zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 13.11.2008, 8ObS12/08k

OGH vom 13.11.2008, 8ObS12/08k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Spenling und die Hofrätin Dr. Lovrek und die fachkundigen Laienrichter o. Univ.-Prof. Dr. Hans Lechner und Mag. Johann Ellersdorfer als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Günther H*****, vertreten durch Dr. Alexander Burkowski, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Insolvenz-Entgelt-Fonds Service GmbH (IEF-Service GmbH), Geschäftsstelle *****, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 3.300 EUR netto an Insolvenz-Ausfallgeld, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 1.970 EUR netto) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Rs 53/08f-11, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 18 Cgs 283/07i-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 371,52 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 61,92 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe :

Eingangs ist festzuhalten, dass die Bezeichnung der Beklagten amtswegig von „IAF-Service GmbH" auf die im Kopf ersichtliche Neubezeichnung zu berichtigen war (Art 4 Z 2 BGBl I 2008/82, in Kraft getreten mit ; § 235 Abs 5 ZPO).

Der Kläger war vom bis als Arbeiter und vom bis als Angestellter (Kontrollchef) ununterbrochen bei einer GmbH beschäftigt, über deren Vermögen mit Beschluss des Landesgerichts Wels vom Konkurs eröffnet wurde. Das Arbeitsverhältnis des Klägers zur GmbH endete durch berechtigten vorzeitigen Austritt gemäß § 25 KO. Im Zuge des Wechsels des Klägers in das Angestelltenverhältnis wurde am zwischen der GmbH und dem Kläger folgende schriftliche Vereinbarung getroffen:

„... (Kläger) wird ab dem in das Angestelltenverhältnis übernommen. Die Einstufung erfolgt im Kollektivvertrag für 'Angestellte in der holzverarbeitenden Industrie' in die Verwendungsgruppe III, Vw-Gruppenjahr 10. Das monatliche Gehalt beträgt ab brutto 2.100 EUR. Das Gehalt von 2.100 EUR versteht sich inklusive Treueprämie und der kollektivvertraglichen Lohnerhöhung 2006. Soweit in der einzelnen Verwendungsgruppen-Einstufung eine Überzahlung besteht, gelten etwaige Bienalsprünge als abgegolten. Das Eintrittsdatum bleibt gleich () und werden die Arbeitsvordienstzeiten voll auf das Angestelltenverhältnis angerechnet. Die Kündigungszeiten betragen für beide Vertragspartner ab dem 4 Monate und ab dem lt KV 5 Monate zu jedem 15. bzw letzten eines jeden Kalendermonats ... ."

Bereits im Verwaltungsverfahren erkannte die Beklagte dem Kläger Kündigungsentschädigung für 6 Wochen zu. Nach rechtskräftigem Zuspruch von 1.330 EUR netto an Insolvenz-Ausfallgeld für weitere drei Wochen an Kündigungsentschädigung bereits durch das Erstgericht ist Gegenstand des Revisionsverfahrens ein weiteres Begehren des Klägers auf Zahlung von 1.970 EUR netto an Insolvenz-Ausfallgeld (Differenz zwischen den zuerkannten neun Wochen Kündigungsentschädigung zu der vom Kläger begehrten Kündigungsentschädigung für fünf Monate). Der Kläger brachte dazu vor, dass bereits nach dem Kollektivvertrag für Arbeiter in der holzverarbeitenden Industrie die Kündigungsfrist neun Wochen betrage. Anlässlich seines Übertritts in das Angestelltenverhältnis seien seine Arbeitervordienstzeiten voll angerechnet worden. Es gelte daher gemäß § 20 AngG eine Kündigungsfrist von fünf Monaten. Der Forderung des Klägers liege keine vertragliche Kündigungsfrist, sondern eine gesetzliche Kündigungsfrist zugrunde.

