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OGH vom 18.07.2017, 10ObS53/17t

OGH vom 18.07.2017, 10ObS53/17t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Wolfgang Neumaier (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Herbert Böhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei U*****, vertreten durch Dr. Christoph Arbeithuber, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Oberösterreichische Gebietskrankenkasse, 4021 Linz, Gruberstraße 77, vertreten durch Mag. Andreas Nösterer, Rechtsanwalt in Pregarten, wegen Kinderbetreuungsgeld, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Rs 10/17w-11, mit dem aus Anlass der Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 8 Cgs 18/16z-7, sowie das vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Rekursverfahrens selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Tochter der Klägerin wurde am geboren. Die Klägerin beantragte am die Zuerkennung pauschalen Kinderbetreuungsgeldes in der Variante 12 + 2 in Höhe von 33 EUR täglich für den Zeitraum bis .

Mit Bescheid vom wies die beklagte Oberösterreichische Gebietskrankenkasse diesen Antrag ab. Die gewählte Bezugsvariante sei bereits mit verstrichen, die Tochter der Klägerin sei zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits 20 Monate alt gewesen. Eine Änderung der Wahl der Leistungsart sei nicht vorgenommen worden.

Mit ihrer gegen diesen Bescheid gerichteten Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung des pauschalen Kinderbetreuungsgeldes in der Variante 30 + 6 bestehen. Die Klägerin habe Kinderbetreuungsgeld vom bis beantragt und nicht eine bestimmte Leistungsart oder Variante. Vor diesem Hintergrund hätte die Beklagte über die Variante 30 + 6 entscheiden müssen. Die Beklagte wäre verpflichtet gewesen, der Klägerin die Verbesserung des Mangels der (in der Variante 12 + 2 denkunmöglichen) Antragstellung aufzutragen. Die Klägerin hätte dann ihren Antrag umgehend auf die Variante 30 + 6 geändert.

Die Beklagte wandte dagegen ein, dass die Voraussetzungen für die beantragte Variante 12 + 2 nicht erfüllt seien. Ein verbesserungsfähiger Mangel des Antrags habe nicht bestanden. Die Klägerin strebe in Wahrheit eine Änderung ihres Begehrens an, die aber gemäß § 26a KBGG nur innerhalb von 14 Tagen nach Antragstellung möglich gewesen wäre. Über die nunmehr von der Klägerin begehrte Variante 30 + 6 habe die Beklagte mangels Antrags nicht bescheidmäßig abgesprochen, sodass diese nicht Gegenstand eines sozialgerichtlichen Verfahrens sein könne.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit Urteil ab. Gemäß § 5c Abs 3 KBGG gebühre Kinderbetreuungsgeld in der Höhe von 33 EUR täglich bis zur Vollendung des 12. Lebensmonats des Kindes; nehme der zweite Elternteil Kinderbetreuungsgeld in Anspruch, verlängere sich dieser Zeitraum bis zur Vollendung des 14. Lebensmonats. Die Klägerin habe ihren Antrag aber erst nach Verstreichen dieser Zeiträume gestellt, sodass eine Zuerkennung nicht in Frage komme. § 26a KBGG gehe der Bestimmung des § 13 Abs 3 AVG vor, sodass die Beklagte keine Verbesserungspflicht getroffen habe. Nach Verstreichen der in § 26a KBGG genannten Frist sei keine Änderung des Antrags möglich gewesen. Auf einen allfälligen Irrtum der Klägerin komme es nicht an.

Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht hob aus Anlass der Berufung das Urteil des Erstgerichts samt dem vorangegangenen Verfahren als nichtig auf und wies die Klage zurück. Gemäß § 4 Abs 1 KBGG gebühre Kinderbetreuungsgeld auf Antrag. Die Wahl der Leistungsart sei gemäß § 26a KBGG bei der erstmaligen Antragstellung zu treffen. Eine spätere Änderung dieser Entscheidung sei nur einmal und nur innerhalb von 14 Tagen nach Antragstellung möglich. Die Klägerin habe formal eindeutig die Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld in der Variante 12 + 2 ab Antragsdatum beantragt. Dies sei von ihr auch so gewollt gewesen, weil sie nach ihrem eigenen Vorbringen irrtümlich davon ausgegangen sei, dass die Variante 12 + 2 ab Antragsdatum und nicht ab Geburtsdatum zustehe. Diesen Antrag habe sie auch aufrecht erhalten, nachdem sie von ihrem Bruder über die Wahl der falschen Variante aufgeklärt worden sei. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, die Klägerin zu einer Verbesserung des Antrags aufzufordern, die in Wahrheit eine Änderung des Begehrens darstelle, welche eine stattgebende Entscheidung erst ermöglichen solle. Die mit der Klage nunmehr geltend gemachte Variante 30 + 6 sei daher nicht Gegenstand des Verwaltungsverfahrens gewesen und könne gemäß § 67 Abs 1 ASGG nicht Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens sein. Die fehlende Rechtswegzulässigkeit sei auch noch im Berufungsverfahren von Amts wegen aufzugreifen und die Klage sei gemäß § 73 ASGG zurückzuweisen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der von der Beklagten beantwortete Rekurs der Klägerin, mit dem sie die Stattgebung des Klagebegehrens anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

