VfGH vom 13.12.1988, B756/88
Sammlungsnummer
11935
Leitsatz
Art144 Abs 1 zweiter Satz B-VG; ohne Anwendung oder Androhung von Gewalt durchgeführtes Fotografieren und Identitätsfeststellung der Bf.; Aufbewahren dieser Daten bloße Untätigkeit der Behörde - keine Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt; Unzuständigkeit des VfGH
Art13 MRK; keine Erweiterung der Zuständigkeit des VfGH; innerstaatlicher Rechtsschutz iS des Art 13 MRK kann nicht bloß durch die Möglichkeit, den VfGH anzurufen,gewährt werden
Art12 StGG; Art 11 MRK; Art 144 Abs 1 zweiter Satz B-VG; Befehl zum Verlassen des "Versammlungsortes" - vor dem VfGH bekämpfbarer Verwaltungsakt; in Form eines "Sitzstreikes" durchgeführte Information über die Probleme von Obdachlosen - Veranstaltung im Hinblick auf geplante Dauer, Zweck und tatsächlichem Verlauf keine Versammlung
Spruch
1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen, soweit sie sich dagegen richtet, daß Organe der Bundespolizeidirektion Wien die Bf. am 17. und 19. Feber 1988 fotografierten, ihre Identität feststellten und ihre persönlichen Daten aufnahmen, und daß dieses Informationsmaterial in der Folge bei der Behörde aufbewahrt wird.
2. Die Bf. sind dadurch, daß sie am 19. Feber 1988 um etwa 0,30 Uhr von Organen der Bundespolizeidirektion Wien verhalten wurden, die Kärntnertorpassage in Wien zu verlassen, weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Insofern wird die Beschwerde abgewiesen.
3. Die Bf. sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Bund zu Handen der Finanzprokuratur die mit 10.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die vorliegende, auf Art 144 (Abs1 zweiter Satz) B-VG gestützte Beschwerde wendet sich gegen bestimmte, von Organen der Bundespolizeidirektion (BPD) Wien gegen die Bf. am 17. und 19. Feber 1988 gesetzte Maßnahmen, die die Bf. als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt qualifizieren.
Im einzelnen erachten sich die Bf. "dadurch, daß sie im Zuge der Teilnahme an einer Versammlung in der Opernpassage (Kärntnertorpassage) in Wien am 17. und 19. Feber 1988 durch Beamte der BPD Wien fotografiert wurden, ihre Identität zwangsweise festgestellt sowie ihre persönliche Daten aufgenommen wurden und dieses Informationsmaterial aufbewahrt wird, sowie dadurch, daß am 19. Feber 1988 an diesem Ort eine ordnungsgemäß angezeigte Versammlung aufgelöst wurde und sie zum Verlassen des Versammlungsortes gezwungen wurden, in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Achtung des Privatlebens gemäß Art 8 MRK und auf Versammlungsfreiheit gemäß Art 11 MRK und Art 12 StGG verletzt."
Es wird beantragt, diese Rechtsverletzungen kostenpflichtig festzustellen.
2. Die BPD Wien als bel. Beh., vertreten durch die Finanzprokuratur, legte die maßgebenden Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der begehrt wird, die Beschwerden zurück- bzw. abzuweisen.
II. 1. Aufgrund des Vorbringens beider Parteien dieses verfassungsgerichtlichen Verfahrens und der vorgelegten Verwaltungsakten steht folgender Sachverhalt fest:
Am 10. Feber 1988 zeigte ein "Arbeitskreis am Institut für Psychologie der Uni Wien - Arbeitskreis Strafvollzug" ("Kontaktperson": L F, d.i. der Zweitbeschwerdeführer) bei der BPD Wien fernschriftlich die beabsichtigte Durchführung einer Kundgebung ("Sitzstreik") für die Zeit vom 11. Feber 1988, 11,00 Uhr, bis 24. Feber 1988, 11,00 Uhr in Wien "Passage Karlsplatz-Oper" (Kärntnertorpassage) an. Zum "Zweck und Inhalt" der Veranstaltung wird in der Anzeige ausgeführt:
"Durch die Kundgebung und den Sitzstreik wird darauf aufmerksam gemacht, daß es in Wien, zum Gegensatz einer Aussage des Wiener Bürgermeisters, Helmut Zilk, doch Obdachlose gibt.
