OGH vom 11.09.2018, 14Os49/18i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Ertl, LL.M., als Schriftführer in der Strafsache gegen Lukas G***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Lukas G*****, Roman F***** und Ali Y***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom , GZ 603 Hv 1/18i-131, und weiters über die Beschwerden der Angeklagten gegen den gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss auf Widerruf einer bedingten Entlassung und bedingter Strafnachsichten nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Roman F***** und aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen A, demgemäß auch in den Strafaussprüchen sämtlicher Angeklagten (einschließlich der Vorhaftanrechnung), sowie im Ausspruch über den Verfall und im Adhäsionserkenntnis ebenso wie der sämtliche Angeklagte betreffende Beschluss nach § 494a Abs 1 Z 4 StPO aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.
Auf diese Entscheidung werden die Angeklagten G***** und Y***** mit ihren Nichtigkeitsbeschwerden, sämtliche Angeklagte mit ihren Berufungen und Beschwerden sowie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung verwiesen.
Dem Angeklagten F***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden Lukas G***** (zu A/I), Roman F***** (zu A/II/1) und Ali Y***** (zu A/II/2) je eines Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB, die beiden Letztgenannten nach § 12 dritter Fall StGB, Roman F***** zudem des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 1 WaffG (B) schuldig erkannt.
Danach haben
(A) am in M***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz
(I) Lukas G***** Gewahrsamsträgern der Sparkasse M***** durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) unter Verwendung einer Waffe 233.054,99 Euro Bargeld weggenommen, indem er maskiert und mit einem „unter seiner Oberbekleidung verborgenen“ Messer die Bankfiliale betrat und dem Bankangestellten Markus S***** zurief: „Geh schon, geh schon, Göd her! Schneller, gib's aussa alles, sonst stich ich di o! Wüst mei Messer sehen?“;
(II) Roman F***** und Ali Y***** zu der zu (I) beschriebenen strafbaren Handlung beigetragen, indem sie zunächst gemeinsam den Tatplan entwickelten, und
1) Roman F***** den Lukas G***** durch insgesamt 19 Anrufe in dessen Ausführung bestärkte sowie sich bereit erklärte, die Beute zu verbergen, was er in weiterer Folge auch tat, und
2) Ali Y***** dem Lukas G***** ein Messer zur Tatausführung übergab, ihn mit seinem PKW zum Tatort chauffierte und ihn am zuvor vereinbarten Treffpunkt wieder abholte, um ihm eine rasche Flucht zu ermöglichen;
(B) Roman F***** von April 2017 bis in U***** unbefugt eine genehmigungspflichtige Schusswaffe der Kategorie B, nämlich einer Pistole FN Browning, Kal 7,65, mit angestecktem Magazin, besessen.
Rechtliche Beurteilung
Gegen dieses Urteil richten sich die von Lukas G***** aus Z 5 und 10, von Ali Y***** aus Z 5 und 11 und von Roman F***** aus Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerden, wobei Letztgenannter ausdrücklich nur den Schuldspruch wegen des Verbrechens des Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall, § 12 dritter Fall StGB (A/I) bekämpft. Seiner Nichtigkeitsbeschwerde kommt Berechtigung zu.
(Schwerer) Raub verlangt unter anderem, dass die auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtete Wegnahme oder Abnötigung einer fremden beweglichen Sache – soweit hier wesentlich – durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben erfolgt. Durch den Verweis auf § 89 StGB wird (unter anderem) klargestellt, dass die Ankündigung einer minimalen, im Bagatellbereich liegenden Beeinträchtigung der körperlichen Integrität oder die bloße Drohung mit einer Misshandlung (§§ 83 Abs 2, 115 Abs 1 StGB) für die Subsumtion nach § 142 Abs 1 StGB nicht ausreichen (vgl dazu Eder-Rieder in WK² StGB § 142 Rz 28 ff mwN).
Die rechtliche Annahme der Eignung einer (auch nonverbalen) Erklärung, dem Adressaten die begründete Besorgnis einzuflößen, der Täter sei willens und in der Lage, das angekündigte Übel herbeizuführen (RIS-Justiz RS0092538, RS0092255 [T1]; Jerabek/Ropper in WK² StGB § 74 Rz 34), setzt Feststellungen zum
Bedeutungsinhalt dieser Äußerung voraus, welche durch die Wiedergabe ihres Wortlauts oder die bloße Beschreibung des Täterverhaltens nicht ersetzt werden können. Diese Umstände dienen allenfalls der Begründung der Konstatierungen (RISJustiz RS0092437 [T4], RS0092588 [va T 15]; Ratz, WKStPO § 281 Rz 286).
Ausgehend von diesen Grundsätzen moniert die Rechtsrüge (Z 9 lit a) des Angeklagten F***** zutreffend, dass dem angefochtenen Urteil – mangels Konstatierungen zum Bedeutungsinhalt – nicht mit Bestimmtheit zu entnehmen ist, welches konkrete Übel der unmittelbare Täter dem Opfer ankündigte, weil es sich insoweit in der Aussage, G***** habe seine Bargeldforderung „mit dem von ihm in der Hand unter der Oberbekleidung und in Richtung des Bankangestellten gehaltenen ausgeklappten Taschenmessers … unterstützt“, sowie der wörtlichen Wiedergabe des dabei erfolgten Zurufs erschöpft (US 9).