Wenn das Berufungsgericht unter Nichtigerklärung des erstinstanzlichen Verfahrens und des Urteils die Klage zurückweist, ist sein Beschluss gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO stets, also unabhängig vom Streitwert und vom Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage, anfechtbar (E. Kodek in Rechberger, ZPO4§ 519 Rz 8; RISJustiz RS0043861; RS0043882 [T11]). Der Rekurs ist daher zulässig. Er ist jedoch nicht berechtigt.

Die Rekurswerberin führt zusammengefasst aus, dass die sukzessive Kompetenz des angerufenen Sozialgerichts gegeben sei, weil sie nicht einen Antrag auf eine bestimmte Variante des Kinderbetreuungsgeldes, sondern einen Antrag auf Kinderbetreuungsgeld an sich gestellt habe, über den die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid auch entschieden habe. Dieser Antrag könne nur als Antrag auf Zuerkennung der Variante 30 + 6 verstanden werden, weil ein Antrag auf Zuerkennung der Variante 12 + 2 von Anfang an unmöglich und undenkbar gewesen sei. Da die Klägerin eindeutig die Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld beantragt habe und nicht einen Antrag auf eine denkunmögliche Variante habe stellen wollen, wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, den wahren Willen der Klägerin zu erforschen und den Antrag als solchen auf Zuerkennung der Variante 30 + 6 zu behandeln. Denn nur in dieser Variante wäre zum Antragszeitpunkt noch ein Zuspruch von Kinderbetreuungsgeld im Sinn des eigentlichen Begehrens der Klägerin möglich gewesen.

Dem ist entgegenzuhalten:

1. Gemäß § 67 Abs 1 Z 1 ASGG darf unter anderem in einer Leistungssache nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG vom Versicherten eine Klage nur erhoben werden, wenn der Versicherungsträger darüber bereits mit Bescheid entschieden hat. „Darüber“ bedeutet, worauf das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat, dass der Bescheid über den der betreffenden Leistungssache zugrunde liegenden Anspruch ergangen sein muss. Der mögliche Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist durch den Antrag, den Bescheid und das Klagebegehren dreifach eingegrenzt (Neumayr in ZellKomm2§ 67 ASGG Rz 4 mwN; RISJustiz RS0124349). Der Streitgegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens muss demnach mit jenem des vorgeschalteten Verwaltungsverfahrens ident sein; ansonsten fehlt es für ein Begehren an einer „darüber“ ergangenen Entscheidung des Versicherungsträgers und eine Klage ist wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen (§ 73 ASGG). Ein davon betroffener Verfahrensteil ist als nichtig aufzuheben (RISJustiz RS0042080).

2.1 Es trifft nicht zu, dass ein Antrag auf Kinderbetreuungsgeld alle denkbaren bzw, wie die Klägerin im vorliegenden Fall argumentiert, alle noch eine Zuerkennung ermöglichenden Varianten umfasst. Bereits mit der KBGGNovelle BGBl I 2007/76, mit der die Kurzleistungen der damaligen §§ 5a und 5b KBGG geschaffen wurden, wurde auch die Bestimmung des § 26a KBGG eingeführt. Diese Bestimmung lautet in der im vorliegenden Fall anwendbaren Fassung BGBl I 2013/117 (§ 50 Abs 8 KBGG):

Wahl der Leistungsart

§ 26a Die Wahl der Leistungsart (§ 3 Abs 1, § 5a Abs 1, § 5b Abs 1, § 5c Abs 1 oder § 24a Abs 1) ist bei der erstmaligen Antragstellung zu treffen. Diese Entscheidung bindet neben dem antragstellenden Elternteil auch den anderen Elternteil. Eine spätere Änderung dieser getroffenen Entscheidung ist nicht möglich, es sei denn, der antragstellende Elternteil gibt dem zuständigen Krankenversicherungsträger die, einmal mögliche, Änderung binnen 14 Kalendertagen ab der erstmaligen Antragstellung bekannt.