Weiters sollen die Betroffenen auf ihre Situation selbst reagieren können und in diesem Zusammenhang muss auch auf die Wohnungspolitik (leere Gemeindewohnungen) aufmerksam gemacht werden. Weiters auf die überbelegten Obdachlosenheime und auf die unmenschlichen Bedingungen in diesen.
Verwendet wird: 3 Info-Tische, 2 Fotowände, Lautsprecher
Teilnehmer: 50-....
Abschluß dieser Veranstaltung wird dann am 24. Feber eine Obdachlosen-demo sein. Genaue Route wird noch bekanntgegeben werden. Karlsplatz-Rathaus.
Um 13,00 wird dann im Rathaus ein Gespräch mit Frau Vizebürgermeisterin, Ingrid (Inge) Smejkal sein. Dieser Termin ist bereits zwischen Frau Vizebürgermeisterin und mir (L F) vereinbart.
Arbeitskreis Strafvollzug
L F."
Ein Beamter der BPD Wien teilte dem Zweitbeschwerdeführer F am 10. Feber 1988 gegen 16,00 Uhr telefonisch u.a. mit, daß es sich bei dem von ihm bekanntgegebenen "Sitzstreik" um keine Versammlung iS des Versammlungsgesetzes 1953 (VersG) handle und diese Veranstaltung daher in den Zuständigkeitsbereich des Magistrates der Stadt Wien falle. Eine straßenpolizeiliche Bewilligung nach § 82 Abs 1 StVO 1960 wurde von den Bf. nicht eingeholt.
Für die Zeit vom 16. Feber bis 27. Feber 1988 hatte ein "Kurdistan-Komitee" gleichfalls in der Kärntnertorpassage eine Kundgebung angemeldet.
Die Veranstaltung des "Arbeitskreises Strafvollzug" begann am Vormittag des 12. Feber 1988.
Das Wachzimmer Kärntnertorpassage schildert in einer Meldung vom 16. Feber 1988 die aufgrund der seit 12. Feber 1988 laufenden Veranstaltung des "Arbeitskreises Strafvollzug" (Z1) und der am 16. Feber 1988, 11,00 Uhr, begonnenen Veranstaltung des "Kurdistan-Komitees" (Z2) in der Kärntnertorpassage entstandene Situation, wie folgt:
"..... Abgesehen davon, daß die Kärntnertorpassage bzw. die in Rede stehende Kundgebungsfläche schon bisher Treffpunkt lichtscheuer Elemente war, häuften sich mit Beginn der unter 1.) genannten Kundgebung die Beschwerden aus der Bevölkerung über den Teilnehmerkreis des Veranstalters und über die Auswüchse beim Vollzug der Kundgebung. Auswüchse deswegen, weil nicht wie bisher nur herumgelungert und Alkohol konsumiert wurde, sondern nunmehr die Kundgebungsteilnehmer es sich ähnlich eines Campingplatzes einrichteten. Dabei wird in äußerst lockerer Form vorgegangen, es wird an Ort und Stelle gekocht, Speisen und Speisereste liegen herum und dazwischen wird geschlafen. Gleichzeitig wurde mittels Flugzettels um Geld- und Lebensmittelspenden an Ort und Stelle gebeten. Leergebinde und Verpackungsmaterial liegen herum. Der Personenkreis der 'Lagernden' ist im wesentlichen mit den sonst angesammelten Nicht-Seßhaften ident, nur wird die Örtlichkeit nunmehr auch zum Anziehungspunkt der sonst nicht hier aufhältigen Personen.
Mit Beginn der unter 2.) angezeigten Kundgebung verengte sich die Durchgangsbreite für den Passantenstrom erheblich und wenn Personen stehenbleiben um die Veranstaltung in Augenschein zu nehmen, wird der Fußgängerverkehr behindert und kommt fallweise auch zum Erliegen.
