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OGH vom 25.11.2008, 9ObA77/08a

OGH vom 25.11.2008, 9ObA77/08a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter MR Dr. Richard Warnung und AR Angelika Neuhauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Christian R*****, Arbeiter, *****, vertreten durch Holter-Wildfellner Rechtsanwälte GmbH in Grieskirchen, gegen die beklagte Partei Arbeiterbetriebsrat der M***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. German Storch und Mag. Rainer Storch, Rechtsanwälte in Linz, wegen Anfechtung einer Betriebsratswahl, über den „Rekurs" der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 17/08v-19, mit dem aus Anlass der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 14 Cga 89/07p-13, das bisherige Verfahren als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird mit der Maßgabe bestätigt, dass er zu lauten hat:

„Das Urteil des Erstgerichts und das ihm vorangegangene Verfahren werden als nichtig aufgehoben; die Klage wird zurückgewiesen."

Die Rekurswerberin hat die Kosten ihres Rekurses selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe :

Am 28. und am wurde im Betrieb der M***** GmbH (erstmals) ein Arbeiterbetriebsrat gewählt.

Mit seiner am beim Erstgericht eingelangten Klage focht der Kläger, ein Arbeiter dieses Betriebs, die Wahl gemäß § 59 ArbVG als ungültig an. Hilfsweise begehrte er die Nichtigerklärung der Wahl gemäß § 60 ArbVG.

Der beklagte Betriebsrat, der sich am konstituiert hat, beantragte die Zurückweisung der Klage, hilfsweise ihre Abweisung.

Mit seinem in der Tagsatzung vom verkündeten Urteil wies das Erstgericht sowohl das Haupt- als auch das Eventualbegehren ab. Die Ausfertigung dieser Entscheidung weicht allerdings vom verkündeten Inhalt ab: Nach dem Wortlaut der ausgefertigten Entscheidung werden mit Urteil sowohl das Klage- als auch das Eventualbegehren zurückgewiesen. In der Begründung dieser Entscheidung vertritt das Erstgericht die Rechtsauffassung, dass die Klage verspätet, im Übrigen aber auch unberechtigt sei.

Mit Wirkung vom beschloss der beklagte Betriebsrat seinen Rücktritt.

Mit dem angefochtenen Beschluss erklärte das Berufungsgericht aus Anlass der vom Kläger gegen die erstgerichtliche Entscheidung erhobenen Berufung das bisherige Verfahren für nichtig und wies die Klage zurück.

Der Rücktritt des Betriebsrats habe zur Folge, dass dessen Tätigkeitsdauer gemäß § 62 Z 4 ArbVG (spätestens) am vorzeitig geendet habe. Grundsätzlich ende mit der Tätigkeitsdauer des Betriebsrats auch seine Parteifähigkeit. Nur dann, wenn die Tätigkeitsdauer aus einem der in § 62a ArbVG genannten Gründe ende und zu diesem Zeitpunkt ein Verfahren vor Gericht oder einer Verwaltungsbehörde schon anhängig sei, werde die Parteifähigkeit über die Tätigkeitsdauer des Betriebsrats hinaus verlängert; sie bestehe in Bezug auf dieses Verfahren bis zu dessen Abschluss weiter. Die Fälle, in denen es ausnahmsweise zu einer solchen Verlängerung der Parteifähigkeit kommen solle, umfassten nur die Beendigung der Funktionsperiode nach § 61 ArbVG und die vorzeitige Beendigung der Tätigkeitsdauer nach § 62 Z 1 und 2 ArbVG, nicht aber die hier vorliegende vorzeitige Beendigung nach § 62 Z 4 ArbVG durch Rücktritt des Betriebsrats. Beschließe das Belegschaftsorgan demnach rechtswirksam selbst seinen Rücktritt, so solle nach den Wertungen des Gesetzgebers auch seine Parteifähigkeit für anhängige Verfahren nicht verlängert werden.

