OGH vom 07.02.2008, 9ObA76/07b

OGH vom 07.02.2008, 9ObA76/07b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Peter Schleinbach als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Melanie O*****, Lehrling, *****, vertreten durch Held Berdnik Astner & Partner, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Johann H*****, Inhaber eines Restaurant- und Hotelbetriebs, *****, vertreten durch Dr. Michael Axmann, Rechtsanwalt in Graz, wegen 405,02 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Ra 109/06w-11, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 32 Cga 129/06y-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil, das in seinem bestätigenden Teil (Abweisung eines Zinsenmehrbegehrens) als unangefochten von dieser Entscheidung unberührt bleibt, wird im Übrigen dahin abgeändert, dass das Ersturteil zur Gänze wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 291,64 EUR bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 48,60 EUR Umsatzsteuer) und die mit 199,87 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 33,31 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe :

Die §§ 1 Abs 1 und 1a sowie 14 des Bundesgesetzes über die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen (KJBG) haben folgenden Wortlaut:

„§ 1. (1) Dieses Bundesgesetz gilt für die Beschäftigung von

1. Kindern mit Arbeiten jeder Art und

2. Jugendlichen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, die in einem Dienstverhältnis, einem Lehr- oder sonstigen Ausbildungsverhältnis stehen.

(1a) Abweichend von Abs. 1 Z 2 gelten für Lehrlinge, die das 18. Lebensjahr vollendet haben,

1. § 14 Abs. 2 mit der Maßgabe, daß für die Berechnung des Grundlohnes und des Überstundenzuschlages der niedrigste im Betrieb vereinbarte Facharbeiterlohn bzw. Angestelltengehalt heranzuziehen ist;

2. § 11 Abs. 4, 5, 6 Z 1 und 3, Abs. 7 und 8, § 21 und § 25 Abs. 1 und 2 sinngemäß."

„§ 14. (1) Als Überstunde gilt jede Arbeitsleistung, die über die nach § 11 Abs. 1 und 3 festgelegte Wochenarbeitszeit hinausgeht.

(2) Für Überstunden gebührt den Jugendlichen ein Zuschlag. Er beträgt 50 vH des auf die Zeit der Überstundenleistung entfallenden Normallohnes (Lehrlingsentschädigung)."

Die am geborene Klägerin war vom bis zur einvernehmlichen Auflösung des Lehrverhältnisses am beim Beklagten als Lehrling beschäftigt. Die Klägerin leistete während des Lehrverhältnisses 77,08 Überstunden. Zu deren Abgeltung erhielt sie vom Beklagten den iSd § 14 Abs 2 KJBG unter Zugrundelegung der Lehrlingsentschädigung errechneten Betrag von 312,11 EUR.

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage weitere 405 EUR an Entgelt für die von ihr geleisteten Überstunden. § 1 Abs 1a Z 1 KJBG stelle Lehrlinge, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, unabhängig vom Ausbildungsgrad schlechter als ältere Lehrlinge und widerspreche daher dem § 17 Abs 1 Z 2 GlBG, nach dem im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis niemand aufgrund seines Alters bei der Festsetzung des Entgelts mittelbar oder unmittelbar diskriminiert werden dürfe. Gemäß § 26 Abs 1 GlBG habe die Klägerin daher Anspruch auf Zahlung der Differenz zu jenem Betrag, der sich bei Berechnung des Überstundenentgelts auf der Grundlage des niedrigsten im Betrieb gewährten Facharbeiterlohns ergibt.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Die Klägerin habe die ihr nach dem Gesetz zustehende Entlohnung erhalten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und verwies ebenfalls auf die zitierten gesetzlichen Bestimmungen. Eine Befassung des Verfassungsgerichtshofs wegen der geltend gemachten Gleichheitswidrigkeit sei erst einem Gericht höherer Instanz möglich.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil - von der Abweisung des 4 % übersteigenden Zinsenbegehrens der Klägerin abgesehen - im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Der mit BGBl I 1997/79 in das KJBG eingefügte § 1 Abs 1a mache als Ausnahme vom eigentlichen Schutzalter die Regelungen über das Akkordverbot, über die Berechnung des Überstundenzuschlags und über die Anrechnung der Unterrichtszeit in der Berufsschule auf die Arbeitszeit auch für ältere Lehrlinge anwendbar. Eine nachvollziehbare Begründung, warum dabei für Lehrlinge über und unter 18 Jahren unabhängig vom Ausbildungsstand ein unterschiedlicher Grundlohn für die Berechnung des Überstundenentgelts heranzuziehen sei, könne den Gesetzesmaterialien nicht entnommen werden. Die Anwendung der Reglung führe jedenfalls dazu, dass Lehrlinge, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, unabhängig von Ausbildungsstand und Lehrzeit für die geleistete Überstunde weniger Entgelt erhalten als ein älterer Lehrling.