Die Beklagte, die das Klagebegehren der Höhe nach außer Streit stellte, wendet ein, dass sich die Kündigungsfrist der Angestellten gemäß § 20 AngG nach der reinen Angestelltendienstzeit bemesse. Nicht einmal Zeiten eines Lehrverhältnisses seien miteinzubeziehen. Eine einzelvertragliche Vordienstzeitenanrechnung iSd § 3 Abs 3 IESG komme nicht in Betracht, weil eine Vordienstzeitenvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nur dann beachtlich sei, wenn es sich um Angestelltendienstzeiten handle, die angerechnet würden.

Das Erstgericht wies das Begehren des Klägers auf Zahlung (weiterer) 1.970 EUR netto an Insolvenz-Ausfallgeld ab. Es erachtete rechtlich, dass eine einzelvertragliche Vordienstzeitenanrechnung der Berechnung des Insolvenz-Ausfallgelds iSd § 3 Abs 3 zweiter Satz IESG nur dann zugrundezulegen sei, wenn diese Dienstzeiten bereits nach Gesetz oder Kollektivvertrag anzurechnen seien. Das sei nicht der Fall.

Das Berufungsgericht gab der dagegen vom Kläger erhobenen Berufung Folge und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung weiterer 1.970 EUR netto an Insolvenz-Ausfallgeld.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Anrechnung von Arbeitervordienstzeiten iSd § 3 Abs 3 2. Satz IESG.

Rechtlich meinte das Berufungsgericht, dass gemäß § 3 Abs 3 IESG bei Berechnung des Insolvenz-Ausfallgelds für gesicherte Ansprüche unbeschadet des zweiten Satzes nur die gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen unter Bedachtnahme auf die Kündigungstermine und die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen zu berücksichtigen seien. Eine einzelvertragliche Anrechnung von Vordienstzeiten sei unter Bedachtnahme auf § 1 Abs 3 Z 2 IESG der Berechnung nur insoweit zugrundezulegen, als es sich um die Anrechnung von tatsächlich geleisteten Beschäftigungszeiten handle oder solche Zeiten nicht bereits bei früheren Beendigungsansprüchen berücksichtigt worden seien. Zielrichtung des § 3 Abs 3 IESG sei, die Sicherung der Ansprüche im Wesentlichen auf das zu beschränken, was schon allgemein durch gesetzliche oder kollektivvertragliche Regelungen vorgegeben sei. Richtig sei auch, dass für die Bemessung der Kündigungsfrist nach § 20 AngG nur die im Angestelltenverhältnis beim selben Arbeitgeber zurückgelegten Zeiten heranzuziehen seien. § 3 Abs 3 IESG komme nur dort zum Tragen, wo bei der Bestimmung des Ausmaßes des Insolvenz-Ausfallgelds auf die Kündigungsfristen überhaupt Bezug genommen werde. Das sei bei dem der Entscheidung 8 ObS 22/01w zugrundeliegenden Anspruch auf Abfertigung nicht der Fall gewesen. Diese Voraussetzung träfe im hier zu beurteilenden Fall jedoch zu, weil die Frage, in welcher Höhe dem Kläger Kündigungsentschädigung gebühre, unmittelbar davon abhänge, welche Kündigungsfrist bei Ausmessung der Kündigungsentschädigung zugrundezulegen sei. Da § 3 Abs 3 IESG das Ausmaß der gesicherten Ansprüche längstens für die Zeit bis zum Ablauf der gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen beschränke, könnten vertraglich vereinbarte Verlängerungen der Kündigungsfrist keine anspruchserhöhende Berücksichtigung finden. § 3 Abs 3 erster Satz IESG sei daher als maximale Begrenzung gesicherter, auf Kündigungsentschädigung gestützter Ansprüche zu verstehen. Dieses Limit wolle der Kläger ohnehin nicht in Frage stellen. Er mache lediglich geltend, dass aufgrund der von ihm mit der GmbH getroffenen Vereinbarung seine dort als Arbeiter geleisteten Vordienstzeiten für die nach § 20 AngG zu erfolgende Berechnung der Kündigungsfrist mitzuberücksichtigen seien. Genau diesen Fall regle aber § 3 Abs 3 zweiter Satz IESG: Im Rahmen der gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Kündigungsfristen sei eine einzelvertragliche Anrechnung von Vordienstzeiten dann zulässig, wenn es sich um die Anrechnung tatsächlich geleisteter Beschäftigungszeiten handle und solche Zeiten nicht bereits bei früheren Beendigungsansprüchen berücksichtigt worden seien. Es sei unstrittig, dass diese anspruchsausschließenden Tatbestände beim Kläger nicht vorlägen. Ebensowenig lägen die in § 1 Abs 3 Z 2 IESG genannten Ausschlussgründe vor. Einer einzelvertraglichen Anrechnung von - tatsächlich geleisteten - Vordienstzeiten des Klägers stehe daher nichts entgegen. Der letzte Absatz in der festgestellten Vereinbarung zwischen der GmbH und dem Kläger, wonach die Kündigungszeiten für beide Vertragspartner ab dem fünf Monate betrügen, sei verfehlt, weil im anzuwendenden Kollektivvertrag eine derartige Kündigungsfrist nicht normiert sei. Allerdings hätten die Arbeitsvertragsparteien auch vereinbart, dass die Arbeitervordienstzeiten voll auf das Angestelltenverhältnis anzurechnen seien. Damit hätten die Arbeitsvertragsparteien aber keine Kündigungsfrist „vereinbart", sondern eine nach § 3 Abs 3 Satz 2 IESG zulässige und wirksame einzelvertragliche Anrechnung unter Anrechnung der vom Kläger geleisteten (Arbeiter) Vordienstzeiten getroffen. Es gelte daher, da der Kläger das 25. Dienstjahr bereits vollendet habe, eine gesetzliche Kündigungsfrist von fünf Monaten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass das Begehren des Klägers auf Zahlung von 1.970 EUR netto an Insolvenz-Ausfallgeld abgewiesen und in diesem Umfang das Ersturteil wiederhergestellt werde.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof teilt die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts. Es reicht daher aus, auf dessen Begründung zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO). Ergänzend ist anzumerken:

Klarzustellen ist, dass die Entscheidung 8 ObS 4/04b = ecolex 2004/259; krit dazu Liebeg, Insolvenz-Ausfallgeld für Angestellte ex contractu, ASoK 2004, 420) hier nicht einschlägig ist: Es geht gerade nicht um eine vertraglich vereinbarte Zuerkennung der Angestellteneigenschaft des Klägers: Vielmehr ist unstrittig, dass der Kläger, der im Unternehmen der GmbH ab die Tätigkeit eines Kontrollchefs ausübte, dem Angestelltengesetz ex lege unterlag. Verfahrensentscheidend ist hier ausschließlich die Frage, ob die in der Vereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien am vorgesehene Anrechnung der Arbeitervordienstzeiten auf das Angestelltenverhältnis des Klägers ( bis ) als zulässige einzelvertragliche Anrechnung von Vordienstzeiten iSd § 3 Abs 3 Satz 2 IESG anzusehen ist und daher die Kündigungsentschädigung, die dem Kläger gebührt, unter Berücksichtigung dieser „Arbeitervordienstzeiten" zu bemessen ist. Nach dem Wortlaut des § 3 Abs 3 Satz 2 IESG ist diese Frage zu bejahen: Eine einzelvertragliche Anrechnung von Vordienstzeiten ist insoweit zugrundezulegen, als es sich um die Anrechnung von tatsächlich geleisteten Beschäftigungszeiten handelt oder solche Zeiten nicht bereits bei früheren Beendigungsansprüchen berücksichtigt wurden. Eine einzelvertragliche Anrechnung von Vordienstzeiten ist somit unter Bedachtnahme auf die in § 1 Abs 3 Z 2 IESG vorgesehenen Ausschlüsse an sich zulässig. Zur Vermeidung von Manipulationen müssen die einzelvertraglich angerechneten Vordienstzeiten tatsächlich zurückgelegt worden sein; sie dürfen ferner zur Vermeidung von Doppelanrechnungen nicht bereits bei früheren Beendigungsansprüchen berücksichtigt worden sein. Dadurch sollen Doppelleistungen für idente Zeiträume hintangehalten werden (Liebeg, IESG³, § 3 Rz 38; s auch 8 ObS 22/01w). Liegen die genannten Voraussetzungen vor, ist nicht erforderlich, dass die Zeiten tatsächlich beim selben Arbeitgeber verbracht wurden (Liebeg aaO § 3 Rz 44; 8 ObS 191/00x = RdW 2001, 432). Hier ist unstrittig, dass der Kläger die einzelvertraglich anzurechnenden „Arbeitervordienstzeiten" tatsächlich geleistet hat; es ist auch nicht strittig, dass diese Zeiten bei früheren Beendigungsansprüchen nicht berücksichtigt wurden. Nach dem Wortlaut des § 3 Abs 3 Satz 2 IESG steht somit einer Anrechnung dieser „Arbeitervordienstzeiten" des Klägers nichts entgegen. Die von der Beklagten angestrebte teleologische Reduktion des § 3 Abs 3 Satz 2 IESG dahin, dass für die insolvenzentgeltsicherungsrechtliche Beurteilung der Länge der Kündigungsfrist nach § 20 AngG nur jene Zeiten einer einzelvertraglichen Anrechnungsvereinbarung iSd § 3 Abs 3 Satz 2 IESG zugänglich sind, die der Arbeitnehmer ebenfalls im Angestelltendienstverhältnis zubrachte, ist nicht geboten: Eine Missbrauchsgefahr ist durch Berücksichtigung einer entsprechenden einzelvertraglichen Anrechnungsvereinbarung jedenfalls dann nicht ersichtlich, wenn - wie hier - diese Anrechnungsvereinbarung ohne zeitlichen Nahebezug zur Konkurseröffnung getroffen wurde.