Der Kläger leite allerdings die weitere Parteifähigkeit aus dem mit der Novelle BGBl 1990/408 angefügten dritten Satz des § 62a ArbVG ab, der sich mit der Verlängerung der Parteifähigkeit bei Wahlanfechtungen befasse. Diese Bestimmung solle aber nur sicherstellen, dass sich der betroffene Betriebsrat, dessen Wahl für ungültig erklärt werden solle, gegen die Wahlanfechtung selbst wehren kann und er im Fall der zwischenzeitigen Neuwahl eines Betriebsrats nicht darauf angewiesen ist, dass dieser die Anfechtung der Wahl des früheren Betriebsrats bekämpft. § 62a dritter Satz ArbVG könne überhaupt erst zum Tragen kommen, wenn der Fall des § 62 Z 5 ArbVG durch ein Urteil des Gerichts, mit dem die Wahl für ungültig erklärt wurde, eingetreten sei. Hier habe das Erstgericht der Wahlanfechtung aber gerade nicht stattgegeben. Die Entscheidung sei daher ohne jeden Einfluss auf die Tätigkeitsdauer des neu gewählten und ordnungsgemäß konstituierten Betriebsrats geblieben.

Die Neuregelung des § 62a dritter Satz ArbVG sei nur im Zusammenhang mit der gleichzeitigen Neufassung des § 61 ASGG als Reaktion auf die dazu ergangene oberstgerichtliche Judikatur zu verstehen. Die vorläufige Vollstreckbarkeit solle nach dem Willen des Gesetzgebers alle Urteilswirkungen umfassen, insbesondere auch jene eines erstinstanzlichen Urteils in betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeiten. Dies habe zur Folge, dass mit einem solchen einer Wahlanfechtung stattgebenden Urteil die Tätigkeitsdauer des Betriebsrats, dessen Wahl angefochten wurde, faktisch beendet werde. Zum Ausgleich dafür habe es der Gesetzgeber diesem Betriebsrat durch die gleichzeitige Neuregelung in § 62a dritter Satz ArbVG ermöglicht, das laufende Wahlanfechtungsverfahren ungeachtet der aufgrund der Urteilswirkungen des § 61 ASGG verlorenen Parteifähigkeit selbst bis zum Abschluss weiterzuführen. Daraus könne aber nicht abgeleitet werden, dass die Parteifähigkeit des Betriebsrats auch dann verlängert werde, wenn dessen Tätigkeitsdauer infolge eines Rücktrittsbeschlusses nach § 62 Z 4 ArbVG vorzeitig ende, ohne dass jemals ein Urteil erster Instanz der Wahlanfechtung stattgegeben habe. Vielmehr falle mit dem eigenen Rücktrittsbeschluss des Betriebsrats der mit § 62a dritter Satz ArbVG verfolgte Regelungszweck weg.

Die Parteifähigkeit des beklagten Arbeiterbetriebsrats habe daher am geendet; seither existiere die Beklagte nicht mehr.

Mit der Entscheidung des verstärkten Senats 8 ObA 2344/96f habe der Oberste Gerichtshof im Zusammenhang mit der Vollbeendigung einer Kapitalgesellschaft während eines anhängigen Prozesses ausgesprochen, dass das Verfahren auf Begehren des Klägers fortzusetzen sei. Strebe hingegen der Kläger nicht die Fortsetzung des Verfahrens gegen die gelöschte Gesellschaft an, sei die Klage zurückzuweisen und das bisherige Verfahren für nichtig zu erklären. Die dieser Entscheidung zugrunde liegenden Überlegungen ließen sich aber auf betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeiten nach dem ArbVG mit Organen der Arbeitnehmerschaft nicht übertragen. Deren Parteifähigkeit sei in § 53 ASGG iVm dem II. Teil des ArbVG abschließend geregelt. Anders als in 8 ObA 2344/96f gehe es hier um keinen zivilrechtlichen und auch um keinen vermögenswerten Anspruch. Werde die Existenz des Belegschaftsorgans, mit dem die betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit geführt werde, aus einem schon vom Gesetzgeber für nicht schutzwürdig erachteten Grund beendet, sei auch der einzelne Arbeitnehmer als Teil der Belegschaft, die in ihrer Gesamtheit von dem Organ nicht mehr vertreten werde, nicht schutzwürdig, einen Prozess mit dem nicht mehr existenten Gebilde fortzuführen. Durch den Rücktrittsbeschluss des Betriebsrats falle vielmehr das für einen Rechtsstreit auch auf betriebsverfassungsrechtlicher Ebene notwendige Zweiparteiensystem weg: Verfüge die Belegschaft über kein Organ mehr und werde sie damit handlungsunfähig, sei ein schützenswertes Rechtsschutzziel auf der betriebsverfassungsrechtlichen Ebene nicht mehr zu erreichen.

