OGH vom 23.11.2020, 8Ob80/20b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei N***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Monika Roiser, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei A*****-Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Mag. Dr. Dirk Just, Rechtsanwalt in Wien, wegen 33.360 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 314/19a-26, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom , GZ 22 C 36/19h-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird eine neuerliche Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Beklagte verrechnete der Klägerin für insgesamt 279 Fahrten im Zeitraum vom bis eine Ersatzmaut gemäß § 19 Abs 1 Bundesstraßen-Mautgesetz 2002 (BStMG) von 120 EUR pro Fahrt. Die Klägerin bezahlte die Rechnungen für 278 klagsgegenständliche Fahrten.
Die von der Beklagten erlassenen und durch den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen genehmigten Mautordnungen regeln die hier relevanten „Ausnahmen von der Mautpflicht“ wie folgt:
„2.3.1 Permanente Ausnahmen
Vor der Benützung von vignettenpflichtigen Autobahnen und Schnellstraßen muss an folgenden Kraftfahrzeugen keine Vignette angebracht werden:
• Kraftfahrzeuge, an denen gemäß § 20 Abs 1 Z 4 und Abs 5 Kraftfahrgesetz 1967 (im Folgenden kurz „KFG“), Scheinwerfer oder Warnleuchten mit blauem Licht sichtbar angebracht sind, wobei im Fall von Kraftfahrzeugen gemäß § 20 Abs 5 KFG nur insofern eine Ausnahme von Mautpflicht besteht, als bei ihrer Verwendung den gemäß § 20 Abs 6 KFG erteilten Auflagen und Bedingungen entsprochen wird.“
(gültig mit ) bis einschließlich (der zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz gültigen) :
„1.3.3.1 Permanente Ausnahmen
Folgende Kraftfahrzeuge sind von der Vignettenpflicht ausgenommen:
• Kraftfahrzeuge, an denen gemäß § 20 Abs 1 Z 4 und Abs 5 Kraftfahrgesetz 1967 (im Folgenden kurz „KFG“) Scheinwerfer oder Warnleuchten mit blauem Licht sichtbar angebracht sind. Im Fall von Kraftfahrzeugen gemäß § 20 Abs 5 KFG besteht eine Ausnahme von der Mautpflicht nur für die Dauer der Verwendung des Scheinwerfers oder der Warnleuchte mit blauem Licht und wenn bei der Verwendung den gemäß § 20 Abs 6 KFG erteilten Auflagen und Bedingungen entsprochen wird. Die Rückfahrt von einem Einsatz, bei dem Scheinwerfer oder Warnleuchten mit blauem Licht verwendet wurden, ist ebenfalls von der Vignettenpflicht ausgenommen.“
Die begehrt von der Beklagten die Rückzahlung der geleisteten Ersatzmauten von (zuletzt) insgesamt 33.360 EUR sA sowie die Feststellung, dass die auf sie zugelassenen Kraftfahrzeuge mit einem höchstzulässigen Gesamtgewicht bis einschließlich 3,5 t, für welche ein gültiger Bescheid gemäß § 20 Abs 5 KFG vorliegt und an welchen Scheinwerfer oder Warnleuchten mit blauem Licht zulässig sichtbar angebracht sind, von der Mautpflicht auf mautpflichtigen Bundesstraßen gemäß § 1 BStMG ausgenommen seien, wenn die Scheinwerfer bzw die Warnleuchten mit blauem Licht nicht verwendet werden, wobei diese Ausnahme von der Mautpflicht im Falle einer örtlichen Beschränkung gemäß § 20 Abs 6 KFG nur in dem Bereich gelte, für den das Anbringen von Scheinwerfern und Warnleuchten mit blauem Licht bewilligt wurde.
Die Klägerin halte etwa 300 Kraftfahrzeuge, für die sie einen Bescheid gemäß § 20 Abs 5 KFG („Blaulichtbescheid“) erwirkt habe, der es ihr erlaube, im Einsatzfall Blaulicht zu verwenden. Bei Vorlage der betreffenden Bescheide habe die Beklagte die gesetzliche Ausnahme von der Mautpflicht für diese Fahrzeuge akzeptiert, und zwar sowohl für Einsatzfahrten (unter Verwendung des Blaulichts), als auch für Fahrten ohne Verwendung des Blaulichts. Seit dem Frühjahr 2017 habe die Beklagte der Klägerin jedoch Ersatzmaut in Höhe von jeweils 100 EUR zuzüglich 20 % USt vorgeschrieben, wenn das Fahrzeug nicht im Einsatz gewesen sei. Mit der Version 48 der Mautordnung, gültig ab , habe die Beklagte nämlich die Ausnahmen von der Vignettenpflicht neu geregelt und auf den Einsatzfall und die Rückfahrt von einem Einsatz beschränkt. Diese Bestimmung stehe im Widerspruch zu § 5 Abs 1 Z 1 BStMG und sei gemäß § 879 Abs 1 ABGB relativ nichtig. Die Klägerin habe die Ersatzmaut in jedem einzelnen Fall unter Rückforderungsvorbehalt gezahlt, um ein Verwaltungsstrafverfahren gegen ihre Geschäftsführer zu vermeiden. Die geforderte Rückzahlung habe die Beklagte abgelehnt.
