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OGH vom 25.01.1995, 9ObA241/94

OGH vom 25.01.1995, 9ObA241/94

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Elmar A.Peterlunger und Dr.Heinz Nagelreiter als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Albert Erich G*****, Abteilungsleiter, ***** vertreten durch Dr.Matthäus Grilc und Dr.Roland Grilc, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wider die beklagte Partei K***** regGenmbH, ***** vertreten durch Dr.Günther Moshammer, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen 1,374.753,90 S brutto sA (Revisionsstreitwert 1,105.077,60 S brutto sA), infolge Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 26/94-24, womit infolge Berufung des Klägers das Teilurteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 31 Cga 91/93y-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden in ihrem abweisenden Teil dahin abgeändert, daß dieser als Teil- und Zwischenurteil zu lauten hat:

"Der Anspruch des Klägers auf Kündigungsentschädigung, Urlaubsentschädigung und Abfertigung besteht dem Grunde nach zu Recht.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz wird der Endentscheidung vorbehalten."

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens wird der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war seit dem Jahre 1959 bei der beklagten Partei beschäftigt und seit Leiter der Häute- und Felleabteilung. Der Fleischermeister Raimund P***** wurde im Dezember 1989 Mitglied des Aufsichtsrates der beklagten Partei. Im Zuge einer Kassaprüfung durch den Aufsichtsrat verlangte er vom Kläger Auskunft über einen Einkaufsbeleg für Rohtalg.

Die Mitarbeiter der beklagten Partei schnitten aus Fleischresten und Rohtalg bestehenden Abfall aus den Tierhäuten und verkauften den Rohtalg der beklagten Partei um 0,50 S/kg; die Fleischabfälle verkauften die Arbeiter selbständig als Hundefutter an außenstehende Privatpersonen. Die beklagte Partei selbst erzielte beim Weiterverkauf des Rohtalgs an die Kunden 1,60 S/kg. Bereits beim Eintritt des Klägers im Jahre 1959 war diese Vorgangsweise bei der beklagten Partei üblich gewesen. Der Kläger war mit der Verrechnung des Verkaufs von Rohtalg und Fleischresten betraut, er war jedoch nicht an den Einnahmen aus diesen Verkäufen beteiligt. Am nahm Raimund P***** in den vom Kläger verlangten Beleg Einsicht und nahm die Erklärungen des Klägers dazu entgegen. Am erschien Raimund P***** bei der beklagten Partei, machte dem Kläger in Gegenwart des Geschäftsführers der beklagten Partei und dessen Sekretärin Vorhaltungen und Vorwürfe wegen dieser Verwertung und verlangte von ihm eine Erklärung, wie die Sache geregelt sei. Nach der entsprechenden Erklärung des Klägers sagte Raimund P*****, daß dies Diebstahl sei. Der Kläger antwortete: "Dann bin ich ja ein Dieb." Raimund P***** antwortete, das könne er sich selbst aussuchen. Der Geschäftsführer der beklagten Partei ergriff nicht Partei für den Kläger. Noch am selben Tag informierte der Kläger den damaligen Obmann der beklagten Partei über den Vorwurf des Diebstahls, worauf dieser mit Verwunderung reagierte. Am fand eine gemeinsame Sitzung von Vorstand und Aufsichtsrat der beklagten Partei statt.

Der Kläger richtete an die Mitglieder des Vorstandes zu Handen des Obmannes folgendes Schreiben:

"Sehr geehrte Herren des Vorstandes!

Ich sehe mich veranlaßt, Ihnen nachstehendes zur Kenntnis zu bringen:

Ich bin seit , also nunmehr seit 30 Jahren, Abteilungsleiter in der Häute- und Felleabteilung. Während der gesamten Zeit meiner Tätigkeit war es üblich, daß der Erlös für Fleischreste und Fettreste, die bei der Häuteübernahme abfallen, unter den Arbeitern aufgeteilt wird.

Anläßlich einer Kassaprüfung durch das Mitglied des Aufsichtsrates, Herrn Raimund P***** am , bezeichnete dieser diese Vorgangsweise als Diebstahl und hat im konkreten auch mich als Dieb in Anwesenheit von zwei Kollegen bezeichnet. Ich kann mir diese Vorgangsweise nicht gefallen lassen, da darüber hinaus ich an diesen Erlösen überhaupt nicht beteiligt war und andererseits diese Vorgangsweise jahrzehntelange Praxis im Betrieb ist.