Der Kläger, der insoweit weder in seiner nach dem Rücktrittsbeschluss des Betriebsrats verfassten Berufung noch im Zuge der Verhandlung über die Parteifähigkeit des Betriebsrats ein Vorbringen erstatte, sondern zugestanden habe, dass tatsächlich der Arbeitgeber hinter dem Prozess stehe, habe daher keinen Anspruch auf Fortsetzung des Verfahrens gegen den nicht mehr existenten Betriebsrat. Sei die begehrte Fortführung demnach zu versagen und das Prozessrechtsverhältnis ohne meritorisches Ergebnis zu beenden, könne dies nur auf dieselbe Weise erfolgen, wie in jenen in 8 ObA 2344/96f erörterten Fällen, in denen der Kläger von vornherein eine Fortsetzung nicht anstrebe. Werde die Klage nachträglich wegen Wegfalls einer Prozessvoraussetzung unzulässig, sei sie zurückzuweisen und das bisherige Verfahren für nichtig zu erklären.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der „Rekurs" des Klägers mit dem Antrag, ihn aufzuheben und der Berufung Folge zu geben. Hilfsweise wird beantragt, der zweiten Instanz die Entscheidung über die Berufung aufzutragen.

Der Betriebsrat erstattete eine Rekursbeantwortung mit dem Antrag, den Rekurs zurückzuweisen, hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Das Berufungsgericht hat sich mit Inhalt und Zweck der Bestimmung des § 62a ArbVG ausführlich auseinandergesetzt und dabei insbesondere auch Hintergrund und Anlass der Schaffung des letzten Satzes dieser Bestimmung und dessen Zusammenspiel mit § 61 ASGG eingehend erläutert. Diese Ausführungen der zweiten Instanz, mit denen sich der Revisionswerber inhaltlich nicht auseinandersetzt, werden vom Obersten Gerichtshof vollinhaltlich gebilligt. Insofern reicht es daher aus, auf die Richtigkeit der Begründung der zweiten Instanz zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Ergänzend ist den Ausführungen des Revisionswerbers wie folgt entgegenzutreten:

§ 62a letzter Satz ArbVG bezieht sich auf den Fall des § 62 Z 5 ArbVG. Nach dieser Bestimmung endet die Tätigkeitsdauer des Betriebsrats, wenn das Gericht die Wahl für ungültig erklärt. Wie das Berufungsgericht richtig dargelegt hat, ist diese Bestimmung vor dem Hintergrund des § 61 ASGG zu sehen: Die in dieser Bestimmung normierte vorläufige Vollstreckbarkeit nicht rechtskräftiger erstinstanzlicher Urteile hat zur Folge, dass mit der einer Wahlanfechtung stattgebenden erstinstanzlichen Entscheidung die Tätigkeitsdauer des betroffenen Betriebsrats faktisch beendet wird. Daher ermöglicht § 62a dritter Satz ArbVG die Weiterführung des laufenden Wahlanfechtungsverfahrens ungeachtet der aufgrund der Urteilswirkungen des § 61 ASGG an sich verlorenen Parteifähigkeit.

Von all dem kann aber hier nicht die Rede sein, zumal im vorliegenden Verfahren die Wahlanfechtung in erster Instanz gerade nicht erfolgreich war, sodass § 62a dritter Satz ArbVG schon nach seinem Wortlaut, aber auch nach seiner dargestellten Funktion nicht zur Anwendung kommt.

Dem letzten Satz des § 62a ArbVG dessen ungeachtet im Auslegungsweg eine völlig andere Bedeutung zu geben und auch auf den Rücktritt des Betriebsrats anzuwenden, besteht keinerlei Veranlassung und stünde überdies in Widerspruch zum ersten Satz der Bestimmung, der die erfassten Fälle abschließend aufzählt und dabei den Rücktritt des Betriebsrats gerade nicht erwähnt.

