OGH vom 14.02.2017, 11Os89/16x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Oeljeschläger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Midhat C***** und einen weiteren Angeklagten wegen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Midhat C***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom , GZ 42 Hv 43/15x-58, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Sauter LL.M., der Privatbeteiligtenvertreterin, Mag. Schmotzer, des Verteidigers Dr. Philipp sowie des Angeklagten C***** zu Recht erkannt:
Spruch
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:
Midhat C***** wird für die ihm zur Last liegenden Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB unter Anwendung von § 28 StGB nach § 207 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 13 Monaten verurteilt.
Gemäß § 43a Abs 3 StGB wird ein Strafteil von elf Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.
Mit seiner den Strafausspruch betreffenden Berufung wird der Angeklagte C***** auf diese Entscheidung verwiesen.
Seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche wird nicht Folge gegeben.
Ihm fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen Freispruch eines Mitangeklagten enthält, wurde Midhat C***** mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er in Wien dadurch, dass er die am geborene S***** von 2007 bis 2010 wiederholt zum Teil über der Kleidung, zum Teil am unbekleideten Genitalbereich betastete, geschlechtliche Handlungen an einer unmündigen Person vorgenommen.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Der Vorwurf (Z 5 zweiter Fall) fehlender Auseinandersetzung mit angeblich widersprüchlichen Aussagen des Sachverständigen zur Prüfung der Möglichkeit einer durch Suggestion entstandenen Falschaussage der Zeugin S***** entzieht sich schon deshalb einer Erwiderung, weil er die klarstellenden Ausführungen des diesbezüglich auf das schriftliche Gutachten verweisenden Experten übergeht, wonach eine solche Prüfung zufolge des Lebensalters des Kindes unterlassen wurde (ON 36 S 17).
Die in Zweifel gezogene Verlässlichkeit der Expertise des Sachverständigen unterlag als Beweisfrage allein der Einschätzung des Gerichts (RIS-Justiz RS0097433).
Die Beurteilung der Überzeugungskraft von Aussagen kann unter dem Gesichtspunkt einer Unvollständigkeit mangelhaft erscheinen, wenn sich das Gericht mit gegen die Glaubwürdigkeit sprechenden Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt hat (RISJustiz RS0119422). Den Angaben der Eltern der S***** entgegenstehende Mutmaßungen von Zeugen dazu, wann die Mutter und der Vater von den Missbrauchsvorwürfen tatsächlich Kenntnis erlangt haben, bedurften der Mängelrüge zuwider (Z 5 zweiter Fall) keiner gesonderten Erörterung, weil sie die Frage der Aufrichtigkeit der Zeugin S***** gar nicht berühren.
Der Vorwurf der Widersprüchlichkeit der Entscheidungsgründe (Z 5 dritter Fall) orientiert sich nicht an der Gesamtheit des Urteilssachverhalts (US 8 f) und verfehlt damit die prozessförmige Darstellung des Nichtigkeitsgrundes (RIS-Justiz RS0119370).
Da die Erwägungen der Tatrichter, wie sie zum Freispruch des von der Zeugin S***** ebenfalls belasteten Mitangeklagten gelangten, den Schuldspruch des Angeklagten keineswegs ausschließen (US 8 f), kann von einer widersprüchlichen Begründung (iSd Z 5 dritter Fall) nicht die Rede sein. Selbst die Annahme bloß partieller Glaubwürdigkeit der Zeugin würde – im Fall logisch und empirisch einwandfreier Begründung wie hier – keine Nichtigkeit im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 StPO bewirken (RIS-Justiz RS0098372 [T15]).
Indem der Nichtigkeitswerber anhand eigener Beweiswerterwägungen für ihn günstigere Schlüsse einfordert, zeigt er kein Begründungsdefizit (in der Bedeutung der Z 5) auf, sondern kritisiert die tatrichterliche Beweiswürdigung (unzulässig) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld.
In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde somit zu verwerfen.