Ich ersuche daher, Herrn P***** zu veranlassen, daß er sich bei mir vor dem Vorstand des K***** entschuldigt, da ich ansonsten gezwungen wäre, auch gerichtliche Schritte gegen Herrn P***** einzuleiten und müßte ich mir einen vorzeitigen Austritt überlegen, der im gegenständlichen Fall bei derartigen Vorwürfen unter allen Umständen gerechtfertigt wäre."

Der Obmann der beklagten Partei brachte dieses Schreiben dem Vorstand und dem Aufsichtsrat zur Kenntnis. Raimund P***** erklärte, sich keinesfalls beim Kläger entschuldigen zu wollen, solange nicht ein Gericht entsprechende Sachverhalte feststellen würde. Daraufhin verließ der Kläger die Sitzung.

Der vom Aufsichtsrat zunächst mit einer Mehrheit von 5 : 2 gefaßte Beschluß, den gesamten Vorfall zur Anzeige zu bringen, wurde nach Hinzukommen eines weiteren Aufsichtsratsmitgliedes mit einer Mehrheit von 7 : 1 dahin revidiert, daß von einer Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft abgesehen werde, wenn der Kläger von der angedrohten Anzeige gegen das Aufsichtsratsmitglied Raimund P***** absehe.

Am teilte der Geschäftsführer der beklagten Partei dem Kläger die Entscheidung des Aufsichtsrates mit. Der Kläger antwortete, daß er dies nicht akzeptieren könne, da er zu dem ungerechtfertigten Diebstahlsvorwurf auch noch erpreßt werde. Noch am selben Tag versuchte der Kläger seinen Rechtsanwalt zu erreichen. Am teilte er ihm den Sachverhalt mit, worauf dieser noch an diesem Tag per Telefax der beklagten Partei zu Handen des Obmanns namens des Klägers den sofortigen vorzeitigen Austritt aus dem Dienstverhältnis erklärte.

Mit Schreiben vom lehnte es die beklagte Partei ab, diesen Austritt zur Kenntnis zu nehmen und forderte den Kläger auf, seine Arbeit wieder aufzunehmen. Nach Ablehnung dieses Anbotes durch den Kläger mit Schreiben vom sprach die beklagte Partei mit Schreiben ihres Vertreters vom die Entlassung des Klägers.

Die Satzung der beklagten Genossenschaft enthält unter anderem folgende Bestimmungen:

§ 9

Der Vorstand besteht aus dem Obmann, dem Obmannstellvertreter, dem zweiten Obmannstellvertreter und zwei bis sechs weiteren Mitgliedern, welche von der Generalversammlung aus dem Kreise der physischen Genossenschaft auf die Dauer von drei Jahren gewählt werden. Die Wahl erfolgt mittels Zuruf oder Stimmzettel aufgrund eines Wahlvorschlages des Aufsichtsrates, an den die Generalversammlung jedoch nicht gebunden ist. .....

§ 10

Der Vorstand vertritt die Genossenschaft gerichtlich und außergerichtlich und zeichnet für dieselbe.

Vertretungsbefugt sind der Obmann oder der Obmannstellvertreter gemeinsam mit einem weiteren Vorstandsmitglied oder gemeinsam mit einem Prokuristen.

§ 11

Der Vorstand führt die Geschäfte selbständig, soweit er nicht durch die Satzung, die Geschäftsanweisung (§ 16) oder Beschlüsse der Generalversammlung darin beschränkt und an die Genehmigung des Aufsichtsrates oder der Generalversammlung gebunden ist.

§ 18

Der Vorstand sowie jedes seiner Mitglieder kann jederzeit durch Beschluß der Generalversammlung von seinen Geschäften enthoben werden, unbeschadet der Entschädigungsansprüche aus bestehenden Verträgen.

Auch der Aufsichtsrat ist befugt, sobald es ihm notwendig erscheint, Mitglieder des Vorstandes vorläufig, bis zur Entscheidung der ohne Verzug zu berufenden Generalversammlung, von ihren Geschäften zu entheben und wegen einstweiliger Fortführung derselben das Erforderliche zu veranlassen.

