OGH vom 16.04.2020, 10ObS47/20i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Gabriele Svirak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei K*****, vertreten durch Dr. Robert Steiner, Rechtsanwalt in Spittal an der Drau, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Dr. Bernhard Fink und andere Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 6 Rs 73/19f-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 34 Cgs 121/19v-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revision selbst zu tragen.
Text
Begründung:
I. Die Bezeichnung der ursprünglich beklagten Kärntner Gebietskrankenkasse war gemäß § 23 Abs 1 und § 538t Abs 1 und 2 ASVG von Amts wegen auf Österreichische Gesundheitskasse zu berichtigen.
II. Anlässlich der Geburt ihrer Tochter M***** am wollte die Klägerin bei der Kärntner Gebietskrankenkasse das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens (einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld) beantragen. Verglichen mit der Kinderbetreuungsgeldkonto-Variante war das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld für sie am finanziell lukrativsten.
Am begab sich die Klägerin mit dem – teilweise von ihr schon zu Hause ausgefüllten – Antragsformular in eine Außenstelle der Kärntner Gebietskrankenkasse. Gegenüber der dort tätigen Verwaltungsangestellten erklärte sie, dass sie einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld beziehen und zwei Jahre Karenz in Anspruch nehmen möchte. Die Verwaltungsangestellte klärte die Klägerin nicht über die Unterschiede zwischen der einkommensabhängigen Bezugsvariante und der (nicht einkommensabhängigen) Variante „Kinderbetreuungsgeld-Konto“ auf. Sie kreuzte nicht die (noch unausgefüllte) Spalte 5a „Einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld (365 Tage)“, sondern die (ebenfalls noch unausgefüllte) Spalte 5b „Kinderbetreuungsgeld-Konto“ an, in der die Klägerin bereits zu Hause unter der Zeile „Variante“ ein Kreuz bei „individuell“ gemacht und vor „Tage“ die Zahl „730“ eingefügt hatte. Die Verwaltungsangestellte machte die Klägerin nur darauf aufmerksam, dass im Antragsformular Angaben zu Punkt 7 (zu Erwerbstätigkeit, Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Pension/Rente, Leistungsbezügen) fehlen. Die Klägerin ergänzte diese Angaben und gab danach das Formular bei der Verwaltungsangestellten im Glauben ab, einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld beantragt zu haben.
Das ausgefüllte und mit datierte Antragsformular, mit dem die Klägerin das pauschale Kinderbetreuungsgeld in der Leistungsart der individuellen Kinderbetreuungsgeld-Konto-Variante ab Geburt für 730 Tage (§§ 2, 3 Abs 1 iVm § 5 Abs 1 KBGG) beantragt, ist von der Klägerin eigenhändig unterschrieben.
Am sandte die Klägerin ein E-Mail an die Kärntner Gebietskrankenkasse, in dem sie auf den Irrtum hinwies und die Gewährung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes beantragte.
Mit vom lehnte die Kärntner Gebietskrankenkasse den Antrag der Klägerin vom auf Änderung der Leistungsart von der individuellen Kinderbetreuungsgeld-Konto-Variante zum einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld mit der Begründung ab, der Änderungsantrag sei nach Ablauf von 14 Tagen ab Antragstellung eingelangt.
Das sprach der Klägerin das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld im gesetzlichen Ausmaß zu und verurteilte die beklagte Partei zur Leistung des Differenzbetrags zwischen dem pauschalen und dem einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld.
Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, die Verwaltungsangestellte hätte die Klägerin darüber aufklären müssen, wie das Antragsformular richtigerweise auszufüllen gewesen wäre, um das von der Klägerin gewünschte einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld zu beantragen. Die Verletzung der Beratungspflichten habe zum Bezug von Kinderbetreuungsgeld in geringerer Höhe geführt, weshalb der Klägerin die nachträgliche Umstellung der Bezugsvariante zuzugestehen sei.
Das gab der Berufung der Kärntner Gebietskrankenkasse Folge und änderte die Entscheidung des Erstgerichts in eine Klageabweisung ab. Die in § 26a KBGG eingeräumte (einmalige) Änderungsmöglichkeit der Wahl der Leistungsart stehe der Klägerin nicht mehr offen, weil zum Zeitpunkt des Einlangens ihres Abänderungsantrags die Frist von 14 Kalendertagen ab der erstmaligen Antragstellung bereits verstrichen gewesen sei. Selbst eine unterlassene oder unrichtige Auskunft bzw Beratung durch einen Sozialversicherungsträger könne keinen sozialversicherungsrechtlichen Leistungsanspruch begründen, sondern allenfalls Grundlage eines Amtshaftungsanspruchs sein.