Die wendet ein, dass Fahrzeuge mit „Blaulichtbescheid“ im Sinn des § 20 Abs 5 KFG, die mit Blaulicht ausgestattet seien, nur bei Verwendung des Blaulichts von der Mautpflicht ausgenommen seien. Diese Ausnahme stehe unter der weiteren Einschränkung, dass sämtliche Auflagen und Bedingungen des jeweiligen Bescheids im Sinn des § 20 Abs 6 KFG eingehalten würden. Des Weiteren wird bestritten, dass die Klägerin für die betreffenden Fahrzeuge zu den jeweiligen Fahrtzeitpunkten über gültige „Blaulichtbescheide“ verfügt und die Zahlungen der Ersatzmaut im Einzelfall unter Rückforderungsvorbehalt geleistet habe. Schließlich sei eine fristgerecht bezahlte Ersatzmaut per se nicht rückforderbar, stelle doch die fristgerechte und ordnungsgemäße Entrichtung der Ersatzmaut einen Strafaufhebungsgrund dar.
Das t gab sowohl dem Zahlungs- als auch dem Feststellungsbegehren statt. Durch die Einschränkung der permanenten Ausnahmen von der Vignettenpflicht ab Version 48 der Mautordnung „nur für die Dauer der Verwendung des Scheinwerfers oder der Warnleuchte mit blauem Licht“ bzw für die Rückfahrt von einem Einsatz entferne sich die Beklagte von den ihr mit dem BStMG eingeräumten Befugnissen. Die Beschränkung der im öffentlichen Interesse gelegenen Befreiung auf tatsächliche Einsatzfahrten (samt Rückfahrten) widerspreche auch dem Sinn des § 5 Abs 1 BStMG, weil die Halter in dem Moment, in dem sich ihre Fahrzeuge außerhalb eines Einsatzes auf mautpflichtigen Straßen bewegten, zum Erwerb einer Vignette bei der Beklagten verpflichtet wären. Jedenfalls unzulässig sei die Verrechnung von Ersatzmaut bis , weil die Version 48 der Mautordnung erst am gültig gewesen sei.
Das gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es ging davon aus, dass die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche insgesamt der Rechtsmittelbeschränkung des § 501 ZPO unterliegen würden, und behandelte demgemäß nur den Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung, nicht aber die weiters ausgeführten Berufungsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen Tatsachenfeststellung. Dem Vorbringen der Klägerin seien keine Anhaltspunkte zu entnehmen, die für einen tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang der jeweils durch Rechnungsnummer, Datum der Fahrt und Kennzeichen individualisierten Ersatzmaut von je 120 EUR sprechen würden. Auch wenn die rechtliche Qualifikation der jeweils gültigen Mautordnung zur identischen rechtlichen Beurteilung einer Vielzahl von Ansprüchen führe, würden den offenbar auf den Titel der Bereicherung gestützten Rückforderungsansprüchen zwischen den Streitparteien jeweils durch die einzelnen Fahrten abgeschlossene Einzelverträge zur Straßenbenutzung samt in jedem einzelnen Fall erklärten Rückforderungsvorbehalten zugrunde liegen, wodurch es zu einem unterschiedlichen rechtlichen Schicksal der Einzelansprüche kommen könne.
