OGH 30.05.2012, 8ObS1/12y
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras sowie die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger und Mag. Wolfgang Kozak als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Erwin B*****, vertreten durch Dr. Martina Withoff, Rechtsanwältin in Zwettl, gegen die beklagte Partei IEF-Service GmbH, 3100 St. Pölten, Grenzgasse 11/4, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17-19, wegen 11.680,95 EUR, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Rs 93/11m-13, mit dem über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Krems als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 22 Cgs 70/10b-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Der Kläger war zunächst mehrere Jahre bei einer GmbH im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses als Kraftfahrer beschäftigt. Wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten der Arbeitgeberin wurde ihm vorgeschlagen, seine bisherige Tätigkeit im Rahmen eines Gesellschaftsverhältnisses - nämlich als Kommanditist einer zu errichtenden KG - zu verrichten. Der Kläger stimmte dem zu und wurde auch über seine neue Funktion als Kommanditist und Selbständiger aufgeklärt. Er sollte nach dem Vertrag ausschließlich als Gesellschafter tätig werden und aufgrund der Kilometerleistungen Gutschriften auf sein Gesellschafterkonto erhalten. Auf diese Weise war er von April 2004 bis Ende 2006 als Fernfahrer bei der neu errichteten KG beschäftigt, deren Komplementärin seine bisherige Dienstgeberin war. Der Kläger war als Kommanditist im Firmenbuch eingetragen und bei der Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft gemeldet. Die tatsächlich von ihm ausgeübte Tätigkeit unterschied sich von seiner früheren Tätigkeit als Arbeitnehmer nicht. Insbesondere war er in der gleichen Art und Weise den Anweisungen des Geschäftsführers der GmbH unterworfen.
Nach Beendigung seiner Tätigkeit Ende 2006 erhob er eine ua auf den Zuspruch von Sonderzahlungen gerichtete Klage, der mit Urteil vom letztlich gegen die GmbH (auch als Rechtsnachfolgerin der KG) Folge gegeben wurde. Das Gericht ging vom Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses aus. Am wurde der Antrag auf Eröffnung des Konkurses über die GmbH mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen.
Mit seiner nunmehrigen Klage begehrt der Kläger Insolvenz-Ausfallgeld in Höhe der Sonderzahlungen für die Jahre 2004, 2005 und 2006. Sein Rechtsverhältnis zu seiner Dienstgeberin sei trotz seiner Qualifizierung als Gesellschaftsverhältnis ein Arbeitsverhältnis gewesen.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die hier maßgeblichen Sonderzahlungen seien bereits mehr als sechs Monate vor Klagseinbringung fällig gewesen und daher entsprechend § 3a Abs 1 IESG nicht gesichert. Im Übrigen sei die Geltendmachung der Klageforderung auch sittenwidrig, da sich der Kläger bewusst für die Anmeldung nach dem GSVG entschieden habe und dementsprechend keine Beiträge nach dem IESG geleistet worden seien.
Dem Einwand der Verfristung hielt der Kläger entgegen, dass er zunächst nicht gewusst habe, dass ihm die Sonderzahlungen zustehen. Dies sei ihm erst nachträglich von der Arbeiterkammer mitgeteilt worden. § 3a Abs 1 IESG ziele darauf ab, die missbräuchliche Inanspruchnahme von Insolvenz-Ausfallgeld zu verhindern. Dies sei aber hier nicht der Fall.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Wesentlichen statt. Zwar seien die Sonderzahlungen schon mehr als sechs Monate vor der gerichtlichen Einklagung fällig gewesen; es handle sich jedoch um Ansprüche nach dem Kollektivvertrag. Für die Differenz zwischen unterkollektivvertraglicher und kollektivvertraglicher Entlohnung gelte die Sechsmonatsfrist aber nicht.
Das Berufungsgericht gab der Revision der Beklagten Folge und änderte das Urteil im klagsabweisenden Sinne ab. Grundsätzlich erfasse § 3a Abs 1 IESG auch Sonderzahlungen. Die nach dieser Bestimmung geltende Sechsmonatsfrist komme - soweit hier von Interesse - nicht zum Tragen, soweit eine Differenz zwischen unterkollektivvertraglicher und kollektivvertraglicher Entlohnung beantragt werde. Diese Formulierung beziehe sich auf ein Abweichen des vereinbarten Lohns von den kollektivvertraglichen Ansätzen, das der Arbeitnehmer nicht erkennen habe können. Darunter könne jedoch die Nichtzahlung von Sonderzahlungen nicht verstanden werden, wären doch andernfalls die Sonderzahlungen immer unbeschränkt gesichert. Im Übrigen habe dem Kläger auch durchaus bewusst sein müssen, dass er nach der einvernehmlichen Umwandlung in ein Gesellschaftsverhältnis deutlich weniger Entgelt erhalten habe, sodass ihm das Abweichen seines Einkommens vom kollektivvertraglichen Entgelt habe auffallen müssen. Dies schließe seinen Anspruch jedenfalls aus.