Beide Veranstalter nehmen nunmehr jeweils eine Fläche von etwa im Ausmaß von 8 x 12 Meter in Anspruch. Die vorhin erwähnten Umstände zu 1.) und der bei 2.) in Verwendung stehenden Holzgalgen zwingt nunmehr zur Berichterstattung, da sich die Bevölkerung massiv über die Auswüchse beschwert, insbesonders liegen Beschwerden der Eltern von Schulkindern der in der Nähe etablierten Schule vor. Die Eltern bzw. Elternteile bringen vor, daß ihre Kinder, die ansonsten den Schulweg alleine zurücklegen, es nicht mehr wagen den Veranstaltungsort alleine zu passieren bzw. Angst vorbringen. Schließlich war es bereits am heutigen Tag zu einem Streit gekommen, da alkoholisierte 'Sandler' in die Veranstaltungsfläche der 'Kurden' taumeln und somit die Veranstaltung der Kurden stören. ...."
Bei der Veranstaltung des "Arbeitskreises Strafvollzug" wurden Flugzettel mit der Überschrift: "Obdachlose können bis 24. Feber ungestört schlafen" verteilt.
In der Meldung der Sicherheitswacheabteilung des Bezirkspolizeikommissariates Innere Stadt vom 19. Feber 1988 wird über das weitere Geschehen in der Kärntnertorpassage berichtet:
"..... Am 18. ds. während der Tagstunden bot sich am Vorfallsort das in der Meldung vom angeführte Bild. Die Sicherheitswache wurde wiederholt mit Beschwerden aus der Bevölkerung über diese Zustände befaßt. So wie in den Tagen zuvor hielt sich die Zahl der jeweiligen 'Manifestanten' bei etwa insgesamt 50, wobei jeweils ein Drittel davon auf dem Boden lag und schlief. In den späten Abendstunden konnte eine leichte Zunahme der Teilnehmer festgestellt werden, wobei sich zu den angeblich Obdachlosen Personen aus radikalen Kreisen gesellten. Zuvor wurde noch bekannt, daß die im Sinne des Amtsvortrages bzw. der Amtsbesprechung vom 17. ds. entsandten Sozialarbeiter an ihrer Aufklärungstätigkeit behindert worden waren, sodaß sie sich entfernten. Jedenfalls war somit Stunden vor dem polizeilichen Einschreiten den Teilnehmern das Rechtswidrige ihres Tuns bekannt.
Nach einer Einsatzbesprechung im Wz. Goethegasse unter Teilnahme von Kräften des Kriminaldienstes des hs. Koates wurde der Einsatzbeginn mit 01.05 Uhr festgelegt, bzw. die Exekutivkräfte hiefür entwickelt. Im Beisein von Vertretern des Mag. d. Stadt Wien wurde mit den Teilnehmern Kontakt aufgenommen und ihnen mittels Megaphon die Rechtslage erklärt, sowie dieselben zum Verlassen des Passagenbereiches (Gehweg im Sinne § 52/17 StVO.) aufgefordert. Gleichzeitig wurde ihnen mitgeteilt, daß für Obdachlose die Möglichkeit für einen kostenlosen Transport und für eine ebenso kostenlose Nächtigungsmöglichkeit bestehe.
Obwohl diese Erklärung mehrmals abgegeben worden war und
auch vom Gegenüber verstanden worden war, wandte sich der
Obdachlosenvertreter L F, geb., Wien 14., Meiselstraße
67/13/11 wh., an seine Gesinnungsgenossen und forderte sie zum
Verbleiben auf, da seiner Meinung nach der Sitzstreik
ordnungsgemäß angezeigt sei und er von einer anderen Rechtslage
nichts wisse. In dieser Phase wandte sich die Beschäftigungslose
R Sp, Gmunden geb., Wien ..., R... W... wh., schrill
schreiend den SW-Kräften zu und sie mußte schließlich nach
mehrmaliger Abmahnung um 01,16 Uhr wegen der Tatbestände der
Ordnungsstörung und Lärmerregung gem. § 35c VStG. festgenommen und
mittels Frosches dem Koat überstellt werden. In weiterer Folge wurde
der Obdachlosensprecher F vom Unterfertigten auf ein fernmündliches
Gespräch mit dem Herrn Leiter der Präsidialabteilung bei der
BPD-Wien hingewiesen und somit darauf aufmerksam gemacht, daß er
seine Aussage über die Rechtslage wider besseren Wissens mache. Nach
einigem Zögern erklärte F nunmehr einzulenken und die Teilnehmer
begannen tatsächlich, wenn auch mit Murren, ihre Sachen zu sammeln
und für den Abtransport bereitzustellen. ......"