Der Revisionswerber stützt sein Rechtsmittel im Wesentlichen auf das Argument, dass die Verneinung der Verlängerung der Parteifähigkeit des Betriebsrats ein unerträgliches Rechtsschutzdefizit zur Folge hätte, zumal es der Betriebsrat dadurch in der Hand hat, einer Wahlanfechtung durch Selbstauflösung zuvor zu kommen. Dadurch könnte er die „Nichtigerklärung sämtlicher bis dahin gesetzter Akte vereiteln". Diesem Einwand ist aber ebenfalls nicht zu folgen:

Primäres Rechtsschutzziel der Anfechtung der Betriebsratswahl ist regelmäßig die Beseitigung des betroffenen Betriebsrats. Hat dieser sich aber bereits durch seinen Rücktritt aufgelöst, bedarf es dazu der Fortsetzung des Wahlanfechtungsverfahrens nicht mehr. Auch im Hinblick auf bisher gesetzte Rechtshandlungen des zurückgetretenen Betriebsrats bedarf es der Fortsetzung des Verfahrens nicht. Bis zur Entscheidung des Gerichts vom Betriebsrat gesetzte Rechtshandlungen bleiben nämlich auch dann gültig, wenn die Betriebsratswahl iSd § 59 ArbVG für ungültig erklärt wird. Die Entscheidung des Gerichts über die Anfechtung wirkt nämlich nicht zurück (Schneller, ArbVR 2³ § 59 Erl 3). Liegt eine nichtige Betriebsratswahl vor, ist ohnedies stets so vorzugehen, als ob die Wahl nie stattgefunden hätte. Rechtshandlungen eines auf nichtige Art und Weise gewählten Betriebsrats gelten damit als nicht gesetzt. Dieser Umstand kann nicht nur im Rahmen einer Wahlanfechtung gegen den Betriebsrat, sondern - sollte dies erforderlich sein - auch in einem anderen Verfahren als Vorfrage geklärt werden (Schneller aaO § 59 Erl 3, § 60 Erl 2). Auch dazu bedarf es daher der Weiterführung des Verfahrens gegen den nicht mehr existierenden Betriebsrat nicht.

Im Übrigen hat der Kläger, der in der Revision immer wieder auf seine die Weiterführung des Verfahrens erfordernden subjektiven Rechts pocht, mit keinem Wort vorgebracht, dass der mittlerweile nicht mehr existierende Betriebsrat Rechtshandlungen gesetzt habe, die seine Rechtssphäre in wie immer gearteter Weise berühren. Deshalb und aus den schon oben angestellten Überlegungen kann daher seine Berufung auf Art 5 EMRK nicht überzeugen.

Dass sich der Kläger in seinem Bestreben, das Verfahren gegen den nicht mehr existierenden Betriebsrat fortzusetzen, nicht auf die Entscheidung des verstärkten Senats 8 ObA 2344/96f, SZ 71/175, berufen kann, wurde ebenfalls bereits vom Berufungsgericht mit eingehender und überzeugender Begründung dargelegt. Auch auf die dazu angestellten Überlegungen des Berufungsgerichts kann verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO). Daraus ist zum einen die Überlegung hervorzuheben, dass die hier zu beurteilende Situation mit der Durchsetzung vermögensrechtlicher Ansprüche gegen die während des Prozesses vollbeendete GmbH nicht bzw nur sehr beschränkt vergleichbar ist. Entscheidend ist aber der ebenfalls bereits vom Berufungsgericht betonte Umstand, dass im hier zu beurteilenden Fall - anders als im Fall der zitierten Entscheidung des verstärkten Senats - der Wegfall der Parteifähigkeit während des Verfahrens vom Gesetzgeber in § 62a ArbVG ausdrücklich und abschließend geregelt wurde. Diese Regelung ist daher hier maßgebend.

Dass die Prozessführung des Klägers vom Arbeitgeber finanziert wird, hat das Berufungsgericht als ihm bemerkenswert erschienenes Detail erwähnt, aber nicht als Begründung für seine Auslegung des § 62a ArbVG herangezogen.

Dem Rekurs war daher ein Erfolg zu versagen.

Es kann nicht zweifelhaft sein, dass das Berufungsgericht mit der von ihm ausgesprochenen Aufhebung des gesamten Verfahrens auch die erstgerichtliche Entscheidung beseitigen wollte. Der Rekurswerber ist sich aber - wie Hinweise in seinem Rechtsmittel zeigen - dieses Umstands nicht bewusst. Um diese Unklarheit, die durch die vom Berufungsgericht gewählte Formulierung entstanden ist, zu beseitigen, war dessen Entscheidung mit der im Spruch ersichtlichen Maßgabe zu bestätigen; auf diese Weise ist klargestellt, dass nicht nur das Verfahren sondern auch die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben wird.

Die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels hat der Rekurswerber selbst zu tragen.