Die ordentliche Revision sei zulässig, weil der Oberste Gerichtshof noch nicht über eine „Fallkonstellation wie hier“ entschieden habe.
Rechtliche Beurteilung
Die vom Kläger erhobene Revision ist dessen ungeachtet nicht zulässig.
Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit an den Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Gemäß § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Dies ist hier nicht der Fall.
I. Das Berufungsgericht verwies zu Recht und auch unbestritten darauf, dass der Kläger mit dem aus dem Gesellschaftsvertrag resultierenden Einkommen nicht einmal den kollektivvertraglichen Mindestlohn ohne Sonderzahlungen erhalten hat. Dies entspricht dem eigenen Vorbringen des Klägers in der Klage und musste ihm auch auffallen. Umso mehr musste ihm klar sein, dass er die von ihm vorher bezogenen Sonderzahlungen nicht mehr erhalten hat. Die nunmehr in der Revision ins Treffen geführte Hoffnung des Klägers, aus der gewählten Konstruktion - ua über ausbezahlte Gewinnanteile - mehr Entgelt zu erhalten, wurde weder festgestellt noch im erstgerichtlichen Verfahren vorgebracht. Eine erhebliche Rechtsfrage vermag der Kläger in diesem Zusammenhang jedenfalls nicht darzustellen.
II. § 3a Abs 1 IESG ordnet Folgendes an:
„Insolvenz-Entgelt gebührt für das dem Arbeitnehmer gebührende Entgelt einschließlich der gebührenden Sonderzahlungen, das in den letzten sechs Monaten vor dem Stichtag (§ 3 Abs 1) oder, wenn das Arbeitsverhältnis vor dem Stichtag geendet hat, in den letzten sechs Monaten vor dessen arbeitsrechtlichen Ende fällig geworden ist. Die Frist von sechs Monaten gilt nicht, soweit Ansprüche auf Entgelt binnen sechs Monaten nach ihrem Entstehen gerichtlich oder im Rahmen eines in Normen der kollektiven Rechtsgestaltung vorgesehenen Schlichtungsverfahrens oder eines Verfahrens vor der Gleichbehandlungskommission zulässigerweise geltend gemacht wurden und das diesbezügliche Verfahren gehörig fortgesetzt wird und soweit eine Differenz zwischen unterkollektivvertraglicher und kollektivvertraglicher Entlohnung beantragt wird ...“.
III. Der Kläger bestreitet nicht, dass er die Frist von sechs Monaten nicht eingehalten hat; er stützt sich ausschließlich darauf, dass die mangelnde Leistung der Sonderzahlung eine unterkollektivvertragliche Entlohnung im Sinne des letzten Halbsatzes des § 3a Abs 1 IESG sei, sodass die Frist gar nicht zur Anwendung komme.
IV. § 3a Abs 1 IESG wird vom Obersten Gerichtshof dahin ausgelegt, dass der Unterschiedsbetrag zwischen unterkollektivvertraglicher und kollektivvertraglicher Entlohnung nur dann der zeitlichen Begrenzung entgeht, wenn der Arbeitnehmer das Abweichen des vereinbarten Lohns von den Ansätzen des Kollektivvertrags zumutbarerweise nicht erkennen konnte (RIS-Justiz RS0116312). Auch wurde bereits ausgesprochen, dass diese Ausnahmebestimmung in § 3a Abs 1 IESG dann, wenn eine kollektivvertragliche Leistung zur Gänze nicht bezahlt wird, nicht zum Tragen kommt (8 ObS 6/10f - Jubiläumsgeld). Auch wenn sich gerade bei vom Kollektivvertrag abweichenden, oft auf längere Zeitperioden bezogenen unübersichtlichen Entgeltsystemen durchaus Anwendungsfälle für die Ausnahmebestimmung ergeben könnten, trifft dies hier nicht zu. Gerade im vorliegenden Fall musste dem Kläger ganz offensichtlich bewusst sein, dass er vorher im Dienstverhältnis Sonderzahlungen bezog, diese aber dann nicht mehr bekommen hat und auch sein sonstiges Entgelt unter dem Kollektivvertrag lag.
V. Insgesamt vermag die Revision ausgehend von der bereits vorliegenden Rechtsprechung jedenfalls keine Rechtsfrage im Sinne der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO darzustellen.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
Schlagworte | Arbeitsrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2012:008OBS00001.12Y.0530.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
VAAAE-07917