§ 19

Der Aufsichtsrat besteht aus sechs bis zehn Mitgliedern, die von der Generalversammlung aus dem Kreise der physischen Genossenschafter durch einfache Stimmenmehrheit gewählt werden.

Die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder geschieht auf drei Jahre. Die ausgeschiedenen sind wieder wählbar.

Die Amtsdauer beginnt mit dem Tage der Generalversammlung, die die Wahl vorgenommen hat.

Die Aufsichtsratsmitglieder können auch vor Ablauf ihrer Amtsdauer durch Beschluß der Generalversammlung ihres Amtes enthoben werden, doch bedarf dieser Beschluß einer Mehrheit von 3/4 der in der Generalversammlung erschienenen Gesellschafter. ....

§ 21

Der Aufsichtsrat hat den Vorstand bei seiner Geschäftsführung in allen Zweigen der Verwaltung zu überwachen und zu dem Zwecke sich von dem Gang der Angelegenheiten der Genossenschaft zu unterrichten. Er kann jederzeit darüber Bericht und Aufklärung von dem Vorstand verlangen und selbst oder durch einzelne von ihm zu bestimmende Mitglieder die Bücher, Schriften und Urkunden der Genossenschaft einsehen, sowie den Bestand der Genossenschaftskasse und die Bestände an Effekten, Handelspapieren und Waren untersuchen.

Der Aufsichtsrat hat die Jahresrechnung, die Bilanzen und die Vorschläge zur Verteilung von Gewinn und Deckung von Verlusten zu prüfen und darüber der Generalversammlung vor Genehmigung der Bilanz Bericht zu erstatten.

Der Aufsichtsrat kann bei seinen Revisionen, insbesondere der Jahresrechnung und Bilanz, die Hilfe von Sachverständigen in Anspruch nehmen.

Der Aufsichtsrat hat eine Generalversammlung zu berufen, wenn diese im Interesse der Genossenschaft erforderlich ist. ..."

Der Kläger begehrt, die beklagte Partei zur Zahlung von 1,374.753,90 S brutto sA zu verpflichten. Hievon entfallen 269.676,28 S auf rückständige, aus unrichtiger Einstufung und unbezahlter Überstundenleistung abgeleitete Entgeltansprüche für den Zeitraum vom bis und 1,105.077,63 S auf austrittsabhängige Ansprüche (Kündigungsentschädigung, Urlaubsentschädigung und Abfertigung). Der Kläger brachte vor, er sei von einem Mitglied des Aufsichtsrates der beklagten Partei zu Unrecht des Diebstahls bezichtigt worden. Nach mehreren Versuchen, die Angelegenheit zu bereinigen und sich zu rehabilitieren, habe der Kläger am den berechtigten vorzeitigen Austritt erklärt.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Dienstgebereigenschaft gegenüber dem Kläger habe nur der Obmann der beklagten Partei augeübt; er habe den Kläger lediglich gegen Ehrverletzungen durch Mitbedienstete zu schützen und gar keine rechtliche Möglichkeit, dem Kläger gegen die Beleidigung durch ein Aufsichtsratsmitglied Schutz zu gewähren. Im übrigen sei die Austrittserklärung des Klägers verfristet.

Nach Einschränkung der Verhandlung auf die Fragen der Berechtigung des Austritts und der Einstufung des Klägers gab das Erstgericht dem auf austrittsunabhängige Entgeltansprüche für die Vergangenheit gerichteten Begehren mit 115.029 S brutto sA statt und stellte fest, daß der vom Kläger gegenüber der beklagten Partei am erklärte vorzeitige Austritt ohne berechtigten Grund erfolgt sei. Da die beklagte Partei durch den Vorstand vertreten werde, seien ihr Äußerungen eines Aufsichtsratsmitgliedes nicht als erhebliche Ehrverletzungen zuzurechnen. Auch das Abhilfebegehren des Klägers sei verfehlt, da für den Vorstand keine rechtlichen Möglichkeiten bestünden, ein Aufsichtsratsmitglied zu einer Entschuldigung gegenüber dem Kläger zu veranlassen.

