese Feststellung begründet das Erstgericht einerseits mit dem Gutachten des Sachverständigen Medizinalrat Dr. Ernst C, laut welchem vor der Begehung der Tat ein solcher Willensimpuls vorhanden gewesen sein muß, der dann - wenn auch im Zustand der Diskretions- und Dispositionsunfähigkeit - fortgesetzt und beendet wurde, sowie damit, daß das Vorhandensein der Willensreaktion zur Tatzeit sich auch aus dem ganzen Verhalten des Angeklagten erschließen läßt. War doch der Angeklagte so weit orientiert, daß er trotz seiner hohen Alkoholisierung den richtigen Heimweg zurücklegen konnte, und auch seine Handlungen in Ausführung der Tat - Einschlagen der Glastür, Einsteigen, Ergreifen von Zigarettenpackungen und Feuerzeugen, Einstecken und Verbergen derselben im Hemd, Verlassen der Trafik, ohne sich dabei oder schon während des Einsteigens nennenswert zu verletzen, und Weitergehen in der Richtung des Wohnhauses - stellten sich als durchaus logisch dar, sodaß es undenkbar erscheint, daß der Einbruchsdiebstahl nicht von einem darauf gerichteten Willensimpuls getragen gewesen sein sollte (S. 117-118).
Bei diesem Sachverhalt konnte das Erstgericht jedenfalls mit zureichendem Grund und ohne Rechtsirrtum ausschließen, daß es sich bei dem in Rede stehenden Trafikeinbruch des Angeklagten um ein überhaupt von keinem Willensakt getragenes, lediglich unwillkürliches Verhalten gehandelt haben könnte. Aus dem Urteil geht aber auch hervor, daß das Erstgericht unter Willensreaktion keineswegs ein rein mechanisches Handeln, sondern die Betätigung eines - eben auf die Herbeiführung des strafgesetzwidrigen Erfolgs gerichteten - Willens(impulses) versteht.
Zur Mängelrüge ist noch zu bemerken, daß der Beschwerdeführer die Ausführungen des medizinischen Sachverständigen zur Frage der vollen Berauschung und zur (weiteren) Frage eines willkürlichen Handelns in diesem Zustand nicht auseinanderhält. Daß zur Durchführung einer solchen Tat ein Willensimpuls vorhanden gewesen sein muß, ergibt sich auch aus dem Gutachten (S. 102). Wenn der Sachverständige aber ausführt, daß zur Tatzeit der konkrete Wille, die Tat auszuführen, nicht mehr unter Kontrolle gewesen ist, so wird vom Sachverständigen damit nur die Diskretionsund Dispositionsfähigkeit des Angeklagten im Zeitpunkt des von ihm im Zustand voller Berauschung verübten Trafikeinbruchs verneint. Deren Fehlen hat das Erstgericht durch den Schuldspruch (nur) wegen Vergehens nach § 287 Abs. 1 StGB. ohnehin Rechnung getragen.