Diese Ungleichbehandlung verstoße gegen das Verbot einer Diskriminierung aufgrund des Alters, das als ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts anzusehen sei, unmittelbare Wirkung für die einzelnen Bürger entfalte und daher auch im Falle eines Verstoßes Rechte gegen den Arbeitgeber begründe. Der Grundsatz der Entgeltgleichheit sei daher auch im Arbeitsrecht der Privatwirtschaft bindend; entgegenstehende innerstaatliche oder vertragliche Regelungen seien unangewendet zu lassen. Der österreichische Gesetzgeber habe diesen Grundsatz und die dazu ergangene Gleichbehandlungs-Rahmenrichtlinie 2000/78/EG im GlBG umgesetzt. Die zitierte Richtlinie normiere zwar verschiedene Ausnahmen, bei deren Vorliegen eine Ungleichbehandlung wegen des Alters zulässig sei. Keine davon komme aber hier in Betracht.

Nach der Entscheidung des - Mangold/Helm, habe das nationale Gericht, bei dem ein Rechtsstreit über das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters anhängig sei, im Rahmen seiner Zuständigkeiten den rechtlichen Schutz, der sich für den Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht ergibt, zu gewährleisten und die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu garantieren, indem es jede möglicherweise entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet lässt. Daher sei die diskriminierende Bestimmung des KJBG unangewendet zu lassen und iSd § 26 Abs 2 GlBG der Klägerin jener Betrag zuzusprechen, der sich aus der diskriminierungsfreien Berechnung ihres Überstundenentgelts ergibt.

Die Revision sei zuzulassen, weil zur hier zu beurteilenden Rechtsfrage Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten mit dem Antrag, es im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig. Sie ist auch berechtigt.

Im bisherigen Verfahren blieb unbeachtet, dass das KJBG im Zusammenhang mit Mehrarbeits- bzw Überstundenleistung nicht nur hinsichtlich der Entlohnung von Überstunden zwischen Jungendlichen vor und nach der Vollendung des 18. Lebensjahrs unterscheidet:

Aus der oben wiedergegebenen Bestimmung des § 1 Abs 1 KJBG ergibt sich, dass das KJBG grundsätzlich für die Beschäftigung von Kindern und von Jugendlichen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gilt; für Lehrlinge, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, gelten gemäß § 1 Abs 1a lediglich die in dessen Z 1 und 2 angeführten Bestimmungen: Aus der Z 1 ergibt sich die unterschiedliche Regelung betreffend die Honorierung von Überstunden, zumal dort die Entlohnungsregel des § 14 Abs 2 mit der Maßgabe als anwendbar erklärt wird, dass für die Berechnung des Grundlohns und des Überstundenzuschlags der niedrigste im Betrieb vereinbarte Facharbeiterlohn bzw Angestelltengehalt heranzuziehen ist. Aus der Z 2 ergibt sich, dass für Lehrlinge, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, von den in den §§ 10 bis 14 KJBG normierten arbeitszeitrechtlichen Schutzvorschriften nur Teile des § 11 KJBG als anwendbar erklärt werden, nicht aber die in § 12 KJBG normierten Beschränkungen für die Zulässigkeit von Mehrarbeits- bzw Überstundenleistungen.

Die Abs 2 und 3 des § 12 KJBG haben folgenden Wortlaut:

„2) Wenn zwingende betriebliche Gründe es erfordern, darf zwecks Durchführung von Vor- und Abschlußarbeiten die nach § 11 zulässige Dauer der Arbeitszeit für Jugendliche über 16 Jahre um eine halbe Stunde täglich in folgenden Fällen ausgedehnt werden:

1. bei Arbeiten zur Reinigung und Instandhaltung, soweit sich diese Arbeiten während des regelmäßigen Betriebes nicht ohne Unterbrechung oder erhebliche Störung ausführen lassen;

2. bei Arbeiten, von denen die Wiederaufnahme oder Aufrechterhaltung des vollen Betriebes arbeitstechnisch abhängt;

3. bei Arbeiten zur abschließenden Kundenbedienung einschließlich der damit zusammenhängenden notwendigen Aufräumungsarbeiten.

(3) Die Dauer der Mehrarbeitsleistungen nach Abs. 2 darf insgesamt drei Stunden in der Woche nicht überschreiten. Die sich aus Abs. 2 und § 11 ergebende tägliche Arbeitszeit darf keinesfalls neuneinhalb Stunden überschreiten."