Das Berufungsgericht bestätigte infolge Berufung des Klägers das in seinem stattgebenden Teil in Rechtskraft erwachsene Ersturteil mit der Maßgabe, daß das auf Zahlung von 1,105.077,60 S brutto sA gerichtete Klagebegehren abgewiesen wurde. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß dem Aufsichtsrat weder Unternehmer- noch Arbeitgeberfunktionen zukämen. Ein Abhilfebegehren an den Vorstand sei nicht zielführend, weil der Vorstand einem Aufsichtsratsmitglied weder Weisungen erteilen noch es abberufen könne.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Feststellung der Berechtigung des vorzeitigen Austrittes des Klägers abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Nach herrschender Auffassung ist eine juristische Person zwar selbst nicht deliktsfähig, doch sind ihr die Delikte ihrer Repräsentanten zurechenbar. Als Repräsentanten der juristischen Person sind vor allem ihre Organe anzusehen, wobei nicht nur die rechtsgeschäftliche Vertretungsbefugnis nach außen, sondern auch selbständige innerbetriebliche Leitungs- und Überwachungsfunktionen für die Zurechnung unerlaubten Verhaltens zur juristischen Person ausreichen (siehe Ostheim, Organisation, Organschaft und Machthaberschaft im Deliktsrecht juristischer Personen, in Gschnitzer - GedS 317 ff [328]; derselbe, Gedanken zur deliktischen Haftung für Repräsentanten anläßlich der neueren Rechtsprechung des OGH, JBl 1978, 57 ff [59]; Jabornegg in Schiemer/Jabornegg/Strasser Komm AktG3 § 1 Rz 32, wonach in seinem Zuständigkeitsbereich auch der Aufsichtsrat zu den Repräsentanten gehört; vgl auch Mazal, Nötigung und Arbeitsrecht, ecolex 1994, 239 ff [240 f], der dem Arbeitgeber auch vom Aufsichtsrat bzw einem Aufsichtsratsmitglied gesetzte Handlungen zurechnet).

Zieht man in Betracht, daß nach dem § 24 Abs 4 GenG weitgehend entsprechenden § 21 der Satzung der beklagten Partei der Aufsichtsrat die Geschäftsführung der Genossenschaft zu überwachen und sich zu diesem Zwecke vom Gang der Angelegenheiten der Genossenschaft zu unterrichten hat und im Rahmen dieser Aufsichtspflicht jederzeit selbst oder durch einzelne von ihm zu bestimmende Mitglieder die Bücher, Schriften und Urkunden der Genossenschaft einsehen sowie den Bestand der Genossenschaftskasse und die Bestände an Effekten, Handelspapieren und Waren untersuchen kann, dann besorgte das Aufsichtsratsmitglied Raimund P***** mit der Kassenprüfung eine nach Gesetz und Satzung in den Zuständigkeitsbereich des Aufsichtsrats fallende Aufgabe. Die beklagte Partei muß sich daher Erklärungen, die Raimund P***** als Prüfer über von ihm untersuchte Vorgänge abgab, zurechnen lassen; in diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß auch eine erhebliche Ehrverletzung des Klägers gegen Raimund P***** anläßlich der Kassaprüfung als solche gegen den Dienstgeber im Sinne des § 27 Z 6 AngG zu qualifizieren gewesen wären. Handelte aber Raimund P***** als Repräsentant des Dienstgebers, dann liegen Ehrverletzungen des Dienstgebers selbst vor, so daß der Kläger gar nicht verpflichtet war, Abhilfe zu begehren. Allerdings hat der Kläger dadurch, daß er nicht sofort mit Austritt reagierte, sondern dem Beleidiger Gelegenheit zur Bereinigung der Angelegenheit durch eine entsprechende Entschuldigung geben wollte, sein Austrittsrecht nicht verwirkt, zumal er sich den Austritt für den Fall der Ablehnung seines Ansinnens ausdrücklich vorbehielt.

Da der dem Arbeitgeber zuzurechnende ungerechtfertigte Vorwurf strafbaren Verhaltens als erhebliche Ehrverletzung im Sinne des § 26 Z 4 AngG zu qualifizieren ist, war der Austritt des Klägers berechtigt.

Der Revision war daher im Sinne des Abänderungsantrages mit Teil- und Zwischenurteil Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf den §§ 392 Abs 2 und 393 Abs 4 iVm § 52 Abs 2 ZPO.