Der Wachemeldung zufolge wurde die polizeiliche Aktion
am 19. Feber 1988 um 02,45 Uhr abgeschlossen. Insgesamt wurden
die Namen von 57 Personen festgestellt.
In der Meldung wird noch ausgeführt:
"Die polizeiliche Aktion wurde, soweit der Aktionsraum
vom Monitor im Wachzimmer erfaßt werden konnte, auf Videoband
aufgezeichnet. Fotograf Doku-Gruppe war anwesend und dokumentierte.
. . . . . . . "
2. Der VfGH sieht keine Veranlassung, den Sachverhaltsschilderungen in den Wachemeldungen nicht zu folgen. Sie widersprechen auch in den hier wesentlichen Belangen nicht den Ausführungen in der Beschwerde.
Ebensowenig gibt es Gründe, an der Richtigkeit der Beschwerdebehauptungen zu zweifeln, die beiden Bf. seien anläßlich ihrer Teilnahme an der Veranstaltung von Polizeibeamten fotografiert worden und es sei ihre Identität festgestellt worden; weiters würden diese Daten bei der Behörde aufbewahrt. Auch die Behörde erwähnt in der Gegenschrift, daß "die Veranstaltungsstätte" von Organen der BPD Wien (zu Beweiszwecken) fotografiert worden sei. Die Feststellung der Personaldaten sei deshalb erfolgt, um die Personen, die auf frischer Tat betreten wurden, der Behörde anzeigen zu können. In den vorgelegten Verwaltungsakten scheinen die beiden Bf. in der Liste jener Personen auf, deren Namen von Polizeiorganen festgestellt wurden.
Bei diesen zuletzt erwähnten Maßnahmen wendeten die Polizeiorgane weder Körperkraft an noch drohten sie mit der Anwendung von Gewalt oder mit sonstigen Sanktionen (vgl. die Sachverhaltsschilderung auf S 5 der Beschwerdeschrift, aus der sich ergibt, daß das Fotografieren ohne Gewaltanwendung erfolgte).
III. Der VfGH würdigt den festgestellten Sachverhalt rechtlich wie folgt:
1. Die Bf. wurden zwar (möglicherweise gegen ihren Willen und ohne ihr Wissen) von Polizeiorganen fotografiert.
Nach der Judikatur des VfGH vor der B-VG-Nov. 1975 zur sogenannten "faktischen Amtshandlung" war Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Beschwerde nach Art 144 B-VG, daß sie gegen die Anwendung von Gewalt oder gegen eine normative Anordnung (bei deren Nichtbefolgung mit einer unmittelbaren Sanktion gerechnet werden mußte) gerichtet war (vgl. zB VfSlg. 4082/1961, 4696/1964, 6467/1971, 6899/1972). Daran hat sich seit dem Inkrafttreten der B-VG-Nov. 1975 nichts geändert (vgl. zB VfSlg. 8145/1977, 8888/1980). Wortlaut und Sinngehalt des Art. 144 Abs 1 zweiter Satz B-VG idF der Nov. 1975 fordern für die Beschwerdeführung vor dem VfGH die Anwendung physischen Zwanges oder die Erteilung eines Befehles mit unverzüglichem Befolgungsanspruch. Das schlichte Fotografieren im Zuge einer Amtshandlung kann daher nicht als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt iS der zitierten Verfassungsbestimmung beurteilt werden (vgl. zB VfSlg. 4696/1964, 9783/1983, 9934/1984). Anders wäre es nach dem Gesagten, wenn - was hier aber nicht der Fall war - das Fotografieren unter Anwendung von Körperkraft oder Androhung von Gewalt durchgesetzt worden wäre.