Das Berufungsgericht ließ die Revision mit der Begründung zu, dass keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dazu bestehe, ob in einem Fall wie dem vorliegenden eine Änderung der Bezugsvariante zu Gunsten der Versicherten (doch) in Betracht komme.
Rechtliche Beurteilung
Die der Klägerin ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.
1. Lässt sich – wie im vorliegenden Fall – die für erheblich erachtete Rechtsfrage durch Anwendung der bestehenden Rechtsprechung klären, ist die Revision wegen Fehlens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung unzulässig (vgl RS0118640). Die Begründung der Zurückweisung der Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken:
2.1 Gemäß § 26a KBGG ist die Wahl der Leistungsart bei der erstmaligen (schriftlichen) Antragstellung zu treffen. Diese Entscheidung bindet neben dem antragstellenden Elternteil auch den anderen Elternteil. Eine spätere Änderung dieser getroffenen Entscheidung ist grundsätzlich nicht möglich.
2.2 Zur Vermeidung von Härtefällen wurde mit der KBGG-Novelle BGBl I 2013/117 in § 26a KBGG eine einmalige Änderungsmöglichkeit bei der Wahl der Kinderbetreuungsgeldvarianten aufgenommen. Sie setzt voraus, dass der antragstellende Elternteil dem zuständigen Krankenversicherungsträger die Änderung binnen 14 Tagen ab der erstmaligen Antragstellung schriftlich bekannt gibt (siehe dazu ErläutRV 2336 BlgNR 24. GP 2).
Die engen gesetzlichen Voraussetzungen zeigen, dass ein bloßer Hinweis der Antragstellerin, sie habe sich im Zuge der Antragstellung geirrt und in Wahrheit eine andere Leistungsart beantragen wollen, für eine Änderung der Bezugsvariante nicht ausreicht, weil sonst der Spezialbestimmung des § 26a KBGG weitgehend der Anwendungsbereich entzogen würde (10 ObS 114/16m SSVNF 30/63).
3. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts ist auch von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung gedeckt, dass selbst eine unterlassene oder unrichtige Auskunft oder Beratung durch einen Versicherungsträger keinen sozialversicherungsrechtlichen Leistungsanspruch eines Versicherten begründen kann (RS0111538 [T8]).
4.1 Als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO macht die Revisionswerberin geltend, sie habe ihren Willen, einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld zu beziehen, gegenüber der Verwaltungsangestellten der beklagten Partei ausdrücklich mündlich erklärt.
4.2 Dabei lässt sie jedoch unberücksichtigt, dass die Anspruchsstellung auf Kinderbetreuungsgeld nicht mündlich, sondern – wie sich aus dem Erfordernis der Verwendung eines Antragsformulars (§ 26 Abs 1 KBGG) ergibt – ausschließlich schriftlich erfolgen kann.
4.3 Maßgeblich ist daher allein der Inhalt des (von der Klägerin eigenhändig unterzeichneten) schriftlichen Formulars, nach dem unter Punkt 5 „Systemwahl und Bezugsdauer“ nicht das „Einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld (365 Tage)“, sondern das „Kinderbetreuungsgeld-Konto“ gewählt wurde. Bei einem eindeutigen Inhalt eines Anbringens ist eine davon abweichende, auch nicht andeutungsweise zum Ausdruck kommende Absicht des Einschreiters nicht maßgeblich (VwGH 92/13/0127; Hengstschläger/Leeb, AVG § 13 Rz 38).
5. Mit ihrem weiteren Vorbringen, ihre Mitteilung vom stelle keinen Änderungsantrag dar, weil sie darin nicht von ihrer ursprünglichen (mündlichen) Willenserklärung abgewichen sei, lässt die Revisionswerberin außer Acht, dass die ursprüngliche Antragstellung der Schriftlichkeit bedurfte; es wurde auch tatsächlich ein schriftlicher Antrag gestellt.
6. Da weder in der Begründung des Zulassungsausspruchs noch in der Revision eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt wird, ist die Revision als unzulässig zurückzuweisen.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:010OBS00047.20I.0416.000 |
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