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OGH vom 26.05.2020, 10ObS52/20z

OGH vom 26.05.2020, 10ObS52/20z

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Josef Putz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch Mag. Claus Marchl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Rs 88/19f-27, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Anspruch der Klägerin auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld für ihre am geborene Tochter A***** für den Zeitraum von bis einschließlich .

Die Klägerin war seit durchgehend unselbständig erwerbstätig. Ab befand sie sich im vorzeitigen Mutterschutz. Mit Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom wurde über das Vermögen ihres Arbeitgebers das Konkursverfahren eröffnet und eine Rechtsanwältin zur Masseverwalterin bestellt (Blg./F). Diese kündigte mit Schreiben vom das Dienstverhältnis der Klägerin unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist gemäß § 25 IO zum auf. Das Beschäftigungsverbot nach dem Mutterschutzgesetz endete für die Klägerin mit . Die Masseverwalterin stellte sie (für den Zeitraum nach Ende der Schutzfrist) dienstfrei.

Über Antrag der Klägerin teilte ihr die beklagte Partei mit Schreiben vom mit, dass ihr Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens von bis gewährt werde.

Mit Bescheid vom widerrief die beklagte Partei die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes, weil nachträglich bekannt geworden sei, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin von der Masseverwalterin gekündigt worden sei. Weil deshalb keine aufrechte Erwerbstätigkeit iSd § 24 Abs 2 KBGG mehr vorliege, sei die Anspruchsvoraussetzung einer durchgehenden Beschäftigung oder einer Zeit der vorübergehenden Unterbrechung dieser Erwerbstätigkeit während eines Beschäftigungsverbots nach dem Mutterschutzgesetz nicht erfüllt.

Das verpflichtete die beklagte Partei, der Klägerin Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens für die Zeit von bis einschließlich „unter Anrechnung bereits geleisteter Kindergeldzahlungen“ zu gewähren.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge und ließ die Revision nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1. § 24 Abs 1 Z 2 KBGG (in der gemäß § 50 Abs 14 KBGG für Geburten nach dem anzuwendenden Fassung BGBl I 2016/53) verlangt unter anderem, dass der beziehende Elternteil in den letzten sechs Kalendermonaten unmittelbar vor der Geburt des Kindes, für das Kinderbetreuungsgeld bezogen werden soll, durchgehend erwerbstätig gemäß § 24 Abs 2 KBGG war.

2.1 Nach § 24 Abs 2 KBGG (in der Fassung der Novelle BGBl I 2016/53) ist unter Erwerbstätigkeit im Sinne des KBGG „die tatsächliche Ausübung einer in Österreich sozialversicherungspflichtigen (kranken- und pensions-versicherungspflichtigen) Erwerbstätigkeit“ zu verstehen. Der Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit gleichgestellt sind „Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung dieser zuvor mindestens 182 Kalendertage andauernden Erwerbstätigkeit während eines Beschäftigungsverbotes nach dem Mutterschutzgesetz … oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften“.

2.2 Zeiten eines Beschäftigungsverbots nach dem Mutterschutzgesetz sind den Zeiten der tatsächlichen Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit somit dann gleichgestellt, wenn „zuvor“ eine mindestens 182 Kalendertage andauernde Erwerbstätigkeit ausgeübt wurde (RS0129362). Im Falle eines Beschäftigungsverbots beginnt der Beobachtungszeitraum des § 24 Abs 2 KBGG 182 Kalendertage vor Beginn des Beschäftigungsverbots (10 ObS 5/14d SSV-NF 28/8).

3. Eine Gleichstellung erfolgt aber nur, wenn das Arbeitsverhältnis während des Beschäftigungsverbots aufrecht bleibt, denn nur dann kann eine sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit „vorübergehend unterbrochen“ werden (10 ObS 170/11i SSV-NF 26/16; RS0127745; Burger/Ehrenhofer, KBGG und FamZeitbG3§ 24 KBGG Rz 7). Beginnt etwa ein individuelles Beschäftigungsverbot der Schwangeren noch zur Zeit eines aufrechten Dienstverhältnisses, endet dieses aber aufgrund einer Vereinbarung bereits vor der Geburt, kann mangels einer bloß vorübergehenden Unterbrechung der Erwerbstätigkeit nicht von einer durchgehenden Erwerbstätigkeit die Rede sein (RS0127745).

4.1 Im vorliegenden Fall ist nicht strittig, dass die Klägerin vor Antritt ihres vorzeitigen Mutterschutzes zumindest 182 Kalendertage lang einer pflichtversicherten Erwerbstätigkeit nachging.

4.2 Diese Erwerbstätigkeit war auch noch zum Zeitpunkt der Geburt der Tochter der Klägerin aufrecht:

4.2.1 Von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers wurde das Arbeitsverhältnis der Klägerin in seinem Bestand nicht berührt, sondern blieb mit allen Rechten und Pflichten unverändert aufrecht (9 ObS 11/90; Reissner in ZellKomm3 [2018] § 3 IO Rz 2 mwN; M. Mader, Beendigung des Arbeitsverhältnisses infolge Insolvenz des Arbeitgebers – Auswirkungen auf das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld, DRdA-infas 2020, 116 [117]). Der Insolvenzverwalter übt die Rechte des Arbeitgebers aus (§ 25 Abs 1 Satz 1 IO).

4.2.2 Auch nach der am erfolgten Kündigung durch die Masseverwalterin endete das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht sofort, sondern bestand bis zum Ablauf der Kündigungsfrist mit weiter.

4.2.3 Da Arbeitnehmerinnen bis zum Ablauf von acht Wochen nach ihrer Entbindung nicht beschäftigt werden dürfen (§ 5 Abs 1 MSchG), kann sich die von der Masseverwalterin mit Schreiben vom ausgesprochene Dienstfreistellung der Klägerin nur auf den Zeitraum nach dem Beschäftigungsverbot, das mit endete, beziehen. Der Dienstfreistellung kommt für die Frage, ob die sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit zum Zeitpunkt der Geburt der Tochter der Klägerin () fortbestand, keine Bedeutung zu.

5. Zutreffend sind die Vorinstanzen daher zur rechtlichen Beurteilung gelangt, der Anspruch auf das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld sei zu bejahen, weil zum Zeitpunkt der Geburt der Tochter der Klägerin nach wie vor eine sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit bestand.

6. Mit ihrem Vorbringen, die Zeiten des Beschäftigungsverbots nach dem Mutterschutzgesetz seien ab einer Beschäftigung deshalb nicht gleichzustellen, weil nur ein durch eine insolvenzrechtliche Fiktion aufrechtes Beschäftigungsverhältnis bestanden habe, zeigt die Revisionswerberin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

7. Der Entscheidung 10 ObS 32/19g (RS0128183 [T3]) lag – anders als hier – eine Beendigung eines Arbeitsverhältnisses infolge gerechtfertigten Austritts nach § 25 IO zugrunde, weshalb nicht im gesamten sechsmonatigen Beobachtungszeitraum eine tatsächlich ausgeübte Erwerbstätigkeit gegeben war. In dem Zeitraum, in dem Kündigungsentschädigung bezogen wurde, bestand kein aufrechtes Arbeitsverhältnis.

8. Wegen Fehlens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:010OBS00052.20Z.0526.000

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