Die Klägerin habe ihr Feststellungsbegehren im Rubrum der Klage wirksam mit 2.000 EUR bewertet, sodass kein Raum für den von der Beklagten in erster Instanz bemühten Zweifelsstreitwert bliebe. Die von der Beklagten vorgenommene Streitwertbemängelung habe sich nur auf die Bemessungsgrundlage nach RATG, nicht aber JN beziehen können. Die im erstinstanzlichen Verfahren erfolgte Einigung der Parteien auf einen Streitwert von (letztlich) 7.500 EUR für das Feststellungsbegehren gemäß § 7 Abs 2 RATG habe auf die mit der Klage vorgenommene Bewertung des Begehrens auf Feststellung nach JN mit 2.000 EUR und damit auf die Rechtsmittelzulässigkeit bzw die Beschränkung der Berufungsgründe keinerlei Einfluss. Abgesehen davon, dass die Zusammenrechnung eines Geldanspruchs auf 120 EUR mit den 2.000 EUR für das Feststellungsbegehren schon rechnerisch zu keiner Beseitigung der Beschränkung der Berufungsgründe (§ 501 ZPO) führe, bestehe auch zwischen dem einzelnen Leistungsbegehren auf 120 EUR und dem Feststellungsbegehren nach dem Vorbringen der Klägerin weder ein tatsächlicher noch ein rechtlicher Zusammenhang im Sinn des § 55 JN.
Im Übrigen teilte das Berufungsgericht die Rechtsansicht des Erstgerichts: Bei den Mautordnungen handle es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen, die trotz der ex ante Prüfung durch die Aufsichtsbehörde der nachträglichen Prüfung durch ein mit der Streitsache befasstes Gericht unterliegen würden. Eine Wortinterpretation des § 5 Abs 1 Z 1 BStMG idgF ergebe, dass Fahrzeuge, die über eine Bewilligung gemäß § 20 Abs 5 KFG 1967 („Blaulichtbescheid“) verfügten, mit angebrachtem Blaulicht unter Einhaltung der in der Bewilligung (§ 20 Abs 5 KFG 1967) enthaltenen Auflagen und Bedingungen beim Befahren einer mautpflichtigen Bundesstraße von der Entrichtung einer Maut nach dem BStMG befreit seien. Bei den Ausnahmen von der Mautpflicht solle es sich zwar um solche im „öffentlichen Interesse“ handeln; das „öffentliche Interesse“ sei aber im Fall des § 20 Abs 5 KFG 1967 bereits durch die Bewilligung der Behörde bejaht worden. Trotzdem verlange die Beklagte für Fahrzeuge nach dem § 20 Abs 5 KFG 1967 – ohne ersichtliche Rechtfertigung – die Verwendung des Blaulichts. Damit werde aber entgegen der Intention des Gesetzgebers die Klägerin durch die Mautordnungen der Beklagten ab der Version 48 massiv in ihrer Rechtsposition beeinträchtigt, sodass der erste Absatz des Punkts „Permanente Ausnahmen“ dieser Mautordnungen für die Klägerin eine gröbliche Benachteiligung im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB darstelle und damit als nichtig anzusehen sei.
Die Grundlage für die Kondiktionsansprüche auf Rückforderung der Maut wegen der Nichtigkeit einer Vertragsklausel nach dem § 879 Abs 3 ABGB finde sich in § 877 ABGB. Die Rückforderbarkeit nach § 877 ABGB setze grundsätzlich keinen Irrtum des Leistenden in Bezug auf die Leistungsverpflichtung voraus.
Da die vom Erstgericht festgestellten Fahrten mit Fahrzeugen der Klägerin bei rechtsrichtiger Auslegung nicht den Tatbestand von „Taten gemäß Abs 1 bis 3“ (§ 20 Abs 5 BStMG idgF) erfüllten, sei von vornherein keine Strafbarkeit („Mautprellerei“) gegeben gewesen, die durch die Zahlung der Ersatzmauten hätte hinfällig werden können. Die Konzeption des BStMG stehe der Rückforderbarkeit entgegen der Meinung der Beklagten daher nicht entgegen; § 20 Abs 6 BStMG sei auf die festgestellten Fahrten noch nicht anwendbar.
Der Spruch des Feststellungsurteils sei auch nicht zu weit gefasst, weil im Folgeprozess ohnehin geprüft werden müsse, ob der geltend gemachte Schaden von der Ersatzpflicht umfasst sei.
Das Berufungsgericht bewertete den Wert des Entscheidungsgegenstands (in Orientierung an den Geldforderungen der Klägerin) mit 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil – soweit ersichtlich – eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage der Rückforderbarkeit der Ersatzmaut auf Grundlage der Mautordnungen der Beklagten nicht vorliege und darin eine Rechtsfrage des materiellen Rechts zu erblicken sei, der erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zukomme.
Dagegen richtet sich die von der Klägerin beantwortete aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung.
Die Revision ist , weil dem Berufungsgericht ein vom Obersten Gerichtshof aufzugreifender wesentlicher Verfahrensfehler unterlaufen ist. Sie ist entsprechend ihres hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch .
Rechtliche Beurteilung
1.1 Werden in einer Klage mehrere Forderungen geltend gemacht, dann bilden sie nur dann einen einheitlichen Streitgegenstand, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN vorliegen; andernfalls sind sie getrennt zu behandeln (RISJustiz RS0053096). § 55 Abs 1 JN ist als Ausnahme vom Grundsatz der Nichtzusammenrechnung anzusehen, sodass eine Zusammenrechnung im Zweifel ausscheidet (RS0122950).
1.2 Die Zusammenrechnung der Werte mehrerer Ansprüche (objektive Klagenhäufung) setzt einen tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang voraus. Mehrere Ansprüche stehen in einem tatsächlichem Zusammenhang, wenn sie aus demselben Klagssachverhalt abgeleitet werden können, wenn also das für einen Anspruch erforderliche Sachvorbringen ausreicht, um auch über die anderen geltend gemachten Ansprüche zu entscheiden, ohne dass noch ein ergänzendes Sachvorbringen erforderlich wäre (RS0042766). Ein rechtlicher Zusammenhang liegt vor, wenn die Ansprüche aus einer Gesetzesvorschrift oder einem einheitlichen Rechtsgeschäft abgeleitet werden (RS0037648) und miteinander in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (RS0037648 [T18, T 19]).
1.3 Ein innerer tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang besteht jedoch dann nicht, wenn jeder der mehreren Ansprüche ein ganz verschiedenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben kann; in einem solchen Fall ist jeder Anspruch gesondert zu beurteilen, ohne dass eine Zusammenrechnung stattfindet (RS0037899). Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass Ansprüche aus verschiedenen Verträgen betreffend verschiedene Rechtsgüter auch bei Gleichartigkeit nicht in einem sachlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen (RS0037926 [T23, T 26]).
1.4 Ob die Voraussetzungen für eine Zusammenrechnung vorliegen, ist nach den Klagebehauptungen zu beurteilen (RS0042741; RS0106759).
2.1 Mit dieser Rechtsprechung steht die Beurteilung des Berufungsgerichts in Einklang, dass die einzelnen Zahlungsansprüche hier nicht zusammenzurechnen sind. Die Klägerin stützt ihr Rückzahlungsbegehren darauf, dass sie „in jedem einzelnen Fall“ unter Rückforderungsvorbehalt eine Ersatzmaut geleistet habe, die ihr jeweils für die Benutzung der Mautstraßen der Beklagten mit einem ihrer (zahlreichen) über einen „Blaulichtbescheid“ verfügenden Kraftfahrzeuge zu Unrecht in Rechnung gestellt worden sei. Ausgehend von diesem Vorbringen kann jeder dieser Ansprüche ein verschiedenes Schicksal haben, je nachdem, ob im Einzelfall die Ersatzmaut bezahlt wurde, ein gültiger „Blaulichtbescheid“ für das betroffene Fahrzeug vorlag oder ein Rückforderungsvorbehalt auch erklärt wurde. Die Ansprüche werden nach den Klagebehauptungen auch nicht aus einem einzigen einheitlichen Rechtsgeschäft, sondern aus verschiedenen Vorgängen (den nach Ansicht der Klägerin zu Unrecht erfolgten Ersatzmautvorschreibungen) abgeleitet. Daran ändert nichts, dass – wie die Revisionswerberin richtig bemerkt – die einzelnen Ansprüche nicht zuletzt auch von der Auslegung der gesetzlichen Vorschrift über die Ersatzmaut bzw der Anwendbarkeit der Mautordnungen der Beklagten, also einer Rechtsfrage abhängen, die für sämtliche Ansprüche ident zu beantworten ist. Die Anwendung derselben Norm auf verschiedene (wenn wie hier auch gleichartige) Sachverhalte genügt nämlich nicht (vgl auch 4 Ob 231/98v).
2.2 Gemäß § 55 Abs 1 JN sind allerdings das Begehren auf Feststellung eines Rechtsverhältnisses und der Anspruch auf die aus diesem Rechtsverhältnis abgeleiteten Leistungen zusammenzurechnen (RS0042923 [T1]; Gitschthaler in Fasching/Konecny3§ 55 JN Rz 16 mwN). Das muss sinngemäß auch hier gelten: Es soll ja festgestellt werden, dass die Klägerin berechtigt ist, mit jedem ihrer Kraftfahrzeuge, das über einen aufrechten „Blaulichtbescheid“ verfügt, die Mautstraßen der Beklagten auch außerhalb eines Einsatzes zu benutzen, ohne hierfür entgeltpflichtig zu werden. Darauf fußt (auch) jeder einzelne Rückzahlungsanspruch. Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts findet daher eine Zusammenrechnung des Feststellungsbegehrens mit jedem einzelnen auf 120 EUR gerichteten Zahlungsbegehren statt. Diese Zusammenrechnung wirkt sich konkret auch auf die Rechtsmittelzulässigkeit aus.