Das Gleiche gilt für die Identitätsfeststellung, die wie dargetan (s.o. II.) - von den Polizeiorganen weder unter Anwendung von Gewalt noch unter Androhung von Gewalt durchgeführt wurde. Soweit die Beschwerde die Anwendung von Gewalt oder die Drohung mit solcher andeutet, sind diese Behauptungen unsubstantiiert und ohne Bezugnahme auf die Bf.
Auch das Aufbewahren derartiger Daten stellt unabhängig davon, ob dies rechtmäßig oder unrechtmäßig erfolgt (vgl. hiezu Zl. 771/63 und Zl. 755/65) keine Befehls- und Zwangsgewalt iS der zitierten Verfassungsbestimmung dar. Dieses behördliche Verhalten unterscheidet sich wesentlich von jenem, das zwar gleichfalls darin bestand, einen von der Behörde bewirkten Zustand aufrecht zu erhalten, das aber deshalb einer - beim VfGH bekämpfbaren Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in der Bedeutung des Art 144 Abs 1 zweiter Satz B-VG gleich kam, weil es darin bestand, daß die Behörde jeweils bestimmte Gegenstände, an denen den damaligen Bf. ein Recht zukam, gegen deren Willen (also zwangsweise) zurückbehielt, so beispielsweise die Verweigerung der Rückgabe eines Kfz-Zulassungsscheines (VfSlg. 6101/1969), einer Waffe (VfSlg. 8131/1977) oder von Privaturkunden (VfSlg. 8879/1980). Im Gegensatz dazu stellt die bloße Untätigkeit der Behörde keinen nach der zitierten Verfassungsbestimmung anfechtbaren Verwaltungsakt dar, so etwa das Unterbleiben der Entsiegelung behördlich versperrter Räume (VfSlg. 9813/1983), die Nichtausfolgung eines nach § 76 Abs 1 KFG abgenommenen Führerscheines (VfSlg. 9931/1984) oder das Unterbleiben der Herausgabe von finanzamtlich gepfändeten Sachen (VfSlg. 10319/1985).
Sohin bilden diese bekämpften Maßnahmen keinen tauglichen Beschwerdegegenstand. Insofern war die Beschwerde wegen Unzuständigkeit des VfGH zurückzuweisen.
Bei diesem Ergebnis war nicht zu untersuchen, ob diese Maßnahmen in das durch Art 8 MRK verfassungsgesetzlich geschützte Recht auf Privat- und Familienleben eingreifen und dieses Recht allenfalls verletzen können (vgl. hiezu VfSlg. 5089/1965, wo diese Frage verneint wird; siehe aber auch die unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung der EKMR und des EGMR weitgehend zum gegenteiligen Ergebnis gelangende Literatur, so etwa Stolzlechner,
Der Schutz des Privat- und Familienlebens (Art8 MRK) im Licht der Rechtsprechung des VfGH und der Straßburger Instanzen, ÖJZ 1980, 85
u. 123; Evers, Der Schutz des Privatlebens und das Grundrecht auf Datenschutz in Österreich, EuGRZ 1984, 281; Davy/Davy, Aspekte staatlicher Informationssammlung und Art 8 MRK, JBl 1985, 656; Funk,
Von der "faktischen Amtshandlung" zum "verfahrensfreien Verwaltungsakt", ZfV 1987, 620). Selbst wenn dies der Fall sein sollte, war weiters nicht zu erörtern, ob die Nichtanrufbarkeit des VfGH den Art 13 MRK verletzt. Die geschilderte Nichtzuständigkeit des VfGH ergibt sich nämlich aus Art 144 Abs 1 zweiter Satz B-VG und kann vom VfGH nicht überprüft werden; der Art 13 MRK hat die Zuständigkeit des VfGH nicht erweitert (vgl. Matscher, Zur Funktion und Tragweite der Bestimmung des Art 13 EMRK, in: FS für Ignaz Seidl - Hohenveldern, 1988, 329).