Die Entscheidung 8 ObS 291/00b (ZAS 2002/6 [Graf]), lässt für den Standpunkt der Beklagten nichts gewinnen: Darin wurde ausgesprochen, dass nur die im Angestelltenverhältnis beim selben Arbeitgeber zurückgelegten Zeiten für die Bemessung der Dauer der Kündigungsfrist heranzuziehen sind. Davon unterscheidet sich der hier zu beurteilende Fall dadurch, dass eine einzelvertragliche Anrechnungsvereinbarung vorliegt. Entsprechende vertragliche Vordienstzeitenanrechnungen beziehen sich im Allgemeinen auch auf die Bemessung der Kündigungsfrist (Reissner in ZellKomm § 20 AngG Rz 44 mwN). In der Entscheidung 8 ObS 22/01w wurde eine vertraglich vereinbarte Anrechnung von Lehrzeiten bei einem anderen Arbeitgeber für die Bemessung der Abfertigung nicht berücksichtigt, wobei als wesentliche Begründung dafür angeführt wurde, dass die bei einem Arbeitgeber tatsächlich zurückgelegte Lehrzeit einen Abfertigungsanspruch nur bei einer längeren Mindestdauer des Dienstverhältnisses begründe; es würde daher einen Wertungswiderspruch bedeuten, würde die bei einem anderen Arbeitgeber zurückgelegte Lehrzeit allgemein als potentiell anrechenbare Vordienstzeit behandelt. Auch damit lässt sich der hier zu beurteilende Fall nicht vergleichen.

Zusammengefasst ist somit dem Berufungsgericht darin beizupflichten, dass tatsächlich geleistete Beschäftigungszeiten, die auch nicht bei einem früheren Beendigungsanspruch berücksichtigt wurden, bei entsprechender vertraglicher Vordienstzeitenanrechnung iSd § 3 Abs 3 2. Satz IESG für die Bemessung der Kündigungsentschädigung auch dann heranzuziehen sind, wenn es sich um die Anrechnung von „Arbeitervordienstzeiten" auf Angestelltendienstzeiten handelt.

Das Berufungsgericht hat daher zutreffend eine Sicherung der Kündigungsentschädigung auch für den hier strittigen Zeitraum bejaht.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41, 50 ZPO.