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OGH vom 27.03.2002, 9ObA271/01w

OGH vom 27.03.2002, 9ObA271/01w

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dipl. Tzt. Ulrike Zimmerl und Franz Gansch als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Christoph P*****, Kraftfahrer, ***** vertreten durch Mag. Priska Seeber, Rechtsanwältin in Axams, gegen die beklagte Partei I***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Aufhebung der einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses (Streitwert EUR 3.633,64), in eventu EUR 12.441,62 brutto sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 13 Ra 31/01h-21, womit das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 44 Cga 158/00x-14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 749,68 (darin enthalten EUR 124,95 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Berufungsgericht hat die vom Kläger begehrte Aufhebung der einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses und den Zuspruch einer in eventu begehrten Kündigungsentschädigung zu Recht verneint (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Ergänzend ist den Ausführungen des Revisionswerbers Folgendes entgegenzuhalten:

Rechtliche Beurteilung

Zutreffend wies das Berufungsgericht darauf hin, dass sich im Arbeitsvertrag des Klägers vom kein Hinweis findet, dass die Parteien im Sinne einer "Versteinerung" die Dienst- und Besoldungsordnung für die Angestellten österreichischer Privatbahnunternehmungen (DBO) in der Fassung aus dem Jahr 1993 vereinbart hätten. Es kommt daher die im Zeitpunkt der einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses vom geltende Fassung dieser DBO zur Anwendung (§ 13 ArbVG;ZAS 1977/33 [Tomandl]), die den Ausspruch der Entlassung nicht von der vorherigen Durchführung eines Disziplinarverfahrens abhängig macht. Die Auffassung des Revisionswerbers, Voraussetzung für die Wirksamkeit der mit der Beklagten geschlossenen einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei die Berechtigung der vorhergehenden, durch die einvernehmliche Auflösung ersetzten Entlassung, ist unzutreffend (vgl ecolex 1999/22). Eine Entlassung kann - sobald sie dem anderen Teil zugegangen und damit wirksam geworden ist - nur sofort oder mit Zustimmung des Erklärungsempfängers einseitig zurückgenommen werden (Kuderna, Entlassungsrecht² 32 mwN). Hätte es die Beklagte bei der bereits ausgesprochenen Entlassung des Klägers belassen, wäre das Arbeitsverhältnis des Klägers dadurch, ungeachtet des Umstandes, ob die Entlassung berechtigt oder unberechtigt erfolgte, endgültig beendet gewesen. Die Geltendmachung seiner entlassungsabhängigen Ansprüche wäre dem Risiko eines gerichtlichen Verfahrens über die Berechtigung der Entlassung vorbehalten geblieben. Eine einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses wäre dem gegenüber nicht vom Makel der das berufliche Fortkommen beeinträchtigenden Entlassung behaftet gewesen. Aber auch die Beklagte trug das Risiko, in einem vom Kläger allenfalls angestrengten Verfahren zu unterliegen. Soweit sich daher die Parteien dahin einigten, die bereits ausgesprochene Entlassung in eine einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses umzuwandeln, wurde dem Kläger eine "gesichtswahrende" Auflösungsart eingeräumt. Es lag im beiderseitigen Interesse, strittige oder zweifelhafte Tatumstände durch beiderseitiges Nachgeben mit streitbereinigender Wirkung einvernehmlich neu festzulegen (§ 1380 ABGB). Eine solche aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses getroffene abschließende Regelung ist als Vergleich anzusehen, da die Vereinbarung auch zumindest noch ungewisse Rechte umfasste (RIS-Justiz RS0028337). Zur Prüfung der Wirksamkeit des Vergleichs im Sinne des Günstigkeitsprinzips kommt es nicht darauf an, die vertragliche Regelung mit der gesetzlichen zu vergleichen. Es geht vielmehr darum, ob die Einbuße bestimmter Rechtsstellungen durch Vorteile an anderer Stelle, vor allem auch durch die Klärung einer bisher ungeklärten Sach- und Rechtslage wiederum aufgewogen wird (SZ 64/5; WBl 1991, 293; RdW 1997, 420; ARD 5080/26/99 ua).