Es kann auch offen bleiben, ob über die Frage der Rechtmäßigkeit der Aufbewahrung von Lichtbildern und Personaldaten durch die Behörde bescheidmäßig abzusprechen ist (vgl. Zl. 771/63 und vom Zl. 755/65). Bemerkt sei jedoch, daß der innerstaatliche Rechtsschutz iS des Art 13 MRK nicht bloß durch die Möglichkeit, den VfGH anzurufen, gewährt werden kann (vgl. VfSlg. 4792/1964).
Da die Nichtzuständigkeit des VfGH offenbar ist, konnte gemäß § 19 Abs 3 Z 2 lita VerfGG die Zurückweisung ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
2. Die Bf. wenden sich weiters dagegen, daß Polizeiorgane eine Versammlung, an der die Bf. teilnahmen, grundlos aufgelöst und sie zum Verlassen des Versammlungsortes gezwungen hätten; dadurch seien sie im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt worden.
a) Wären die Bf. dem Auftrag der Sicherheitswachebeamten, die Kärntnertorpassage zu verlassen, nicht nachgekommen, so hätten sie damit rechnen müssen, daß gegen sie physische Gewalt angewendet worden wäre. Dieser Auftrag (Befehl) stellt also einen beim VfGH nach Art 144 Abs 1 zweiter Satz bekämpfbaren Verwaltungsakt dar. In dieser Hinsicht ist daher die Beschwerde zulässig.
b) Sie ist jedoch nicht begründet:
aa) Die Bf. wenden sich ausschließlich dagegen, daß sie durch eine Maßnahme unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt daran gehindert worden seien, an einer Versammlung teilzunehmen.
Primäre Voraussetzung dafür, daß diese Behauptung zutrifft, wäre es, daß damals überhaupt eine Versammlung iS des Art 12 StGG und des Art 11 MRK stattfand; nur sie genießt den verfassungsgesetzlich garantierten Schutz der Versammlungsfreiheit. Nach der ständigen Judikatur des VfGH (zuletzt ) ist eine Zusammenkunft mehrerer Menschen nur dann als solche Versammlung zu werten, wenn sie in der Absicht veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken zu bringen, sodaß eine gewisse Assoziation der Zusammengekommenen entsteht. Eine Versammlung ist das Zusammenkommen von Menschen zum gemeinsamen Zweck der Erörterung von Meinungen oder der Kundgabe von Meinungen an andere.
bb) Hier waren die Voraussetzungen für die Qualifizierung als Versammlung nicht gegeben.
Allein schon die beabsichtigte Dauer der Veranstaltung (11./12. bis 24. Feber 1988, ohne Unterbrechung) läßt darauf schließen, daß eine Versammlung weder geplant war noch stattfand (vgl. zB VfSlg. 10608/1985). Vielmehr sollten zufällig am Veranstaltungsort vorbeikommende Passanten über das Anliegen der Teilnehmer informiert werden, was für die Qualifikation einer Veranstaltung als Versammlung nicht hinreicht (vgl. zB , B74/88, B281/88). Auch die Bezeichnung der Veranstaltung als "Sitzstreik" (der etwa zwei Wochen dauern sollte) deutet keineswegs auf den Versammlungscharakter hin. Der in den verteilten Flugzetteln angegebene Zweck der Veranstaltung, daß "Obdachlose bis 24. Feber ungestört schlafen können" (nämlich in der Kärntnertorpassage), und der tatsächliche Verlauf der Veranstaltung (im wesentlichen wurde in der Passage campiert), spricht vollends gegen ihre Qualifikation als Versammlung.
Da keine Versammlung abgehalten wurde, ist es ausgeschlossen, daß die Bf. gehindert wurden, an einer Versammlung teilzunehmen. Sie wurden demnach nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt.
c) Die Bf. bekämpfen ausschließlich jenes behördliche Vorgehen, mit dem die Bf. gehindert worden seien, an einer Versammlung teilzunehmen. Im Hinblick auf diesen Beschwerdegegenstand ist es ausgeschlossen, daß sie in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurden.
Eine Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm hat sich nicht ergeben.
Die Beschwerde war - soweit sie zulässig ist - mithin abzuweisen.
d) Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VerfGG.