Durch diese Bestimmung wird die Zulässigkeit der Leistung von Mehrarbeits- bzw Überstunden - nach § 14 Abs 1 KJBG gilt jede Arbeitsleistung, die über die nach § 11 Abs 1 und 3 festgelegte Wochenarbeitszeit hinausgeht, als Überstunde - in mehrfacher Hinsicht beschränkt: Überschreitungen der in § 11 KJBG normierten Arbeitszeit werden an zwingende betriebliche Gründe gebunden, sind in zeitlicher Hinsicht limitiert und nur für den stark eingeschränkten Bereich der in den Z 1 bis 3 angeführten Arbeiten zulässig. All dies bedeutet aus der Sicht des Arbeitgebers eine sehr starke Beschränkung der Einsatzmöglichkeit des jugendlichen Lehrlings für Mehrarbeits- bzw Überstunden. Diese Beschränkung gilt aber nach § 1 Abs 1a KJBG nicht für Lehrlinge, die das 18. Lebensjahr bereits vollendet haben; für sie gelten insofern die allgemeinen arbeitszeitrechtlichen Regelungen (so auch die RV zur KJBG-Novelle BGBl I 1997/79 697 BlgNR 20. GP 5).

Hinsichtlich der Einsetzbarkeit von Lehrlingen für Überstunden bestehen daher zwischen Lehrlingen vor und nach Vollendung des 18. Lebensjahres ganz entscheidende (inhaltliche und zeitliche) Unterschiede. Dass auch Lehrlinge, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, nur für Tätigkeiten herangezogen werden dürfen, die mit dem Wesen der Ausbildung vereinbar sind (§ 9 Abs 2 BAG), ändert daran nichts: Auch im Rahmen der Ausbildung sind mannigfaltige Einsatzmöglichkeiten denkbar, die weit über den engen Kreis der (noch dazu nur in einem sehr engen zeitlichen Rahmen zulässigen) Arbeiten hinausgehen, für die jugendliche Lehrlinge gemäß § 12 Abs 2 über die nach § 11 KJBG zulässige Arbeitszeit hinaus eingesetzt werden können.

In Wahrheit liegt daher die von der Klägerin behauptete Ungleichbehandlung völlig vergleichbarer Sachverhalte überhaupt nicht vor: Hinsichtlich der Zulässigkeit von Überstunden handelt es sich bei den jugendlichen Lehrlingen und bei den Lehrlingen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, um völlig unterschiedliche Gruppen, denen es in jeder Beziehung - und demgemäß auch hinsichtlich der Entlohnung der Überstundenleistung - an der Vergleichbarkeit mangelt. Es trifft daher nicht zu, dass im aufgezeigten Zusammenhang jugendliche Lehrlinge und Lehrlinge, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, „nur wegen des Alters" ungleich behandelt werden. Tieferer Grund für die unterschiedlichen Entlohnungsregeln ist vielmehr die völlig unterschiedliche Einsetzbarkeit der beiden Gruppen für Überstundenleistungen. Diese unterschiedliche Einsetzbarkeit ist wiederum objektiv und angemessen und durch legitime bildungspolitische Ziele und im Sinn des notwendigen Schutzes von Jugendlichen gerechtfertigt (§ 20 Abs 3 und 4 Z 1 GlBG bzw Art 6 der Gleichbehandlungs-Rahmenrichtlinie). Von einer unzulässigen Diskriminierung wegen des Alters kann daher nicht die Rede sein.

Die Klageforderung erweist sich daher als nicht berechtigt.

Erstmals in der Revisionsbeantwortung stützt die Klägerin ihr Begehren auf die Behauptung, dass die Anordnung von Überstunden durch die Beklagte gesetzwidrig gewesen sei, sodass der Klägerin für die erbrachten und nicht mehr rückstellbaren Arbeitsleistungen aus dem Titel der Bereicherung eine angemessene Entlohnung im Sinne der normalen gesetzlich vorgesehenen Überstundenentlohnung gebühre. Dieses Vorbringen muss schon aufgrund des Neuerungsverbots erfolglos bleiben. Zudem lässt es völlig außer Acht, dass - wie oben gezeigt - das KJBG Mehrarbeits- bzw Überstundenleistungen auch des jugendlichen Lehrlings nicht völlig ausschließt und im Verfahren nicht einmal behauptet wurde, dass die von der Klägerin geltend gemachten Arbeitsstunden nicht im Rahmen der durch § 12 KJBG gezogenen Grenzen geleistet worden seien oder dass es sich um berufsfremde Arbeiten gehandelt habe, die durch den Ausbildungszweck überhaupt nicht gerechtfertigt waren.

In Stattgebung der Revision war daher das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.