3.1 Das Berufungsgericht ist im Zusammenhang mit der Rechtsmittelbeschränkung des § 501 ZPO unrichtig davon ausgegangen, dass es einerseits zwar an den von der Klägerin angegebenen Streitwert gebunden ist, andererseits aber durch eine davon abweichende Bewertung den Rechtsmittelzug an den Obersten Gerichtshof eröffnen kann:
3.2 Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist die Revision gegen ein Urteil des Berufungsgerichts unzulässig, wenn das Erstgericht nur über einen Streitgegenstand entschieden hat, der an Geld oder Geldeswert 2.700 EUR nicht übersteigt (§ 501 ZPO). In einem solchen Fall ist das Berufungsgericht grundsätzlich an den vom Kläger als Wert des Streitgegenstands angegebenen Betrag gebunden und es steht ihm nicht frei, abweichend von der Bewertung des Klägers auszusprechen, dass die im § 500 Abs 2 Z 1 lit a ZPO genannte Wertgrenze überschritten wurde, außer es liegt eine offensichtliche Unterbewertung vor (RS0042584 [T1]; RS0042469 [T6]; RS0117339 [T1]; zuletzt etwa 5 Ob 76/19s dazu, dass dies jedoch bereits das Berufungsgericht bei der Frage der Zulässigkeit der Berufungsgründe zu berücksichtigen hat 6 Ob 19/03t). Von dieser Ausnahme abgesehen bindet daher ein höherer Bewertungsausspruch durch das Berufungsgericht den Obersten Gerichtshof nicht (RS0117339; 6 Ob 640/95; 1 Ob 292/02a). Nur dann, wenn das Erstgericht über einen Streitgegenstand entschieden hat, der an Geld oder Geldeswert 2.700 EUR übersteigt, kommt die Bestimmung des § 500 Abs 2 ZPO zum Tragen, dass das Gericht zweiter Instanz nicht an die Geldsumme gebunden ist, die der Kläger als Wert des Streitgegenstands angegeben hat (RS0042584).
3.3 Im vorliegenden Fall hängt die spiegelbildlich zu beurteilende Frage der Rechtsmittelbeschränkung und -zulässigkeit daher davon ab, ob eine offensichtliche Unterbewertung vorliegt. Auf eine offensichtliche Unterbewertung ist von Amts wegen Bedacht zu nehmen (6 Ob 19/03t mwN).
Es gibt massive Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin ihr Feststellungsbegehren durch die Angabe des Streitwerts mit 2.000 EUR im Rubrum der Klage (vgl Mayr in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 56 JN Rz 6) unterbewertet hat. So hat die Beklagte bereits in ihrem vorbereitenden Schriftsatz vom unter Hinweis auf die in der Klage geltend gemachte Summe der Ersatzmauten (von dort noch 7.080 EUR), aber auch auf die Kosten einer Jahresvignette für insgesamt rund 300 Fahrzeuge von 26.190 EUR (für das Jahr 2018) den Streitwert von 2.000 EUR stichhältig als zu niedrig bemängelt. Schließlich haben sich die Parteien im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens auch auf eine Bewertung des Feststellungsbegehrens mit zunächst 5.000 EUR und schließlich 7.500 EUR verständigt. Das Berufungsgericht selbst scheint sich der Einschätzung angeschlossen zu haben, dass die Klägerin das Feststellungsbegehren zu niedrig bewertet hat, wäre es doch sonst beim Zulassungsausspruch nicht von einem 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigenden Entscheidungsgegenstand ausgegangen. Ungeachtet dessen hat es sich in Verkennung der Rechtslage bei der Frage der Zulässigkeit der Berufungsgründe an die Bewertung des Feststellungsbegehrens mit 2.000 EUR durch die Klägerin für gebunden erachtet und die Berufung damit zu Unrecht teilweise unerledigt gelassen (vgl 6 Ob 19/03t). Das Berufungsgericht wird daher im zweiten Rechtsgang die Verfahrens- und Beweisrüge der Beklagten, insbesondere auch zu der Frage, ob für die im Zuge der klagsgegenständlichen Fahrten verwendeten Kraftfahrzeuge überhaupt gültige „Blaulichtbescheide“ vorlagen, meritorisch zu behandeln haben, zumal sich die aufgeworfenen Rechtsfragen erst stellen, wenn diese Voraussetzung auf Tatsachenebene erfüllt ist.
4. Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 ZPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0080OB00080.20B.1123.000 |
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