Die Verwendung der verba legalia („durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben“) im Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) könnte zwar (getroffene) Feststellungen verdeutlichen, vermag aber (wie hier) fehlende Konstatierungen zu entscheidenden Tatsachen nicht zu ersetzen (RIS-Justiz RS0114639).
Dazu kommt (mit Blick auf § 290 Abs 1 StPO), dass die Entscheidungsgründe zur subjektiven Tatseite zwar eine auf unrechtmäßige Bereicherung und die Verwendung eines Messers (§ 143 zweiter Fall StGB) gerichtete Täterintention zum Ausdruck bringen (US 11; vgl auch US 15), für die rechtliche Beurteilung nach § 142 Abs 1 StGB erforderliche Urteilsannahmen zu einem den Einsatz einer (hier) qualifizierten Drohung als Nötigungsmittel (deren Bedeutungsinhalt und Ernstlichkeit) umfassenden (zumindest bedingten) Vorsatz aber gleichfalls fehlen (Eder-Rieder in WK² StGB § 142 Rz 44).
Die getroffenen Feststellungen vermögen demzufolge einen Schuldspruch des unmittelbaren Täters wegen eines (zumindest ins
Versuchsstadium gelangten) Raubes, und damit auch jenen des Beschwerdeführers, dem ein Beitrag (§ 12 dritter Fall StGB) an dieser strafbaren Handlung angelastet wurde, nicht zu tragen
(RISJustiz RS0090016; Fabrizy in WK² StGB § 12 Rz 108 ff).
Der aufgezeigte Rechtsfehler (Z 9 lit a) haftet unbekämpft auch den Schuldsprüchen A/I und A/II/2 zum Nachteil der Angeklagten G***** und Y***** an und war damit in Bezug auf diese von Amts wegen wahrzunehmen (§
290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).
Dies zwingt zur Aufhebung des Urteils im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO) sowie demgemäß auch des gemeinsam mit dem Urteil gefassten Widerrufsbeschlusses und insoweit zur Verweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht.
Eines Eingehens auf das weitere (auf Z 5 gestützte) Beschwerdevorbringen des Angeklagten F***** bedurfte es daher ebenso wenig, wie einer Erörterung der Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten G***** und Y*****.
Mit ihren (hinsichtlich des Verfallserkenntnisses teilweise verfehlt als Beschwerde bezeichneten) Berufungen waren die Angeklagten und die Staatsanwaltschaft auf die Kassation der Aussprüche über die Strafe, die Ansprüche des Privatbeteiligten S***** und den Verfall, die Angeklagten waren zudem mit ihren (teilweise implizit erhobenen; § 498 Abs 3 StPO) Beschwerden auf die Aufhebung des Widerrufsbeschlusses zu verweisen.
Bleibt zur Vermeidung von Fehlern im zweiten Rechtsgang anzumerken, dass der Y***** betreffende Strafausspruch – wie die Sanktionsrüge des Genannten zutreffend aufzeigt – mit Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO behaftet ist. Durch die Annahme des Erschwerungsgrundes „seiner falschen Beweisaussage am vor Beamten des LKA NÖ“ (ON 4 S 7 ff), bei welcher Ali Y***** – zum verfahrensgegenständlichen Raub zunächst als Zeuge vernommen – „unter Wahrheitspflicht zwar den Erstangeklagten (G*****) als mutmaßlichen Täter genannt, dabei seine eigene Tatbeteiligung jedoch ebenso verschwiegen (hatte) wie diejenige des Zweitangeklagten (F*****) und des Metin Su*****“ (US 17 iVm US 11 und 13), haben die Tatrichter nämlich – mangels eines diesbezüglich ergangenen Schuldspruchs (wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 4 StGB; vgl auch § 290 Abs 1 StGB) – gegen die Unschuldsvermutung (Art 6 Abs 2 MRK) verstoßen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 713 mwN) sowie zudem der Sache nach das Verschweigen der eigenen Tatbeteiligung als eine für die Strafzumessung entscheidende Tatsache gewertet, was dem – verfassungsrechtlich aus Art 6 Abs 2 MRK und Art 90 Abs 2 B-VG abzuleitenden, einfachgesetzlich durch § 7 Abs 2 erster Satz StPO ausdrücklich normierten – Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung (nemo-tenetur-Prinzip) widerspricht (RIS-Justiz RS0090897).
Weiters erklärte das Erstgericht – gestützt auf § 20 Abs 1 StGB (US 4), ansonsten aber unbegründet – einen (ersichtlich dem nicht sichergestellten Teil des „Raubbeute“ entsprechenden; vgl US 10 f) Betrag von 150.000 Euro „zur ungeteilten Hand für verfallen“ (US 4). Sind Vermögenswerte – wie hier – mehreren Personen zugekommen, ist bei jedem Empfänger aber nur der dem jeweils tatsächlich rechtswidrig erlangten Vermögenswert entsprechende Betrag für
verfallen zu erklären. Solidar- oder Kumulativhaftung sieht das Gesetz nicht vor (Fuchs/Tipold in WK² StGB § 20 Rz 34; RIS-Justiz RS0129964), womit das Verfallserkenntnis nichtig iSd Z 11 erster Fall des § 281 Abs 1 StPO ist.
Die Kostenentscheidung hinsichtlich des Angeklagten F***** beruht auf § 390a Abs 1 StPO. Eine solche entfällt in Bezug auf die Angeklagten G***** und Y*****, weil das Urteil im sie betreffenden Umfang zur Gänze aufgehoben wurde (Lendl, WKStPO § 390a Rz 7).
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0140OS00049.18I.0911.000 |
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