Mit Sanktionsrüge macht der Beschwerdeführer jedoch zu Recht geltend, dass das Heranziehen seiner leugnenden Verantwortung und fehlenden Unrechtseinsicht als eine für die Nichtgewährung bedingter Strafnachsicht mitentscheidende Tatsache (US 10) einen unvertretbaren Gesetzesverstoß im Sinn des § 281 Abs 1 Z 11 dritter Fall StPO darstellt. Das Recht des Angeklagten, seine Verantwortung frei zu wählen (§§ 49 Z 4, 164 Abs 1 und 4, 245 Abs 2 StPO) und sich nicht selbst zu belasten, ist ein wesentlicher Bestandteil eines fairen Verfahrens (vgl Art 6 Abs 2 MRK; Art 90 Abs 2 B-VG). Dieses Recht darf durch den Vorwurf der leugnenden Verantwortung bei der Sanktionsfindung nicht konterkariert werden (RIS-Justiz RS0090897 [T9, T 11]).
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, daher
– in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – im Strafausspruch aufzuheben.
Bei der insoweit nach § 207 Abs 1 StGB vorzunehmenden Strafneubemessung war der Umstand, dass der Angeklagte über einen Zeitraum von mehreren Jahren zahlreiche strafbare Handlungen derselben Art begangen hat (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) und die durch die Tathandlungen verursachten psychischen Beeinträchtigungen des Opfers erschwerend, der bis dahin ordentliche Lebenswandel des Angeklagten und dass die Tat mit seinem sonstigen Verhalten im auffallenden Widerspruch stand (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB), und das lange Wohlverhalten des Midhat C***** sowohl vor als auch nach den sexuellen Übergriffen (§ 34 Abs 1 Z 18 StGB) mildernd.
Davon ausgehend entspricht eine Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten dem Unrechts- und Schuldgehalt der Taten sowie der Täterpersönlichkeit. Angesichts der unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, dem Vorliegen des Milderungsgrundes nach § 34 Abs 2 StGB durch eine Reduktion der Freiheitsstrafe um zwei Monate Rechnung zu tragen.
Der lange Tatzeitraum und die Art der Tatbegehung lassen befürchten, dass die Androhung des Strafvollzuges allein nicht ausreichen wird, um den auch vor Übergriffen im engsten Freundeskreis nicht zurückschreckenden Angeklagten von der Begehung weiterer derartiger Straftaten abzuhalten. Demzufolge und aus Gründen der Generalprävention kam eine gänzlich bedingte Strafnachsicht nicht in Betracht. Mit Blick auf das untadelige Verhalten des Angeklagten vor und nach der Tatbegehung konnte aber ein Strafteil von elf Monaten bedingt nachgesehen werden (§ 43a Abs 3 StGB).
Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe war der Angeklagte auf die Strafneubemessung zu verweisen.
Das Erstgericht verpflichtete Midhat C*****, an die Privatbeteiligte S 5.000 Euro (an Schmerzengeld) zu bezahlen. Die gegen das Adhäsionserkenntnis gerichtete Berufung des Angeklagten schlägt fehl.
Wer jemanden durch eine strafbare Handlung zu geschlechtlichen Handlungen missbraucht, hat ihm den erlittenen Schaden und den entgangenen Gewinn zu ersetzen sowie eine angemessene Entschädigung für die erlittene Beeinträchtigung zu leisten (§ 1328 ABGB). Die über einen Zeitraum von mehreren Jahren an S***** im Alter zwischen fünf und acht Jahren begangenen Unzuchtshandlungen, die auch psychische Folgeschäden nach sich zogen (ON 13 S 35 f), rechtfertigen den von der Privatbeteiligten begehrten (ON 57 S 22) und vom Erstgericht zugesprochenen globalen Schadenersatz von 5.000 Euro. Die Höhe des Schmerzengeldes ist auch mit Blick auf die Bestimmungen des GlBG nicht zu beanstanden, wonach Erwachsenen bereits für verhältnismäßig geringfügige Eingriffe in deren geschlechtliche Sphäre immaterieller Schadenersatz von zumindest 1.000 Euro zu gewähren ist (vgl § 12 Abs 1 GlBG,§ 19 Abs 3 BGLBG). Der begehrten Einholung eines Sachverständigengutachtens, das eine weitere Konfrontation des missbrauchten Kindes mit den Vorfällen zur Folge hätte, bedurfte es dem Berufungsvorbringen zuwider nicht (vgl § 273 Abs 1 ZPO).
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:0110OS00089.16X.0214.000 |
Schlagworte: | Strafrecht |
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