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OGH vom 27.04.1995, 8ObS10/95

OGH vom 27.04.1995, 8ObS10/95

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Langer sowie die fachkundigen Laienrichter Hofrat Robert List und Reg.Rat Robert Letz als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hermann S*****, vertreten durch Dr.Burghard Hirn, Rechtsanwalt in Feldkirch, wider die beklagte Partei Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen V*****, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen Insolvenzausfallgeld (S 403.122 sA), infolge Revision und Antrag der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 5 Rs 106/94-9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 35 Cgs 61/94a-5, abgeändert wurde,

1. den

Beschluß

gefaßt:

Der Antrag der klagenden Partei auf Fällung eines Anerkenntnisurteils durch den Obersten Gerichtshof wird zurückgewiesen;

2. zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben.

In Abänderung des angefochtenen Urteils wird das erstgerichtliche klagsstattgebende Zwischenurteil wiederhergestellt.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war von August 1972 bis Juni 1990 bei einer Baufirma, über deren Vermögen mit Wirkung vom das nach wie vor anhängige Konkursverfahren eröffnet worden ist, als pensionsversicherungspflichtiger Arbeitnehmer (Mechaniker) beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete vor Konkurseröffnung durch Kündigung, vereinbarte einvernehmliche Auflösung oder vorzeitige Auflösung. Im Jahre 1990 stellte der Kläger bei der für ihn zuständigen Pensionsversicherungsanstalt einen Antrag auf Gewährung der Invaliditätspension. Im Zuge des Pensionsverfahrens erlangte der Kläger erstmals Kenntnis davon, daß die spätere Gemeinschuldnerin in den letzten 14 Jahren des bestandenen Arbeitsverhältnisses wesentlich geringere Sozialversicherungsbeiträge abgeführt hatte als sie entsprechend der getroffenen Entgeltvereinbarung abzuführen gehabt hätte. Die Pensionversicherungsanstalt schloß mit dem Kläger am einen gerichtlichen Vergleich, wonach sie den Anspruch des Klägers auf Invaliditätspension ab anerkannte. Ausgehend von diesem Vergleich wurde dem Kläger mit Bescheid, der in Rechtskraft erwachsen ist, ab eine Invaliditätspension von monatlich S

14.356 brutto zuerkannt. Vor Erlassung des Bescheides machte der zuständige Sozialversicherungsträger die an ihn nicht abgeführten Beitragsteile, soweit sie noch nicht verjährt waren, bei der Gemeinschuldnerin mittels Bescheides geltend. Die Beitragsteile, die die Zeit vor dem betrafen, konnten zufolge eingetretener Verjährung weder gegen die Gemeinschuldnerin noch gegen andere Mithaftende geltend gemacht werden. Sie galten daher zum Zeitpunkt der Erlassung des Pensionsbescheides als endgültig nicht entrichtet.

Der Kläger machte im Konkursverfahren Ansprüche in Höhe von S 389.258,16 und S 94.130,40, jeweils netto, als Konkursforderungen mit der Begründung geltend, daß es sich dabei um den dem Kläger erwachsenen Pensionsschaden handle, der durch die Nichtabführung der Beiträge durch die Gemeinschuldnerin entstanden sei. Der Zeitraum erstrecke sich vom bis zum 77. Lebensjahr des Klägers (). Der erstgenannte Anspruch blieb in der Prüfungstagsatzung strittig; auch der nach dieser Prüfungstagsatzung angemeldete zweite Anspruch wurde noch nicht geprüft, sodaß diesbezüglich keine festgestellten Konkursforderungen vorliegen.

Der Kläger machte bei der beklagten Partei Insolvenzausfallgeld in der Gesamthöhe von S 409.668 geltend, wovon die beklagte Partei lediglich S 6.542 als Schadenersatz für die Zeit vom 1.7. bis anerkannte und den weiteren Anspruch auf Insolvenzausfallgeld in Höhe von S 403.122 mit der Begründung ablehnte, daß es sich bei der geltend gemachten Forderung zwar um Schadenersatzansprüche iSd § 1 Abs 2 Z 2 IESG handle, daß diese Ansprüche aber nicht gesichert seien, weil eine Sicherung der Ansprüche nur bis zum Ende des dritten Monats nach dem Tag der Konkurseröffnung reiche.

Dadurch, daß die Gemeinschuldnerin, bezogen auf das klägerische Arbeitsverhältnis, in der Zeit vor dem die Sozialversicherungsbeiträge nicht entsprechend dem maßgeblichen Erwerbseinkommen entrichtet hatte, war bei der Feststellung der Invaliditätspension des Klägers eine geringere Bemessungsgrundlage gegeben, sodaß dem Kläger ab eine geringere Invaliditätspension zusteht, als ihm zustände, wenn die Gemeinschuldnerin während des Arbeitsverhältnisses vor dem die dem maßgeblichen Erwerbseinkommen entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge tatsächlich entrichtet hätte. Seit bezieht der Kläger daher eine um zumindest S 500 monatlich geringere Invaliditätspension.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Bezahlung des nicht anerkannten Insolvenzausfallgeldes in Höhe von S 403.122 sA.

Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung unter Wiederholung der in ihrem Bescheid enthaltenen Begründung, daß der Schade des Klägers mit begrenzt und daß auch der Höhe nach die Berechnungsweise des Klägers unzutreffend sei.

Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, daß das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe und vertrat in seiner Hauptbegründung die Ansicht, daß es sich bei den Forderungen des Klägers um Schadenersatzforderungen iSd § 1 Abs 2 Z 2 IESG in der hier anzuwendenden Fassung BGBl 1990/282 handle, die aus dem Arbeitsverhältnis resultiere. Die Ansprüche des Klägers seien vor dem als dem maßgeblichen Stichtag für die Erlangung der Invaliditätspension durch den Kläger entstanden. Der den Schadenersatz begründende Sachverhalt sei mit der rechtswidrigen, schuldhaften und nicht vollständigen Abführung der tatsächlich zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge verwirklicht worden und demgemäß vor dem Ende des dritten Monats nach Konkurseröffnung, wenn auch bedingt und in noch unbestimmter Höhe, entstanden.

Infolge Berufung der beklagten Partei änderte das Berufungsgericht die Entscheidung im klagsabweisenden Sinn ab. Es vertrat zusammengefaßt die Meinung, der Entgang des Pensionsanspruches müsse als positiver Schaden gewertet werden. Voraussetzung sei, daß tatsächlich ein Schade eingetreten sei. Der Schade sei weder durch die Unterlassung der ordnungsgemäßen Abführung noch durch die Auflösung des Dienstverhältnisses entstanden, sondern frühestens mit dem Zeitpunkt, ab dem dem Kläger eine Pensionsleistung zugestanden sei. Dieser Zeitpunkt sei zwar innerhalb des maßgeblichen Zeitraumes des § 3 Abs 1 IESG gelegen, sei aber von der beklagten Partei richtigerweise auf den dritten Monat nach Ende der Konkurseröffnung beschränkt worden. Der Schaden des Klägers trete nicht unter einem in voller Höhe, sondern nur fortlaufend Monat für Monat ein; es handle sich nicht um einen bedingten oder betagten Anspruch, der zu kapitalisieren sei; Voraussetzung für den Anfall der Pension sei nämlich, daß der Pensionsberechtigte den Anfallstag bzw Fälligkeitstag tatsächlich erlebe.

Rechtliche Beurteilung

Gegen das berufungsgerichtliche Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils. Hiebei stützt er sich im wesentlichen auf die Begründung des Erstgerichtes und hilfsweise auch auf EWG-Recht.

Die beklagte Partei, nunmehr vertreten durch die Finanzprokuratur, pflichtet der in der Revision vertretenen Rechtsansicht bei.

Infolgedessen beantragte der Kläger die Fällung eines Anerkenntnisurteiles durch den Obersten Gerichtshof.

1. Der Antrag auf Fällung eines Anerkenntnisurteiles ist schon deshalb zurückzuweisen, weil in den Ausführungen der Revisionsbeantwortung kein formelles Anerkenntnis erblickt werden kann (vgl EvBl 1966/382).

2. Die Revision ist aber aus rechtlichen Gründen berechtigt. Die angefochtene Entscheidung ist im Sinn der Wiederherstellung des klagsstattgebenden erstgerichtlichen Zwischenurteiles abzuändern. Im Hinblick darauf, daß die Rechtsfrage zwischen den Streitteilen nicht mehr strittig ist, erübrigt sich eine ausführliche Begründung; es genügt im wesentlichen auf die Ausführungen in der Revision und der Revisionsbeantwortung zu verweisen.

Zusammengefaßt ist in rechtlicher Hinsicht festzuhalten: Der Schadenersatzanspruch des Klägers, der aus der rechtswidrigen, schuldhaften und nicht vollständigen Abführung der tatsächlich zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge resultiert, wodurch der Kläger eine geringere Invaliditätspension bezieht, als er bei ordnungsgemäßer Entrichtung der Beträge erhalten würde, ist bereits im Zeitpunkt der schädigenden Handlung dem Grunde nach entstanden. Dieser Zeitpunkt liegt, gleichgültig, ob man die schädigende Handlung in der Verletzung der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht oder in der Verletzung der sozialversicherungsrechtlichen Melde- und Beitragspflicht sieht, lange vor Konkurseröffnung, weshalb für diesen Schadenersatzanspruch Insolvenz-Ausfallgeld gemäß § 1 Abs 2 Z 2 IESG gebührt, der betraglich nicht beschränkt ist. Da dieser Schadenersatzanspruch inhaltlich an die Stelle der jeweils richtigen Pensionsansprüche tritt, handelt es sich bei ihm um eine wiederkehrende Leistung iSd § 15 KO, die kapitalisiert und unter Abzug der in § 14 Abs 3 KO bezeichneten Zwischenzinsen für betagte unverzinsliche Forderungen geltend zu machen ist.

Da der geltend gemachte Anspruch bereits nach nationalem Recht zu Recht besteht, braucht auf die Frage, ob und welche Ansprüche der Kläger allenfalls aus der Richtline 80/978/EWG über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers ableiten könnte, nicht eingegangen zu werden.

Der Kostenvorbehalt beruht auf den §§ 52 Abs 1 und 393 Abs 4 ZPO iVm § 2 Abs 2 ASGG.