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die von der Berechtigung der Entlassung überzeugte Beklagte bei der einvernehmlichen Auflösung vom einen Informationsmangel des Klägers ausgenützt hätte, so dass Anfechtungsgründe im Sinne des § 1385 ABGB nicht vorliegen, da - soweit hier relevant - nur ein arglistig hervorgerufener Irrtum über einen Vergleichspunkt zur Anfechtung berechtigt (vgl Ertl in Rummel, ABGB² § 1385 Rz 2 mwN). Zur Anfechtung des Vertrages wegen Irrtums sei angemerkt, dass die Einschätzung der Berechtigung der Entlassung durch den Kläger dessen Motiv für den Vertragsabschluss betrifft. Ein allfälliger Motivirrtum des Klägers ist aber unbeachtlich, weil die Parteien das Motiv nicht iS § 901 ABGB zur Bedingung des Geschäftes gemacht haben und die Beklagte den (allfälligen) Irrtum des Klägers nicht arglistig herbeigeführt hat (ecolex 1999/22). Geht man vom Zweck und Inhalt der einvernehmlichen Auflösung aus, dann ist die Frage, ob die Entlassung gerechtfertigt war oder nicht, jedenfalls auch dann als von der Bereinigungswirkung erfasster Punkt anzusehen, wenn, wie im vorliegenden Fall, eine der Parteien von der Berechtigung der Entlassung überzeugt war (WBl 1991, 293); dies insbesondere, wenn man ins Kalkül zieht, dass die Beklagte bei Ausspruch der Entlassung davon ausgehen konnte, dass der Kläger als Buslenker eine Passagierin, die durch das ruckartige Anfahren im Bus zu Sturz gekommen war und sich am Ellbogen verletzt hatte, in Gegenwart weiterer Passagiere lautstark als "depperte Jugotrutschn" und "Sau" beschimpft hatte. Die Annahme der Beklagten, dass der Kläger damit seine Dienstpflichten im höflichen Umgang mit Kunden besonders schwer verletzt hatte, wodurch er das Vertrauen einbüßte, liegt auf der Hand.

Die vorstehenden Umstände waren der Beklagten zunächst jedoch nicht mit der nötigen Verlässlichkeit bekannt, weil der Kläger vorerst alles abstritt und eine Entschuldigung gegenüber der Kundin kategorisch ablehnte. Nach ständiger Rechtsprechung kann die Entlassung eines Arbeitnehmers nicht auf bloße Verdachtsmomente gestützt werden (RIS-Justiz RS0028842, RS0029297, RS0029309, RS0029345). Der Arbeitgeber hat vielmehr vor dem Ausspruch der Entlassung zu prüfen, ob sich der Arbeitnehmer tatsächlich eines pflichtwidrigen Verhaltens schuldig gemacht hat und zumindest zu versuchen - unter Beiziehung des Arbeitnehmers - den relevanten Sachverhalt aufzuklären. Das Risiko der Entlassung trägt immer der Arbeitgeber, der im Streitfall nachzuweisen hat, dass ein gesetzlich zulässiger Entlassungsgrund vorlag (Arb 11.888 mwN). Dass die Klärung des Vorfalls insbesondere durch die Befragung einiger Zeugen einige Tage in Anspruch nahm, bot dem Kläger keinen Grund zur Annahme, die Beklagte würde aus diesem Vorfall keine Konsequenzen ziehen. Letztlich wurde aber auch der Aspekt der vom Revisionswerber bezweifelten Rechtzeitigkeit der Entlassung ebenfalls mit der einvernehmlichen Auflösung verglichen.

Zur Frage, ob die einvernehmliche Auflösung nach vorheriger Entlassung durch "ungerechte und gegründete Furcht" bewirkt wurde, ist zu erwägen, dass die Drohung mit einem Übel, durch dessen an sich erlaubte Zufügung der Drohende seine Interessen wahrt, keine ungerechte ist. Eine Widerrechtlichkeit der Drohung wäre nur dann gegeben, wenn durch die Zufügung eines an sich erlaubten Mittels nicht die eigenen Interessen gewahrt werden, sondern in Wahrheit nur der andere Teil in seinen Interessen verletzt werden soll. Es kommt daher entscheidend darauf an, ob im Zeitpunkt ihrer Androhung aus der Sicht des Arbeitgebers plausible und objektiv ausreichende Gründe für den Ausspruch einer Entlassung gegeben waren. Lagen Anhaltspunkte von einigem Gewicht dafür vor, kann dem Arbeitgeber nicht das Recht abgesprochen werden, auf diese sich möglicherweise ergebenden Konsequenzen hinzuweisen (Arb 11.888; ecolex 1999/22 ua). Berücksichtigt man ferner, dass dem Kläger eine Bedenkzeit von letztlich zwei Stunden gewährt wurde, innerhalb der er sich mit dem Betriebsratsobmann und seiner Ehegattin beraten konnte, lag in der mit dem Anbot auf einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses verbundenen Ankündigung, dass nur bei deren Annahme die bereits ausgesprochene Entlassung wieder aufgehoben werde, keine rechtswidrige Drohung iSd § 870 ABGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO (vgl zur Berücksichtigung des Streitwertes des Eventualbegehrens 14 Ob 96/86).