2.2 Der Zweck der Bestimmung des § 26a KBGG liegt darin, ein Hin und Herwechseln zwischen verschiedenen Varianten des Kinderbetreuungsgeldbezugs je nach Günstigkeit für den Betroffenen, hintanzuhalten (10 ObS 38/10a, SSVNF 24/38; Sonntag in Sonntag/Schober/Konezny, KBGG² § 26a Rz 1). Es bestehen nach der Rechtsprechung keine verfassungsrechtlichen Bedenken daran, dass die bei erstmaliger Antragstellung getroffene Entscheidung über die KinderbetreuungsgeldVariante den Antragsteller grundsätzlich bindet (10 ObS 76/15x, SSVNF 29/46; RISJustiz RS0129681 [T1]). Den Leistungswerbern ist durchaus zuzumuten, sich im Vorfeld des Bezugs über die verschiedenen KinderbetreuungsgeldVarianten entsprechend zu informieren und in weiterer Folge die auch tatsächlich gewollte Leistungsart auf dem vorgesehenen Antragsformular (§ 26 Abs 1 KBGG) anzukreuzen (10 ObS 79/14m). Die KBGGNovelle BGBl I 2013/117 brachte zur Vermeidung von Härtefällen die Möglichkeit einer – einmaligen – Antragskorrektur binnen 14 Tagen ab der erstmaligen Antragstellung (10 ObS 76/15x, SSVNF 29/46; 10 ObS 114/16m).

2.3 Gegenstand des Verfahrens vor dem Krankenversicherungsträger ist daher gemäß § 4 iVm § 26a KBGG ein Antrag auf Gewährung von Kinderbetreuungsgeld in der von der Antragstellerin (letztlich) gewählten Variante.

3.1 Die Klägerin hat von der ihr gemäß § 26a Satz 3 KBGG eingeräumten Möglichkeit der Änderung der Wahl der Leistungsart keinen Gebrauch gemacht. Sie hat auch weder ihren Antrag zurückgezogen noch einen neuen Antrag bei der Beklagten eingebracht. Auf ihre im Rekurs angestellten Überlegungen, wie ihr Antrag im Verfahren vor der Beklagten zu verstehen gewesen wäre und welche Vorgangsweise die Beklagte bei der Behandlung ihres Antrags zu wählen gehabt hätte, muss im vorliegenden Fall nicht eingegangen werden:

3.2 Das dargestellte Erfordernis „darüber“ im Sinn des § 67 Abs 1 Z 1 ASGG bewirkt in Fällen, in denen die Klage zulässig ist, eine Eingrenzung des möglichen Streitgegenstands: Dieser kann grundsätzlich nur Ansprüche umfassen, über die der Sozialversicherungsträger bescheidmäßig abgesprochen hat. Die Klage darf daher im Vergleich zum vorangegangenen Antrag weder die rechtserzeugenden Tatsachen auswechseln noch auf Leistungen (Feststellungen, Gestaltungen) gerichtet sein, über die der Versicherungsträger im bekämpften Bescheid gar nicht erkannt hat (10 ObS 253/01f, SSVNF 15/128 mwH; Fink, Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen, 277 mwH; RISJustiz RS0107802).

3.3 Daraus ergibt sich, dass jedenfalls ein „Austausch“ der Art der begehrten Leistungen oder des Versicherungsfalls im gerichtlichen Verfahren nicht zulässig ist; für solche Begehren fehlt es an einer „darüber“ ergangenen Entscheidung des Versicherungsträgers. Diesfalls ist auch eine Klageänderung im Sinn des § 86 ASGG oder des § 235 ZPO nicht zulässig (10 ObS 165/10b, SSVNF 25/37 = EvBl 2011/134, 922 [Graf-Schimek] mwH; 10 ObS 253/01f).

4.1 Die Beklagte hat im angefochtenen Bescheid über die Gewährung von Kinderbetreuungsgeld in der auf dem Antragsformular von der Klägerin angegebenen Variante „12 + 2 pauschal“ in Höhe von 33 EUR täglich entschieden. Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens kann gemäß § 67 Abs 1 Z 1 ASGG daher nur ein Anspruch der Klägerin auf Zuerkennung eines Kinderbetreuungsgeldes in dieser Pauschalvariante des § 5c KBGG (idF BGBl I 2009/116) sein. Für das von der Klägerin erhobene Begehren auf Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld in der Pauschalvariante 30 + 6 (§ 5 KBGG idF BGBl I 2009/116) ist der Rechtsweg nicht zulässig.

Dem Rekurs war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage (RISJustiz RS0085829 [T1]).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00053.17T.0718.000
Schlagworte:
1 Generalabonnement,12 Sozialrechtssachen,14 (Zivil-)Verfahrensrechtliche Entscheidungen

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